Der Dollar-Fall
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Eröffnet am: | 13.12.06 16:18 | von: bammie | Anzahl Beiträge: | 2 |
Neuester Beitrag: | 13.12.06 17:10 | von: danjelshake | Leser gesamt: | 2.600 |
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Von Christian Reiermann
Endet eine Epoche auf den Devisenmärkten? Seit Wochen verliert der Dollar gegenüber dem Euro an Wert. Doch Anlass für Alarmstimmung sehen Berliner Regierung und Währungsexperten noch nicht. Die amerikanische Leitwährung sei längst nicht mehr so wichtig wie früher.
Nach Art der Notenbanker mag es Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), gern kryptisch. Ein gewisser Grad an Unverständlichkeit in den Äußerungen signalisiert der Fachwelt Kompetenz. Dem Laien soll das verbale Kauderwelsch den nötigen Respekt abnötigen.
Der Donnerstag vergangener Woche hielt wieder eine neue Lektion in quarkigem Trichet-Sprech bereit. Die günstigen Wirtschaftsaussichten in der Euro-Zone seien von einigen Risiken bedroht, sagte der EZB-Präsident. Unter anderem zählten dazu "Bedenken hinsichtlich möglicher unkontrollierter Entwicklungen aufgrund weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte".
Was Europas mächtigster Währungshüter eigentlich sagte: Der schleichende Verfall des Dollar, der sich seit einigen Wochen an den Devisenmärkten abspielt, könnte eine Gefahr für die Konjunktur werden. Was Trichet außerdem deutlich machen wollte: Die EZB hat die Gefahr erkannt und im Blick.
Dennoch setzten Frankfurter Notenbanker am Donnerstag die Leitzinsen erneut um einen Viertelprozentpunkt auf 3,5 Prozent herauf, was den Euro für internationale Anleger attraktiver macht. Den Währungshütern blieb keine Wahl, seit Wochen hatten sie den Schritt angekündigt.
Dass der Dollar irgendwann in den Sinkflug übergehen würde, orakelten Experten schon lange. Jetzt scheint es so weit zu sein. Seit Ende Oktober verlor die amerikanische Währung 5 Prozent ihres Werts gegenüber dem Euro. Seit Anfang des Jahres waren es 13 Prozent. Derzeit pendelt der Euro um den Wert von 1,33 Dollar, nur noch 3 Cent von seinem Allzeithoch aus dem Jahr 2004 entfernt. Und Trichets Kollege Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Fed, schaut einfach zu.
Auf den internationalen Finanzmärkten ist ein Gezeitenwechsel zu beobachten. Jahrelang kannten die weltweiten Kapitalströme nur eine Richtung. Täglich flossen zwei Milliarden Dollar in die USA. Die größte Volkswirtschaft der Welt galt den Investoren nicht nur als Hort der Stabilität, sondern auch als Standort, der die besten Geschäfte, lukrativsten Renditen und höchsten Wachstumsraten versprach.
Die Amerikaner konnten das fremde Geld gut gebrauchen. Fast schon traditionell sparen sie wenig und geben mehr aus, als sie verdienen - ein Wohlstand auf Pump. Das Ausland finanzierte den Konsumrausch der Amerikaner, der über Jahre das weltweite Wachstum befeuerte.
Weil der amerikanische Staat nicht auf die Ersparnisse seiner Bürger zurückgreifen konnte, musste auch er sein Haushaltsdefizit mit ausländischem Kapital finanzieren. Beides hielt den Kurs des Dollar hoch, weil der Rest der Welt sich durchaus um amerikanische Finanzanlagen riss.
Damit scheint es vorerst vorbei. "Es gibt grundlegende Schwächen in der amerikanischen Volkswirtschaft. Das konnte auf Dauer nicht so weitergehen", sagt Alfred Steinherr, Konjunkturchef beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Schon werden die Anleger in aller Welt misstrauisch und beginnen, ihr Geld aus den USA abzuziehen. Sie erkennen, dass ein Volk und ein Land nicht dauerhaft über ihre Verhältnisse leben können. Die Folge - der Kurs der Leitwährung Dollar bröckelt.
Zugleich wachsen die Sorgen: Was passiert mit der Weltkonjunktur, wenn die USA als Wachstumsmotor ausfallen? Ist der Aufschwung in Deutschland schon wieder vorbei, bevor er richtig angefangen hat, wenn deutsche Autos, Maschinen und Dienstleistungen teurer werden?
Für die Bundesregierung ist die Entwicklung offiziell noch kein Anlass zur Sorge. Dennoch beobachten die Experten von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos die Entwicklung aufmerksam. Noch bewegten sich die Ausschläge im langjährigen Durchschnitt, wiegeln sie ab. Doch für ausgeschlossen halten sie eine Zuspitzung der Lage nicht.
Eine erste Schmerzgrenze für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sehen sie erreicht bei etwa 1,36 Dollar für den Euro, bei Kursen von 1,50 Dollar wäre mit massiven Schwierigkeiten zu rechnen.
Sollte es tatsächlich zu Turbulenzen an den Devisenmärkten kommen, steht die Berliner Regierung in besonderer Verantwortung. Deutschland übernimmt Anfang 2007 den Vorsitz bei den G8-Staaten, dem Zusammenschluss der sieben größten Industrienationen samt Russland.
Dieser Kreis hat schon häufiger das Krisenmanagement übernommen, wenn die internationale Währungsordnung aus den Fugen geriet. So war es in den achtziger Jahren, als der damalige Höhenflug des Dollar mit vereinten Kräften gestoppt wurde. Und so war es ein paar Jahre später beim sogenannten Louvre-Akkord, als mit gleicher Verve der Absturz der amerikanischen Währung aufgehalten wurde.
Die jüngste Entwicklung hat im wesentlichen zwei Ursachen. Beide haben damit zu tun, dass Europa für internationale Anleger im Vergleich zu den USA attraktiver wird. Zum einen bewegen sich die Zinsen gegenläufig. "Die EZB wird auch im nächsten Jahr die Leitzinsen weiter anheben, in den USA haben die Zinsen wohl ihren Höhepunkt erreicht", sagt Joachim Scheide, Konjunkturexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) voraus. Die Folge: Finanzanlagen, die auf Euro ausgestellt sind, verzinsen sich besser und werden international mehr nachgefragt. In der Folge steigt der Euro.
Auch die Wachstumsaussichten verschieben sich. In den USA kühlt sich die Konjunktur ab. Vor kurzem korrigierte die US-Regierung in Washington ihre Wachstumsprognose von 3,3 Prozent für 2007 nach unten. Wenn die Amerikaner weniger konsumieren, weil die Kapitalinfusion aus dem Ausland spärlicher fließt, könnte den USA sogar eine längere Periode verhalteneren Wachstums bevorstehen.
Im Gegensatz dazu zeigt sich die Konjunktur im Euro-Raum robust. Vor allem Deutschland überrascht mit immer besseren Nachrichten. Die Zahl der Arbeitslosen ist im November unter die psychologisch wichtige Marke von vier Millionen gefallen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der die Erwartungen der Unternehmen misst, ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr, das Verbrauchervertrauen schwebt auf einem Fünfjahreshoch.
Im letzten Quartal dieses Jahres wird sich Deutschland, lange Zeit als der kranke Mann Europas belächelt, an die Spitze des Zugs setzen. Mit - aufs Jahr hochgerechneten - 3,4 Prozent wird das Land laut Postbank stärker zulegen als die USA.
Solche Nachrichten beflügeln die Phantasie von Anlegern, die ihr Geld jetzt lieber im Euro-Raum anlegen. Als Folge steigt der Kurs der Gemeinschaftswährung. Doch wie wird sich die Dollarabwertung auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung auswirken? Führt sie womöglich zu einer Unwucht in der Weltkonjunktur, oder kommt die globale Wirtschaft, kommt Deutschland noch einmal glimpflich davon?
Jedes Mal, wenn sich eine Kehrtwende an den Finanzmärkten abzeichnet, haben auch die Schwarzmaler Konjunktur. Vor allem in den USA ist unter Volkswirten und Bankanalysten die Meinung verbreitet, dass sich die Bereinigung schlagartig vollzieht mit einer Abwertung des Dollar zwischen 10 und 30 Prozent innerhalb kurzer Zeit.
Bei diesem Szenario käme es unweigerlich zu einer Anpassungskrise. Die Wachstumsraten würden weltweit einbrechen, eine globale Rezession mit drastischem Anstieg der Arbeitslosigkeit könnte folgen.
Mehrheitsmeinung ist das Katastrophengemälde nicht. Vor allem in Deutschland sind Experten optimistischer: "Das Leistungsbilanzdefizit der USA hat sich im Verlauf einiger Jahre entwickelt", sagt IfW-Experte Scheide. "Es wird sich auch über Jahre allmählich abbauen."
Er rechnet damit, dass der Dollar in den nächsten fünf Jahren noch einmal zehn Prozent an Wert gegenüber dem Euro einbüßen wird. Die Folgen für die deutsche und europäische Wirtschaft wären viel besser verkraftbar. Die Unternehmen hätten Zeit, sich auf die Wechselkursänderungen einzustellen. "Dann ist auch ein Kurs von 1,40 keine Katastrophe", meint DIW-Experte Steinherr.
Wie gut das funktionieren kann, belegt das Beispiel Deutschlands. Seit 2002 verlor der Dollar gegenüber dem Euro die Hälfte seines Werts. Beeinträchtigt wurden die Exporte nicht, im Gegenteil. Sie stiegen von 651 Milliarden Euro auf 786 Milliarden. Im Oktober exportierte die deutsche Wirtschaft so viel wie noch nie zuvor.
Ein Grund dafür ist auch, dass der Dollar-Raum nicht mehr die Bedeutung für den deutschen Außenhandel hat wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Und auch wenn es Ausnahmen geben mag wie die Automobilindustrie - längst sind andere Weltregionen für die hiesige Wirtschaft bedeutender geworden als die USA, wo Deutschland nicht mal ein Zehntel seiner Exporte absetzt (siehe Grafik). Über 40 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in die Euro-Zone. 13 Prozent nimmt Osteuropa ab, Asien 9 Prozent.
Zumindest die Exporte zu den europäischen Nachbarn sind von den Währungsturbulenzen rund um den Dollar nahezu unberührt. Die neuen Beitrittsländer haben ihre Währungen meist an den Euro gekoppelt, für Westeuropa ist seit Einführung der Gemeinschaftswährung jedes Wechselkursrisiko verpufft.
Der Euro verhindert sogar, dass es zu größeren Verwerfungen in Europa kommt, wie es früher bei Dollarabwertungen der Fall war. Damals hatten deutsche Unternehmen und Verbraucher regelmäßig größere Anpassungslasten zu tragen als die Volkswirtschaften der Nachbarländer. Wenn die Mark früher gegenüber dem Dollar um zehn Prozent zulegte, dann stiegen Franc oder Lira nur um sechs oder sieben Prozent. Die Folge war eine relative Aufwertung der Mark auch gegenüber europäischen Währungen, was Wettbewerbsnachteile für die hiesige Wirtschaft bedeutete.
Der Mechanismus ist mit Einführung des Euro ausgehebelt. Nun verteilen sich die Leiden auf alle Mitgliedstaaten gleichmäßig.
Entscheidend für die Auswirkungen des Dollarverfalls auf die deutsche und europäische Wirtschaft wird deshalb sein, wie sich andere Währungen im Vergleich zum Dollar entwickeln. "Fatal wäre es, wenn nur der Euro steigen würde", sagt DIW-Experte Steinherr. "Dann hätte nur der Euro-Raum die Anpassung zu tragen." Doch die Devisenmärkte signalisieren eine andere Entwicklung. Auch gegenüber weiteren wichtigen Währungen verliert der Dollar an Wert.
Das britische Pfund etwa stieg in der vergangenen Woche auf neue Höchststände. Was noch wichtiger ist: Auch die Währungen der ostasiatischen Wachstumsregionen werteten gegenüber dem Dollar auf.
Der thailändische Baht etwa legte 2006 um über 15 Prozent gegenüber dem Dollar zu, Südkoreas Won um 10 Prozent. Und selbst der chinesische Yuan, der früher dem Dollar sklavisch folgte, gewann mehr als 3 Prozent. Nahezu jede Volkswirtschaft trägt einen Teil der Anpassungslast.
Außerdem birgt der Dollarverfall längst nicht nur Risiken, sondern auch Vorteile. Der größte: Deutschlands Ölrechnung fällt günstiger aus. Der Ölpreis wird weltweit hauptsächlich in Dollar festgelegt. Sinkt der Kurs, muss Europa für die gleiche Menge Öl weniger Euro überweisen. Das gesparte Geld kann für andere Güter ausgegeben werden.
Ähnlich verhält es sich mit Importen aus dem Dollar-Raum. Hält der Kursschwund weiter an, werden Computer, Softwarelizenzen und Maschinen aus den USA preiswerter. Beide Entwicklungen bedeuten für die Unternehmen und Menschen der Euro-Zone einen Wohlfahrtsgewinn. Sie können fürs gleiche Geld mehr Güter kaufen.
Die Gefahren eines Währungscrashs sind längst nicht mehr so groß wie noch zu Zeiten uneingeschränkter Dollar-Dominanz vor 30 oder 40 Jahren. Die Globalisierung hat mehrere Wachstumspole der Weltwirtschaft herausgebildet, auf die sich die Schwierigkeiten bei Turbulenzen verteilen. Die Zeiten sind passé, als ein amerikanischer Finanzminister noch prahlen konnte: "Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem."
spiegel.de