Für alle Target2-Aficionados ist der heute vormittag erschienene Oktober-Monatsbericht der Europäischen Zentralbank Pflichtlektüre.
Auf fünfeinhalb Seiten werden dort ab Seite 36 die Target2-Salden der Zentralbanken diskutiert.
Ohne Hans-Werner Sinn namentlich zu nennen, widerspricht die Zentralbank dort den zentralen Thesen des Ifo-Chefs auf ganzer Linie.
Update: Das Ifo-Institut hat heute eine interessante Pressemitteilung zum EZB-Monatsbericht herausgegeben – mit der Überschrift “Keine sachlichen Differenzen zwischen ifo und EZB über Target-Salden”. (Leider scheint die Presse-Sektion auf der Ifo-Webseite derzeit abgestürzt zu sein, so dass ich derzeit nicht auf die Pressemitteilung verlinken kann.
Irgendwie lese ich den EZB-Bericht anders – in mindestens sechs Punkten widerspricht die EZB Sinn deutlich. Ich habe einige diametral unterschiedliche Ausagen beider Seiten dieser Tabelle gegenübergestellt.
Es fängt bei einfachen technischen Dingen an, so schreibt Sinn zum Beispiel immer wieder, die Bundesbank leihe den Krisenstaaten Geld über Target2 – die EZB dagegen betont, dass Geld von den Notenbanken der Krisenländer geschöpft wird, und es über Target2 nur in andere Länder transferiert wird. (Interessanterweise macht Sinn diesen Fehler nur in seinen populärwissenschaftlichen Aufsätzen. Im wissenschaftlichen Papier, das er gemeinsam mit Wollmershäuser geschrieben hat, wird dieser Aspekt richtig dargestellt: Dort heißt es, dass das Geld von den Notenbanken der Krisenländer geschaffen wird.)
Diametral anderer Meinung sind Sinn und EZB bei der Einschätzung der Gefahren, die mit Target2 verbunden sind und ob man die Target2-Verbindlichkeiten deckeln sollte. Auch mit Blick darauf, wie das Zahlungsverkehrsystem in den USA organisiert ist, werden ganz unterschiedliche Positionen deuetlich).
Hier eine Übersicht über die zentralen Argumente der EZB (alle Hervorhebungen durch mich).
Die EZB zu….
…den Ursachen der Target2-Ungleichgewichte:
“Die Zunahme der TARGET2-Verbindlichkeiten einiger NZBen gegenüber der EZB während der Finanzkrise war auf Finanzierungsengpässe des Bankensektors in den betreffenden Ländern und auf die Deckung des daraus resultierenden Liquiditätsbedarfs durch die EZB zurückzuführen.
Vor der Finanzkrise hatten die Banken in diesen Ländern einen vergleichsweise leichten Zugang zu privaten Finanzierungsmitteln. Sie bezogen Mittel aus dem Ausland (z. B. in Form von grenzüberschreitenden Interbankenkrediten, Direktinvestitionen oder Einlagen), die grob gerechnet die Zahlungsabflüsse im Zusammenhang mit dem Nettoimport von Waren und Dienstleistungen oder dem Erwerb von Vermögenswerten im Ausland ausglichen. (…)
Infolge der Finanzkrise fließen den Bankensektoren dieser Länder nun nicht mehr genügend private Mittel zu, um ihre Zahlungsabflüsse auszugleichen. Ihr Zugang zum Interbankengeldmarkt ist eingeschränkt, und die grenzüberschreitenden Kreditströme in diese Länder sind ausgetrocknet, während gleichzeitig zuvor aufgenommene Kredite zurückgezahlt werden müssen. Darüber hinaus werden die Finanzierungsengpässe der Banken durch Kapitalentnahmen des privaten Sektors verschärft. Die daraus resultierenden, in Zentralbankgeld abgewickelten Nettozahlungsabflüsse aus diesen Bankensektoren führen dazu, dass die jeweiligen NZBen per saldo Verbindlichkeiten in TARGET2 verbuchen.”
…zur Frage, vorher das Geld kommt (Sinn sagt, es handele sich um Kredite der Bundesbank)
“Bankensektoren, die Nettoabflüsse von Zahlungen verzeichnen, welche in Zentralbankgeld abgewickelt werden, benötigen mehr Zentralbankliquidität als gewöhnlich. Ihre jeweiligen NZBen stellen mehr Liquidität zur Verfügung, als normalerweise notwendig wäre, um den Bedarf der Banken zu decken. Dies geschieht entweder in Form von Kreditgeschäften oder durch den Ankauf von Wertpapieren.”
… zur Bewertung der Target2-Salden:
“Die Verteilung der Liquidität innerhalb des Eurosystems fördert die Stabilität, da sie es finanziell soliden Banken – auch solchen in Ländern mit finanziellen Spannungen – ermöglicht, ihren Liquiditätsbedarf zu decken. Sie trägt damit zur effektiven Transmission der Zinsbeschlüsse der EZB auf die Gesamtwirtschaft des Euroraums bei, mit dem Ziel, Preisstabilität auf mittlere Frist zu gewährleisten.”
… zur Frage, ob die Target2-Ungleichgewichte zu Lasten der Kreditvergabe in Deutschland gehen (Sinn behauptet das):
“Es wäre falsch anzunehmen, dass TARGET2-Verbindlichkeiten, die aus einer relativ umfangreichen Liquiditätsbereitstellung an Banken in einigen Ländern resultieren, einen negativen Einfl uss auf die Vergabe von Bankkrediten in anderen Ländern hätten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Banken in Ländern, deren NZBen einen positiven TARGET2-Saldo aufweisen (siehe Abbildung C, mittlere Spalte), tendenziell Empfänger grenzüberschreitender Zahlungen aus anderen Ländern sind. Die Banken in diesen Ländern benötigen weniger Zentralbankliquidität, als ansonsten erforderlich wäre, um weiterhin Kredite an private Haushalte und Unternehmen in ihrer Volkswirtschaft vergeben zuönnen. Dass die Bankkreditvergabe allein durch die verminderte Liquiditätsbereitstellung seitens
einiger NZBen nicht eingeschränkt wird, zeigt sich auch daran, dass die Banken im gesamten Euroraum derzeit – gegen ausreichende Sicherheiten – uneingeschränkten Zugang zu Zentralbankliquidität zu guten Konditionen haben.”
… zum Zusammenhang zwischen Target2-Ungleichgewichten und der Realwirtschaft (Sinn sagt, über Target2 würden die Leistungsbilanzdefizite der Peripheriestaaten finanziert):
“[Die Target2-Salden] vermitteln nicht notwendigerweise ein Bild von der wirtschaftlichen Realität des Liquiditätsbedarfs der Banken in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Verteilung von Zentralbankliquidität durch die NZBen in den einzelnen Ländern des Euroraums weist einen – allerdings nur losen – Zusammenhang mit dem inländischen Liquiditätsbedarf des jeweiligen nationalen Bankensektors auf. (…)
Analog hierzu gibt es drei Hauptgründe, weshalb die TARGET2-Salden der NZBen nicht unbedingt die nationale wirtschaftliche Realität widerspiegeln, die sich hinter den Salden der grenzüberschreitenden Zahlungen des Euro-Währungsgebiets verbirgt.
Erstens wird die geografische Lage einer als Zahlungspartner auftretenden Bank bisweilen eher von ihrer internen Organisation und weniger von den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten bestimmt. So können insbesondere multinationale Bankengruppen ihre Refi nanzierung dezentral organisieren, während sie zugleich ihr Liquiditätsmanagement stärker zentralisiert haben. Eine Bankengruppe kann sich beispielsweise über eine Tochtergesellschaft bei einer NZB in einem anderen Land des Euroraums refinanzieren. (…)
Zweitens werden einige grenzüberschreitende Zahlungen nicht in Zentralbankgeld abgewickelt und erscheinen somit nicht in den TARGET2-Salden. (…)
Drittens können Euro-Transaktionen mit Banken außerhalb des Euro-Währungsgebiets (z. B. im Vereinigten Königreich), deren NZBen nicht an TARGET2 angebunden sind, dennoch über Banken abgewickelt werden, die TARGET2-Konten bei den verschiedenen NZBen des Euroraums (zum Beispiel der deutschen Bundesbank oder der Nederlandsche Bank) unterhalten. Dadurch werden die TARGET2-Salden der NZBen in den entsprechenden Mitgliedstaaten beeinflusst.”
… zu Sinns Forderung, die Target2-Salden zu deckeln:
“Die TARGET2-Salden der NZBen des Euro-Währungsgebiets spiegeln die ungleichmäßige Verteilung von Zentralbankliquidität innerhalb des Eurosystems wider. Da es für den Wert der innerhalb eines gemeinsamen Währungsraums getätigten Zahlungen keine Höchstgrenze geben kann, ist auch für die TARGET2-Salden der NZBen keine Obergrenze möglich. Eine Beschränkung der TARGET2-Salden wäre mit dem Konzept einer Währungsunion nicht vereinbar.”
… zu Sinns Argument, in den USA gäbe es so eine Deckelung:
“Auch in den Vereinigten Staaten erfolgt keine Begrenzung der Zahlungen, die innerhalb des aus den zwölf Federal-Reserve-Distrikten bestehenden Währungsraums durchgeführt werden. Aus diesen Zahlungen resultieren Salden zwischen den einzelnen Distrikten, die wie im Fall der TARGET2-Salden im Eurosystem keine stärkere Einschränkung bedeuten. Der in den Vereinigten Staaten verwendete Mechanismus zum einmal jährlich erfolgenden Ausgleich der Salden der einzelnen Distrikte wirkt sich nicht auf die grenzüerschreitenden Zahlungsströme aus und führt im Grunde genommen zu einer Anpassung des Schlüssels für Verteilung der Gewinne und Verluste des Federal Reserve Systems auf die zwölf Reserve Banks in den jeweiligen Distrikten.”
Quelle: http://blog.handelsblatt.com/handelsblog/2011/10/...sinn-bei-target2/