Schauen wir zunächst mal auf die rein formale Seite der Angelegenheit, wir sind immer noch in einem Verfahren, bei dem es um einstweiligen Rechtsschutz geht. Die Frage, ob ESM usw. verfassungskonform ist, wird in einem Verfahren, bei dem es um einstweiligen Rechtsschutz geht, eigentlich nur kursorisch geprüft, nämlich dahingehend, ob das ganze evident verfassungskonform (durchwinken) oder evident verfassungswidrig (aufhalten) ist. Die Entscheidung selbst bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Der Schwerpunkt beim einstweiligen Rechtsschutz liegt in der Folgenabwägung: Was ist schlimmer, das sofortige Inkrafttreten vor der Entscheidung in der Hauptsache oder das Hinausschieben des Inkrafttretens bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Das Problem bei ESM & Co. liegt in der völkerrechtlichen Bindung im Verhältnis zu den anderen Vertragsstaaten. Sobald Gauck unterschreibt und das Ding im Bundesgesetzblatt steht (vielleicht ist noch irgendeine formelle Notifizierung der anderen Vertragsstaaten erforderlich, weiß ich jetzt nicht), ist Deutschland im Verhältnis zu den anderen Vertragsstaaten völkerrechtlich gebunden - selbst wenn sich das ganze nachträglich als verfassungswidrig herausstellen sollte. Wenn man das ganze also konsequent juristisch zu Ende denkt, gibt es im Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz nur eine richtige Entscheidung: STOP. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Von evident verfassungskonform kann keine Rede sein. Die Folgen für die deutsche Haushaltssouveränität sind massiv. Eine Durchwinken im Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz führt zum Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens und damit zum Eintritt der völkerrechtlichen Bindung. Die Hauptsacheentscheidung wäre damit vorweggenommen, das Hauptsacheverfahren kann man sich dann sparen.
Und hier geht es mit dem Einknicken des BverfG schon los: Die hätten im Anschluss an die mündliche Verhandlung im einstweiligen Rechtsschutz eigentlich sofort entscheiden müssen: STOP. Bis zur Hauptsacheentscheidung. Haben Sie aber nicht, faule Ausrede: ehr Zeit für die materielle Prüfung notwendig (obwohl der Schwerpunkt in der Folgenabwägung zu setzen ist). Ist eben der 2. Senat, der gilt traditionell eher als staatsfromm, der 1. Senat wird Grundrechtssenat genannt und gilt tendenziell als stärker an den Bürgerrechten orientiert.
Schauen wir mal auf die möglichen Optionen für die Entscheidung:
1) Abweisung der Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz. Dann ist das Ding durch. Gauck fertigt aus, ESM & Co. tritt in Kraft. Völkerrechtliche Bindung tritt ein. Hauptsacheverfahren faktisch tot.
2) Den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz wird stattgegeben. Spannend dann: mit welcher Begründung ? Evidente Verfassungswidrigkeit schon jetzt feststellbar oder einfach nur: wir wissen es selbst noch nicht, akzeptieren aber die Vorwegnahme der Hauptsache wegen der einschneidenden und unumkehrbaren Folgen des ESM nicht ? Tohuwabou gibts auf jeden Fall.
3) Ja, aber: Den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz wird nicht stattgegeben, das BVerfG macht aber weitere Vorgaben: z.B. ESM darf erst in Kraft treten, wenn durch ein nationales Begleitgesetz sichergestellt ist, dass die Zustimmung des deutschen Vertreters im Gouverneursrat des ESM zu den jeweiligen Maßnahmen unter Parlamentsvorbehalt steht + sonstige diverse caveats. Läuft im wesentlichen auf dasselbe wie unter 1) raus, Vorwegnahme der Hauptsache, das Ding ist durch.
4) Nein, aber: Den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz wird stattgegeben; Merkel und & Co bekommen Hausaufgaben bis zur Hauptsacheentscheidung, deren Erledigung das BVerfG für unabdingbar hält (und die vor der Hauptsacheentscheidung auch gar nicht rechtzeitig erledigt werden können). Das wäre eine Hängepartie mit Tohuwabohu-Faktor.
5) Noch gar keine Entscheidung mit der Begründung wir brauchen sogar im Rahmen des Verfahrens zum einstweiligen Rechtsschutz noch mehr Zeit zum prüfen (unrealistisch, die Frist 12.09. hat sich das Gericht selbst gegeben).
Meine persönliche Meinung: Wenn man juristisch konsequent ist, bleibt nur Option 2: Erst mal alles auf STOP mit einer Begründung, die ihren Schwerpunkt bei der Folgenabwägung hat. Genau das hätten die aber schon unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung tun sollen, haben sie aber nicht. Ich denke, die knicken ein. Ich halte ESM & Co. - ohne dass ich jetzt hierfür eine ellenlange Begründung poste - für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Benutzen wir doch mal den gesunden Menschenverstand (den man bekanntlich im ersten Semester Jura beim Universitätspförtner abgibt): Was bleibt von der deutschen Haushaltssouveränität, wenn der ESM in Kraft tritt ? Nicht genug, ganz einfach. Die Haushaltssouveränität liegt nicht beim Bundestag, sonderm beim Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht. Das Volk hat die Haushaltssouveränität den Parlamenten nur zur Ausübung, nicht aber zur Aushöhlung überlassen. Die Bürger haben jahrhundertelang mit den Fürsten wegen der eigentlichen Machtfrage im Staat (wer bestimmt über die Moneten) gekämpft und den Kampf gewonnen und jetzt soll die Budgethoheit an eine EU-Aristokratie abgetreten werden, die hinter verschlossenen Türen entscheidet. Njet ! Diese Entscheidung kann der Bundestag nicht treffen, die ist dem deutschen Volk vorbehalten (deutsch ist bei mir jeder, der hier lebt und arbeitet und unsere Grundwerte akzeptiert), das dafür dem Gesetzgeber im Rahmen einer Wahl zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung einen Auftrag zur Überarbeitung des Grundgesetzes erteilt (oder auch nicht !) mit der Zielrichtung Aufgehen Deutschlands in einem europäischen Bundestaat. Mehr Demokratie wagen (Willy Brandt), gelle, Frau Politbüro-Merkel !
Bricht die Wirtschaft zusammen, wenn der ESM nicht kommt ? Es geht sicher erst mal drunter und drüber (shopping - zeit !) aber es wird dann eben so lange nachverhandelt, bis irgendwas rauskommt, was man am BVerfG vorbeischleusen kann. Machen wir uns nichts vor: Wir stecken über den IWF, EFSF, Target2 usw. sowieso schon so was von drinne ... |