Culture Club
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Das postmoderne Subjekt zwischen totalitärem Größenwahn und Selbstvernichtung
Der im postmodernen Subjekt bereits strukturell angelegte narzisstische Charakter bricht in der globalen Krise des 21. Jahrhunderts hervor. Die größenwahnsinnige Vorstellung, die äußere Welt sei nur eine Verlängerung der eigenen Subjektivität und könne als ganzes dem eigenen Willen unterworfen werden, wurde durch die Ausbreitung der Wertform in die tiefsten Poren der menschlichen Lebensrealität und die (vom Europäischen Ausgangspunkt) entferntesten Winkel der Erde zunächst scheinbar bestätigt.
Die krasseste Form dieses Wahns zeigte sich im nationalsozialistischen „heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt!“, das zum Zeitpunkt der ausweglos bevorstehenden Niederlage in eine „Operation Verbrannte Erde“ umschlug, die die Selbstvernichtung der Unterwerfung unter den „Feind“ vorzog. Doch im Gegensatz zum Nationalsozialismus, der – neben imaginierten Bedrohungen wie dem „Weltjudentum“ – in den Alliierten tatsächlich einen äußeren Feind hatte, hat der globale Kapitalismus des 21. Jahrhunderts keinen solchen mehr. Nicht einmal das alternative Regulationsmodell der Planwirtschaft konnte den Wettstreit mit dem freien Markt überleben und so lassen sich die offensichtlichen Krisen der herrschenden Vergesellschaftungsweise nur noch auf vorgestellte äußere Feinde projizieren.
Jihadismus und antimuslimischer Rassismus sind gleicher Maßen Ausdrucksform einer narzisstischen Weltverachtung. Das spätmoderne Subjekt hat die Kontrolle über die Verhältnisse verloren und sein einstmaliger Hochmut schlägt nun in Verachtung der äußeren Welt um. Erstgenannte Ideologie ermöglicht die Projektion des postmodernen Kontrollverlusts auf die moralische Verkommenheit der Welt und die Perspektive auf ein vollkommenes Jenseits. Letztere will ein vermeintlich zerstörerisches, kulturfremdes Kollektivsubjekt aus der eigenen – eben nicht mehr – heilen Welt exkommunizieren und erhofft sich auf diese Weise die Wiedererlangung von Kontrolle, sozialem Frieden und Machtanspruch.
Die auf *GIDA-Demonstrationen immer wieder geäußerte Forderung nach Schließung der Grenzen beinhaltet den Glauben, dass es einfach eines autoritären Durchgreifens bedarf, um die soziale Krise zu beenden. Daran dass die Krise mitunter in der eigenen Subjektform angelegt ist, scheinen die selbstbewussten Deutschen nicht ahnen zu wollen. Je gründlicher die Kontrollillusion des kapitalistischen Subjekts durch die realen Ereignisse zerstört wird, desto brutaler offenbart sich seine narzisstische Prägung. Die Jagd auf Geflüchtete und People of Color und die größenwahnsinnige Parole „Wir sind das Volk“, gerufen von einigen tausend Rassist_innen sind noch Ausdruck des Verlangens nach totalitärer Kontrolle.
Einen Schritt weiter sind da bereits junge Erwachsene aus Dinslaken, Bochum oder Sachsen, die sich freiwillig in der Hoffnung auf das Paradies als Kanonenfutter in Syrien anbieten. Auch ein gewisser Germanwings-Pilot aus Düsseldorf ließe sich an dieser Stelle als Beispiel anführen. Bei den genannten Personen ist der gescheiterte Kontrollanspruch in das Verlangen zur Selbstvernichtung umgeschlagen.
Wenn du denkst, es geht nichts mehr, gründe eine Bürgerwehr!
Bei „Operation Verbrannte Erde“ sind viele Deutsche jedoch noch lange nicht angekommen. Als relative Krisengewinnler und vermeintliche „Zahlmeister Europas“ hält sich bei ihnen die Illusion einer möglichen Wiedererlangung der Kontrolle über die Welt noch hartnäckig. Das Problem sind in ihren Augen, wie bereits ausgeführt, Geflüchtete, „kulturfremde“ Migrant_innen und in manchen Fällen auch allgemein Kriminelle. Teils ist die in jenen Kreisen verbreitete Vorstellung, Europa befände sich kurz vor einen „Bürgerkrieg“, ideologische Projektion der eigenen Angst vor Beschleunigung und Entwurzelung.
Teils speist sie sich jedoch auch aus der Kenntnisnahme des fortschreitenden sozialen Zerfalls an den Rändern Europas. Die Vereinigung in Bürgerwehren ist vor diesem Hintergrund als eine Art regressives Empowerment des angeschlagenen weiß-männlichen Herrschaftssubjekts zu verstehen. Die jüngst entstandenen Bürgerwehren beziehen sich thematisch vor allem auf die Übergriffe im Kölner Hauptbahnhof zu Silvester. Ziel dieser Vereinigungen ist nicht die sexuelle Selbstbestimmung und die Durchsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Frauen.
Allein die Idee, dass Männer sich vereinigen, um „unsere Frauen“ zu „schützen“ macht den patriarchal-sexistischen Besitzanspruch auf Frauen deutlich, der in diesen Kreisen hegemonial ist. Das Entgleiten der Kontrolle, die narzisstischen Ohnmachtsängste der spätmodernen Subjekts, schlagen in entgrenzten patriarchalen Größenwahn um. Wieder wichtig werden, auf der Straße aufräumen, Recht und Ordnung wieder herstellen und zeigen, dass die deutschen Frauen eben deutschen Männer gehören und niemandem sonst. Eine große Gefahr dabei ist die ideologische Flexibilität der neuen Bürgerwehren.
Unter oberflächlichen Bekenntnissen dazu „unpolitisch“ zu sein, organisieren sich Rassist_innen und Sexist_innen, denen in vielen Fällen der politische Gehalt ihres Handelns nicht einmal bewusst ist. Umso leichter fällt es organisierten Nazi-Kadern, sich in diesen Bürgerwehren zu betätigen und ihre politische Agenda dort voranzubringen.