Culture Club
Seite 61 von 2439 Neuester Beitrag: 14.11.24 14:33 | ||||
Eröffnet am: | 22.09.12 21:13 | von: Fillorkill | Anzahl Beiträge: | 61.964 |
Neuester Beitrag: | 14.11.24 14:33 | von: Philipp Robe. | Leser gesamt: | 6.472.855 |
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Politischer Anspruch von TG war es, Sand im Getriebe eines universellen Kontrollprozesses zu sein. Damit hatten sie die Schockmomente ihrer Kultur von gebrauchten Tampons bis zu den Kastrationsfilmen rationalisiert, quasi als Sprengsatz gegen den Verblendungszusammenhang. Nur hatte sich Schock als kulturrevolutionäres Konzept zu Beginn der Postmoderne bereits überlebt, weil im Mainstream bereits angekommen, der nun die 'dunklen Seiten' als Sujet ausschlachtet anstatt zu verschweigen. Mit dieser Ratio und meinetwegen einer psychopathischen Mentalität hatten sie jedoch den Rahmen dessen, wie moderne Musik Emotionalität reflektieren und transportieren kann, nachhaltig verändert und gedehnt...
Eine 'Durchschnittsbiographie' ist für mich kein Objekt der Verachtung, sondern beschreibt einfach nur einen Lebensweg ohne dramatische Brüche und Verirrungen. Eine DB absolviert Schule, Beruf, Ehe und Nachbarschaft zumindest ordentlich, findet keinen Grund für Revolution, auch nicht in der Kultur - ernährt diese aber und partizipiert an ihren möglichen Früchten, ohne dies jedoch idR zu merken oder gar zu wollen...
Alles einerseits fixe Größen, die andererseits aber dennoch veränderlich sind, zumindest in einem gewissen Umfang.
(Hier setzen dann im übrigen ja auch gerade die manipulativen Techniken an, die ein wesentlicher Teil beinahe sämtlicher Avantgarden des letzten Jahrhunderts waren.)
Die Ideen und Gedanken, auf die wir kommen und mit denen wir uns beschäftigen, entsprechen natürlich immer unserer eigenen Mentalität. Deswegen ist es ja auch gerade so wichtig, sich nicht nur mit den eigenen, sondern auch mit den Gedanken und Ideen der Anderen zu beschäftigen.
Nichtsdestrotz ist der Einsatz von benutzten Tampons und Kastrationsfilmen im Industrial äußerst systematisch und strategisch. Es gibt da schon ein recht komplexes Theoriengebäude, das dahinter steht.
Und der Einsatz solcher Methoden ist ein Punkt, an den man aus dieser Systematik heraus sogar beinahe automatisch irgendwann angelangt.
Der radikale Angriff auf bürgerliche Wirklichkeiten und Vorstellungen ist ebenfalls ein Kernelement sämtlicher Avantgarden des letzten Jahrhunderts. Der Begriff selbst entstammt dabei auch keineswegs zufällig aus dem Militärischen.
Die meisten Avantgarden haben dabei auf im Grunde bereits bestehende Konzepte aufgesetzt und diese dann weiter radikalisiert. Man kann darüber streiten, ob es sich in diesem Sinne eigentlich wirklich um etwas Neues handelt, was so geschaffen wird. Ich würde das allerdings gelten lassen.
Radikalität lässt sich aber nunmal nicht beliebig steigern. Irgendwann bleiben dann nur noch benutze Tampons und Kastrationsfilme. So kompliziert es in der Theorie ist, so einfach ist es im Grunde in der Praxis. Danach wird es aber auch irgendwie schwierig, noch einen drauf zu setzen, ohne in den Bereich des Verbrechens zu gelangen. TG hat den Industrial insofern nicht nur initiiert sondern zugleich erschöpft.
Es ist dabei fraglich, ob dieses Konzept von Avantgarde tatsächlich ein Konzept der Zukunft sein kann. Was sollte denn aus dieser Richtung da noch Neues kommen können?
Im Augenblick befinden wir uns kulturell in einer Phase, in der viele Elemente der subkulturellen Jugendbewegungen des letzten Jahrhunderts sehr weit in der allgemeinen bürgerlichen Lebenswirklichkeit angekommen sind. Damit ist man dann dem Anspruch "die Kunst mit dem Leben zu verbinden" vielleicht sogar wirklich ein bisschen näher gekommen. Ist das nicht eigentlich der tiefere Schlüssel zur Hipster- und BoBo-culture? Es sieht für manche zwar nach Oberflächlichkeit aus, ich denke allerdings nicht, dass es das tatsächlich ist.
Auf der anderen Seite sehe ich dann allerdings in anderen Teilen der Gesellschaft gleichzeitig eine so schon lange nicht mehr dagewesene Gefahr, wieder in alte Totalitarismen von links oder rechts zurückzufallen.
Die Prävention dagegen kann dabei nur Aufklärung heißen und nicht kreative Radikalität und mindfucking operations.
Mit Deiner Betrachtung der Avantgarden in #503 hast du in einem kunsthistorischen Sinne übrigens völlig recht. Der Begriff Avantgarde hat allerdings auch noch eine begriffliche Bedeutung, die eben nicht notwendiger Weise identisch mit ihrem geschichtlichen Verlauf ist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Avantgarde
Der Verlauf der Avantgarde im letzten Jahrunderts ist im Grunde nur eine Option, die in diesem Begriff beinhaltet ist.
Kreative Vorreiter hat es dabei natürlich schon lange gegeben, bevor der Begriff Avantgarde erfunden wurde und in anderen Jahrhunderten war der background dann auch tatsächlich mal durchaus ein anderer. Im Grunde ist es, ähnlich wie die Postmoderne, nur ein Label für etwas, das es eigentlich schon immer gegeben hat.
Eklektizismus ist z.B. etwas, das man ebenfalls in allen Jahrhunderten vorfindet.
Jede kulturelle Entwicklung hat dabei aber immer auch seine ganz eigene Färbung und Richtung. Neben der individuellen Komponente der Mentalität gibt es dann im übrigen auch noch eine kollektive Komponente. Es ist mit Sicherheit alles andere als ein Zufall, dass in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gerade bestimmte Ideen und Mentalitäten aufkommen. Wenn irgendwo eine Idee gedacht wird, gleich ob es in der Kunst, in der Wissenschaft oder auch irgendwo anders ist, ist das meistens auch kein singuläres Phänomen.
Geht man vom Industrial thematisch über zu Avantgarde im allgemeinen ist das dann sogar ein noch viel interessanteres (und noch komplexeres) Thema.
Die Avantgarden des letzten Jahrhunderts sind dabei m.E. dann tatsächlich sogar insgesamt als sehr ambivalent zu betrachten. Der Totalitarismus scheint diesem dabei - trotz des oftmals nach außen transportierten antitotalitären Anspruches - wesentlich mehr im Blut zu liegen, als der bürgerlichen Gesellschaft. Man denke etwa nur an die Kriegsverherrlichung der Futuristen. Faschismus und Kommunismus waren tatsächlich nicht selten von Avantgarden begleitet.
Über das Thema Avantgarde und Totalitarismus ist dabei schon einiges geschrieben worden:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7915
http://books.google.de/...p;q=avantgarde%20totalitarismus&f=false
http://books.google.de/...p;q=avantgarde%20totalitarismus&f=false
Auch bei P.Orridge finden sich dann übrigens totalitäre Ideen und Gesellschaftskonzepte wieder.
Trotz vieler interessanter Momente und aller Kreativität und der künstlerischen und kulturellen Bedeutung, ist das ganze im Grunde eine einzige Absurdität - und eine gräßliche noch dazu.
man beachte r2d2, der bei 0:49 durch's Bild huscht - nettes easter egg