Hochwasser: Steuermogelpackung
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Eröffnet am: | 21.08.02 18:25 | von: Faceless | Anzahl Beiträge: | 1 |
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Große Koalition der Steuermogler
In der Diskussion über die Finanzierung der Flutschäden übernimmt der Kanzler die Führung in einer seltsamen Koalition aus SPD, Union und Kapitalgesellschaften.
Er hat sichtbar wieder Fahrt aufgenommen. Schwungvoll kommt der Kanzler nach der Kabinettssitzung am Mittwoch um die Ecke gefedert, sein Stab hat Mühe, Schritt zu halten. Schröder in seinem Element: in die Offensive gehen, Krisen zu Chancen umdeuten. Jetzt schlägt die Stunde der Exekutive. Mit ernster Miene und geschwellter Brust verkündet der Kanzler Zahlen, die die Dimension der Krise illustrieren, aus der er Deutschland führen will:
"Die Hilfskräfte des Bundes sind im größten Einsatz seit dem Krieg", sagt Schröder. Insgesamt 50.000 Soldaten, Angehörige des Bundesgrenzschutzes und des Technischen Hilfswerkes (THW) arbeiten in der Hochwasser-Bekämpfung. Alleine die Bundeswehr sei mit 25.000 Soldaten vor Ort. Zudem sei alles technische Gerät im Einsatz, das verfügbar sei: "Es wird wirklich angepackt", lobt Schröder sein Land.
Erst die Arbeit, dann die Finanzierung. Schröder weiß, dass in der Stunde der Not finanzpolitische Mäkelei als kleinkariert und unsolidarisch erscheint. Seine Idee, den Wiederaufbau in den Flutgebieten durch eine Verschiebung der nächsten Stufe der Steuerreform zu finanzieren, macht nicht nur allen die Dimension der Aufgabe deutlich - sie zielt auch ins Herz des politischen Gegners. Macht die Union jetzt einen Fehler, kommt sie in ganz schwierige Gewässer.
Der Chef der Grünen, Fritz Kuhn, lobt seinen Koalitionspartner: "Ein genialer Schachzug." Die jetzige Lösung sei schnell umzusetzen, zeitlich begrenzt, für jeden nachvollziehbar und einfach zu begründen. Darüber hinaus zeige Rot-Grün im Wahlkampf Geschlossenheit und zwinge die politischen Gegner in die Defensive. Chapeau!
Schröder kann handeln, Stoiber nur reagieren. Der Kanzler referierte am Mittwoch beeindruckende Zahlen, während die Union noch nach einer einheitlichen finanzpolitischen Linie sucht. Die erste Tranche über 50 Millionen Euro aus dem 100-Millionen-Soforthilfepaket der Regierung sei an die Städte und Gemeinden ausgezahlt worden, die das Geld vor Ort an die Betroffenen weiterreichten, verkündete Schröder.
Insgesamt 9,2 Milliarden Euro will die Bundesregierung zudem durch eine Haushaltssperre, die Verschiebung der nächsten Steuerreformstufe von 2003 auf 2004 und die Umleitung von einer Milliarde Euro aus dem Verkehrsetat nach Ostdeutschland bereitstellen: "Damit kommt man auf eine Summe, mit der man nachhaltig Schäden schnell und präzise beseitigen kann." Das sind Sätze nach des Kanzlers Geschmack. Und die Union? Sie kommt über ein "Ja, aber" noch nicht hinaus. Erst lehnte der finanzpolitische Sprecher Dietrich Austermann die Idee ganz ab, da aber kein Gegenvorschlag in Sicht war, arrangierte man sich und geißelte die Steuerentscheidung als "sozial ungerecht": Die Union will die Verschiebung der Steuerreform nur mittragen, wenn zugleich auch die Steuern für Kapitalgesellschaften erhöht werden.
Doch damit rennen sie bei Schröder offene Türen ein, der die Union nun geschickt mit ins Boot holt: "Uns ist jeder zusätzliche Beitrag richtig und recht", sagte Schröder am Mittwoch. "Jeder zusätzliche Beitrag, der zusätzlich mehr Geld in den Solidarfonds bringt, ist natürlich vernünftig, gar keine Frage." Fiskalisch wäre es zwar einigermaßen belanglos, ob die Körperschaftsteuer vorübergehend um ein oder zwei Prozentpunkte steigt. Deshalb war es der Wirtschaft auch ein Leichtes, einen entsprechenden Vorstoß von sich aus anzudeuten, um sich solidarisch zu zeigen und Schlimmeres abzuwenden.
Aber für Schröder bietet sich eine ganz andere Chance: Seit Wochen quält ihn die Union mit dem Vorwurf der Steuerungerechtigkeit. Die SPD-Wahlkämpfer müssen sich immer wieder anhören, dass sie den Mittelstand belasten während gleichzeitig das Großkapital keine Steuern mehr zahlt, was vor allem die Kommunen ausbluten lässt. Denn die Unternehmen konnten bei der Auszahlung der Gewinne aus früheren Jahren die damals bei höherem Steuersatz vermeintlich zu viel gezahlten Steuern auf die Steuerschuld anrechnen. Darum war der Ertrag aus der Körperschaftsteuer im vergangenen Jahr sogar negativ ausgefallen.
Union in der Zwickmühle
Wenn Schröder nun seine Reform reformieren würde, hätte er mehrere Probleme beseitigt. Ein Schrauben an dem Gesetzeswerk stünde nicht als Einsicht in einen Fehler dar, sondern ließe sich als nationale Katastrophenhilfe verkaufen. Und der Union wäre eine große Angriffsfläche genommen: Sie müsste in Bundestag und Bundesrat, wo sie die Mehrheit hat, der Steuerpolitik zustimmen, wenn sie nicht als unsolidarischer Blockierer dastehen will. Entsprechend äußerte sich am Mittwoch Fraktionschef Friedrich Merz: Der Gesetzesentwurf, der kommende Woche vorgelegt werden soll, werde voraussichtlich ungehindert Bundestag und Bundesrat passieren, sagte er am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Darmstadt. "Wir halten diesen Vorschlag nicht für den Besten, aber es wird an uns nicht scheitern, den Opfern des Hochwassers jetzt schnell und wirkungsvoll zu helfen", sagte Merz.
Doch Schröders Finanzminister Hans Eichel (SPD) will keine große Reform der Reform und klammert sich weiter an sein Konzept. Er forderte die Union auf, einen Vorschlag zu machen, wie denn dieser angebliche Mangel in der Steuerreform zu beheben wäre. Veräußerungsgewinne einfach wieder zu besteuern wäre hochriskant, glaubt Eichel. "Das hieße nämlich im Umkehrschluss, dass man Verluste aus dem Aktienverkauf steuermindernd geltend machen kann." Bei den jetzigen Aktienkursen würde dies zu "unkalkulierbaren Steuerausfällen" führen: Viele würden sich dann nämlich einfach ihre Aktienverluste vom Finanzamt zurückholen.
Darum läuft es wohl auf die kleine Lösung hinaus, eine zusätzliche Erhöhung der Körperschaftsteuer um 1,5 auf 26,5 Prozent - und prompt antwortete Finanzminister Hans Eichel, das sei machbar, wenn die Union das wirklich fordere.
Große Koalition des Verschweigens
Das ist vor allem für die großen Konzerne die bequemste Lösung. Nicht nur können sie auf diesem Weg voraussichtlich die milliardenschwere Steuerfreiheit von Erlösen aus Beteiligungsverkäufen retten, von der allein Aktiengesellschaften und GmbHs profitieren.
Zudem können sie über die Höhe ihres Beitrags großenteils selbst entscheiden. Denn das Steuerrecht räumt Kapitalgesellschaften große Spielräume bei der Steuerfestsetzung ein, weil sie ihre Gewinne mit den Verlusten von Tochtergesellschaften und früheren Jahren verrechnen dürfen.
Auch der Union ist das die liebste Lösung. Zwar hat sie Eichels Steuerreform gerne gegeißelt und sich als Anwalt des Mittelstands aufgespielt, doch aus Rücksicht auf die Kapitalgesellschaften nie Farbe bekannt, ob sie nach einem Wahlsieg zum Beispiel die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne zurückdrehen würde. Auch lenkt jede steuerpolitische Diskussion das Licht der Aufmerksamkeit auf die unausgegorenen Finanzpläne von Späth und Co., die selber nicht wissen, wie sie ihre Steuer-Wahlversprechen von "3 mal 40 Prozent" für Steuern, Sozialabgaben und Staatsquote seriös finanzieren können.
So bleibt der Löwenanteil der Finanzierung des Flutschadens voraussichtlich weiter an den einkommensteuerpflichtigen Bürgern und Unternehmen hängen, während Union, SPD und Kapitalgesellschaften in einer großen Koalition die Menschen zum nationalen Kraftakt auffordern.
Quelle Spiegel 21.08.02