LINKE ALTERNATIVE und deren USA-HASS
>Über das Verhältnis der BRD zu den USA gibt es in der aktuellen linken Literatur unterschiedliche Interpretationen. Drei neue Bücher ergänzen sich in verschiedener Hinsicht gegenseitig
Wie die (linken) Verlage, so ihre Bücher. Zum einen gibt es das klassische antiimperialistische Spektrum, in dem der PapyRossa-Verlag beheimatet ist. Dort erscheinen neben vielen Titeln zum Rechtsextremismus und Nationalsozialismus (der am liebsten als Faschismus bezeichnet und der Deutschen Bank in die Schuhe geschoben wird(1)) solche wie "Die Herren der Welt. Die Weltmachtpolitik der USA nach 1945", "The Big Stick. Imperiale Strategie und globaler Militarismus - Die USA als Megamacht", "Der Mythos vom guten Krieg. Die USA und der 2. Weltkrieg", "Ein Kreuzzug für die Zivilisation? Internationaler Terrorismus, Afghanistan und die Kriege der Zukunft", "Globale Spiele. Imperialismus heute - Das letzte Stadium des Kapitalismus?". Das hier besprochene Buch "Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt" von Conrad Schuhler, Mitarbeiter beim Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) in München, zeichnet nicht nur auf dem Einband das Verhältnis zwischen USA und BRD als eines vom großen und kleinen Bruder, die gemeinsam die Welt tyrannisieren - und gern mal im Spaß ihre Kräfte beim Armdrücken messen, wobei das Ergebnis natürlich schon im Vorhinein feststeht.(2)
Dann gibt es den altehrwürdigen linksradikalen Konkret Literatur Verlag. Er hat sich erfolgreich von seinen antiimperialistischen Wurzeln gelöst und sie auch anderswo bekämpft. Den Stallgeruch konnte der Verlag aber nicht völlig abschütteln. Ausgewogen und seriös soll an erster Stelle der deutsche und an zweiter der amerikanische Imperialismus analysiert und kritisiert werden. Deswegen räumte z.B. die Zeitschrift konkret dem schon oben genannten Conrad Schuhler die Möglichkeit ein, seine Weltsicht über die USA zu verbreiten.(3) Und die manchmal über die Stränge schlagenden Antideutschen werden als Gefahr für die Linken angesehen und sich deswegen regelmäßig über sie lustig gemacht - auf Stammtischniveau.(4) Dann plante der Konkret Literatur Verlag ein Buch über Antiamerikanismus und kündigte sein Erscheinen für September 2003 an. In der konkret 10/2003 war zu lesen: "Der [...] konkret-texte-Band 35 (Amerika, dich haßt sich's besser, hrsg. von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken) wird nicht erscheinen. Inhaltliche Differenzen zwischen Verlag und Herausgebern, die [...] sich nicht ausräumen ließen, haben den Verlag veranlasst, das Buch aus dem Programm zu nehmen. Es wird in einem anderen Verlag veröffentlicht". Nach Erscheinen des Buches in einem "anderen Verlag", den zu nennen sich konkret scheute, bleibt unklar, was die Veröffentlichung beim Konkret-Verlag verunmöglicht hat; schließlich druckt die konkret nun Aufsatz für Aufsatz aus genau diesem Buch ab.(5) Außerdem schreiben die meisten AutorInnen des Buches auch regelmäßig in konkret.
Da es aber noch genug andere AutorInnen bei konkret gibt, wurde Michael Hahn kurzerhand beauftragt, einen weiteren Sammelband zum "Antiamerikanismus" zusammenstellen, der nun Amerika-kritischere AutorInnen versammelt und den deutschen "Antiamerikanismus" verhaltener kritisiert.(6)
Zu guter Letzt wäre der ça ira-Verlag zu nennen, dessen antideutsche AutorInnen sich gern hedonistisch geben, allerdings über den Gebrauch der deutschen Sprache - zumindest bei ihren WidersacherInnen - sehr penibel wachen, um sich selbst in Verlagsanzeigen als "andideutsche Kommunisten"(7) anzukündigen. Dass in diesen Anzeigen auch das ursprünglich bei Konkret angekündigte Buch auftauchen würde, war wohl allen klar. Es zeichnet ein völlig anderes Bild vom Konflikt USA-BRD als das PapyRossa-Buch, wobei an manchen Stellen die Rolle der USA idealistisch verklärt erscheint. Alles in allem ist es - vor allem weil nicht die Bahamas- sondern die Malta-Fraktion(8) die Oberhand behält und somit der Ödipuskomplex(9) nur sublimiert auftaucht - das beste der drei besprochenen Bücher.(10)
Ressentimentgeladener Materialismus
Fangen wir mit Schuhlers Buch an. Bush ist für ihn ein "christlich wiedererweckter Alkoholiker" (8, 66) mit Missionierungsdrang, der als Lobbyist von "Öl, Rüstung, Auto, Pharma" (14) mit seiner Terrorbekämpfung gegen den "dunklen Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten" (133), Osama bin Laden,(11) einen "Zivilisationsbruch" (11) begeht. Bush steht einer "Gier-Plutokratie" vor, die in "skrupelloser Gier den Wachstum an Wohlstand an sich rafft" (65) und dabei faschistoide Methoden anwendet (66) bzw. zur "imperialen Regulation" übergeht, und sich aller "Verträge, die der Militär-Supermacht Zügel anlegen könnten" (130), entledigt. Das ist aber nicht Bush allein anzulasten, denn "Frömmigkeit und Dollar, Sendungsbewusstsein und Geschäftssinn gingen in den USA von jeher eine innige Verbindung ein". (14) Das führt dazu, dass "die USA [...] weit über ihre Verhältnisse [leben], und zwar sowohl auf Kosten der Zukunft wie vor allem auf Kosten der übrigen Welt". (35) Doch es gibt Hoffnung. Der Vietnamkrieg war das Zeichen dafür, dass "die Welt [...] den Völkern gehören [würde], nicht den imperialistischen Barbaren". (29) Auch heute macht der Widerstand der "Opfer der kapitalistischen Globalisierung [...] in der armen wie in der reichen Welt" (8) Mut: Es handelt sich dabei um die Friedensdemos am 15. Februar 2003, das Weltsozialforum und seine regionalen und kommunalen Ableger und Teile der deutschen Gewerkschaften (154ff). Sie alle wehren sich gegen die "kranke Gesellschaft" (62) der USA. Die Krankheitssymptome lauten: hohe Kriminalitäts- und Selbstmordrate, "soziale Anomie" und "soziale Zerrüttung", welthöchste "Quoten für Scheidungen, Drogenmissbrauch und psychische Defekte", Auseinanderbrechen des "sozialen Gefüges der Familie", die wachsende Einkommensschere und "enormer Vermögensverlust [der] Mittelklasse" zu Lasten der "Betrügerkonzerne" (62f). So viel zum Ressentiment.
Nun zum "Materialismus".(12) Die USA seien der "Konsum-›Staubsauger‹" (40) der Welt. Bei sinkenden Löhnen und wachsender Arbeitslosigkeit ist die Weltbevölkerung nicht mehr in der Lage, den ganzen Scheiß, den der Kapitalismus produziert, auch zu konsumieren. Die USA kann sich den massenhaften Konsum qua Verschuldung leisten, was nur funktioniert, weil der Dollar militärisch gedeckt ist. Die "Supermacht USA" - und nicht etwa jeder Staat für sich und alle zusammen - fungiere somit "als politischer Gesamtdienstleister des globalen Kapitals" (129). Nun seien die "weichen" Regulationsmechanismen (Sozialstaat im Inneren, Stabilität der Weltwirtschaft durch WTO, IWF usw.) in die Krise geraten (132) - und der einzige Ausweg sei die Ankurbelung der Wirtschaft durch Aufrüstung (43), der direkte Zugriff auf das Erdöl als wichtigsten Energieträger, d.h. Krieg gegen Afghanistan und den Irak (48), Sozialabbau und Ablenkung von inneren Problemen durch die Feindbildproduktion in der Terrorismusbekämpfung (66).
Als Antiimperialist weiß Schuhler natürlich, dass das Gerede von der "zivilen Gegenmacht Europa" Unsinn ist. Zum einen weil Europa nicht zivil ist (8), zum anderen, weil es nicht mächtig genug sei, um eine ernst zu nehmende Gegenmacht darzustellen (95). Und überhaupt - fügt er, fast ist das Bedauern heraus zu hören, an - hätten "die treibenden gesellschaftlichen Kräfte [Europas] gar kein Interesse, die USA tatsächlich herauszufordern". (95) Auf die beiden letzten Punkte - die fehlende Macht und den angeblich nicht vorhandenen Willen, diese zu erlangen - geht Schuhler ausführlich ein. Er beschreibt die Herausbildung eines "Transatlantischen Wirtschaftsraums", über den die jeweiligen Ökonomien Westeuropas und der USA enger miteinander verknüpft sind, als untereinander oder zu anderen Staaten wie Japan (94, 99ff). Alle "innerkapitalistischen Widersprüche", die auf dieser Ebene auftreten, würden friedlich in den Gremien der Weltwirtschaft (IWF, WTO, GATT, Weltbank, G7/G8) gelöst werden. Als Beispiel führt er die Konflikte um die Agrarpolitik, Gentechnik und Stahlzölle an (108ff). Westeuropa ist aber nicht nur wirtschaftlich von der USA abhängig (und andersherum), sondern auch politisch und militärisch. Die Europäische Union sei innerlich - und mit zunehmender Tendenz - so zerstritten, zerrüttet und schwach, dass sie keine Gegenmacht auf "Augenhöhe" zur USA werden könne (90ff).
Der "zivile" Anteil der Europäischen Politik wird nicht ernst- und wahrgenommen. Einerseits behauptet Schuhler, Westeuropa deckle die Kriegslügen der USA(13) und selbst Frankreich und Deutschland hätten sich dem Druck der USA gebeugt und untergeordnet(14). Andererseits gliche die "militärpolitische Strategie der EU [...] der Interventionsstrategie der USA aufs Haar" (88). Durch die militärische Schwäche Westeuropas würden die USA und die EU bei Interventionen im gemeinsamen Interesse allerdings ›Bad cop - good cop‹ spielen (139). Gemeinsam sei nämlich allen westlichen DemokratInnen der Hass auf den Islam (144), und deswegen sei die BRD nicht gegen Krieg, sondern nur für zusätzliche imperialistische Strategien (149). Diese Strategien scheinen es dem Autor insgeheim angetan zu haben, denn Schröder wird im Gegensatz zu Bush nicht als zigarrensüchtiger VW-Hampelmann oder frauenverbrauchender Playboy-Diktator bezeichnet, sondern einfach immer nur als "der Bundeskanzler" oder "Schröder".
Höfliche Faktensammlung
Das Buch "Nichts gegen Amerika" aus dem Konkret Literatur Verlag versammelt zehn Aufsätze zum Antiamerikanismus von AutorInnen(15), die für ihre unpolemische, faktenreiche und verständliche Argumentation bekannt sind. Das eher beschreibende als analytisch angelegte Buch eignet sich somit gut als Einstieg in die Materie sowie als Quellengrundlage für die weitere Beschäftigung mit dem Thema. Es behandelt u.a. den Antiamerikanismus bei der KPD, SED, PDS, RAF, in der Neuen Linken und der Anti-Globalisierungsbewegung, in Frankreich, den USA und Lateinamerika. Darüber hinaus werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus heraus gearbeitet sowie die Berechtigung und die instrumentelle Verwendung des Antiamerikanismus-Vorwurfes an die Linke sowie die Brauchbarkeit von diversen Antiamerikanismus-Definitionen untersucht.
Bei einigen AutorInnen, vor allem beim Herausgeber Michael Hahn, fällt auf, dass zu vorsichtige und verharmlosende Formulierungen verwendet werden, wo es eigentlich den Antiamerikanismus anzugreifen gilt. Da heisst es, die USA und EU würden offensichtlich "mit zweierlei Maß gemessen" (7), als ob der Antiamerikanismus ein Messfehler sei. Die unterschiedliche Beteiligung an den Friedensdemos gegen den Jugoslawien- und Irakkrieg lege lediglich "den Verdacht nahe, dass es die meisten nicht in erster Linie gegen Krieg, sondern gegen den Krieg der Amerikaner auf die Straße trieb" (8, Herv. im Original), anstatt als unschlagbarer Beweis gewürdigt zu werden. Das Gerede vom "sozialen Europa" entlarve sich, weil es sich an der Realität des Sozialabbaus blamiert (ebd.) - und nicht etwa, weil Sozialleistungen zwar für den Einzelnen schön sind, aber nur der Aufrechterhaltung der herrschenden Zustände dienen. Linker Antiamerikanismus wird als "Theoriedefizit" verharmlost (ebd.), den Antideutschen, den Verfechtern einer "anti-linken [...] Querfront", hingegen ein dem Antiamerikanismus komplementäres Weltbild bescheinigt, weil sie sich "einem neuen Vaterland [der USA] an die Brust" (12) werfen würden - was nun nicht schon allein deswegen wahr wird, weil es auch schon Herr Gremliza in der konkret behauptet hat. Desweiteren beklagt Michael Hahn, dass "die große Berliner Irakkriegs-Demo am 15. Februar 2003 [...] von CDU-Politikern als ›antiamerikanisch‹ denunziert" (20) wurde, postuliert, dass die Linke aufgrund ihrer allgemeinen Nationalismus- und besonderen Deutschland-Kritik vor den schlimmsten Auswüchsen des Antiamerikanismus gefeit sei(16) und gibt am Ende Tips für "eine nicht-amerikanische Kritik an den USA" (155ff), anstatt eine Fokusierung auf Deutschland und Europa einzufordern.
Mal abgesehen von diesen kleinen Schwächen sind alle Aufsätze interessant, weil neben dem akribischen Nachweis des Antiamerikanismus in allen linken Strömungen(17) auch die Schuldzuschreibung für den weit verbreiteten Antiamerikanismus differenzierter und unter einem globaleren Blickwinkel vorgenommen wird, als es bei den Antideutschen, die primär der deutschen Linken die Verantwortung unterjubeln wollen, meist üblich ist. Beleuchtet werden z.B. die Unterschiede zwischen linken und rechten Antiamerikanismus, historische Entwicklungen und die weltpolitischen Konstitutionsbedingungen in unterschiedlichen Ländern.
Das Buch widmet sich neben der Ideologiekritik allerdings kaum dem Verhältnis zwischen den USA und Westeuropa. Es wird nur vage angedeutet, dass das verstärkte Aufkommen des Antiamerikanismus mit dem Ende des Kalten Krieges und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust für "das strategische Bündnis mit den USA" (24) zusammenhängt. Im Gegensatz zu Schuhler, der die Ohnmacht der Europäer und deren Unterwürfigkeit behauptet, konstatiert Michael Hahn den militärischen, politischen und vor allem wirtschaftlichen "Niedergang der USA". Die EU sei für die USA inzwischen "ein ernst zu nehmender Konkurrent", was trotz oder gerade wegen der engen Verflechtung mit den USA zu häufigen Handelskonflikten führe. Die EU profitiere zwar von der "Weltpolizisten-Rolle der USA", versuche aber gleichzeitig alternative Optionen zu entwickeln (155f).
Antideutsche Analyse
Das Buch "Amerika. Der ›War on Terror‹ und der Aufstand der Alten Welt" setzt sich nicht schwerpunktmäßig mit dem Antiamerikanismus auseinander. Den 14 AutorInnen(18) geht es vielmehr um Argumente gegen den Antiamerikanismus - also eine Beschreibung, warum und wie, ganz im Gegensatz zu den antiamerikanischen Wahnvorstellungen, amerikanische Außenpolitik wirklich funktioniert. Die amerikanische Politik als auch die antiamerikanische Ideologie werden sowohl historisch als auch analytisch hergeleitet.
Die Schwächen des Buches sind schnell aufgezählt: An (allerdings nur) wenigen Stellen lugt ein dichotomes Weltbild hervor. Äußerungen von amerikanischen PolitikerInnen oder JournalistInnen über die hehren Absichten der eigenen Politik werden unkommentiert für bare Münze genommen (169ff), während der deutschen Außenpolitik der pure und mit der Al-Qaida vergleichbare Irrationalismus bescheinigt wird. Dies lässt sich allerdings (im Gegensatz zu amerikanischen Verlautba-rungen, die angeblich in aller Offenheit ja für sich sprechen) nicht direkt belegen, sondern muss aus dem jeweils Gesagten oder Geschriebenen umständlich dechiffriert werden. Sowohl die Bundesregierung als auch das "zuständige deutsche Außenamt" wisse "wahrscheinlich selbst" nicht, warum sie sich gegen die USA und auf Seiten der islamischen Staatengemeinschaft gestellt haben, denn: "Wo Antiamerikanismus zur Realität wird, ist er sich selbst genug." (14) Wirtschaftliche Interessen - so scheint gewiss - waren bei der Ablehnung des Irakkrieges nicht dominant (49), vielmehr sei der 200 Jahre alte Gegensatz zwischen alter und neuer Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation wieder aufgebrochen (22). Das soll wohl heißen, die Deutschen fühlen sich immer noch, im Sinne von Karl May, als "Oberförster", die zusammen mit den Indianern gegen die "räudigen Schurken, die nach dem Golde jagen" (38) kämpfen.(19) Es fällt auch auf, dass in den USA verschiedene politische Akteure mit widerstrebenden Interessen ausgemacht werden, während die vermeintlich homogene ›Volksgemeinschaft‹ im Alten Europa mit dem islamistischen Mob an einem Strang zieht.
Genau diese Einschätzung führt dann dazu, das Problem des Antiamerikanismus zu verharmlosen - nicht weil die AntiamerikanerInnen wie bei Schuhler und ansatzweise auch bei Hahn in Schutz, sondern weil sie nicht ernst genommen werden. Die Bilanz der deutsch-europäischen Politik sei kläglich, was aber nicht zur Besinnung führe, da der Antiamerikanismus nicht durch Mißerfolg zu beeindrucken sei (8). Dem Antiamerikanismus fehle jedoch die "Dynamik [...], um eine Bewegung mit Durchschlagkraft hervorzubringen" und sei deswegen ein reiner Rentnerprotest (11). Das sei so, weil die Ideen des Antiamerikanismus in weiten Teilen der Bevölkerung fest verankert sind - und dafür lohne es sich nicht, auf die Straße zu gehen (12). Die BRD betrachte sich inzwischen nicht mehr als Teil des Westens, sondern als Verbündeter der Dritten Welt, die wiederum für ihr Elend selbst verantwortlich sei - jedoch werde die USA bei der Befreiung, Befriedung und Demokratisierung jener verlorenen Gebiete allein gelassen, damit sie sich übernimmt und zugrunde geht (187ff). Da aber die Europäer spinnen und schwach sind, ist die Auseinandersetzung zwischen den USA und dem Alten Europa so alt und harmlos wie der zwischen einem zänkischen, aber unzertrennlichem Ehepaar: Im Streit zollt man sich gegenseitige Anerkennung und die Deutschen seien sogar stolz darauf, endlich mal - "wenn auch auf negative Weise" - ernst genommen zu werden (192). Außerdem seien die Amis nicht so viel Terror gewöhnt und reagieren deswegen etwas heftiger auf Al-Qaida & Co. (207). Es wird also Entwarnung gegeben, denn vieles würde darauf hinweisen, "daß der dritte Anlauf der Deutschen, ›die Völker in die Freiheit zu führen‹, früher und unblutiger scheitert als seine Vorläufer" (190).
Nur bei Stephan Grigat sieht das alles ein wenig anders aus, was aber seine Analyse deswegen nicht richtiger macht. Während die anderen AutorInnen auf die Stärke und Besonnenheit der USA vertrauen und hoffen, dass diese die kleinen, fast unbedeutenden Stänkereien von der anderen Seite des großen Teiches gelassen parieren wird, ist für Grigat die USA das gutmütige und wehrlose Opfer deutscher Ranküne. In seinem Beitrag über die "Deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1945" reagierte die USA - angefangen von der Nachsichtigkeit gegenüber den Deutschen nach 1945, über die Frage der Wiederbewaffnung, der gemeinsamen Ehrung der Wehrmachtssoldaten in Bitburg, der Wiedervereinigung bis hin zum gemeinsam geführten Jugoslawienkrieg - lediglich und mit bester Absicht auf die miesen Tricks der Deutschen und fiel immer wieder auf sie rein. Die USA wurden zum Spielball der deutschen Außenpolitik, weil sie ständig Zugeständnisse machten, um die Kontrolle nicht ganz zu verlieren. Die Deutschen wußten dies angeblich geschickt zu nutzen, indem sie stets mit dem Schlimmsten drohten (125ff). Diese Beschreibung mag für das aktuelle Verhältnis zutreffend sein, für die Nachkriegszeit und die des Kalten Krieges erscheint es als nicht besonders plausibel, dass die BRD so massiv drohen konnte, die USA sich wirklich bedroht fühlten und Angst vor dem Verlust der Kontrolle hatten.
Das Buch selbst zeichnet ansonsten durch polemische Schärfe, analytischen Tiefgang und fundierte Beschreibung der amerikanischen Außenpolitik aus. Wer wissen will, was am ressentimentbereinigten Teil von Schuhler falsch ist, d.h. warum auch die (fast) nicht antiamerikanischen Autoren Robert Kurz, Georg Fülberth oder Thomas Ebermann(20) mit ihren Analysen häufig daneben liegen, oder warum die konkret überhaupt nichts über die USA auszusagen vermag, wenn sie sich von Schuhler eine Liste aller amerikanischen Kriege und Interventionen seit 1945 zusammen stellen läßt und publiziert, wird an diesem Sammelband nicht vorbeikommen. Genauso wenig wie alle Antideutschen, die sich nicht dem Verdacht aussetzen wollen, sich einem anderen "Vaterland an die Brust" zu werfen, sowie alle AmerikanistInnen(21). Den 97,5 Prozent der deutschen AntiamerikanerInnen das Buch zu empfehlen, wäre ohnehin Perlen vor die Säue.
Literatur:
Conrad Schuhler: Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt. PapyRossa, Köln 2003, 165 S., 11 Euro.
Michael Hahn (Hrsg.): Nichts gegen Amerika. Linker Antiamerikanismus und seine lange Geschichte. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2003, 175 S.,26 Euro.
Thomas Uwer, Thomas von der Osten-Sacken, Andrea Woeldike (Hrsg.), Amerika. Der "War on Terror" und der Aufstand der Alten Welt, Çaira, Freiburg 2003, 317 S., 17,50 Euro.
Fußnoten:
(1) Zur Deutschen Bank erschienen im Papyrossa-Verlag mehrere Titel. Einer lautet z.B.:
"Deutsche Bank - Macht - Politik. Faschismus, Krieg und Bundesrepublik".
(2) Im Buch wird das akribisch "nachgewiesen", auf dem Einbandbild (mit dem Armdrück-Motiv) hingegen nur subtil angedeutet:
Der braungebrannte Ami-Arm ist Schwarzeneggermäßig muskelbepackt, während der bläßliche Arm Europas nicht viel vorzuweisen hat.
(3) Die Artikel von Conrad Schuhler in der konkret tragen sich selbst entlarvende Überschriften wie: "Der Dritte Welt-Krieg. Afghanistan war nur ein Anfang. Und für alle armen Länder eine Lehre: Wer nicht pariert, wird bombardiert. Demnächst auch atomar" (06/2002), "Der Terrorkrieg. ›Enduring Freedom‹ nannten die USA ihren Feldzug gegen Afghanistan. Dauerhafte Freiheit brachte er nicht. Aber Kriegsverbrechen ohne Zahl" (02/2002), "Return to sender? Betreibt, wer nach den Gründen des Terroranschlags gegen die USA fragt, dessen Rechtfertigung? Eine kleine Chronik der gewalttätigen US-Außenpolitik seit 1945" (11/2001).
(4) So fiel Hermann L. Gremliza zu einem Phase 2-Interview mit Matthias Küntzel (der bis zu seinem unbegründeten Rausschmiß Ende 2001 13 Jahre konkret-Autor war) nur ein: "›Phase 2‹ [...] hat einen Denker aufgetrieben, der so denkt: Dabei ist der Djihadismus heute nur die Speerspitze der regressiven Antwort auf das Kapital. Die Regression hat eine Speerspitze. Wem steckt sie die wo rein? Ein Vorschlag: ihrem Erfinder, Matthias Küntzel, halbhoch hinten." konkret, 05/2003. Das Küntzel-Interview "Mit den USA gegen Antisemitismus?" erschien in Phase 2.07, 2003).
(5) Bislang in konkret 11/2003, 12/2003 und 01/2004. Eine Praxis, die sonst fast nur bei den eigenen Büchern
zu 5angewendet wird. Interessanterweise schaffte es allerdings noch kein Aufsatz aus dem Konkret-eigenen Buch zum Antiamerikanismus in die eigene Zeitschrift.
(6) Warum ein für diesen Sammelband angeforderter Beitrag über Antiamerikanismus in der linken Plakatkunst dann nicht im Buch erscheinen durfte, mag andere Gründe haben, als die, die die beiden Autoren (Markus Mohr, Klaus Viehmann) in der Zeitschrift analyse und kritik (476/2003, dort wird auch der Aufsatz "Liberty Gangster" dokumentiert) vermuten. Sie schrieben nämlich nicht über Plakate, sondern über konkret-Cover. Da der Konkret Literatur Verlag keine Probleme mit Eigenkritik haben dürfte, sofern sie die ferne Vergangenheit betrifft, ist es wahrscheinlicher, dass die dort vorgenommene Ehrenrettung des soften Antiamerikanismus und generell die schlechte Qualität des Aufsatzes für die Entscheidung ausschlaggebend war.
(7) Die Anzeige erschien Ende 2003 in jeder zweiten linken Zeitschrift.
(8) Bei den ständigen Flügelkämpfen und Abspaltungen der Antideutschen kommt ja niemand mehr mit. Nur soviel ist ausgemacht: Der Freiburger und der Initiative Sozialistisches Forum nahestehende Verlag lässt auf der Mittelmeerinsel Malta drucken.
(9) Die Antideutschen wollen mit der Bourgeoisie ins Bett. Deswegen müssen sie ihre Vaterfigur - die Linke - ermorden. Denn die sieht das nicht so gern (weil sie sich selbst ins gemachte Nest legen will, aber auf anderem Wege). So zumindest die vulgärfreudianische Erklärung, die dem Niveau der Debatte gerecht wird.
(10) Und wer die Jungle World abonniert, bekommt es geschenkt!
(11) Er zitiert an dieser Stelle zustimmend die indische Junge Freiheit-, Spiegel- und FAZ-Autorin Arundhaty, Roy.
(12) Das folgende wird "Materialismus" genannt, weil Schuhler es mit Zahlen und Zitaten zu belegen und zu analysieren versucht. Dies geschieht natürlich auch ressentimentgeladen, einiges davon dürfte aber für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema und als Ergänzung zu den Leerstellen der beiden anderen Bücher trotzdem sinnvoll sein.
(13) Als Beleg für das Verschweigen amerikanischer Kriegslügen werden die großen deutschen Zeitungen, allen voran die Süddeutsche Zeitung, zitiert, die eben jene ja permanent ausplaudern. Dieser Widerspruch scheint Schuhler aber genauso wenig aufzugehen wie der, dass er einerseits die Konstruktion der europäischen Identität in den deutschen Medien beklagt und andererseits die gleichen Medien als wichtigste Quelle für Argumente gegen die USA benutzt. Das passt in sein Weltbild, nach dem Habermas Recht mit seiner Kritik an den USA hatte, nur Unrecht mit dem europäischen Eigenlob (84), in dem es also kein Antiamerikanismus, aber sehr wohl Euro-Nationalismus gibt.
(14) "Bei der Verteilung und Umverteilung geopolitischer Positionen und weltweiter wirtschaftlicher Ressourcen gilt das Faustrecht; kleinere Fäuste haben die derzeit größte Faust zu respektieren."
(15) Z.B. Michael Hahn, Thomas Haury, Christian Stock, Bernhard Schmid und Wolf-Dieter Vogel.
(16) Er führt auch ins Feld, dass die deutsche Linke alle, auch die "deutschen Eliten", als Faschisten bezeichnet hat - und deswegen z.B. die Sprüche "USA - SA - SS" und "USA - Internationale Völkermordzentrale" nicht unbedingt antiamerikanisch sein müssten, sondern eine Form der damaligen revisionistischen Dramatisierung (34 ff). Dagegen sprechen andere Beispiele, die im gleichen Aufsatz zitiert werden. So begründete die RAF einen Anschlag auf die US-Armee imzu 16 Jahr 1972 mit dem "Genocid [...] Völkermord [...] Auschwitz" in Vietnam. Die Deutschen wären dagegen, denn sie hätten "Auschwitz, Dresden und Hamburg nicht vergessen". Später schrieb die RAF von der "Kolonialisierung" Deutschlands nach 1945 (39f).
(17) Wer hätte gedacht, dass in der BUKO-Zeitschrift alaska von der kriegslüsternen "jüdischen Lobby" der USA geschrieben werden darf oder dass Robert Kurz der Conrad Schuhler unter den KrisentheoretikerInnen ist (79f)?
(18) Neben den HerausgeberInnen sind das amerikanische und israelische WissenschaftlerInnen sowie Stefan Ripplinger, Bernd Beier, Gerhard Scheit, Stephan Grigat, Uli Krug u.a.
(19) Der Beitrag von Stefan Ripplinger "Der Schatz im Silbersee" über den Antiamerikanismus in den Werken Karl Mays behauptet diese Kontingenz - trotz der ungebrochenen Beliebtheit des Indianerkitschs bis heute - selbst nicht.
(20) Auf die Theorien der drei wird direkt im Buch eingegangen: auf Seite 150 und 234.
(21) Damit sind die StudentInnen und WissenschaftlerInnen des Fachs gemeint und nicht der Menschenschlag, den sich Anti-AmerikanerInnen gerne halluzinieren, um sich umso besser davon abgrenzen zu können.
== Mark Schneider (Der Autor ist Mitglied im bgr Leipzig) ==
[Nummer:11/2004 ]
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gruß
proxi
Bashing statt Spenden
Von Claus Christian Malzahn
Hurrikan Katrina forderte Hunderte Menschenleben, richtete Milliardenschäden an. Doch statt Anteilnahme und Spendenaufrufen hören die Amerikaner aus Deutschland vor allem Häme und Belehrungen. Das transatlantische Verhältnis steuert auf seinen beschämenden Tiefpunkt zu - schuld daran ist die amtierende Regierung.
Berlin - Fürs Protokoll: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern US-Präsident George Bush zur Hurrikan-Katastrophe kondoliert. Der Kanzler versicherte, er und seine Landsleute empfänden "großes Mitgefühl für das Schicksal der vom Hurrikan betroffenen Menschen".
Vielen Dank auch. Das war's dann. Keine finanziellen Hilfszusagen, null Sofortmaßnahmen, nach Tagen dann ein zögerliches Hilfsangebot des deutschen Innenministers. Das Krisengebiet liegt ja auch nicht in der Dritten Welt, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika. Tatsächlich kann die deutsche Helferarmee, gestählt in Einsatzen vom Kosovo bis nach Afghanistan, diesmal zu Hause bleiben, weil die US-Behörden die Lage im Griff haben, so gut es eben geht.
Aber deutsche Hilfsgelder an amerikanische Hilfsorganisationen wären auf der anderen Seite des Atlantiks sicher willkommen. Offenbar glaubt man hierzulande, dass die Amerikaner unser Geld nicht brauchen. Merkwürdig: Dieselben Leute, die sonst immer die neue Armut, die Ghettos und die Slums in den USA beweinen, wenn sie die Vereinigten Staaten als gnadenlosen Monsterkapitalistenstaat beschreiben, sind jetzt, wo Hilfe wirklich gefragt ist, ganz still.
Offenbar haben die Amis doch selber schuld: "Der amerikanische Präsident verschließt die Augen vor den wirtschaftlichen und menschlichen Schäden, die seinem Land und der Weltwirtschaft durch Naturkatastrophen wie Katrina, also durch unterlassenen Klimaschutz, zugefügt werden." Sagt wer? Sagt Jürgen Trittin, Bundesumweltminister, der Mann, der findet, dass wir alle zuviel Auto fahren, der unser Land mit Windmühlen übersät und mit dem Dosenpfand gesegnet hat.
In einem Moment, wo im Süden der USA die Leichen noch nicht gezählt sind, fällt dem deutschen Umweltminister nichts anderes ein, als dem amerikanischen Präsidenten in einem von der "Frankfurter Rundschau" veröffentlichten Aufsatz zu bescheinigen, dass die USA letztlich selbst schuld seien an dieser Katastrophe. 3931 Zeichen ist der Text lang, kein Buchstabe des Bedauerns ist darin zu finden. Mit dieser kühlen, hämischen Grundhaltung steht Trittin nicht alleine da. Auch die Berichterstattung der meisten deutschen Medien zielt in diese Richtung: Hätte George W. Bush mal auf Onkel Jürgen gehört und in Kyoto das Protokoll unterschrieben, dann wäre das nicht passiert.
Bullshit. Trittins Text ist ein Schlag in das Gesicht aller Opfer. Nehmen wir mal an, der Umweltminister hätte recht, und es gebe den behaupteten Zusammenhang zwischen Treibhauseffekt und Hurrikan Katrina - dann wäre zur Zeit kaum die Stunde, im deutschen Wahlkampf wieder US-Bashing zu betreiben und den Finger nach Washington zu richten. Vor drei Jahren verglich Hertha Däubler-Gmelin kurz vor der Wahl den amerikanischen Präsidenten mit Adolf Hitler - diesmal nutzt der deutsche Umweltminister die gute Gelegenheit einer Naturkatastrophe, um einen etwas subtileren Antiamerikanismus unters Volk zu bringen und sich nebenbei noch mal ordentlich auf die Schulter zu klopfen: "Ein 'Kyoto zwei' wird dringend gebraucht", lautet die Überschrift seiner gefühllosen Streitschrift.
Es gibt namhafte Wissenschaftler und Nobelpreisträger, die das Problem globaler Erwärmung ganz anders sehen als Jürgen Trittin. Viele halten die Bekämpfung von Aids, Hunger, Malaria auf der globalen Prioritätenliste für wesentlich wichtiger als die Verringerung des CO2-Ausstoßes, und diese Leute, die das im vergangenen Jahr in einer Erklärung namens "Kopenhagener Konsens" deutlich gemacht haben, stehen wirklich nicht auf der Payroll der texanischen Ölindustrie. Aber darum geht es jetzt auch nicht. Jetzt geht es um Mitgefühl mit den Menschen im Süden der USA, die von einem Jahrhundertsturm gestraft wurden. Für den können sie nichts. Die Deutschen konnten allerdings eine Menge für den Zweiten Weltkrieg - trotzdem regnete es anschließend Care-Pakete aus den USA. Trittins Besserwisserei ist deshalb nicht nur geschmacklos - sie ist auch geschichtsvergessen.