Die Bullen wittern Morgenluft
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 20.04.03 14:04 | ||||
Eröffnet am: | 20.04.03 14:04 | von: brucewills | Anzahl Beiträge: | 1 |
Neuester Beitrag: | 20.04.03 14:04 | von: brucewills | Leser gesamt: | 1.615 |
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Von Andreas Hoose
Die Stimmung an den Boersen hat sich aufgehellt. Aber eigentlich muesste man
es anders formulieren: Die momentane Situation an den Aktienmaerkten
bereitet saemtlichen Lagern das hoechstmoegliche Mass an Unwohlsein. Viele
Bullen sind noch nicht oder nur sehr spaerlich investiert, sitzen nach drei
Jahren Baisse auf beachtlichen Cashbestaenden und schauen fassungslos den
steigenden Kursen hinterher. Die Baeren betrachten das Kursfeuerwerk erst
recht mit gemischten Gefuehlen. Manch einer sieht die Gewinne aus
bestehenden Short-Engagements dahinschmelzen wie Schnee in der
Fruehlingssonne. Ganz aehnlich geht es jenen, die sich bislang voellig
herausgehalten haben und das Geschehen von der Seitenlinie aus beobachten:
Die Nervositaet steigt allenthalben. Seit den Tiefstaenden im Maerz bei 2188
Zaehlern hat der deutsche Aktienindex rund 32 Prozent zugelegt. Kein Wunder,
dass viele Bullen Morgenluft wittern und das Ende der Baisse feiern.
Vielleicht werden mich manche fuer stur und unbelehrbar halten. Vorerst
bleibe ich bei dennoch bei meiner Meinung: Auch wenn die Kurse momentan
wieder klettern - eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und die paar
Gewinnprozente sind nach den Kursverlusten der vergangenen Jahre nicht mehr
als ein laues Fruehlings-Luefterl. Einiges spricht dafuer, dass wir das Ende
der Durststrecke noch laengst nicht gesehen haben. Doch eines ist auch klar:
Sollte sich der juengste Trend bestaetigen, die Maerkte aus ihrer
jahrelangen Abwaertsbewegung nach oben ausbrechen, erscheint ein rascher
Einstieg ratsam. Doch immer mit der Ruhe.
Vorerst gibt es gute Gruende, warum man weiterhin misstrauisch bleiben
sollte. Wie war das noch mit der Kriegsrallye? Seit Monaten galt es als
ausgemacht, dass nach einem Ende des Irak-Konflikts die Aktienmaerkte in den
Steigflug uebergehen, Gold und Oel einbrechen wuerden. Tatsache ist, dass
die Aktienmaerkte trotz der deutlichen Entspannung im Irak zuletzt zwar
recht freundlich tendierten, vor allem hier zu Lande. In den USA sieht das
Bild dagegen anders aus. Von Nachkriegs-Euphorie ist nichts zu spueren. Auch
der Goldpreis haelt sich stabil, tendierte zuletzt eher auf- als abwaerts.
Ein weiterer Aspekt gibt zu denken: Am Dienstag dieser Woche meldeten die
Technologie-Schwergewichte Microsoft und Intel gute Zahlen fuer das
abgelaufene Quartal. Oder besser gesagt: Beide Konzerne uebertrafen die im
Vorfeld drastisch reduzierten Erwartungen. Dennoch kamen S&P 500 und Dow
Jones nicht recht aus den Schuhen. Beide Indizes rutschten schon am
naechsten Tag ab. Und das soll die neue Hausse sein?
Rechenkuenstler
Sehen wir uns lieber ein paar Fakten an: Da waeren zum einen die Kosten des
Irak-Konflikts. Erst in den kommenden Monaten wird sich herausstellen,
welche Summen die militaerische Praesenz der US-Truppen am Golf wirklich
verschlingen wird. Da Regierungen bei derartigen Rechnungen seltsamerweise
so gut wie immer ausserordentlich schief liegen, darf man erwarten, dass die
80 Milliarden US-Dollar, die US-Praesident Bush fuer die Aufraeum-Aktion im
Irak veranschlagt hatte, bei weitem zu tief gegriffen sind. Viel wird davon
abhaengen, wie lange die Anwesenheit der Amerikaner am Golf notwendig sein
wird. Wenn man hoert, dass jetzt mit Syrien "ernste Gespraeche" gefuehrt
werden, koennte sich die Sache durchaus noch eine Weile hinziehen.
Schlechte Nachrichten kommen auch von einer tragenden Saeule der
US-Wirtschaft: Die Immobilienblase in den USA ist offenbar dabei, deutlich
Luft abzulassen. In zahlreichen Regionen der Vereinigten Staaten ist der
Trend klar: Die Preise geben nach, zum Teil recht massiv. Die Gruende fuer
das Ende der Party sind schnell ausgemacht: Auch in den USA steigt die Zahl
der Menschen ohne Job. Angesichts des niedrigen Zinsniveaus sind Senkungen
bei den Hypothekenzinsen vorerst kaum zu erwarten. Schlechte Zeiten fuer
Haeuslebauer.
Ein Problem, das zwar gelegentlich auf der Agenda erscheint, das aber noch
laengst nicht ins Bewusstsein der Anleger vorgedrungen ist, sind die bei
vielen Unternehmen anstehenden Pensionszahlungen. Erst sehr langsam wird
klar werden, wie sehr die Gewinne vieler Firmen durch die Zahlungen an
fruehere Mitarbeiter in Zukunft belastet werden. Auch den Pleiten bei Enron
und Worldcom werden weitere folgen. Bei American Airlines, der weltgroessten
Fluglinie, steht der Konkursverwalter bereits vor der Tuer.
Es sage nun niemand, alle diese Probleme seien in den Aktienkursen laengst
enthalten. Zum Teil mag das stimmen. Dennoch sollte man auf weitere
unangenehme Ueberraschungen gefasst sein. Zu sehr waren die Anleger waehrend
der vergangenen Monate fast ausschliesslich mit dem Irak-Konflikt
beschaeftigt.
Daher waere es wohl zu frueh, sich jetzt wieder auf die lange Seite lehnen.
Dazu ist die Stimmung unter den Anlegern im Moment zu positiv. Ein Blick auf
die Entwicklung des VIX, der die Schwankungsbreite im S&P 500 misst, zeigt:
Derzeit macht sich Euphorie breit. Aktuell notiert das Stimmungs-Barometer
knapp unter 25. Wendepunkte wurden waehrend der laufenden Baisse
regelmaessig im Bereich um die 20 Punkte markiert. Auch MACD und Stochastik
naehern sich ihren unteren Wendezonen. Zur Erinnerung: Wenn die Volatilitaet
steigt, dann geht dies in der Regel mit fallenden Kursen einher - und
umgekehrt.
Ein Indiz dafuer, dass man sich noch zurueckhalten sollte, liefert auch ein
Vergleich des Dow Jones Industrials mit seinem kleineren Verwandten, dem Dow
Jones Transportindex. Gemaess Dow-Theorie liegt eine Trendwende dann vor,
wenn ein Hoch im Transportindex durch den Dow Jones bestaetigt wird.
Kuerzlich hat der Transportindex sein Hoch vom Maerz dieses Jahres
uebertroffen. Beim Dow Jones steht dieses Signal noch aus. Entscheidend
waere eine Schlussnotierung beim Dow Jones oberhalb von 8522 Zaehlern.
Geht man der Frage nach, ob die juengste Aufwaertsbewegung den Anfang eines
neuen Bullenmarktes markiert, ist es hilfreich, sich die Stimmungslage vor
etwa drei Jahren vor Augen zu halten. Im Maerz des Jahres 2000 gab es an den
Stammtischen nur ein einziges Thema: "Wie werde ich mit Aktien moeglichst
schnell zum Millionaer?" Die Ueberschriften in den Gazetten sprangen einem
die Aktientipps nur so ins Auge und selbst die Bild-Zeitung war sich nicht
zu schade, in grossen Lettern vom Reichtum an der Boerse zu schwadronieren.
Interessanterweise waren es gerade jene Artikel in Deutschlands
"Bildungsorgan Nummer Eins", die das Ende der Hausse markierten.
Die Parallelen zu heute sind leider laengst nicht so gross, wie sich das
viele Anleger im Zuge der juengsten Aufwaertsbewegung wuenschen. Ein
Beispiel: Hat irgendjemand in den vergangenen Wochen irgendwo eine Zeile
darueber gelesen, dass Aktienengagements auf laengere Sicht zu meiden seien?
Also ich kann mich an keine einzige Aussage dieser Art erinnern. Der Tenor
lautet vielmehr: "Endlich geht es wieder aufwaerts. Nach drei Jahre
Kursverlusten ist das Groebste jetzt ueberstanden". Was mir daran besonders
missfaellt, ist das Geschrei, das sofort einsetzt, sobald der Dax drei Tage
in Folge zulegt.
Erheiternd ist auch folgende Logik, die den Skeptikern beim Blick auf die
laengerfristige Perspektive gerne vorgehalten wird: Drei Jahre in Folge sind
die Indizes nun gefallen. Ein viertes Baissejahr sei schon deshalb
ausgeschlossen, weil es eine derartige Abfolge erst einmal in der Geschichte
gegeben habe. Und waehrend der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre haetten
schliesslich voellig andere Voraussetzungen vorgelegen.
Den Daueroptimisten sei gesagt: Nur weil ein Ereignis selten auftritt,
heisst das noch lange nicht, dass es sich nicht irgendwann doch wiederholt.
In der Baisse geht es schliesslich nicht darum, die Jahre mit Minuszeichen
zu zaehlen - es geht darum, die Uebertreibungen der vorangegangenen Hausse
zu korrigieren. Und die war groesser als alles, was es zuvor jemals gegeben
hat. Als die Aktienkurse waehrend dieser Zeit zwoelf Jahre in Folge (!)
gestiegen sind, hat ja auch niemand behauptet, so etwas koenne es nicht
geben. Wer´s nicht glaubt, kann das selbst ueberpruefen: Auf Basis
Monatsende Maerz sind die Kurse beim Dow Jones Index von 1988 bis 2000 jedes
Jahr gestiegen.
Ich bleibe deshalb dabei: Erst wenn wirklich der letzte Bulle das Handtuch
geworfen hat, sollte man sich auf die bevorstehende Hausse konzentrieren.
Wenn in den Medien das Ende der Aktienanlage verkuendet wird, die Boersianer
bei jedem Aufschwung im Dax nur noch frustriert abwinken und sich wirklich
niemand mehr fuer die Boerse interessiert. Dann ist es soweit. Bis dahin
kann es aber noch eine ganze Weile dauern.