"Standpunkte Antiamerikanismus"
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 14.06.04 14:27 | ||||
Eröffnet am: | 14.06.04 14:27 | von: Liv Tyler | Anzahl Beiträge: | 1 |
Neuester Beitrag: | 14.06.04 14:27 | von: Liv Tyler | Leser gesamt: | 1.345 |
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Die Auseinandersetzung um die Haltung zu Amerika macht einstige Weggenossen zu erbitterten politischen Gegnern. Der Konflikt dringt längst auch ins Privatleben vor und gefährdet manch alte Freundschaft.
Allein über den Atlantik
von Dirk Maxeiner und Michael Miersch
Endlich ein Sommer in dem man abends draußen sitzen kann. Am besten mit ein paar Freunden (Computerbranche, Öffentlicher Dienst, Bank) und ein paar Flaschen Rotwein (Chianti 2002, Lidl). Die Szenerie unter der großen Kastanie im Garten könnte idyllischer nicht sein, und doch hängt oben im Geäst ein Damoklesschwert. Alle haben sich um des lieben Friedens Willen fest entschlossen, ein bestimmtes Thema nicht anzusprechen: Amerika. Unsere Freunde sind davon überzeugt, dass wir jeden Morgen unter Stars and Stripes stramm stehen. Haben wir es doch wiederholt gewagt, Amerika zu verteidigen. Besonders übel stieß auf, dass wir es für dumm halten, George Bush für dumm zu halten. Ansonsten gelten wir als nette Kerle, denen man aber nicht alles durchgehen lassen darf. Irgendwo hört die Freundschaft schließlich auf.
Die Deutschen haben ein erstaunliches Talent entwickelt, von jedem beliebigen Thema in wenigen Sätzen auf die USA zu kommen (und damit die Ursache jeglichen Übels). Das geht etwa so: "Schönes Wetter heute" - "Ist aber nicht normal für unsere Breiten" - "Die Amerikaner ruinieren das Klima". Egal ob im Taxi, beim Friseur oder im Massage-Salon, aufrechter Anti-Amerikanismus gehört zum guten Ton. Er wird deshalb gerne auch bei gemeinsamen Mahlzeiten jeder Art erst mal abgefragt, damit man es sich danach in der kollektiven US-Verdammung schön gemütlich machen und, Prösterchen, warm im Blut für Öl baden kann.
Nun haben wir wirklich keine Lust, ständig den Party-Pupser zu spielen. Nach wenigen Gesprächsminuten ist in der Regel sonnenklar, dass man sich in vermintem Gelände oder gar weit hinter den feindlichen Linien befindet. Mitunter hilft eisernes Schweigen über die Runden, doch bedauerlicherweise wird es oft als Zustimmung empfunden. Das führt dann beispielsweise dazu, dass ein Tischnachbar vertraulich eine Verschwörung enthüllt: "Ist Ihnen aufgefallen, dass sich am 11. September kein einziger Jude in den Zwillingstürmen aufhielt?" Ein Outing lässt sich dann nicht mehr vermeiden und unsere Sympathiekurve fällt unter Null. Inzwischen melden wir bei solchen Anlässen grundsätzlichen Dissens an, führen diesen aber nicht weiter aus, weil es meist laut und lästig wird. Statt dessen überreichen wir in einem Umschlag einige Grundsatzartikel (unter anderem aus dieser Zeitung) und bitten darum, den Inhalt erst zu lesen, nachdem wir uns verabschiedet haben.
Da unsere Freunde bereits wissen, wie wir denken, und die gegenseitigen Grundsatztexte seit Monaten wie Wurfgeschosse in der mailbox einschlagen, wurde fürs Gartenfest strikte Politik-Enthaltsamkeit verordnet. Die Namen Bush, Rumsfeld und Wolfowitz standen auf dem Index, desgleichen Stichworte wie "Irak" oder "altes Europa". Früher hatten wir uns immer beim Thema Politik betrunken, und kamen dann später auf delikatere Themen wie Sexualgewohnheiten oder die Schulnoten der Kinder. Inzwischen betrinken wir uns bei privaten Vertraulichkeiten und hoffen, später nicht auf die verfängliche Politik zu kommen. Meist vergebens.
Das Gartenfest ging eigentlich sehr harmonisch los. Morzarella mit Tomaten und Aceto Balsamico. Auch das Gespräch verlief in einträchtigen Bahnen: "Die Restaurantpreise sind doch unverschämt, eine stinknormale Pizza für 7.50 Euro!" - "Unser Sohnemann ist einfach stinkfaul" - "Unserer auch!" -"Ferien in Deutschland sind viel schöner". Der ehrliche Wille den Abend nicht zu versauen, ließ uns mit größter Begeisterung über jeden Blödsinn parlieren. Dann wurde die Konversation doch ein wenig zäh, bis plötzlich alle schwiegen. Wie peinlich. Sabine rettete die Situation mit einer Frage von größter Bedeutung: "Paul, wo ist eigentlich eure Katze?" Bedauerlicherweise verlor Paul daraufhin die Nerven, und antwortete mit der Gegenfrage: "Wo sind eigentlich eure Massenvernichtungswaffen?". Allseitiges Entsetzen. Alarmstufe rot am Tisch. Oder besser unterm Tisch: Sylvia trat Paul heftig gegen das Schienbein.
Zu spät. Das Damoklesschwert saust krachend herunter und durchtrennt das Tischtuch. Es wird blank gezogen und die Klingen fliegen. Jeder kennt mittlerweile mindestens drei Züge des Gegners im Voraus. Paul: "Alle meine amerikanischen Freunde halten die US-Politik für verheerend". Wir: "Das sagt nichts über Amerika, aber viel über Deine Freunde." Sylvia versucht zu vermitteln, indem Sie die Amerikaner als "suboptimale Hüter der westlichen Werte" charakterisiert. Doch nach der dritten Flasche Lidl-Chianti vermag keiner mehr über diese Brücke zu gehen. Sehr kühler Abschied. Nichts da mit Küsschen rechts, Küsschen links und "Das nächste Mal bei uns". Die nachbereitende Telefondiplomatie der beteiligten Ehefrauen dauert noch an.
Erschienen in Die Welt vom 02.07.03
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PS