686868BRIEF AN EINEN ACHTUNDSECHZIGER68686868
Seite 1 von 3 Neuester Beitrag: 30.01.06 20:04 | ||||
Eröffnet am: | 28.06.03 11:43 | von: proxicomi | Anzahl Beiträge: | 54 |
Neuester Beitrag: | 30.01.06 20:04 | von: prochsikomi | Leser gesamt: | 3.582 |
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von Maximilian Ohl
Lieber Onkel Jo;
ob und wie du euer 35-Jähriges, die Entdeckung des Bewusstseins eurer Generation, eure Revolution oder wie du es nennen magst, feierst Wann macht man denn das eigentlich? Zum Jahrestag des Dutschke-Attentats? Des Vietnam-Kongresses? Des Notstandsgesetze-Sternmarsches? -, weiß ich nicht. Vielleicht mit ein paar Kumpels von damals in der Kneipe, vielleicht zu Hause vor der Glotze, wo man jetzt so schön den chirurgischen“ Bomben beim Knallen zugucken kann, vielleicht in der Tennis-Kantine, zu der ihr so gerne in euren Cabrios gondelt, wenn wieder einmal ein Arbeitstag in der Schule, im Amt oder im Professorenzimmer vorbei ist? Ich weiß es nicht, du hast auch seit Jahren nichts mehr von dir hören lassen, aber ich hoffe, ihr genießt es in vollen Zügen. Ich gönne euch eure gerade zu solchen Jubiläen meist mit leichten Spurenelementen von Larmoyanz versetzte Gespreiztheit, weil ich selbst gerne wehmütig an meine Jugend zwischen Challenger-Katastrophe und Einigungsvertrag zurück denke. Und auch wenn und vielleicht gerade weil wir ja alle nicht wissen, wie das bei euch damals wirklich war und ihr deshalb immer leicht mürrisch werdet, wenn einer über eure Erzählungen den Kopf schüttelt, habe ich Verständnis für euch, vielleicht mehr, als ihr es immer hattet, wenn sich Opa früher auf ähnliche Weise versucht hatte, sich euren Diskursen über seine Jugend zu entziehen. In letzter Zeit seid ihr ja immer so verbiestert, ganz anders als damals, als ihr uns noch mit leuchtenden Augen über das Kommunardenleben und die Stadtguerilla erzählt habt.
Es tut mir Leid, dass ihr an Tagen wie diesen oft so alleine seid und meist unter euch bleibt. Versteht es nicht als Undank, aber eurem Durchblick, eurem scharfen Verstand, eurer überlegenen Moral konnte und kann leider nun mal keiner mehr von uns Nachgekommenen das Wasser reichen, und da fühlen sich leider so viele von uns schuldig oder minderwertig.
Immerhin haben wir in dieser Hinsicht gegenüber unseren Großeltern dazu gelernt, die hatten sich ja bis zuletzt immer der Konfrontation mit ihrer eigenen Schuld verweigert und trotzig an dem Bild festgehalten, das sie von ihrer Jugend gewonnen hatten, anstatt sich von euch leider zu spät Gekommenen pflichtschuldigst darüber aufklären zu lassen, wie es wirklich war.
Zwar hatten, wie ihr uns gerne belehrt, viele von ihnen die gerechte Strafe für ihre unsühnbaren Verbrechen bekommen: Die Mörder in Uniform, die an der Front oder in der Gefangenschaft verreckten, die mit dem Kainsmal geborenen Nazi-Kinder ja, irgendwie schlummerte auch in euch schon immer eine religiöse Ader -, die durch Bomben oder die Gewehrläufe der Sieger sterben mussten, die vielen schuldigen Mütter, deren verklemmter Sexualmoral die Rote Armee beizeiten auf die Sprünge half oder die Vertriebenen, die bekanntlich Dem Herrgott? Den Siegern? Oder beiden? Oder ist das das Selbe? dafür dankbar sein mussten, dass man sie nur vertrieben hatte. Aber es waren ja noch einige übrig geblieben, und anstatt anständige Trauerarbeit zu leisten, hatten sie ihre Energien auf den Wiederaufbau gerichtet und euch in eine Kindheit in Demokratie und Wohlstand gezwungen. Damit hatten sie euch aber die Chance genommen, vorzuführen, wie man Widerstand hätte leisten können, denn irgendwie schienen zu viele den Eindruck gewonnen zu haben, Opposition in der Bundesrepublik Deutschland und Opposition im Dritten Reich wären nicht ganz das Selbe. Und ich bin mir nach dem, was ich gelernt habe, nicht allzu sicher, dass eure Eltern noch in der Lage gewesen wären, nach 20 Semestern einen Studienabschluss machen und an Universitäten, in Redaktionsstuben oder Behörden die Karriereleiter hoch steigen zu können, hätten sie zu ihrer Zeit versucht, dem Gröfaz und seiner Gang mit Sit-ins und Tastkinos den Diskurs über Feminismus und die Notwendigkeit eines kontinentaleuropäischen Kong aufzuzwingen. Gut, Letzteren gab`s ja auch noch nicht.
Es war aber trotzdem allererste Sahne, wie ihr es denen gegeben hattet, diesen Tätern, die es gewagt haben, in einer zu allem entschlossenen Diktatur die Fresse zu halten und einfach nur zu versuchen, zu überleben.
Im Schulalter sind mir in diesem Zusammenhang ja auch oft so manche dummen und unreifen Gedanken gekommen. Denn da haben wir gelernt, dass Pauschalurteile und Voreingenommenheiten eigentlich ziemlich Scheiße sind, und dass trotzdem viele Leute so etwas haben würden, zum Beispiel gegen Gastarbeiter oder so. Ich kannte zwar damals weder Gastarbeiter noch Leute mit Vorurteilen gegen diese persönlich, aber mir leuchtete das irgendwie ein, dass es natürlich Quatsch ist, Menschen kollektiv wegen irgendwelcher Eigenschaften oder ihrer Herkunft anzumachen und ich hätte dies deshalb auch nie im Leben gemacht. Denn wir hatten nur allzu oft zu Hause, in der Schule und überall sonst gehört, dass alle Menschen gleich und vor allem gleich viel wert seien, und irgendwie war das für uns auch selbstverständlich. Den wer sollte denn auch und vor allem mit welchem Recht sollte er entscheiden, dass die einen weniger wert sein sollen als die anderen?
Dass ich das nicht ganz richtig sehe, musstet ihr mir dann erst vor Augen führen. Denn als ich euch euer Deutschland verrecke“ brüllen hörte, wenn die Veteranen am Volkstrauertag ihrer gefallenen Schulfreunde und Verwandten gedachten und ihr mir erklärt hattet, dass unsere Großeltern, die um Haaresbreite Krieg und Vertreibung überlebt hatten, deutsche Täter“ und keine Opfer wären und kein Mitleid verdient hätten, da fiel mir immer ein, dass wir gelernt hatten, dass es eigentlich die Nazis waren, die immer gesagt hatten, dass das Schicksal dem Stärkeren immer Recht geben würde und der Schwache kein Mitleid verdiene. Für einen Moment meinte ich tatsächlich, ihr wärt mit solchen Sprüchen kaum einen Deut besser. Ich bin euch dankbar, dass ihr mich dann immer gleich aufgeklärt hattet, dass solche Gedanken eine Verharmlosung“ der Nazis darstellen und deshalb wirklich mega Scheiße sind, denn schließlich seien ja die Deutschen“, und einem solchen Wortlaut nach sind das ja ausnahmslos alle, an allem schuld, also auch Oma und Opa, und wer dann meint, auch ihnen sei Unrecht widerfahren, der spiele damit automatisch die Nazi-Verbrechen herunter.
Wenn ihr hingegen zu eurer Zeit Adenauer oder Schmidt oder zu unserer Zeit Kohl und Dregger oder Schönhuber mit Hitler oder Goebbels verglichen hattet, dann war das auch wenn wir in der BRD der 80er-Jahre nicht im Entferntesten etwas von einer autoritären Staatswillkür bemerkt hatten - natürlich keine Verharmlosung, sondern der Ausdruck einer besonderen Sensibilität und eines besonders kritischen Bewusstseins. Denn immerhin war immer Wachsamkeit geboten, habt ihr uns erklärt, egal ob es jetzt um Fragen des Asylrechts oder des Bildungssystems oder um die Abtreibung oder auch nur um das Aufstehen bei der Nationalhymne ging, zu dem uns unsere Großeltern anhielten. Immer roch es für euch nach Nazis, wenn euch eine Meinung nicht gepasst hatte, und immer wenn ihr diese Keule ausgepackt habt, dann war es immer, um zu warnen und nie, um zu verharmlosen. Auch wenn ich nicht immer wirklich verstanden habe, wann nun genau ein Nazi-Vergleich kritisch ist und wann verharmlosend, freue ich mich des Privilegs, einer Generation angehören zu dürfen, der von den richtigen Leuten gesagt wird, was zu tun ist und wie das Denken zu funktionieren hat, nämlich von euch. Denn wer so lange studiert, so viele Texte geschrieben und dabei so viele Fremdwörter verwendet hat, der muss doch was auf dem Kasten haben. Und das hat wohl in eurem Fall auch nichts mit Autoritätshörigkeit zu tun, sondern mit Vertrauen.
Vielleicht sind wir euch auch wirklich zu wenig dankbar für das, was ihr erkämpft habt. Ihr habt eure maßgeschneiderte Rolle als gute Gouvernanten verinnerlicht. Ohne euch keine Pille ohne Trauschein, ohne euch keine Joints im Schülerlandheim, ohne euch keine Selbsterfahrungsyoga, keine Sühnezeichen-Dienste, keine hoch subventionierten Asphaltliteraten, deren Werke bisweilen in Stil und Inhalt eine gemessen an eurem individualistisch-emanzipatorischen Anspruch doch auffällige Parallelität aufweisen.
Und ohne euren heroischen Kampf gegen Prüderie, Patriarchat und postfaschistischen Konsens müssten Hunderttausende Jugendliche wohl in ihrer Freizeit heute Popel schnipsen, Backgammon spielen oder Hauptmann lesen, anstatt mit 13 aus Erfahrung über Sex quatschen oder mit 14 im Vorstand des örtlichen Schülerkomitees gegen Rechts sitzen zu können.
Aber Undank ist der Welten Lohn. Und so musstet ihr nicht nur schweren Herzens zusehen, wie sich viele eurer Kinder von eurem selbstbeweihräuchernden Apo-Gelaber nicht nur genervt fühlten, sondern vermehrt auch in dem Moment, wo nicht mehr die Tätergeneration“, sondern ihr selbst die Bestimmenden wart, Dinge wie Toleranz, das Recht auf Kritik und Selbsterfahrung oder auf den eigenen Lebensentwurf, kurzum all das, was ihr für euch reklamiert hattet, für sich nun von euch verlangten.
Und da passierten schlimme Dinge. Da gab es Leute, die jünger waren als ihr und die sich über die Wiedervereinigung freuten, anstatt die Teilung als gerechte Strafe für deutsche Schuld“ zu akzeptieren, wie ihr es ihnen beigebracht hattet.
Da gab es Typen, die beim deutschen Gewinn der Weltmeisterschaft gejubelt haben, statt sich vor dem aufkeimenden Neofaschismus zu fürchten, die lieber nach dem Abi Geld verdienen wollten als lange Jahre auf den Campus zu gehen, um Theorien über Sozialismus und Emanzipation zu diskutieren. Und da gab es Leute, die lieber mit Frau und Kindern aufs Land ziehen wollten als in karg eingerichteten WG-Kojen wurmstichiger Altbauhäuser der befreiten Sexualität zu huldigen. Mittlerweile drängt es sogar immer mehr Homos von denen ihr immer gedacht hattet, das wären welche von euch ins bürgerlich-reaktionäre Zwangskorsett der Ehe und Familie: Undankbare Nattern und Hyänen also, so weit das Auge reicht, die den Älteren den ihnen gebührenden Respekt versagen. Ihr Tabubrecher der Alten von Gestern musstet nun selbst erfahren, wie ihr selbst zu Alten geworden wart, die Tabus aufgezogen hatten, die nun in Frage standen.
Oft muss ich jetzt, wo es wieder wärmer wird, an den Grillabend auf Marthas Sitzterrasse denken, als die nach dem ersten Weinschoppen beim Anheizen von der sexuellen Revolution“ zu schwärmen begann und davon, wie damals die dummen deutschen Spießer aufgemischt wurden, und mein Schulkumpel Mischa nichts Besseres zu tun hatte, als danach bei den fertigen Buletten vor der gesamten Mannschaft damit zu prahlen, beim letzten Mal die Reps gewählt zu haben. Ich glaube, da müssen wir mal reden“, hattest du damals mit verfinstertem Gesichtsausdruck gesagt, viele hatten es plötzlich eilig, zu gehen, und während du uns dann bis in die frühen Morgenstunden vollgelabert hast, wurde Martha ganz still und führte einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen den Inhalt mehrerer Cognac-Flaschen, den sie nach mehreren Stunden verlor.
Und obwohl Mischa am Ende zerknirscht gelobte, es nie wieder zu tun, und jener SDS der "runter89er“, der euch damals über eine ganze Weile hinweg zur Weißglut getrieben hatte, schon wenige Jahre später den Bach runter ging, fiel mir auf, dass es eines der letzten Male gewesen war, wo man miteinander GEREDET hatte. Irgendwann in den 90ern hatte man sich dann nur noch angeschwiegen, und nicht nur das. Man hat nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander geredet. Wo es euch nicht gelang, eure Kinder zu bekehren, seid ihr ihnen in den Rücken gefallen, wie ihr es bereits bei euren Eltern getan hattet. Als man plötzlich lange zugesagte Praktika nicht bekam, in den Seminaren von den interessanten Themen ausgesperrt blieb und einen die Vorzimmerdame jedes Mal anglotzte, als hätte sie zwei Stunden zuvor ihren Ehemann mit der Schwester, oder eher noch mit einem selbst im Bett erwischt, da erfuhr man eines Tages über mehrere Ecken, dass jemand anonym an diversen Stellen gegen einen Stimmung gemacht hätte von wegen Radikaler und Fascho und so.
Je stärker der Zahn der Zeit die Institutionen von eurem damaligen Feindbild, der Kriegsgeneration gesäubert hatte und je konsequenter die freien Plätze mit euresgleichen aufgefüllt wurde, umso mehr habt ihr gezeigt, dass auch so friedliche und tolerante Leute wie ihr nicht frei von jenem gerechten Zorn sind, der die Aufrechten befällt, wenn es darum geht, das Gute zu lehren und wenn die antiautoritären Mittel der Erziehung dabei versagen. Denn wer wie ihr der grundsätzlichen Erziehbarkeit des Menschen stets einen so überragenden Stellenwert beigemessen hat, der muss eine Verweigerung der Annahme des mühevoll Gelehrten doch geradezu auch als einen Angriff auf die persönliche Ehre verstehen.
Nachdem die puritanischen Zeloten der Gutmenschen-Moral in Form der autonomen Antifa“ im Widerstreit gegen das Böse schon längst das dereinst von euch vehement bekämpfte erzieherische Züchtigungsrecht wieder entdeckt hatten und fortan gegenüber Abweichlern für sich beanspruchten, ist euch spätestens in dem Moment, wo ihr allein das Establishment wart, plötzlich der Wert jener Einrichtungen auf institutioneller Ebene aufgegangen, gegen die ihr in jüngeren Jahren immer als angebliche Ausdrucksformen eines faschistischen Staats gewettert hattet. Hattet ihr noch in der Hochblüte der RAF, als immer wieder mal ein Kapitalistenschwein“ unter johlender Anteilnahme der Sympathisantenszene publikumswirksam platt gemacht“ wurde, für die Abschaffung des gesamten politischen Strafrechts plädiert, so fordert ihr nun Unnachgiebigkeit und stählerne Härte bereits gegen spätpubertäre Suffköppe, die um vier Uhr morgens dumme Parolen durch die leere Fußgängerzone grölen, die viele von ihnen ohne eure ständige Aufarbeitung der Vergangenheit“ gar nicht mehr kennen würden. Waren euch einst Berufsverbote“ gegen kommunistische Briefträger ein Gräuel, würdet ihr nun die öffentlichen Institutionen am Liebsten selbst von ehemaligen Mitgliedern rechter Parteien säubern. Und selbst am publizistischen Stil der Springer-Boulevardpresse, dereinst bei Böll mit Katharina Blum“ zu literarischen Ehren gekommen, habt ihr mittlerweile Gefallen gefunden. Denn die Medienhatz gegen Faschisten“ ist schließlich keine Menschenjagd gegen anders Denkende, sondern da Faschismus“ bzw. das, was ihr darunter versteht, ja keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen ein Akt der vorpolizeilichen Aufklärung und Fahndung, eine Art XY-Surrogat für die Wahrer der von euch bestimmten Verfassungswirklichkeit.
Ich will euch eure Feierlaune nicht versauen. Ich will auch nicht selbst in die Rolle des Durchblickers schlüpfen, der alles besser wissen würde als die Alten, die füllt ihr seit jeher besser aus als ich es jemals könnte. Aber eines steht für mich fest: Ihr seid im Laufe der Jahre selbst zu dem geworden, was euer Wortführer Dutschke einst als bürokratische Charaktermasken“ gescholten hatte - autoritäre Tugendwächter und gestrenge Zuchtmeister, die mit der Rute in der Hand das Seelenheil der Menschheit gegen die Sünde der Ketzerei behaupten. Ich weiß, ich weiß: Eure Obrigkeitsfixierung, Eure Sittenstrenge dienen schließlich einem guten Zweck, sie soll dem Menschen helfen, sich zu emanzipieren und von den Zwängen zu befreien, die ihn von seinen wahren Bedürfnissen entfremden. Und diese zu erkennen und zu definieren sind nur durch Tausende WG-Nächte theoretisierenden Gelabers über Patriarchat und Proletariat gestählte akademische Eliten aus dem Bereich der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften fähig. Wo deren Herrschaft im Sinne des Guten ausgeübt wird, hat sich eure ehemalige Forderung nach einem herrschaftsfreien Diskurs“ natürlich überlebt. Die Folge ist leider, dass ihr in Folge der hermetischen Abschottung eures erlauchten Bewusstseins von störenden Einflüssen von außen bei gleichzeitig steigender Unduldsamkeit gegenüber falschen“ Auffassungen zwangsläufig immer mehr unter euch bleiben werdet. Und das lässt mich auch befürchten, dass ihr euer 35-jähriges Jubiläum meist nur im eigenen Saft schmorend begehen werdet.
Wir Nachgekommene hingegen müssen mit der Bürde leben, nicht so gut zu sein wie ihr, nie euren weiten Erkenntnishorizont und eure intellektuelle Stufe erreichen zu können und immer in eurer Schuld zu stehen für all das, was ihr erreicht habt. Vielleicht ist diese Erkenntnis einer jener Gründe für den Narzissmus, die Selbstbezogenheit und die Weigerung weiter Teile meiner Generation, erwachsen zu werden. Vielleicht sind Stefan Raab, Die Camper“ oder Ballermann 6“ Fluchtpunkte in einer Welt, die zu erklären ihr das Monopol erkämpft habt und die ihr durch Tabus und Denkverbote gegenüber potenziellen Eindringlingen aus den Generationen vor und nach euch vermint habt. Vielleicht ist die infantilistische Spaßgesellschaft unserer Tage deshalb auch eine Art der Subversion einer ernüchterten Generation“ (Sängerin Kate Ryan) gegenüber der repressiven Sauertöpfigkeit eurer allumfassenden Definitionshoheit. Ihr habt uns verboten, gegenüber unseren Großeltern, unserem Land, gegenüber den Traditionen und Wertvorstellungen, die Generationen vor euch hochgehalten haben, Dankbarkeit und Respekt zu empfinden. Deshalb nehmen sich viele von uns die Freiheit, diese Dankbarkeit und diesen Respekt nun auch euch zu verweigern.
Gruß, Max
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gruß
proxi
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Die "Linkspartei" und ihre wirklichen Sorgen
Mehr als vier Millionen Deutsche wählten im September die "Linkspartei" - hauptsächlich aus Protest gegen den Sozialabbau. Was aber macht die von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine geführte Fraktion im Bundestag? Als erstes stellte sie im Oktober Anfragen zu Skinhead-Musik, "Ausländerfeindlichkeit", "Rechtsextremismus" und - besonders pikant - zur "Zahl der Todesfälle an den Grenzen Deutschlands und der EU". Die Recherche gilt nicht etwa den Mauertoten, die die zur "Linkspartei" mutierte SED zu verantworten hat, sondern den illegal nach Europa und Deutschland drängenden Schwarzafrikanern.
Die Wähler der "Linkspartei" würden sich wundern, wüßten sie, daß die angeblichen Sachwalter ihrer Sozialansprüche hauptsächlich daran interessiert sind, noch mehr Scheinasylanten ins Land zu lassen. Jeder Euro läßt sich nur einmal ausgeben - entweder für Einheimische oder für Ausländer. Welche Variante die "Linkspartei" bevorzugt, ist bereits nach wenigen Tagen der Parlamentsaktivität deutlich geworden.
ds, welches "rattenpack" meinst du denn????
die nazis haben juden auch mit tieren verglichen, bist du ein nazi?
Versackt in der Mittellage
Von Hubert Kleinert
Selten hatten die Grünen eine so schlechte Woche wie diese. Im politischen Eiertanz um den BND-Ausschuss kommt ein grundsätzliches Dilemma zum Ausdruck: Die Partei hat den Abgang von Joschka Fischer nicht verkraftet - und sucht noch immer ihre Rolle in der Opposition.
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Frankfurt - Eine putzmuntere grüne Opposition würden sie sein, frisch und frech und ohne falsche Rücksicht auf frühere Koalitionspartner. So jedenfalls hatten es Künast, Kuhn und Co vergangenen Herbst versichert, als nach kurzem Jamaika-Wetterleuchten die Weichen für die Große Koalition in Berlin gestellt wurden. In der Mitte zwischen Marktradikalismus und Linkstraditionalismus sollten die Grünen künftig treibende Kraft der parlamentarischen Opposition werden. Den Abgang des großen Zampano Fischer werde man schnell verschmerzen, ohne Scheuklappen bald auch neue politische Möglichkeiten prüfen. Die grünen Handlungsoptionen würden erweitert, definitive Festlegungen nur auf die rot-grüne Karte gälten dabei nicht mehr.
DPA
Joschka Fischer: Charisma war gestern
Von derlei grüner Munterkeit ist bislang wenig zu spüren. Im Gegenteil: Soweit die Grünen öffentlich überhaupt in Erscheinung treten, hat das derzeit meist mit Vergangenheitsbewältigung einer Regierungspartei zu tun. Eine Vergangenheitsbewältigung, die anscheinend schwer fällt: Denn dass die Partei ihre neue Rolle in Berlin schon gefunden hätte, lässt sich angesichts ihrer verbalakrobatischen Salti um einen möglichen BND/CIA-Untersuchungsausschuss gewiss nicht sagen. Erst oppositionspopulistisch an die Spitze der vermeintlichen Bewegung drängen, dann erkennen, dass man da womöglich auch gegen sich selbst ermitteln müsste, um deshalb dann schließlich den Schwanz einzuziehen - ungeschickter geht's kaum. Warum tun sie sich so schwer, die Grünen?
Nach verbreiteter Meinung im Lande war der Start der Großen Koalition so schlecht nicht. Angela Merkel schwebt im Umfragehoch, die Genossen reklamieren ihre Kernkompetenz bei den sozialen Reformthemen und selbst die wirtschaftlichen Zukunftsprognosen sehen leicht verbessert aus. Sicher ist es nach zwei Monaten viel zu früh, von Trendwenden zu sprechen oder sichere Urteile über die neue Regierung auch nur zu versuchen.
Keine Tränenbäche für Rot-Grün
Eines allerdings lässt sich mit Sicherheit doch schon sagen: Die zur Ära und "Machtübernahme der Achtundsechziger" hoch gejazzte rot-grüne Zeit ist erstaunlich geräuschlos schlicht vergangen. Kein Kulturkampf, auch nicht umgedreht, keine Rückwende, allenfalls ein bisschen Gepolter über energiewirtschaftliche Vernunft von Kernkraftwerkslaufzeiten. Dass der Regierung Schröder/Fischer irgendwo im Lande große Tränenbäche nachgeweint würden, wird niemand behaupten können. Fast erleichtert scheint derzeit eine Mehrheit der Deutschen, dass sie diese Regierung hat und keine andere.
Hubert Kleinert, 51, ist Professor für Politikwissenschaften an der Fachhochschule für Verwaltung des Landes Hessen in Wiesbaden. In den achtziger Jahren zählte er zu den ersten Bundestagsabgeordneten der Grünen und war Landesvorsitzender in Hessen. Er galt als Vertrauter Joschka Fischers und als Vordenker des rot- grünen Projekts.
Jedenfalls deutet vieles daraufhin, dass es die Opposition längst nicht so leicht haben wird wie manch einer das letzten Herbst voraussehen mochte. Es gibt jedenfalls keinen Effekt, der den Oppositionsparteien in einer Großen Koalition automatisch gute Karten bescherte. Schon gar nicht in einer Zeit, die nach dem langjährigen Eindruck von allzu viel Gewurschtel und "Muddling through" mindestens unterschwellig den Wunsch nach unspektakulärer Handlungsstärke und Gestaltungskraft ansteigen ließ. Insoweit erinnert der Start der Großen Koalition doch ein wenig an die Zeit ihrer Vorgängerin in den Sechzigern, die ja anders war, als sich das im historischen Gedächtnis der Bundesrepublik festgesetzt hat.
Treffen die Folgen davon mehr oder weniger alle drei Oppositionsparteien gleichermaßen, so haben die Grünen zusätzlich mit weiteren Handicaps zu kämpfen. Der putzmunteren Opposition steht zunächst die eigene jüngste Vergangenheit im Wege: Als langjährige Regierungspartei können sie nicht einfach einen Schalter rumdrehen und munter drauflos opponieren, weil eben doch vieles mit dem jedenfalls zu tun hat, was sie eben selbst noch zu verantworten haben.
Jämmerliche Rolle in der Opposition
Jede ehemalige Regierungspartei braucht ihre Zeit, um sich als Opposition neu zu sortieren und zu einer neuen Glaubwürdigkeit zu finden. Das gilt nicht zuletzt auch für die mentale Befindlichkeit der Akteure selbst. Wer glaubt, so etwas ließe sich durch hektischen Aktivismus überspielen, belügt sich selbst und wird sich damit einen Bärendienst erweisen. Die eher jämmerliche Rolle der Grünen im Streit um den Untersuchungsausschuss zeigt genau das in aller Deutlichkeit.
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Die Grünen - Regeneration durch Opposition?
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118 Beiträge,
Neuester: Heute 13.53 Uhr
von panda
War es schon deshalb reichlich verwegen, im letzten Herbst eine umgehende Führungsrolle in der Opposition anzukündigen, so verschärft sich das grüne Problem noch durch weitere Besonderheiten politischer wie personalpolitischer Art. Politisch mag man sich ja grün-intern in der Mitte zwischen angeblich marktradikaler FDP und linkstraditionalistischer Linkspartei genau richtig positioniert fühlen; für die politische Profilierung einer kleinen Oppositionspartei taugt diese Mittellage erst einmal nicht besonders gut.
Da hat es die Oppositionskonkurrenz leichter: Die FDP kann mangelnden wirtschaftsliberalen Reformeifer dieser Regierung monieren und sich dabei in voller Übereinstimmung sehen mit einer gesellschaftlichen Rollenzuweisung, die durchaus Sinn macht. Die Linkspartei kann anders herum genau dasselbe tun und agiert damit genauso auf dem sicheren Boden einer Bindung an relevante gesellschaftliche Minderheiten.
Aber was ist in dieser politischen Konstellation die Rolle der Grünen? Bei einer politischen Agenda, wo die Fragen der künftigen Entwicklung von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Sozialstaat alles andere weit überragt? Mag ja sein, dass manch grünes Konzept klug überlegt ist (obwohl auch das nicht immer stimmt), aber: Wer wird es denn wahrnehmen? Und wen vertreten die Grünen damit?
Nein, die Lage der Partei kann bei dieser Oppositionskonkurrenz und einer mittigen Regierungspolitik, die neuerdings das Soziale stärker herausstreicht, komfortabel gar nicht sein. Es sei denn, die Union wollte demnächst ein umweltpolitisches Rollback und eine neue politische Schlacht ums Atom ausrufen. Aber danach sieht es nicht aus.
Künast wird nie wie Fischer
Auch der Abgang von Solofrontmann und Live-Rock'n-Roller Fischer muss die Grünen mehr beschweren, als sie selbst das gerne wahrhaben wollen. Dabei ist es gar nicht so sehr Fischers öffentliche Rolle und Popularität. Die Öffentlichkeit gewöhnt sich an neue Gesichter vergleichsweise schnell. In Wahrheit schwieriger zu bewältigen ist Fischers Rückzug nach innen, weil er natürlich das interne Machtgefüge verändert und dieses immer Rückwirkungen hat auf die politische Handlungsfähigkeit einer politischen Partei.
Das verschärft sich bei den Grünen noch dadurch, dass die Partei noch immer wenig Übung hat mit der Führung durch eine überragende Spitzenfigur und Fischer diese Führung in einer Weise ausgeübt hat, die in ihrer informellen wie zugleich höchst realen Form gar nicht ersetzbar sein kann. Denn Fischers Macht und Funktion war parteiintern - ganz im Sinne Max Webers - ihrem Wesen nach "charismatische Herrschaft". Ausstrahlung, Machtwille und Erfolg der Person ihre entscheidenden Legitimationsressourcen. Charismatische Herrschaft aber ist nicht übertragbar, weshalb Organisationen für gewöhnlich immer in Nachfolgekrisen geraten, wenn charismatische Führer abtreten.
Selbstverständlich ist die Tektonik der innerparteilichen Macht mit Fischers Abgang in Unordnung geraten. Das kann gar nicht anders sein. Denn damit ändert sich auch die Stellung aller anderen im innerparteilichen Machtgefüge. Wer jetzt zählt und wie viel, wer unbedingt gefragt werden muss, wer vielleicht nicht unbedingt - das alles muss sich erst einspielen, womöglich auch noch ausgekämpft werden.
Frau Künast mag den größten Ehrgeiz mitbringen, vielleicht auch am ehesten in Betracht kommen, eine Art "prima inter pares" zu werden. Eine derart unangefochtene Stellung wie Fischer aber hat sie nicht und wird sie nicht bekommen. Also wird im Macht- und Entscheidungsgefüge eine Lücke bleiben, die zum Einfallstor für mancherlei Widrigkeiten werden kann.
Man kann mit guten Gründen bezweifeln, ob die Form der Fischerschen Führung den Grünen immer gut bekommen ist. Aber es war eben eine Führung, die auf ihre Weise funktioniert hat und eine bestimmte Ordnung der Kräfte ermöglichte. Fällt diese weg, müssen Probleme aufreißen.
Wie stark Fischers Stellung war, mag man daran erkennen, dass die ganze weitere Führung über viele Jahre mit seiner Sonderstellung leben konnte, nie aber eine Nummer Zwei zulassen wollte und also auch keinen "geborenen" Nachfolger. Sobald auch nur das Gerücht aufkam, hier laufe sich jemand warm, sorgte das für Unruhe. Ein klassisches Charakteristikum charismatischer Herrschaft und immer Auslöser von Nachfolgeproblemen. Ich würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn den Grünen Nachfolgekämpfe erspart blieben.
Schwarz-Grün bleibt vorerst ein Traum
Schließlich ist es auch mit der neuen politischen Offenheit und dem Ausbruch aus der babylonischen Gefangenschaft durch die SPD einstweilen nicht weit her. Ganz abgesehen davon, dass derzeit die Zeichen eher auf weitere Annäherung von Schwarz-Rot deuten, was auch in den Ländern Spuren hinterlassen wird, spricht momentan wenig für die Aktualität schwarz-grüner Allianzen.
In Baden-Württemberg werden die Grünen zum Regieren wahrscheinlich gar nicht gebraucht werden, in Rheinland-Pfalz vermutlich auch nicht, in Sachsen-Anhalt schon gar nicht. Eher könnte sogar das Land Berlin im Herbst zum Schauplatz eines rot-rot-grünen Probelaufs werden - wenn denn Rot-Rot in Schwierigkeiten kommt. Aber das würde die Grünen nur wieder in die Richtung eines linken Lagerdenkens drücken, das eher wegführte von der angeblichen neuen Offenheit.
So wird sich die Partei einstweilen darauf einrichten müssen, die kleineren Brötchen der Opposition zu backen - nicht nur im Deutschen Bundestag. Sich darauf einrichten heißt freilich auch, dass sie eines tunlichst vermeiden sollte: Hektische Profilierungssucht. Natürlich ist in der volatilen Wählerschaft von heute (fast) nichts mehr von sicherem Bestand. Schon gar nicht in jenem akademisierten Linksbürgertum, das die Mehrheit der Grünen-Wählerschaft stellt. Also drängt es die Akteure zum Nachweis ihrer politischen Präsenz. Das kann man verstehen.
Aber es dauert halt seine Zeit, bis eine Regierungspartei von gestern eine einigermaßen glaubwürdige Neuaufstellung als Oppositionspartei gefunden haben kann, die aufs Neue die Phantasien von Menschen bewegt. Man erinnere sich nur an die Sozialdemokraten nach dem Ende der Regierung Schmidt. Eine solche Zeit kann man so wenig abkürzen wie privaten Trennungsschmerz. Zumal dann, wenn sich der politische Rollenwechsel verbindet mit personalpolitischen Zäsuren. Mit "putzmunterem" Wortgeklingel lässt sich das so wenig überspringen wie mit der aufgesetzten Plastikformel einer "grünen Marktwirtschaft".
Es mag ein Jahr, vielleicht auch länger dauern, bis die Grünen in Berlin wieder mehr Chancen haben, neues Interesse auf sich zu ziehen. Wer solche Durststrecken nicht aushält und aktionistisch überspringen will, dem sollte wenigstens die schlechte Presse dieser Tage eine Lehre sein. So wie diese Woche fällt man aus dem öffentlichen Aufmerksamkeitsloch geradewegs in die Peinlichkeit. Oppositioneller Führungsanspruch sieht anders aus.
tja da kann man noch so antiautoritär etc. sein, wenn der leitrandalebruder fischer weg ist, tja dann ist ebend endzeitstimmung. das alphatierchen weg und alles geht den bach runter.
das ich das noch erleben darf. vielleicht erübrigt sich ja ein verbotsantrag, dieser linksextremistischen sammelvereinigung, wegen selbstauflösung:)
viele integrative ideen und symbole gibt es ja nicht mehr.
atomkraft wird ewig bestehen und ihre extreme minoritätenfreundlichkeit befremdet jeden anständigen und anständige deutsche.
mit der schwachsinnigen anti-gen-diskussion ist es auch nicht weit her.
kürzlich regte sich eine regional"grüne"INNEN(ist das politisch korrekt?;) auf, sie meinte die bahn würde zu wenig, vom lkw auf die schiene verlagern....es folgte das allbekannte hirnlose gezeter.
ein frage hätte ich da noch, WER IST DENN SCHULD AN DEN GESTIEGENEN ENERGIEPREISEN UND AN DER "ÖKO-STEUER"? meint diese "öko"tante etwa die bahn führe noch mit dampf....sie fährt nur noch mit TEUREM STROM!
VERTEUERT DURCH "GRÜNE" und SPDISTEN!
wann kommen fischer, trittin und künast nach moabit?
DIE ZEIT 17.02.2005 Nr.8
Über die grüne Grenze
In der Steinewerfer-Affäre hat Fischers Arroganz ihn in Gefahr gebracht. Die Dummheit der Opposition rettete ihn. In der Visa-Affäre sind seine Gegner offenbar klüger geworden. Er auch? Von Matthias Geis und Bernd Ulrich
Es ist der Abend des 10. März 2001. In einem schlechten Stuttgarter Restaurant sitzt der Außenminister. Er sieht sehr erschöpft aus, isst schnell und redet viel. Nicht über die Weltlage diesmal, sondern über sich. Soeben hat Joschka Fischer die gefährlichste politische Affäre seines Lebens überstanden. Es ging um Prügelszenen aus seiner linksradikalen Zeit. Die Sache hat ihn nicht nur an den Rand des Rücktritts gebracht, sondern auch an den Rand der totalen Erschöpfung. Von morgens bis nachts musste er seine Vergangenheit rechtfertigen – und zugleich um jeden Preis den Eindruck vermeiden, er vernachlässige sein Amt.
Nun, im Augenblick der großen Erleichterung, fasst Fischer eiserne Vorsätze. Nie wieder will er eine Affäre so lange unterschätzen, nicht noch einmal darf er so leichtfertig und überheblich in die Offensive gehen. Tatsächlich hatte Fischer anfangs auf die Frage, ob er auch Steine geworfen habe, geantwortet, das könne er gar nicht: »Zu kurze Hebel.« Da kursierten schon die Fotos, die den militant uniformierten Fischer dabei zeigten, wie er auf einen am Boden liegenden Polizisten einprügelte.
Warum er es trotzdem schaffte, sogar noch populärer zu werden als je zuvor? Weil sich die Opposition in einen ideologischen Furor hineinsteigerte, weil sie mit Fischer eine ganze politische Kultur – alles, was einmal links war – abservieren wollte. Sie machte aus der Affäre einen Kulturkampf, den sie nicht gewinnen konnte. Fischer kam durch wegen der Dummheit der anderen.
Kriminelle. Menschenhändler. Zuhälter. Das klingt nicht gut
Weiß er diesmal, worum es geht? Hat er schon begriffen, dass es urplötzlich wieder ernst wird, dass die jüngste Affäre nicht einfach nur das neueste Steckenpferd schwarzer Ideologen ist? Es geht um massenhaften Missbrauch deutscher Reise-Visa, chaotische Zustände an deutschen Botschaften in Osteuropa, um allzu laxe Einreisebedingungen für Leute, die man lieber nicht im Land haben will: Kriminelle, Schleuser, Menschenhändler. Das klingt nach böser Zuspitzung. Allerdings bestätigen nicht nur Kriminalämter und Gerichte die Sache. Auch im Ministerium waren die Missstände offenbar lange bekannt, ohne dass sie unterbunden wurden. Genug Stoff für einen Untersuchungsausschuss, in dem die Opposition noch nicht mal sehr polemisch werden brauchte.
Schon jetzt werden die spektakulärsten Fragen gestellt: Was wusste der Außenminister, trägt er die Verantwortung, und wird er das überstehen? Sicher, das geht alles ein wenig schnell, noch sind kaum die Umrisse der Affäre erkennbar, da rufen die ersten Interessierten schon nach Konsequenzen. Aber Joschka Fischer kann sich darüber nicht beklagen, er kennt das Spiel. Sollte man meinen.
Nein, er hat auch diese Affäre nicht kommen sehen. Vor Monaten nicht, als der »Visa-Skandal« noch etwas sehr Skurriles am äußersten Rande des Berliner Horizontes war; aber auch dann nicht, als die Medien vor ein paar Wochen begannen, auf die Sache einzusteigen. Es braute sich etwas zusammen. Vielleicht war es verständlich, dass Fischer während seiner Asienreise zu den heimischen Dingen schwieg. Doch auch bei seiner knappen Erklärung am Dienstag agierte er mehr im Vorbeigehen. Immerhin, der Minister kam mit dem richtigen, dem ernsten Gesicht, weder Arroganz noch Herablassung im Ton. Fischer ist dabei, den Ernst der Lage zu begreifen. Doch er ist nicht auf der Höhe, erschöpft, streuen seine Vertrauten. Vielleicht. Aber er ist auch nicht präpariert, weiß noch nicht, wo er einen Pflock zu seiner Verteidigung einschlagen soll, der ein paar Tage hält. Also übernimmt er, so pauschal wie generös, die »politische Verantwortung« für alle »möglichen Fehler und Versäumnisse« seiner Mitarbeiter.
Die werden sich bedanken. Denn entkleidet man Fischers Einlassung ihrer verbindlichen Rhetorik, bleibt kaum mehr als eine Schuldzuweisung an seine Untergebenen. Mit der »politischen Verantwortung« jedenfalls ist es so eine Sache: Sie ist entweder nur ein Wort – oder der Rücktritt. Nun steht Fischer vor einer Doppelfalle: Haben seine Mitarbeiter die Zustände an den osteuropäischen Botschaften ignoriert und vor der Spitze des Amtes verschwiegen, dann hat Fischer sein Haus nicht im Griff. Funktionierte aber die interne Kommunikation, wusste er also von den Zuständen in Kiew, hätte er reagieren müssen. Wegdrücken ließe sich der eine wie der andere Vorwurf wohl nur, wenn man den entstandenen Schaden als gering veranschlagt. Die Opposition wird alles daransetzen, den Skandal großzuzeichnen.
Natürlich sieht Fischer im Visa-Ausschuss die »machtpolitische Auseinandersetzung«. Sicher, darum geht es. Aber bedeutet die Sache selbst nichts, weil sie nur Teil des Machtspiels ist, eigens dafür erfunden und deshalb nicht wert, genauer betrachtet zu werden? Die Frage scheint entschieden. Den Kampf darum, was in der Öffentlichkeit ernst genommen werden muss und was sich abtun lässt, hat Joschka Fischer diesmal verloren.
Seine Partei hat ihm dabei kräftig geholfen. Eine groteskere Form der Unterstützung, als sie die Grünen in diesen Tagen aufführen, ist schwer auszudenken. Erst dehnen sie den Kampagnenvorwurf an die Opposition gleich noch auf die Medien aus. Dabei erklärt sich deren wachsendes Interesse leicht. Einmal wollen sie aufklären. Und dann wollen sie sich für viele ziemlich unverschämte Auftritte des größten anzunehmenden Außenministers rächen.
Begleitend zur Medienschelte, verteidigten die Grünen das Schweigen Fischers und kündigten trotzig an, er werde es auch beibehalten. Und während täglich neue skandalöse Details bekannt wurden, priesen sogar sonst recht vernünftige Spitzengrüne die inkriminierte Visa-Praxis als Ausdruck »weltoffener grüner Ausländerpolitik«. Es war, als wollte die Partei im Nachhinein noch den Beweis für die triumphale Behauptung ihrer Gegner liefern: Die Visa-Vergabe sei die logische und faktische Konsequenz grüner Multikulti-Träume.
Bei seiner Straßenkämpfer-Affäre hat Fischer noch viel falsch gemacht. Heute ist er weiter: Er macht die Fehler nicht mehr selbst – er lässt sie machen, von seinen grünen Mitkämpfern. Die jedoch haben erst nach eingehender fernmündlicher Absprache mit Fischer ihre Wagenburg gebaut: die Medien beschimpfen, sich selbst zum Opfer erklären – und Ludger Volmer verteidigen.
DIE ZEIT 17.02.2005 Nr.8
TEIL 3
Sicher könnte Joschka Fischer heute entspannter auf seine Zukunft schauen, hätte sich sein Ex-Staatsminister nicht so umtriebig mit Fragen der Altersvorsorge beschäftigt. Doch Ludger Volmers Verquickung von Politik und Geschäft interessierte die Öffentlichkeit, mehr als die Visa-Sache. So wurde der unterkühlte Ex-Linke Volmer ein letztes Mal zum Katalysator. Seit Monaten hatte die Union vergeblich versucht, die Affäre zu skandalisieren. Zu kompliziert, zu ideologisch aufgeladen. Durch Volmer sprang der Funke über. Die Erregung, die mit der Nebentätigkeit erzeugt worden war, richtete sich auf die Visa-Sache. Als Volmer stürzte, war Fischer gerade im Anflug. Von nun an steht er im Zentrum.
Einer wartet schon auf ihn, einer, den Fischer leicht unterschätzen wird. Es ist Eckart von Klaeden, der Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss. Einst galt er als junger Wilder mit schwarz-grünen Sympathien. Noch immer umgibt den fröhlichen 39-Jährigen eher die Aura eines gewitzten Abiturienten als eines gefährlichen Angreifers. So war es schon damals, 2001, als von Klaeden zum ersten Mal dem Außenminister gegenübertrat. Seinerzeit hatte er keine Chance, Fischer beim rhetorischen Schlagabtausch im Bundestag auch nur zu gefährden. Zu heiß war der Junge damals, zu aufgeladen das Thema. Klaeden im Kulturkampf gegen 68, Abiturient gegen Political Animal – das konnte nicht gut gehen. Und heute?
Er sieht immer noch recht jung aus. Aber Klaeden hat seine Niederlage im Straßenkampf gegen Fischer analysiert. Er hat sich alles gut zurechtgelegt. Er fordert nicht den Rücktritt Fischers. Die Frage nach der politischen Verantwortung stelle sich erst ganz zum Schluss und ohnehin liege sie, meint Klaeden, »außerhalb von Fischers Horizont«. Nein, er will sich nicht verkämpfen. Noch nicht. Wer überdreht, verliert. Also will von Klaeden Fischer »mit Fakten konfrontieren«, »Sachverhalte aufklären«. Ganz kühl kommt das rüber, mit einem Schuss Ironie.
Der Sprengstoff der Affäre liegt in den Details. Die wiederum sind in Fülle vorhanden. Klaeden lässt leise anklingen, dass der Union derzeit recht mühelos belastendes Material zufließe. Aber reichen Fakten gegen Fischer wirklich aus? Zuerst waren Angela Merkel und ihre Berater zögerlich, sich noch einmal den populärsten Politiker des Landes vorzunehmen. Und auch diesmal mag eine Hoffnung Fischers darin liegen, dass die Union die Affäre ins Ideologische dreht.
Nur, wie multikulti sind die Grünen überhaupt noch? Die Geschichte des grünen Multikulturalismus entwickelte sich in drei Phasen. In den achtziger Jahren, im Geist des Linksradikalismus, appellierten sie noch an die Ausländer im Lande, »mit diesen Deutschen« nicht allein gelassen zu werden. Nach dem Fall der Mauer begannen die Grünen, sich der Mehrheitsgesellschaft anzuverwandeln. Ein Rest Naivität in ihrer Ausländer- und Einwanderungspolitik blieb, bis die Grünen 1998 an die Regierung kamen.
Machten Beamte Fehler, weil sie glaubten, Fischer erwarte es?
DIE ZEIT 17.02.2005 Nr.8
TEIL 4
Verstärkt hat sich der Realismus auf diesem Feld noch einmal nach dem 11. September 2001. Diese dritte Phase blieb einer breiten Öffentlichkeit, schon gar dem gemeinen Beamten im Auswärtigen Amt, wohl verborgen. Denn um ihre Selbstveränderung wollten die Grünen kein Aufheben machen, um die Stammwähler nicht zu verschrecken. Anders als beim Pazifismus hat es hier nie eine offene Generalrevision alter grüner Dogmen gegeben.
Ein Nachweis, dass die Grünen aus multikultureller Ideologie den Zuzug von Kriminellen billigend in Kauf genommen hätten, wird sich kaum führen lassen, nicht einmal mit dem Volmer-Erlass. Und dass Joschka Fischer, wie die CDU-Vorsitzende nun behauptet, »Parteiinteressen vor die Sicherheitsinteressen des Landes stellt«, mag sie selbst kaum glauben. Dass jedoch Beamte im AA auf Hilferufe aus Kiew hinhaltend reagierten, weil sie ihre grüne Obrigkeit noch in der Multikulti-Welt wähnten, das kann man sich vorstellen. Und dass Fischer vor lauter Weltpolitik nicht genau hingesehen hat, dafür spricht viel. Nach dem jetzigen Stand muss sich der Minister gegen die Vermutung wehren, dass reale und vermutete grüne Haltungen zu verzögerten Reaktionen im AA geführt und dem Land einige tausend Kriminelle mehr als nötig eingetragen haben. Am Ende wird es um die Frage gehen, ob man den Grünen zutrauen kann, bei der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit die rechte Balance zu halten, ob man ihnen also Ämter, die sich mit innerer und äußerer Sicherheit befassen, auch weiter anvertrauen kann.
Für Joschka Fischer wird es schwer, sich aus dieser Angelegenheit zu winden. Zwar ist er selbst gewiss kein Multikulti, nur kann er das nicht offen sagen, weil das der Parteiräson widerspräche. Und er muss seine Mitarbeiter verteidigen, was immer sie falsch gemacht haben und was immer sie vor dem Ausschuss sagen werden. Dort will die Opposition nur einen Satz von ihnen hören: dass sie so gehandelt haben, weil sie dachten, der Minister erwarte es so.
Der Minister wird sich vor sein Amt stellen. Aber steht das Amt auch hinter ihm? Der Honeymoon ist lange vorbei. Schön war es am Anfang, ein neuer Ton, ein anderer Stil. Man hat sich überwiegend gefreut. Doch so konnte es nicht bleiben. Der Alltag kam, Fischers Gewohnheiten drückten sich durch, zum Beispiel die, immer der einzig wahre Stratege zu sein. Angekreidet wurde ihm auch, dass er ein paar alte Freunde auf wichtige Posten brachte, obwohl es sich um wenige, durchaus qualifizierte Leute handelte. Neuerdings wird ihm auch noch vorgehalten, dass er Mitarbeitern des Amtes, die einst in der NSDAP waren, die Ehrung verweigert. Seine Ex-Kommunisten und Straßenkämpfer dürfen die schönsten Positionen besetzen, heißt es nun im Amt: zweierlei Maß. Nicht zuletzt hat das Kanzleramt denen am Werderschen Markt in den letzten Jahren einige Kompetenz weggenommen. Dem elitären Diplomatenkorps schmeckt das wenig. In der Summe lässt das nicht darauf schließen, dass alle Mitarbeiter für ihren Chef durchs Feuer gehen werden. Oder durch ein Verhör im Untersuchungsausschuss.
Aber Freunde hat er immer noch. Michael Glos beispielsweise. Der CSU-Mann beschimpfte im vergangenen November den Außenminister im Bundestag wegen des Visa-Missbrauchs als »Zuhälter«. Als er nach einer Weile zur Regierungsbank schlich, um sich zu entschuldigen, nickte Fischer kalt. Otto Schily, der neben ihm saß, geriet jedoch außer sich und machte Anstalten, Glos wegzuschieben. Sicher wollte da der Innen- den Außenminister verteidigen. Wahrscheinlich ahnte Schily aber schon, dass eine hochkochende Visa-Affäre auch ihn nicht ungeschoren lassen würde. Prompt ließ das Innenministerium in den vergangenen Wochen zur eigenen Entlastung verbreiten, man habe Fischer frühzeitig vor dem Visa-Missbrauch gewarnt. Unglücklicherweise ist damit die Frage aufgeworfen, warum Schily, der sonst so stark ist, diesmal kapitulierte. Es war das Kanzleramt, wird nun gestreut, das den Ausschlag gab. Aber warum hat sich der Kanzler im Fischer/Schily-Streit um Sicherheit und Freiheit ganz auf die Seite Fischers geschlagen? Kurz: Es ist derzeit nicht recht zu erkennen, wie das scheinbar unbesiegbare Triumvirat aus dieser Sache unbeschadet hervorgehen soll.
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Es ist Dienstag, der 15. Februar 2005, der Tag nach dem kurzen Auftritt des Außenministers im Schnee. Das Echo vor der Presse ist verheerend, von links bis rechts, von Hauptstadt bis Provinz, im Fernsehen und in den Zeitungen. So etwas hat auch Fischer noch nicht erlebt, nicht einmal bei seiner letzten großen Affäre, die er damals als die größte empfand. Berlin liegt übel gelaunt im Schneeregen, Joschka Fischer ist zerknirscht und wahnsinnig müde. Im innersten Kern der Politik sitzt die Physik. Deshalb wird Joschka Fischer kaum stürzen, es sei denn, als Opfer seiner Müdigkeit oder seiner Arroganz. Den Kanzler könnte man zur Not ersetzen, ohne Fischer bräche die Koalition. Nur sinken, das kann auch der Außenminister. Dann zieht er den Rest der Regierung mit sich hinab. Und die Leichtmatrosen werfen lachend ihre weißen Mützchen in die Luft.
Hamburg - Die Kritik aus der Grünen-Spitze am früheren Außenminister Joschka Fischer setzt sich fort. Nach Fraktionschefin Renate Künast forderte jetzt auch ihr Co-Vorsitzender Fritz Kuhn seinen Parteifreund zu mehr politischer Zurückhaltung auf: "Joschka Fischer kann nicht aus der zweiten Reihe so agieren, als wenn er in der ersten Reihe stünde", sagte Kuhn der "Bild am Sonntag". Fischer habe "selbst entschieden, daß er nicht mehr vorne mitspielen will". "Ein Rock'n Roller, der nicht mehr auf der Bühne singen will, sollte auch hinter der Bühne kein Konzertchen geben", fügte Kuhn hinzu. dpa
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