Von daher keine Gefahr für europäische Hersteller, im Gegenteil, die Chinesen müssen massiv importieren.
Die Welt
Johnny Erling| 16.04.2011
China geht auf Jagd nach Wind und SonneDas Land will Weltmarktführer bei Erneuerbaren Energien werden und erzeugt schon viel grünen Strom - die Frage ist nur: Wie soll er zu den Verbrauchern kommen?
Windräder und Solaranlagen werden noch in den abgelegensten Provinzen des Riesenreichs gebaut
Rund 30 Prozent der Windräder drehen sich umsonst, können den Strom nicht einspeisen - Leitungen fehlen
Peking
Humboldt-Stipendiat Zhu Junhao verlangte als Abgeordneter des chinesischen Volkskongresses nach einer Korrektur im neuen Fünfjahresplan 2011 bis 2015. Der Akademierat fand Chinas Ausbaupläne für die Stromgewinnung aus Sonnenenergie viel zu niedrig. Dabei entspricht Pekings Ziel, die Leistung von Sonnenkraftwerken zur Stromerzeugung um fünf Gigawatt zu erhöhen, der Kapazität fünf moderner Atomkraftwerke.
Doch diese Energiemenge reicht nicht aus, wenn China seine CO2-Bilanz verbessern und Marktführer beim Ökostrom werden will. Zhu verlangte darum, auf der Parlamentssitzung im März, in den Fünfjahresplan "über 20 Gigawatt" zu schreiben. Der Physiker aus Shanghai setzte sich nicht durch: Sonnenenergie blieb mit einem Zuwachs um fünf Gigawatt Schlusslicht in dem neuen großen Sprung Chinas in die sauberen Energien.
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An erster Stelle steht die Wasserkraft mit einer Reihe neugeplanter Riesendämme. Sie soll ihre Kapazitäten zur Stromerzeugung bis 2015 um 120 Gigawatt erhöhen. Auch die Nutzung der Wind- und Atomkraft soll wachsen. Pekings Ziel ist, den Anteil von Ökostrom am Primär-Energieverbrauch von derzeit 8,3 Prozent bis 2020 auf 15 Prozent zu erhöhen. Damit will China auch seinen exorbitanten Verbrauch an jährlich drei Mrd. Tonnen schmutziger Kohle zügeln. Chinas Öl-Importe stiegen 2010 auf 230 Mio. Tonnen und machten das Land zu 55 Prozent des Energiebedarfs von Öl-Einfuhren abhängig.
Für ihren grünen Energiemix hatten Chinas Planer der Atomenergie eine Schlüsselrolle zugedacht. China verfügt über 13 Reaktoren mit einer installierten Leistung von 10,8 Gigawatt. Damit steuert die Atomkraft nur über 1,1 Prozent der Kapazitäten zur Stromerzeugung bei. Peking plante bis 2015 und dann bis 2020 einen Ausbau der Atomkraft in großem Stil. Japans Nukleardesaster "machte uns einen Strich durch diese Planung", stellt die "China Business News" fest.
Die Zeitung berichtete am Wochenende, dass Chinas Reform- und Entwicklungskommission "NDRC" die Entwicklungsziele für neue Energien revidiert, nachdem Premier Wen Jiabao mit einem Moratorium 140 noch nicht genehmigte AKW-Neubauprojekte auf Eis legen ließ und verschärfte Sicherheitsüberprüfungen für 77 in der Bauplanung stehende Atomkraftwerke anordnete. NDRC-Vizechef Li Junfeng, für die Entwicklung neuer Energien zuständig, enthüllte, dass der Ausbau von Sonnenkraft bis 2010 auf zehn Gigawatt, bis 2020 auf 50 Gigawatt erhöht werden soll. Auch bei Windkraft wird zugebaut. Ihre Leistung soll sich bis 2015 auf 100 Gigawatt steigern und bis 2020 nochmals verdoppeln.
Shanghais Abgeordneter Zhu Junhao darf sich freuen, dass Peking bis 2015 doppelt so viele Solaranlagen wie bisher zur Gewinnung von Sonnenstrom bauen lassen will. Japans Atomkatastrophe führt dazu, dass sich Chinas Rolle als Spitzenreiter von Investitionen in erneuerbare Energien verfestigt. Nach einer Anfang April veröffentlichten Studie der US-Denkfabrik Pew Charitable Trusts hatte Peking seine grünen Investitionen 2010 um 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 54,4 Mrd. Dollar erhöht.
China, wo heute fast die Hälfte aller Windturbinen und Solarmodule der Welt hergestellt werden, setzte sich vor Deutschland und die USA auf Platz Eins. Die "New York Times" schätzt nach Umfragen unter Fachverbänden, dass chinesische Hersteller rund die Hälfte des weltweiten 45-Mrd.-Dollar-Marktes für Windturbinen bestreiten. Pekings Aufholjagd bei der Windenergie hatte erst 2005 begonnen. Anfangs nutzten zwei Drittel der chinesischen Windparks in Europa hergestellte Turbinen. Nun hat Peking den Spieß umgedreht, nachdem es über einheimische Verordnungen und Joint Ventures vom Technologietransfer profitierte. Ähnlich sieht es bei Sonnenenergie aus: China ist größter Hersteller für Solarmodule, von denen es 90 Prozent exportiert. Nun sollen sie vermehrt im Inland verkauft werden.
Die unvorstellbaren Größenordnungen, mit denen China seine Windkraft- oder Sonnenenergie-Werke ausbaut, verraten auch, wie ineffizient die Stromgewinnung organisiert ist. Statt in den Ausbau von Umspannwerken oder in das Stromnetz zu investieren, werden überall erst die Windkraftanlagen gebaut. Bis Ende 2010 waren 34 485 Windturbinen installiert. Jede dritte dreht sich für sich ganz allein. 30 Prozent der chinesischen Windanlagen haben keine Anbindung an Stromnetze. Die Hälfte des von Windparks erzeugten Stroms blieb 2010 ungenutzt, kritisierte die staatliche Aufsichtsbehörde für Stromwirtschaft. Das meldete die Zeitung "China Daily".
Bis 2015 sollen nun Chinas Netzwerke so ausgebaut und modernisiert werden, dass auch Zehn-Gigawatt-Windparks angeschlossen werden können. Peking plant acht solcher gigantisch ausgelegter Windkraftwerke, von denen zwei in der Inneren Mongolei stehen. Bis Ende April will die Regierung landesweite Vorschriften erlassen, um die Netzintegration für Windkraft neu zu standardisieren und ihre Stabilität und Zuverlässigkeit als Energiequelle zu verbessern.
Nach Statistiken des Verbandes für erneuerbare Energien CREIA wurden 18,9 Gigawatt neuer Leistung in die Windenergie installiert, fast doppelt soviel wie in Europa. 2010 wurde China, so sagt der Windenenergieverband CWEA, mit 44,7 Gigawatt installierter Windkraftleistung Weltmarktführer und überholte die USA. In seiner Stromgewinnung aus Windkraft hinkt es den USA aber noch hinterher. Wie die "China Business News" schreibt, können Chinas Windkraftanlagen zusammen nur rund zwei Drittel der Strommengen ins Netz liefern, die Chinas Kernkraftwerke einspeisen. Die meisten Windanlagen seien zudem zu klein und ineffizient ausgelegt.
Ein Grund dafür sind Chinas planwirtschaftliche Genehmigungssysteme. Nachdem das Nationale Energiebüro NEB den Bau von lokalen Windfarmen unter 50 Megawatt-Leistung ohne Vorabgenehmigung erlaubte, baute sich jede Region Windturbinen. Große Windparks, die weiter die Genehmigung von Pekings NDRC-Staatsplanern zu ihrem Bau brauchten, splitteten sich in kleine Verbundsysteme mit Kleinanlagen bis jeweils 49,5 Megawatt auf. Gegen solchen Wildwuchs geht das NEB nun vor. Die Staatsbehörde will im ersten Halbjahr 2011 den Bau von Kleinanlagen erneut genehmigungspflichtig machen. Sie klagt: Derzeit würden in Chinas Provinzen überall Windkraftanlagen mit zusammen 60 Gigawatt Stromleistung gebaut, von denen allerdings nur zehn Prozent beim NDRC registriert seien.
Der Wasserkraft kommt beim Ausbau sauberer Energie und bei Pekings Ziel dadurch Kohle, Gas und Öl immer stärker zu ersetzen, eine Hauptrolle zu. Sie soll jährlich um mehr als 20 Gigawatt neuer Leistung bis 2015 auf rund 300 Gigawatt wachsen. Der Bau von Talsperren und Dämmen, mit seinen Zwangsumsiedlungen von Hunderttausenden Menschen, Erdbebengefahren, den Bergrutschen, Zerstörung der Vegetation, der Tierwelt und des Wasserhaushalts, haben überall Anwohnerproteste und Bürgerinitiativen auf den Plan gerufen. Die Durchsetzung umstrittener Großprojekte fällt Peking immer schwerer. Ohne den Ausbau von Wasser- und Kernkraft kann Peking weder die grünen Ziele noch die angekündigte Verminderung von CO2-Emissionen erreichen.
Chinas großer Sprung in die Sonnen- und Windenergie spiegelt sich in den Medien des Landes wieder. Sie berichten tagtäglich über die Einweihung eines Sonnenkraftwerkes oder die Inbetriebnahme eines neuen Windparks in den abgelegensten Regionen des Riesenreichs, von Tibet über die Mongolei bis zu den Inseln vor der Ostküste. Die nordwestchinesische Armutsregion Ningxia, wo 2250 bis 3000 Stunden im Jahr die Sonne scheint, hat sich das Entwicklungsmotto gewählt: "Chuifeng zhuri", zu Deutsch: Dem Wind und dem Sonnenlicht nachjagen. Unklar scheint nur, was sie mit beiden tun, wenn sie sie gefangen haben.