Ria-Novosti Kolumne zu Bushs Antrittsrede
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Eröffnet am: | 25.01.05 17:04 | von: Krähe | Anzahl Beiträge: | 4 |
Neuester Beitrag: | 25.01.05 19:30 | von: bammie | Leser gesamt: | 1.188 |
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Das große und großzügige russische (resp. amerikanische) Volk in all seiner naiven Größe und Mächtigkeit
MOSKAU, 25. Januar (Pjotr Romanow, politischer Kommentator der RIA Nowosti.) Bei seiner zweiten Inauguration versprach Mr. Bush urbi et orbi fest, Freiheit und Demokratie überall zu unterstützen, wo auch immer diese Werte bedroht werden könnten. Das "überall" bedeutet: auch bei uns, in Russland. Die Mitglieder der amerikanischen Administration apostrophieren Putin fortwährend. Die letzten Hinweise dieser Art - über die "unreife" russische Demokratie - waren in den Erklärungen von Condoleezza Rice zu hören, als sie zur Außenministerin ernannt und bestätigt wurde.
Man kann sich beleidigt fühlen - aber sich auch Gedanken machen. Für den Anfang sogar einen Blick in die Geschichte werfen.
Das Gefühl, der demokratische Messias zu sein, ist den USA beinahe seit ihrer Entstehung eigen, obwohl in Wirklichkeit das Evangelium keinen der Gründerväter unter den heiligen Aposteln erwähnt.
Bisweilen wirkte dieses Pathos sogar komisch. Kurz vor Neujahr 1917 produzierte sich ein gewisser George Kennan mit Vorlesungen über das zaristische Russland, wobei er die Bühne barfuß, in Gefängniskleidung und Handschellen betrat. Positive Figuren waren für ihn die Bauern, die als Anhänger der Demokratie die Marseillaise sangen. Besonders publikumswirksam war die Erzählung darüber, wie die politischen Häftlinge in den Gefängnissen in die Toilettenrohre zwischen den Zellen Fetzen von roten Flanellunterhosen und weißblaue Handtücher steckten, wodurch sie den anderen Häftlingen zu der Möglichkeit verhalfen, am 4. Juli aus den Fenstern amerikanische Flaggen zu schwenken und so die Macht zu ärgern.
Muss man sich da wundern, dass der russische Oktober 1917 Präsident Wilson etwas enttäuschte?
Im vergangenen Jahrhundert hat Amerika seine ökonomische und technologische Potenz gesteigert, ist psychologisch jedoch in vieler Hinsicht das frühere Amerika geblieben: messianisch stur und mit dem Gefühl der eigenen Unfehlbarkeit gewappnet. Dem konnte nicht einmal das "Vietnam-Syndrom" etwas anhaben. Möglicherweise ist so etwas überhaupt unheilbar.
Eben deshalb wirken Bushs Versprechungen nicht sehr erfreulich. Bereits in seiner ersten messianischen Amtszeit beging er ganz schön schwere Fehler. Das von den Taliban befreite Afghanistan ist zwar aufgeblüht - dies allerdings vor allem auf den Mohnfeldern. Der Demokrat Karzai kontrolliert die Hauptstadt nunmehr auf gesetzlicher Grundlage, und die Feldkommandeure kontrollieren - nach wie vor ungesetzlich - das ganze übrige Land und der Vollständigkeit halber auch gleich den Narkotraffic.
Danach zu urteilen, was die USA der internationalen Gemeinschaft über die Lage in Irak berichteten, haben sie auch hier, gelinde gesagt, nicht so sehr nachgedacht wie vielmehr an sich und ihre Rolle geglaubt. Im Ergebnis haben wir in Irak das, was wir da haben.
Übrigens gibt es auch "sanfte" Varianten. Den Amtsantritt der "georgischen Demokraten" zum Beispiel förderte der amerikanische Botschafter. Freilich spielte auch da die Spezifik übel mit, wovon folgende Schlussfolgerung von EU-Experten zeugt: "In Georgien ist eine übermäßig starke Präsidentenmacht gebildet worden und gibt es faktisch keine parlamentarische Opposition, die Bürgergesellschaft ist schwach, eine unabhängige Gerichtsbarkeit existiert nicht, die örtliche Demokratie ist schwach entwickelt, und in den Massenmedien ist Selbstzensur zu beobachten."
Und schließlich die jüngste Errungeschaft: die "Orange-Revolution" in der Ukraine. Auf den ersten Blick ein voller Sieg der Demokratie. Das Malheur ist nur: Im Ergebnis hat Europa ein in zwei Teile zerfallenes Land hinzubekommen, und selbst wenn die Ukraine einheitlich bleibt, ist die Seele des Volkes schon gespalten. Jahrzehnte sind nötig, um den Hass der "östlichen" auf die "westlichen" Ukrainer wenigstens zu dämpfen.
Der russische Zar, die Taliban in Afghanistan, Saddam in Irak, Schewardnadse in Georgien oder Kutschma in der Ukraine zeichneten sich weder durch Freiheitsliebe noch durch Demokratie aus. Aber überall erwies es sich, dass die Medizin schlimmer als die Krankheit war.
Natürlich steht Russland aus vielen Gründen außerhalb dieser Reihe und kann sich deshalb die Ratschläge aus Washington, im Unterschied zu anderen, ruhig anhören. Doch gibt es ein anderes, schon rein russisches Problem. Wenn die Amerikaner beharrlich vom Schutz der Demokratie reden, so führen die Russen mit nicht weniger Eifer die Worte von ihrer einzigartigen Rolle beim Schutz des Geistigen im Munde. Demnach belehren nicht nur die Amerikaner die Russen, wie sie zu leben haben, sondern es tun auch die Russen ein Gleiches. Vom Standpunkt des Durchschnittsrussen ist der Amerikaner schon längst im Merkantilen versunken.
Als Wilson vom Sieg der Februarrevolution in Russland erfuhr, schrieb er: "Das große und großzügige russische Volk wird sich in all seiner naiven Größe und Mächtigkeit den Kräften anschließen, die um die Freiheit ringen." Bemerkenswert ist dabei, dass der Amerikaner von der "naiven Größe des russischen Volkes" in der aufrichtigen Überzeugung sprach, er mache Russland ein Kompliment. Vor allem hat es den Anschein, dass Wilson nicht einmal ahnte, wie sehr diese Charakteristik auf seine eigenen Mitbürger passt. "Das große und großzügige amerikanische Volk in all seiner naiven Größe und Mächtigkeit!" Besser lässt es sich gar nicht formulieren.
Russland und den USA sind tatsächlich "Größe, Großzügigkeit, Mächtigkeit und Naivität" eigen. Nur: Wie harmlos für die Umgebung ist die Naivität der Großmächte? Und wann endlich wird sie von Reife abgelöst?
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Russischer Experte: USA wagen keinen Militäreinsatz in Iran
MOSKAU, 25. Januar (RIA Nowosti). Trotz der äußerlichen Zuspitzung der Situation und ungeachtet der aggressiven Rhetorik werden die USA keinen militärischen Einsatz in Iran wagen. Das sagte der Leiter des Forschungszentrums für internationale Sicherheit, Alexej Arbatow, am Dienstag auf einer RIA-Nowosti-Pressekonferenz.
"Die USA werden sich nicht auf eine wahnsinnige Aktion wie eine große militärische Operation in Iran einlassen, denn es gibt viele Faktoren, bei denen die Situation außer Kontrolle geraten kann", so Arbatow.
Zu diesen Faktoren zählen laut Arbatow der "erbitterte Widerstand, den die Iraner gegen die Aggressoren leisten würden" sowie die "mögliche direkte Kooperation von Iran mit antiamerikanischen und terroristischen Gruppen in Irak".
Die Invasion laufe außerdem auf die Entstehung eines "geographischen Riesenraumes für die Ausbreitung des Terrorismus" hinaus, bei dem es sich um Afghanistan, Iran und Irak handeln werde.
Arbatow schloss aber nicht aus, dass Amerika die "iranischen Objekte, die Washington als strategisch betrachtet", mit Raketen und Flugzeugen angreifen könne.
Der amerikanische Druck auf Iran sei darauf zurückzuführen, dass die US-Regierung versuche, die "Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit von der bevorstehenden Wahl in Irak abzulenken", indem man Iran ins Visier nehme.
"Wenn die USA wirklich eine Beilegung des Konfliktes anstreben würden, so hätten sie das gemeinsam mit ihren Verbündeten, etwa gemeinsam mit Russland, schon längst machen können", sagte Arbatow.