Culture Club
Die Elegance des nichtidentischen Denkens ist übrigens kein Blendwerk, sondern die andere Seite der Medaille. Eben weil das Nichtidentische auch in seiner ästhetischen Form nicht nur Differenz und Gegensätze markiert, sondern über diese Form auch mobilisiert - damit geht es sozusagen los. Deshalb gibt es auch kein nichtidentisches Denken als Krampf oder vom Blatt abgelesen...
Hab Dir ja schon mal gesagt, dass dein antikommunistischer Verve ein Kampf gegen Windmühlen ist. Ähnlich den Bilderstürmern vor 100 Jahren, die unter Beifall des zeitgenössischen Publikums nachweisen konnten, dass es sich bei Picassos Kuben keinesfalls um Kunst handeln kann. Evolution und Revolution (nicht nur in der Kunst) treiben als meist unterirdische, aber machtvolle Grundlinie, seitdem eine arbeitende Menschheit existiert. Sie ist nie 'weg', nur weil gerade anderes oder anders diskutiert wird..
Nachweise wird man da doch vergeblich suchen.
Wenn man jene Dinge liest und ihnen zum einen mit einer gewissen Offenheit zu folgen versucht, zum anderen jedoch auch immer noch ein Auge auf die Methodik der Argumentation hält, so fällt einem doch in hohem Maße auf, dass es sich um keine deduktive und rationalistisch logische Vorgehensweise handelt, sondern um eine induktiv ästhetische.
Vieles davon hört sich zwar sehr gebildet und schwergewichtig an, hingt am Ende jedoch oftmals auf weniger als einem Bein... oder ist manchmal, wenn man darauf schaut, welche Erkenntnisse sich aus diesen recht elegant und kompliziert vorgetragenen Dingen denn tatsächlich gewinnen lassen, am Ende erstaunlich trivial - ja fast schon selbstverständlich. (015 ist ein typisches Beispiel dafür)
Diese Selbstverständlichkeiten werden dann allerdings nicht selten offenkundig programmatisch und sehr einseitig ins Negative gekehrt.
Tatsächlich scheint es dann auch gar nicht um Erkenntnisstreben und Wissenschaft zu gehen, sondern darum, der marxistischen Idee der permanenten Revolution einen zeitgemäßen intellektuellen Überbau zu verleihen. Dies war im übrigen ja auch das originäre Bestreben von Marx. Um wissenschaftliche Erkenntnis oder gar Wahrheit ist es ihm, was Dir als Kenner ja bekannt sein dürfte, nie gegangen.
(Kann man explizit bei ihm nachlesen)
Bei den Postmodernisten ist das etwas subtiler, was ihnen dann von intellektuell etwas weniger begabten Marxisten auch häufig die Kritik eingbrockt hat, dass das ja alles ganz nett sei, sich aber nicht für die Revolution instrumentalisieren ließe und daher abzulehnen sei - sie haben Baudrillard, Deleuze und andere offenbar nicht richtig verstanden.
Um bei #015 zu bleiben. Gesellschaft entwickelt sich immer in einem gemeinsamen Bezugsrahmen. Man gelangt zu gemeinsamen Betrachtungen, gemeinsamen Überzeugungen und Werten, gemeinsamen Wünschen und Begierden und Moden, man entwickelt gemeinsame Symbolismen, Überlieferungen und durchläuft ja auch eine gemeinsame Geschichte.
Eine Gesellschaft lebt eben nicht nur vom Dissens, der bei Dir zum Fetisch geworden zu sein scheint, sondern auch vom Konsens! - Davon, dass man sich auf gemeinsame Dinge verständigt.
So weit so gut. Natürlich sind damit, wie bei allen(!) Dingen im Leben Vor- und Nachteile verbunden, Chancen und Risiken. Man entwickelt gemeinsame Erkenntnisse und Errungenschaften genauso wie gemeinsame Irrtümer. Es ist sicher konstruktiv diese Dinge zu untersuchen und auch zu diskutieren.
Sich die ganze Welt als Verblendungszusammenhang zu denken, hinter dem sich Herschaftsstrukturen verbergen, die dann per se als negativ gesetzt werden, geht allerdings mit Sicherheit in keine sinnvolle Richtung.
Dass eine Gesellschaft einen gemeinsamen Bezugsrahmen ausbildet, wie es in #015 sehr negativ visualisiert wird, hat z.B. primär gar nichts mit Kontrolle zu tun, sondern ganz schlicht und ergreifend mit gemeinsamer Entwicklung.
Strukturen und Ordnungen haben dabei natürlich immer auch ein funktionelles Element, das wiederum mit bestimmten Zielvorstellungen verbunden ist.
Oder anders gesagt, Ordnungen und Strukturen haben immer auch einen bestimmten Sinn. Nimmt man z.B. unsere Rechtsordnung, die einen gewissen Rahmen unserer Gesellschaft bildet, so lassen sich dort viele Leitgedanken erkennen, die etwas mit unserer christlich-abendländischen Tradition, Humanismus und generell ethischen Vorstellungen zu tun haben.
Es erscheint doch eher polemisch, als besonders wissenschaftlich, den Umstand, dass Strukturen und Ordnungen mit sinnbildenden Zielvorstellungen zusammenfallen, einfach mit Kontrolle gleichzusetzen.
Selbst wenn man sich dieser dünkelhaften Formulierung anschlie0en wollte, dass es sich dabei dann auch tatsächlich um etwas "Negatives" handelte, das als solches abzulehnenen wäre, ergibt sich dabei noch lange nicht aus sich selbst.
Man nehme nur mal den Imperativ des Industrial, der ja auf jenen Ideen, die im übrigen alle Merkmale von Ideologie aufweisen, aufsattelt, "to prevent men ever acting with a common sense again", was sich eben gerade gegen jene vermeintlichen Kontrollmechanismen richtet, die sich in der bürgerlichen Gesellschaft verbergen sollen.
Wie sehe die Welt denn aus, wenn man so etwas wirklich ernst nehmen wollte?
Dort wo der Mensch sich in einer Gesellschaft jeglicher Ordnung, jeglichen gemeinschaftlichen Organisationsformen und jedem Konsens verweigert, wären jegliche Aktivitäten, die sich nicht alleine oder quasi-alleine verwirklichen ließen unmöglich.
Es könnte nichts in größeren Mengen produziert werden, man könnte sogar noch nichteinmal ein Haus bauen. Nichts ließe sich mehr in solchem Rahmen koordinieren, denn solche Koordination setzt eine größere Organistaion voraus, die nicht ohne Ordnung, Strukturen und Regelungen auskommt.
Die Kehrseite dessen, auf Machtstrukturen völlig zu verzichten, bedeutet dann eben auch, dass sich nichts mehr machen(!) lässt.
Wir lebten mit dieser Sichtweise heute noch auf den Bäumen.
In einer Gesellschaft, die unfähig wäre, mit einem gemeinsamen Willen zu handeln, könnte es dann weiter gedacht auch keinerlei Rechtstrukturen mehr geben. Auch die Menschenrechte sind am Ende nichts andere als eine Ausprägung eines gemeinschaftlichen Willens. Möchte man darauf etwa verzichten?
Diese Haltung ist dann faktisch sogar antidemokratisch, da Demokratie nunmal gerade auf der Grundlage steht, dass eine gemeinsame Willensbildung stattfindet.
Es gibt da so vieles, was zu völlig abstrusen Ergebnissen führt, wenn man auch nur etwas länger und fundamentaler über manche Ideen der Postmodernisten nachdenkt, anstatt sich durch die elegante Darstellung und dem Versuch, Techniken aus dem Bereich der Ästhetik und der Kunst auf die Wissenschaft zu übertragen, blenden zu lassen.
Was Du oben von Baudrillard hereingestellt hast ist ja ganz nett, aber kennst Du dann auch solche Sachen von ihm, wie z.B. seinen Aufsatz zum 11. September?
Vieles von Deinen Ideen zur Geostrategie findet sich dort übrigens wieder.
Dort kann man dann allerdings auch nachlesen, auf welchen Annahmen diese Dinge tatsächlich fußen und wo sie dann auch hinführen (sollen).
Die ganze Kiste war im Grunde schon in den 70ern eine subkulturelle Erscheinung - kein mainstream, heute ist es aber vollends "out", vermutlich weil es eben schlichtweg radikaler Unsinn ist. Damals wurde das noch irgendwie durch einen gewissen modischen Zeitgeist mitgetragen und man braucht ja zudem auch eine gewisse Zeit, um die (bewußten) Irrtümer auch wirklich in voller Tragweite zu durchblicken.
Ich habe keine Lust, hier kritische Aufsätze über die Ideen von Deleuze, Baudrillrad oder Debord zu schreiben. Das ist alles längst diskutiert. Ich hätte dem auch kaum etwas substanzielles hinzuzufügen, was nicht andere schon längst in noch viel fundierterer und umfassenderer Art und Weise vorgetragen hätten.
Das wäre doch wenig produktiv.
Was richtig ist, ist dass es aber wohl immer Leute geben wird, die mit der bürgerlichen Gesellschaft nichts, aber auch gar nichts anfangen können, und sich im Chaos wohler fühlen. Nicht selten dürfte dies mit persönlichem Frust zusammenhängen, rechts- oder linksradikal, handgreiflich oder intellektuell - im Grunde sind das nur ein Art von Labeln, unter dem diese Dinge dann ausgelebt werden.
Mit echter Überzeugung dürfte das in den meisten Fällen wenig zu tun haben.
Oder anders gesagt, die Leute wissen schon ganz gut, wenn sie Scheiße machen, es interessiert sie nur nicht immer.
Als machtvolle Grundlinie der menschlichen Entwicklung würde ich das aber nicht betrachten wollen.
Ich habe grundsätzlich ein eher optimistisches Menschenbild.
Ergänzung:
Meine Kritik soll übrigens nicht heißen, dass sich da nun gar nichts interessantes an Gedanken finden ließe, das Problem ist ja auch weniger, dass da nun etwa "alles" falsch wäre, sondern eher was dann aus den richtigen Momenten so alles weiter konstruiert werden soll.
Man muss ausserdem zwischen einzelnen Protagonisten unterscheiden. Focault würde ich zum Beispiel nicht gerade mit Baudrillard, Deleuze oder de Bord in einen Topf werfen wollen.
Persönlich kann ich das nur akzeptieren, weil es auf 'du bist bedeutungslos' keine sinnvolle Antwort gibt. Dem Motiv nach ist dies ja auch kein inhaltlicher Einwand gegen einen philosophischen oder persönlichen Programmpunkt, sondern reine Selbstauskunft...