FILMFEST LOCARNO-Wer war schon da?
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Eröffnet am: | 11.08.04 09:03 | von: springbrunne. | Anzahl Beiträge: | 9 |
Neuester Beitrag: | 11.08.04 09:59 | von: springbrunne. | Leser gesamt: | 984 |
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War jemand von Euch schon beim Filmfest in Locarno???
Charmanter Mix aus Volksfest und Hochkultur
Alljährlich im August pilgern die Filmfanatiker nach Locarno, während des Internationalen Filmfests platzt die pittoreske Altstadt aus allen Nähten. SPIEGEL-ONLINE-Autor David Chotjewitz berichtet über Klappbetten auf Pensionsdächern, ein Ufo auf der Piazza und entführte Inder in der Tessiner Bergwelt.
David Chotjewitz
Filmfest auf der Piazza: Skaterhose statt Abendgarderobe
Ein Einzelzimmer, zentral, nicht zu teuer. Die Dame der Touristeninformation antwortet mit zweifelndem Lächeln: Ob ich wüsste, dass morgen das Filmfest beginnt? Doch, weiß ich, deshalb bin ich ja hier. Sie gibt den Rat, es in der Altstadt zu versuchen, da sind viele kleine Pensionen. Aus den Ausläufern der Tessiner Alpen dröhnt Gewitterdonner, es ist drückend heiß, die Straßen wie leergefegt. Locarnos Altstadt aus dem 16. Jahrhundert ist überschaubar, aber die engen Gassen sind steil und verwinkelt. Drei Stunden und etwa 40 Pensionswirtinnen später gebe ich auf. Immerhin hat mir die Touristik-Dame noch einen Tipp gegeben: die Città Vecchia. Eine Art Jugendpension in der Altstadt, in den Mehrbettzimmern finde man manchmal noch Platz. Und ich habe Glück.
Der Pensionswirt hat eine simple Philosophie: So viele Betten wie möglich in die Zimmer, und vermieten an den, der zuerst kommt - nur gegen Vorkasse. Langsam füllt sich das Zimmer: Allessandro ist Filmkritiker, schreibt für Radio Vaticano und die "Unita", das ehemalige Zentralorgan der Kommunisten. Eine gefährliche Mischung, und die Auftraggeber dürfen davon auch nichts wissen, gibt er lachend zu. Die junge Italienerin im Nachbarbett ist Genia, Filmstudentin, gebürtig aus Sizilien, immatrikuliert in Mailand. Sofort fliegen zwischen ihr und Allessandro die Namen berühmter Film-Professoren hin und her.
Unterdessen betreten weitere Gäste das Zimmer: Rudolfo, dessen Kurzfilme aber noch nicht genug Geld einbringen für eine Nacht im Hotel. Außerdem die Katze. Rudolfo trägt sie als Erstes ins Zimmer, vor den zahlreichen Koffern. Keine Angst, sagt er lachend, die bringe ich gleich aufs Dach. Deshalb schätzt er die Pension: Man trifft hier Gleichgesinnte, und die Katze kann auf der Dachterrasse leben. Wo sie bei gutem Wetter nicht allein bleiben wird: Dann stellt der Wirt auch dort Klappbetten auf. Locarno ist in diesen Tagen so überbucht, dass immer Bedarf besteht.
Bett unter Sternen
Christian, freiberuflicher Schauspieler, der nicht nur Filme, sondern auch Regisseure kennen lernen will, spart sich die Rennerei nach einem Zimmer. Als ich abends mit Genia am Lungolago entlang spaziere, treffen wir ihn unter Palmen am Skulpturenpark von Jean Arp. Der Hamburger ist Stammgast beim Festival, seit es ihn vor Jahren an eine Schweizer Provinzbühne verschlug. Leider hat Christian wenig Geld, und zum Filmfest steigen die Hotelpreise Schwindel erregend. Deshalb hat er sich in Zürich einen kleinen Fiat gemietet, mit dem sucht er sich einen ruhigen Parkplatz. Abends werden Schlafsack und Isomatte am Strand ausgerollt, da schläft es sich allemal ruhiger als in der Città Vecchia.
David Chotjewitz
Schauspieler Christian: Ein Fiat, eine Isomatte und ein Schlafsack und ein Flecken Strand
Langsam wird es dunkel, rund um den Lago Maggiore beginnen die Lichter zu funkeln. Das linke Ufer ist schon Italien, rechts, auf einem Hügel, kann man die Ausläufer von Ascona sehen, dahinter die Tessiner Alpen. Aber Genia drängt zum Aufbruch: zur Piazza Grande, zum Film. Am Vorabend gibt es immer eine kostenlose Generalprobe. Die Patrizierhäuser und lombardischen Arkadengänge rund um die Piazza sind stimmungsvoll beleuchtet, der große Platz steht voller oranger Plastikstühle. Mittendrin thront etwas, das aussieht wie ein missratenes schwarzes Ufo oder eine riesige Blackbox auf Stelzen: die Vorführkabine.
Schnell füllen sich die Sitze. Hinter uns nimmt eine ganze Reihe Tessiner Backfische Platz, die noch schnell per SMS Verabredungen treffen. Vor uns eine Dame mit blonden Strähnchen in der Dauerwelle und krebsrot verbrannten Schultern. Dann kommt eine komplette Familie in Wanderkleidung, Schwitzerdütsch mischt sich in das Italienisch mit diesem unangestrengten Tessiner Dialekt. Abendgarderobe gibt es fast gar nicht, dafür T-Shirts, Skaterhosen, Miniröcke. Eine so charmante Mischung aus italienischem Volksfest und internationaler Hochkultur ist wohl nur hier denkbar.
Ein indischer Präsident und die arabischen Finsterlinge
Während die Lichter ausgehen, bewegt sich ein altes Paar durch die engen Reihen auf die letzten freien Plätze und eins der Mädchen hinter uns weist mit kräftigem Fingerpfiff einem jungen Mann den Weg. Der kommt, im coolen, halb offenen Hemd, erzählt zufrieden: "Cosi mi piace: Casa - Piazza due minuti e mezzo - in zweieinhalb Minuten von Zuhause zur Piazza, so gefällt mir das." Auf der Leinwand beginnt ein indischen Blockbuster, der in Locarno und Umgebung gedreht wurde: "Asambhav The Impossible", etwas grotesk: Der indische Präsident wird von arabischen Finsterlingen entführt, ausgerechnet als er zum Erholungsurlaub in der Schweiz weilt, auf den Isole di Brissago im Lago Maggiore. Das Publikum jubelt, als die Inseln und andere bekannte Schauplätze ins Bild kommen: das Gran Hotel aus der Belle Époque, die mittelalterliche Brücke im Valle Verzasca oder die pittoreske Tessiner Bergwelt.
Schweiz Tourismus
Felsen bei der Brücke von Brolla: Innerhalb weniger Minuten ist man in rauen Alpentälern
Am nächsten Tag schauen wir uns das live an, ohne Zwischenschnitte auf Terroristen und Superhelden. Christian kennt viele Geheimtipps und zeigt uns einen Wasserfall bei Maggia. Durch Weinberge fahren wir bis zum Waldrand, nach einer kleinen Wanderung können wir in kristallklarem, eiskaltem Bergwasser baden. Dann geht's in die Centovalli, das Tal der hundert Täler, vorbei an der spektakulären Eisenbahnbrücke bei Brolla, von der sich schon mal James Bond fallen ließ, weiter zu einsamen Bergdörfern.
Mittags essen wir auf der Dorfpiazza von Intragna ein kreativ-bodenständiges Drei-Gänge-Menü, mit Couscous-Salat und leckerer Tessiner Luganiga-Salsiccia. Das ist das Ungewöhnliche an Locarno: Die Stadt ist klein, hat aber ein internationales, urbanes Flair. Am See ist die Vegetation subtropisch, aber innerhalb weniger Minuten ist man in rauen Alpentälern. Direkt gegenüber vom Bahnhof fährt eine Seilbahn hoch zur Chiesa della Modonna del Sasso, von wo man eine großartige Aussicht hat. Hinunter kann man einen mit Kapellen gesäumten Kreuzweg spazieren.
Improvisation bei Gewitter
Abends sind wir für die Vorstellung auf der Piazza verabredet. Ein französischer Film, von dem noch niemand etwas gehört hat, aber er läuft im internationalen Wettbewerb, eine Welt-Uraufführung: "Les Fautes d'Orthographe". Fast immer seien die Wettbewerbsfilme echte Entdeckungen, sagt Christian. Locarno ist kein Festival der Stars, darauf legt man Wert. Die Filme stehen im Mittelpunkt, oft kommen sie aus Filmnationen, die in Europa wenig wahrgenommen werden. So ist ein diesjähriger Schwerpunkt Indochina gewidmet. Thema der Retrospektive ist "Journalismus im Film": Und auch im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden läuft viel Unbekanntes: Aus Deutschland nimmt der neue Film der türkischstämmigen Nachwuchsregisseurin Ayse Polat teil. "En Garde" handelt von zwei Mädchen in einem katholischen Erziehungsheim, zwei Außenseiterinnen.
Schweiz Tourismus
Piazza von Locarno: Die Altstadt aus dem 16. Jahrhundert ist überschaubar, aber die engen Gassen sind steil und verwinkelt
Dabei haben die Festivalmacher auch die Bedürfnisse des Publikums im Auge und sind stolz darauf, dass ihr Programm von der Bevölkerung und vielen Touristen wahrgenommen wird. Vor allem natürlich die abendlichen Vorführungen auf der Piazza, die in diesem Jahr noch bis zum 14. August stattfinden. Doch die fällt ausgerechnet heute, zur feierlichen Eröffnung, ins Wasser: Pünktlich um 21.30 Uhr schieben sich dicke Gewitterwolken über die Berge, Blitze zucken am schwarz-blauen Himmel. Als die ersten dicken Tropfen fallen, werden die zahlreichen Wurst-, Eis- und Panini-Buden fluchend wieder abgebaut, und eine Stunde später trifft sich alles im Fevi, einer riesigen, zum Vorführsaal umfunktionierten Sporthalle.
Ja Locarno ist sehr schön, kenne ich sehr gut und auch an den Filmfestspielen war ich schon.
Locarno ist auf jeden Fall eine Reise wert.
bilanz
By the way, Locarno ist bestimmt toll, aber zu diesem für den Fortbestand der menschlichen Rasse unersetzlich wichtigen Events?...
Gerhard Schröder
letztes Jahr auch am Festival in Locarno.
Dies nur zur Orientierung, dann lies den Artikel im Stern richtig durch und Du wirst sehen, dass man diese gar nicht sucht.
Die Betten sind auch so ausgelastet.
gruss bilanz
Das Tessin ist nicht Italien, es ist der südlichste Kanton der Schweiz und grenzt an Italien.
Korrektur: Der Artikel erschien natürlich im Spiegel und nicht im Stern.
gruss bilanz
Sonntag, 10. August 2003
Locarno: Bundeskanzler Schröder auf Stippvisite
FAM zieht wieder seine Fäden: Auf Einladung des Ringier-Publizisten Frank A. Meyer trafen sich am Samstagabend der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundespräsident Pascal Couchepin, Bundesrätin Micheline Calmy-Rey und Bundesrat Moritz Leuenberger. Während des Filmfestivals von Locarno organisiert Meyer seit 29 Jahren dieses so genannte «Dîner républicain». Die Treffen sollen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur ans Festival bringen. Das Abendessen findet jeweils zu Ehren des Bundespräsidenten statt.
Zu den diesjährigen 92 Gästen, die an einem riesigen Tisch tafelten, gehörten auch die deutsche Kulturministerin Christina Weiss, der Schweizer Staatssekretär Charles Kleiber sowie der Schriftsteller Adolf Muschg, der auch als Präsident der Akademie der Künste in Berlin fungiert. Die Tessiner Regierung war ebenfalls vertreten. Fast sämtliche Gäste, allen voran Schröder, mischten sich anschliessend unter die 7000 Zuschauer auf der Piazza Grande in Locarno, wo die Komödie «Calendar Girls» des Londoner Regisseurs Nigel Cole gezeigt wurde.
kleinreport.ch