Lügen halten die Welt zusammen..
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Eröffnet am: | 22.11.07 17:48 | von: oWn9R-1 | Anzahl Beiträge: | 5 |
Neuester Beitrag: | 22.11.07 18:14 | von: thanksgivin | Leser gesamt: | 1.907 |
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Lügen halten die Welt zusammen
von Mechthild Bausch
Politik ist kein schmutziges Geschäft. Schließlich machen die Politiker nichts anderes als Manager, Hausfrauen oder Grundschüler: Sie lügen, bis zu 200-mal am Tag.
Alle Kreter lügen, sagte der Kreter. Ein schönes Paradoxon, doch die Wahrheit ist bei Weitem nicht so vielschichtig: Alle Menschen lügen, und zwar im Durchschnitt bis zu 200-mal täglich, wie Wissenschaftler herausfanden. Je nach Definition reicht die Palette von geschönten Selbstauskünften über Mogelkomplimente bis zu schweren Betrugsmanövern. Alle schwindeln, aber niemand möchte der Getäuschte sein - dieser uralte moralische Widerspruch ist schlecht aufzulösen.
Claudia Mayer versucht es trotzdem. Die Hamburger Psychologin und Journalistin stimmt das "Lob der Lüge" an und begründet ausführlich, warum "Lügen unsere Welt zusammenhalten". Die keineswegs angeborene, sondern sorgsam erlernte Fertigkeit sorge für "einen reibungslosen Ablauf unseres Alltags", erleichtere das soziale Miteinander und tröste über Misserfolge hinweg.
"Wir sind geborene Opfer von Lug und Trug", stellt die Autorin nüchtern fest. Doch die allgemeine "Lust am Lügen" sei kein Grund, in "kulturpessimistische Depression zu verfallen", schreibt Mayer - im Gegenteil. Schließlich befinde sich die säkularisierte westliche Gesellschaft in einem moralischen Zustand, in dem ",Du sollst nicht lügen‘ kein göttliches Gebot, sondern eine gesellschaftliche Realität mit vielen sinnvollen Ausnahmen ist".
"Erwischt!"
Wer beim Lügen erwischt wird, wendet Verteidigungstechniken an, die Soziologin Astrid Schütz in sieben Stufen unterteilt:
Leugnen "Da war nichts!"
Umdeuten "Es ist ganz anders als behauptet!"
Urheberschaft bestreiten "Nicht ich, er war's!"
Rechtfertigen "Es ging doch nicht anders!"
Kontrollfähigkeit bestreiten "Ich habe es nicht so gewollt, es ist einfach so passiert."
Implikationen minimieren "So etwas mache ich sonst normalerweise nicht"
Um Verzeihung bitten "'tschuldigung!"
Dafür führt sie zahlreiche Beispiele an. Ob beim Internetflirt, im Demokratiealltag oder im Mediengeschäft - die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge ist bekanntermaßen fließend. Und zwar branchenübergreifend. Unterschiede eröffnen sich eher beim menschlichen Naturell. "Pessimisten sind schlechte Lügner", glaubt Mayer, und hätten es damit grundsätzlich schwerer als zur Selbsttäuschung neigende Optimisten.
Frauen flunkern übrigens anders, hat Claudia Mayer herausgefunden: "Frauen lügen eher für andere, Männer für sich selbst." Schließlich entscheide nicht zuletzt die Herkunft über Stellenwert und Bedeutung der frisierten Wahrheit: "Andere Länder, andere Lügen."
Mayer räumt mit dem weitverbreiteten Vorurteil auf, Politik sei ein schmutziges, weil grundsätzlich verlogenes Geschäft. Dahinter verberge sich die Vorstellung, Politiker hätten als eine Art moralische Leitfigur die unbedingte Pflicht, aufrichtig und wahrhaftig zu sein. In Wahrheit seien sie wie wir - und ihre Lügen nur allzu menschlich. Folgt man ihrer Auffassung, dann gibt es zwischen der Lüge in einer privaten Affäre (Bill Clinton und Monica Lewinsky) und der Täuschung der Öffentlichkeit in einem militärischen Konflikt (George W. Bush und der Anlass für den Irakkrieg) im Grunde keinen Unterschied. Alles verzeihlich - habt Erbarmen mit den Politikern.
Die Botschaft dieser flotten Kulturgeschichte des Schwindelns ist unmissverständlich: Die Lüge ist besser als ihr Ruf, und oft sogar ehrlicher als bigottes Jammern. Deshalb gilt es erstens, "das schlechte Gewissen zu überwinden", und zweitens, die eigene Täuschungstechnik zu verbessern.
Solche Sympathie mag Günther Beyer nicht teilen. In seinem Buch "Der Lüge auf der Spur" behauptet der Psychologe und freie Berater vorneweg: "Noch nie war die Hemmschwelle so niedrig, andere zu belügen." Doch seine These vom "spürbar gesunkenen Unrechtsbewusstsein" wird nicht weiter belegt. Allerdings legitimiert der Autor damit an anderer Stelle die Notwendigkeit privater und öffentlicher Kontrollsysteme. "Inzwischen ist Lügen, Täuschen und Betrügen so eklatant geworden, dass ein Großteil des Bruttosozialprodukts für Betrugssicherheit aufgewendet werden muss", stellt Beyer fest und zählt dazu unter anderem "Fahrscheinkontrollen in Zügen, Passwörter im Internet, Vaterschaftstests (...) und Rechtsanwälte, die sich eine goldene Nase verdienen".
Nach einer eher banalen Definition des Begriffs Lüge widmet sich der Leiter des "Instituts für Creatives Lernen" seinem eigentlichen Thema: Den - verräterischen - verbalen und körpersprachlichen Signalen von potenziellen Schwindlern und Hochstaplern. Schließlich möchte Psychoberater Beyer seine Leser in den Stand versetzen, "Täuschungsmanöver in Verhandlungen und Gesprächen" mit geschulten Sinnen zu "knacken".
Er führt dafür reale Fälle ins Feld, in denen es überwiegend um Betrugsdelikte und Korruption mit entsprechenden wirtschaftlichen Schäden geht. Einem wachsamen Gegenüber, so Beyer, hätten die unlauteren Absichten früher auffallen können und müssen.
Stottern und "unklare Gedankenführung" gehören auf seiner Liste zu den Signalen mit "hoher Indizienstärke", "Stressgesten" können allerdings auch Nervosität zur Ursache haben, und "Arme verschränken" ist ein lediglich schwacher Hinweis auf alarmierende "Abweichung vom Normverhalten."
Seit Jahrzehnten versuchen sich Forscher an einer Bestimmung körperlicher Lügensignale, die unzweifelhaften Beweischarakter besitzen. Ohne Erfolg. Auch Beyer hilft da nicht weiter. Der verliert seinen roten Faden bei zahlreichen Einschränkungen und Wiederholungen. Da hilft es nicht einmal, ein "verstandgesteuertes, linkshirniges und damit eher kaltes Lächeln" aufzusetzen: Die Lektüre lohnt sich nicht. Und das ist ausnahmsweise mal nicht gelogen. Sagt der Kreter.
Quelle: http://ftd.de/karriere_management/rezensionen/...n%20Welt/279667.html
Claudia Mayer | List 2007 | 240 Seiten | 18 Euro | ISBN 9783471795521 zur Buchbestellung.
Der Lüge auf der Spur
Günther Beyer | Wiley-VCH 2007 | 204 Seiten | 24,90 Euro | ISBN 978-3527502752 zur Buchbestellung.