Sind Muslime ein Stück Deutschland, Herr Schäuble?
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Eröffnet am: | 28.05.06 09:51 | von: bammie | Anzahl Beiträge: | 6 |
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Hierzulande leben 3,5 Millionen Muslime, deren Integration der Innenminister verbessern will. Wolfgang Schäuble über Heimat, die islamistische Milli Görüs und die für den Herbst geplante Islam-Konferenz
von Jan Rübel
Wolfgang Schäuble plant eine Premiere: Der Innenminister will die losen Kontakte zwischen dem Staat und dem muslimischen Gemeinwesen in Deutschland verbessern. Ihm schwebt ein zwei- bis dreijähriger institutionalisierter Dialog vor, an dessen Ende ein Gesellschaftsvertrag steht. Der 63jährige wird deshalb eine Deutsche Islam-Konferenz (DIK) ins Leben rufen. Startpunkt soll ein Treffen im Bonner Haus der Geschichte im September sein. Der "Welt am Sonntag" erzählte der Minister am Telefon, wie er das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland auf eine neue Grundlage stellen will.
Welt am Sonntag: Herr Schäuble, die Regierung sucht nun den Dialog mit den Muslimen in Deutschland. Wurde bisher zuwenig geredet?
Wolfgang Schäuble: Das will ich gar nicht sagen. Laut Koalitionsvereinbarung wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, daß 3,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens Teil unserer Gesellschaft sind. Daher will der Staat einen Diskurs mit ihnen organisieren, um ein besseres Verhältnis herzustellen.
Haben wir zuwenig beachtet, daß der Islam ein Stück Deutschland ist?
Schäuble: Ja, aber dieses Stück ist auch schwieriger zu erkennen. Immerhin ist der Islam kaum so verfaßt wie die christlichen Kirchen. In der Vergangenheit hat man verdrängt, daß Millionen Muslime zu Deutschland gehören. In der Zukunft werden es auch mehr sein.
Begrüßen Sie es, daß die Moscheen in Deutschland die Hinterhöfe verlassen und sichtbarer werden?
Schäuble: Das begrüße ich. Diese Entwicklung zeigt, daß die Muslime den ihnen zugehörigen Platz suchen. Damit sie ihn auch finden, müssen wir sicherstellen, daß in den Moscheen nichts geschieht, was die Eingliederung in unsere säkulare Gesellschaft erschwert.
Was macht diese Eingliederung aus?
Schäuble: Es gilt eine Grundentscheidung zu treffen. Bei uns gilt die Trennung von Staat und Religion. Wir werden in der Konferenz verfassungsrechtliche Maßstäbe klarstellen. In Teilen muß der Islam Europas Aufklärung vollziehen.
Wollen Sie mit der Konferenz die theologische Entwicklung des Islam in Deutschland beeinflussen?
Schäuble: Darauf darf der Staat ja eben nicht Einfluß nehmen. Das ist Sache der Religion. Wir wollen aber Partner sein. Unsere staatliche Ordnung steht der Religion schließlich nicht völlig fremd gegenüber. Unser Menschenbild ist religiös, eben christlich geprägt.
Ist es denn überhaupt möglich, zwischen allen Religionsgruppen einen Wertekonsens zu schaffen?
Schäuble: Die Unterschiede zwischen den monotheistischen Religionen sind doch nicht so groß, daß man nicht zu einem gültigen Verfassungsverständnis gelangen könnte. Man muß die gemeinsamen Werte nur verbindlich präzisieren.
Wie soll das gehen?
Schäuble: 15 Vertreter des Staates aus Bund, Ländern und Kommunen setzen sich mit 15 Repräsentanten des Islam regelmäßig zusammen. Das sind einerseits fünf Islam-Organisationen und andererseits Einzelpersonen. Ich denke an Künstler und an Unternehmer mit muslimischem Hintergrund. Damit schaffen wir ein muslimisches Multiplikatorennetzwerk.
Wollen Sie die islamistische Organisation Milli Görüs mit einbinden?
Schäuble: Milli Görüs ist eine große Gruppe, und daher werden wir sie einladen. Nicht als ständiges Mitglied, aber in eine der Arbeitsgruppen unterhalb der Konferenz.
Einerseits laden Sie Milli Görüs ein, andererseits lassen Sie die Gruppe durch den Verfassungsschutz beobachten. Wie paßt das zusammen?
Schäuble: Milli Görüs vertritt die Auffassung, daß die Scharia, die islamische Gesetzessammlung, die verbindliche Richtschnur ist. Daher müssen wir Milli Görüs durch die Behörden beobachten lassen. Aber sie gehört eben zum Islam dazu, und auch durch einen Dialog wie mit der Konferenz kann sich eine Organisation liberalisieren. Im übrigen führt der Verfassungsschutz mit Milli Görüs bereits einen institutionalisierten Dialog.
Wird der von der Milli Görüs dominierte Islamrat ständiges Mitglied der Konferenz sein?
Schäuble: Wir werden ihn dazu einladen, soweit er nicht durch Milli-Görüs-Mitglieder repräsentiert wird. Mit dabei sollen auch der Zentralrat der Muslime sowie die alewitische Gemeinde sein.
Seit Jahren geistert eine Zahl durch Deutschland: Um die 32 000 Islamisten soll es bei uns geben. Diese Zahl erschreckt. Bei genauerem Hinsehen aber vermengen sich da die harmlosen knapp 27 000 türkischen Milli-Görüs-Mitglieder mit arabischen fanatischen Dschihad-Predigern. Warum differenzieren Sie nicht?
Schäuble: Die Zahl der Islamisten ist nicht gleichzusetzen mit der Zahl potentieller Terroristen. Aber auch Islamisten sind Grund zur Aufmerksamkeit, weil sie Vorstellungen von staatlicher Ordnung haben, die wir nicht teilen.
Dennoch bleibt in der Öffentlichkeit der Eindruck hängen, 32 000 gewaltbreite Fanatiker seien unter uns. Das ist doch nicht okay.
Schäuble: Diese Schilderung ist übertrieben. Bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts am vergangenen Montag habe ich ausdrücklich betont, daß Islamisten nicht mit Terroristen gleichzusetzen sind.
Sie haben bei der Vorstellung des Berichts auch gesagt, islamistischer Terrorismus sei die größte Herausforderung. Was ist denn dann der Rechtsextremismus für Sie?
Schäuble: Der Rechtsextremismus ist auch eine große Sorge und Herausforderung. Es ist aber unbestritten, daß die größte Bedrohung für Leib und Leben vom islamistischen Terrorismus ausgeht.
So mancher Dunkelhäutige in Deutschland mag das anders sehen.
Schäuble: Ich meine akute Anschlagsgefahren in der Dimension des Angriffs vom 11. September 2001 auf die USA durch al-Qaida. Und noch etwas möchte ich klarstellen: Wir wollen keine Terroristen, aber wir wollen auch keine Islamisten. Wir wollen statt dessen eine Leidenschaft für dieses Land.
Kann der Staat darauf dringen, daß sich die Muslime in Deutschland mit der Verfassung identifizieren?
Schäuble: Darauf muß er dringen. Wir sind eine wehrhafte Demokratie, die das Bekenntnis zur Verfassung verlangt. Dazu ist der Staat im Sinne der Bürger verpflichtet.
Kann der Staat auch verpflichten?
Schäuble: Die Islam-Konferenz hat nichts mit Zwang zu tun, sondern ich verstehe sie als ein Angebot. Den Nicht-Muslimen sage ich: Wir wollen die Muslime als Teil dieser Gesellschaft. Andererseits wollen wir mit den Muslimen zu einem besseren Verhältnis gelangen, auch in deren eigenem Interesse. Denn die Tendenzen, die Scharia gegen die Verfassung zu stellen, müssen der Vergangenheit angehören. Die Verfassung gilt für alle und garantiert im übrigen die Toleranz, die Muslime in Deutschland mehr genießen als viele Christen in islamischen Ländern. Wir sind bei der Toleranz besser, und dazu müssen auch die Muslime in Deutschland einen Beitrag leisten.
Die Konferenz besiegeln soll ein Gesellschaftsvertrag. Was steht drin?
Schäuble: Am wichtigsten ist, daß er zustande kommt. Er soll ein Dokument des gegenseitigen Verständnisses werden und beschreiben, daß wir alle eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Auch wird der Vertrag praktische Fragen der Religionsausübung erörtern.
Das klingt unscharf. Sollten sich Verbände im Vertrag auch verpflichten, nicht mehr die Befreiung von Schülern vom Biologie- und vom Sportunterricht zu propagieren?
Schäuble: Das gehört zu den grundlegenden Entscheidungen, die wir von den Muslimen fordern.
Sie wollen Islam-Unterricht flächendeckend an den Schulen in Deutschland verankern. Warum?
Schäuble: Damit drücken Muslime aus, daß sie hierhingehören. Dazu gehört, daß der Unterricht auf deutsch, unter staatlicher Aufsicht stattfindet und die Lehrer hier ausgebildet sind.
Das ist bisher kaum der Fall. Unterricht ist Ländersache. Unternehmen die Landesregierungen genug?
Schäuble: Die Länder bemühen sich, nur gibt es oft nicht den muslimischen Partner, weil deren Gemeindewesen kaum organisiert ist.
Was passiert, wenn sich am Ende der Konferenz muslimische Teilnehmer einer Entschließung verweigern?
Schäuble: Es ist ja ein offener Prozeß, der sich wahrscheinlich über Jahre hinziehen wird. Wer sich verweigert, schließt sich aus. Und die große Mehrheit der Muslime will an diesem Prozeß teilnehmen. Sie wollen Deutschland sein.
Das Gespräch führte Jan Rübel
Artikel erschienen am 28. Mai 2006