Im Gespräch: Martin Blessing „Das steckt keiner so leicht weg“ "Aus heutiger Sicht sind wir gut kapitalisiert" 01. März 2009 Commerzbank-Chef Martin Blessing schließt weitere Kapitalhilfen durch die Bundesregierung nicht aus. Im Interview spricht er über Kraftakte in Zeiten der Krise, die schwierige Integration der Dresdner Bank und warum der Staat noch lange Zeit sein Aktionär bleiben wird. Herr Blessing, Sie haben abgenommen. Statt Hemden Größe 40 tragen Sie nur noch 39. Wie stark zehrt die Krise? Das kostet schon Kraft! Derzeit passieren Dinge, die man sich vor sechs Monaten nicht hätte träumen lassen. Das steckt keiner so leicht weg. Der Kurs der Commerzbank ist seit dem Herbst von mehr als 20 Euro auf weniger als drei Euro gefallen. Was ist denn eine Staatsbank wert, die nichts mehr wert ist? Also bitte: Die Commerzbank ist keine Staatsbank, sondern eine Bank mit staatlicher Beteiligung. Aber natürlich ist der Kurs alles andere als zufriedenstellend. Da muss man nicht drumherum reden. Hatten nicht auch Sie erwartet, dass der Aktienkurs nicht weiter in Richtung Null sinkt, wenn der Staat mit Milliarden für Ihre Bank garantiert? Von Null kann keine Rede sein. Aber es ist klar: Wenn überall auf der Welt die Kurse der Banken in den Keller rauschen, können wir uns davon nicht abkoppeln. Sie lenken ab. Wie wollen Sie Investoren überzeugen, eine Commerzbank-Aktie zu kaufen? Sie zahlen keine Dividende. Was in Zukunft reinkommt, geht zunächst als Zinsen an den Staat und nicht an die Aktionäre. Sie haben vielleicht recht, was die kurzfristige Perspektive betrifft. Wenn ein Investor sagt: Ich will in kürzester Frist möglichst viel Geld verdienen, dann sind Banken und auch die Commerzbank derzeit für ihn nicht gerade das ideale Investment. Das ist aber auch nicht unser Ziel. Viele Banken haben zu lange auf die kurzfristige Entwicklung des Aktienkurses geschaut. Wir wollen Aktionäre langfristig an uns binden. Jetzt rechtfertigt die allgemeine Schelte der Kurzfristigkeit sogar noch die schlechte Performance einer Aktie? "Niemand weiß, was in dieser Krisenzeit auf die Banken zukommen kann“ Ich habe immer gesagt, die Übernahme der Dresdner Bank ist ein langfristiges Projekt. Es stimmt: Wir zahlen für 2008 keine Dividende, und auch für 2009 nicht. Aber langfristig schaffen wir mit der Übernahme Werte für unsere Aktionäre. Weil wir das Kerngeschäft der neuen Bank stärken, das Privatkundengeschäft und das Mittelstandsgeschäft. Die Allianz hat für die Dresdner Bank gerade einen Verlust von 6,4 Milliarden Euro ausgewiesen. Nicht eben eine Perle, die Sie da gekauft haben. Blessing ist auf ein längerfristiges Engagement des Staates eingestelltDass die Dresdner Bank ein äußerst schwieriges Jahr hinter sich hat, ist klar. Deshalb haben wir nach der Ankündigung der Übernahme zweimal die Bedingungen mit der Allianz nachverhandelt. Dabei aber bitte nicht vergessen, dass zum Beispiel das Privat- und Firmenkundengeschäft intakt ist. Zusammen sind wir jetzt die klare Nummer eins in Deutschland. Sie haben einen Teil der Lasten auf die Allianz zurückverlagert. Wir haben uns Ende November an einen Tisch gesetzt und dann noch einmal Anfang Januar. Und haben gemeinsam überlegt, wie wir die Transaktion, die beide Seiten wollten, und die im Interesse aller ist, noch retten können. Als Ihnen das Ausmaß der Verluste klarwurde: Haben Sie da überlegt, die Dresdner Bank einfach an die Allianz zurückzugeben? "Ich bin mit 100-Prozent-Aussagen in dieser Krise sehr vorsichtig geworden"Mal unabhängig von der rechtlichen Frage, ob das überhaupt möglich gewesen wäre, sind hier doch zwei Dinge wesentlich entscheidender: An der strategischen Logik der Übernahme hat sich nichts geändert. Und zweitens war der Integrationsprozess bereits so weit fortgeschritten, dass wir de facto schon Verantwortung für die Dresdner Bank und ihre Mitarbeiter übernommen hatten und damit auch für die Stabilität des deutschen Finanzsystems. Wieso? Dreißig Jahre lang haben wir in Deutschland über die „Konsolidierung des Bankensektors“ nur geredet. Jetzt machen wir das. Schauen Sie doch mal nach Frankreich, dort wird gerade die zweitgrößte Bank gebaut. Warum sollte uns das in Deutschland nicht auch gelingen. Das heißt, es gibt in Deutschland genauso wie in der Autoindustrie auch Überkapazitäten bei den Banken? Selbstverständlich. Hätte man dann die Dresdner Bank nicht einfach in die Pleite schicken können? Undenkbar! Erinnern Sie sich daran, welche Aufregung es in Deutschland gab, als 30.000 Kunden der isländischen Kaupthing-Bank ihr Geld nicht zurück bekamen. Kunden, die zu einer Bank gingen, deren Namen viele von uns kaum aussprechen können und die in einer Stadt beheimatet ist, von der viele nicht wissen, wie man sie schreibt. Die gingen nach Island wegen einem Prozent mehr Zinsen - und gelten jetzt als arme Opfer. Was meinen Sie, was los gewesen wäre, wenn man der traditionsreichen Dresdner Bank mit fünf Millionen Kunden nicht geholfen hätte. Also nehmen Sie die Dresdner Bank geordnet vom Markt und nennen das Konsolidierung? Wir nehmen zwar Kapazität aus dem Markt. Es gibt am Schluss weniger Filialen in Deutschland und weniger Bilanzsumme. Aber wir führen zwei große deutsche Banken zusammen und bauen so einen Marktführer für Privat- und Firmenkunden. Das schafft langfristig sichere Arbeitsplätze. Aber zunächst heißt das natürlich weniger Beschäftigte in den Banken. Die Zusammenführung zu einer noch schlagkräftigeren Einheit, das ist der Weg, wie man im Bankensektor das Problem mit den Überkapazitäten in verschiedensten Bereichen verantwortungsvoll lösen kann. So ist es auch in historischen Bankenkrisen gelaufen. Die Dresdner Bank etwa musste nach 1932 mit der Danatbank fusionieren. Auch da ging es um Überkapazitäten. Durch die Übernahme haben Sie jetzt neben den eigenen Schwierigkeiten auch noch die gewaltigen Verluste der Dresdner Bank an der Backe. Wie lange werden Sie die mit sich herumschleppen? Wir werden die Synergien erst nach und nach heben können. Für 2009 rechnen wir noch mit erheblichen Umstellungskosten. In den Jahren 2010 bis 2012 aber werden wir sehen, wie die Erträge größer und vor allem die Kosten deutlich niedriger werden. Und in der Zwischenzeit muss der Staat noch weitere Male mit Einlagen und Kapitalspritzen Ihre „geordnete Konsolidierung“ finanzieren? Der Staat finanziert nicht die Fusion, er garantiert die Stabilität des Finanzsektors, das ist nicht nur in Deutschland so. Dann neutral gefragt: Müssen Sie noch einmal in Berlin um frisches Kapital bitten? Aus heutiger Sicht sind wir gut kapitalisiert... Also schließen Sie es auch nicht aus? Noch mal: Wir haben eine angemessene Eigenkapitalausstattung. Aber der Blick in die Schweiz, nach Großbritannien oder Amerika zeigt, niemand weiß mit Sicherheit, was in dieser Krisenzeit noch alles auf die Banken weltweit zukommen kann. Wenn Sie heute noch einmal über die Übernahme entscheiden könnten - würden Sie es wieder machen? Eine hypothetische Frage. Klar ist: Der Kauf der Dresdner Bank war und ist strategisch richtig. Ob es billiger gewesen wäre, wenn wir die Übernahme später vereinbart hätten? Welche Aktie ist heute nicht günstiger als vor einem halben Jahr? Interessant ist: Alle großen Banktransaktionen in Deutschland, die in letzter Zeit erfolgten, beliefen sich so in etwa auf fünf Milliarden Euro. Die Citibank Deutschland, die Landesbank Berlin, die Postbank und die Dresdner Bank. Vielleicht ist das der Preis, den man für solch einen strategischen Schritt einplanen muss. Jetzt musste der Steuerzahler Ihre Übernahme retten. Was hat er eigentlich davon? Der Staat rettet nicht die Übernahme, sondern er investiert in eine neue starke Bank. Und das ist für ihn ein gutes Geschäft. Wir bekommen die stille Einlage vom Staat ja nicht umsonst. Sie wird mit neun Prozent verzinst. Bei einem Kapitalmarktzins von um die drei Prozent verdient der Staat daran. Er nimmt Geld für drei Prozent auf und verleiht es für neun Prozent. Anders ist es mit den Aktien. Ja. Wie da die Rendite sein wird, kann man noch nicht sagen. Aber das ist nur die eine Seite. Wir alle haben als Steuerzahler und Bürger natürlich ein Interesse daran, dass es starke deutsche Banken und ein stabiles Bankensystem gibt. Das war ja der Grund für die weltweiten Aktionen der Regierungen. Die Bundesregierung hat hier inzwischen geradezu eine Führungsrolle übernommen, das wird in der aktuellen Debatte allzu leicht vergessen. Warum ist der Staat dann nicht konsequent und verstaatlicht die ganze Bank? So hat der Steuerzahler mit 18 Milliarden Euro den sechsfachen Wert der Commerzbank bezahlt - aber er bekommt für 25 Prozent Aktien nur ein Viertel der künftigen Gewinne. Da vergessen Sie die Zinsen auf die stille Einlage. Zum Thema Verstaatlichung: Hier gibt es gute Gründe zur Zurückhaltung. In anderen Ländern ist man diesen Weg ja durchaus gegangen. In Deutschland aber haben wir in der Vergangenheit mit vollverstaatlichten Banken nicht die besten Erfahrungen gemacht. Sie meinen die Landesbanken? Ja. Ein großer Teil des Bankensektors in Deutschland ist doch seit Jahrzehnten in öffentlicher Hand. Und dabei ist für den Steuerzahler nicht gerade das Beste herausgekommen. Die Landesbanken waren in der Krise die ersten, die Hilfe brauchten. Auch Politiker sehen, dass der Staat nicht der bessere Banker ist. Aber keiner hat eine Strategie dafür, wie und wann sich der Staat wieder aus den Banken zurückzieht, oder? Dazu müssten Sie wissen, wie lange die Krise dauert. Jede Prognose, die bisher dazu gemacht wurde, hat sich schon bald darauf als falsch erwiesen. Was denken Sie denn, wie lange der Staat Anteilseigner der Commerzbank bleiben wird? Das entscheidet die Regierung. Aber sicher nicht nur zwei oder drei Jahre. Ändert sich in Ihrem Denken als Bankchef etwas dadurch, dass der Steuerzahler jetzt ihr größter Anteilseigner ist? Nein. Kreditentscheidungen treffen wir weiter nach betriebswirtschaftlichen Kriterien. Aber es gibt auch eine Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler? Natürlich. Das haben wir zum Beispiel in der Debatte um die Boni bei der Commerzbank und der Dresdner Bank gemerkt. Der moralische Druck wurde so stark, dass Sie die Boni für die Banker gestrichen haben - selbst wenn Sie dafür bestehende Verträge brechen mussten. Wir zahlen keinen Bonus. Wer nichts verdient, kann auch nichts verteilen, das habe ich schon im letzten Jahr gesagt. Aber natürlich sind Mitarbeiter enttäuscht, und so eine Entscheidung sorgt intern auch für Unmut. Das kann ich auch verstehen. In der Frage haben Sie den öffentlichen Druck gespürt, wird es den künftig auch bei Kreditentscheidungen geben? Seit der Krise müssen die Banken überall auf der Welt viel stärker auf die öffentlichen Debatten Rücksicht nehmen als früher. Das hängt aber nicht davon ab, ob sie Staatsgeld bekommen haben oder nicht. Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Schaeffler. Es ist bekannt, dass die Commerzbank ein großer Gläubiger des fränkischen Automobilzulieferers ist. Nehmen wir an, Sie wollten dort aus wirtschaftlichen Gründen die Reißleine ziehen. Könnten Sie das tun, wenn die Politik gleichzeitig Auffanglösungen für Schaeffler debattiert? Zu einzelnen Kreditengagements kann ich nichts sagen. Das sollten Banker nicht tun... ...und ist Ihrem Kollegen Rolf Breuer von der Deutschen Bank vor ein paar Jahren im Fall Kirch zum Verhängnis geworden... ...Aber generell können wir nur Kredite vergeben, wenn das betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Das müssen wir auch bei bestehenden Kreditengagements prüfen. Trotzdem müssen wir die politische Debatte und die wirtschaftlichen Auswirkungen natürlich im Auge haben. Ist das nicht ein Widerspruch? Wenn man ein Unternehmen führt, muss man immer mehrere Interessen im Blick haben. Denken Sie nur an die Aktionäre, Kunden, Mitarbeiter. Und bei uns kommen jetzt halt die Steuerzahler dazu. Aber wer hat Vorrang? Die oberste Aufgabe eines Bankers ist es, dafür zu sorgen, dass die Einleger ihr Geld wiederbekommen. Deshalb gibt es ja auch nur eine Einlagensicherung, keine Kreditsicherung. Warum? Man bekommt in einer Volkswirtschaft ein Riesenproblem, wenn die Einleger von Banken ihr Geld verlieren. Das verunsichert alle. Das gibt Chaos. Deshalb kann ich auf Dauer auch nur verantworten, dort Kredit zu geben, wo ich davon ausgehen kann, dass ich das Geld wiederbekomme. Wenn wir anfangen, Kredite nach politischen Kriterien zu vergeben, wird der Steuerzahler am Ende immer noch mehr Geld nachschießen müssen. Ist endlich geklärt, wie die Bundesregierung bei Ihnen im Aufsichtsrat in Zukunft Einfluss nehmen wird? Es ist klar, dass die Politik zwei Vertreter im Aufsichtsrat haben wird. Wer das aber sein wird, ist noch nicht bekannt. Aber an Staatssekretäre wie bei der Bahn oder der Post ist nicht gedacht? Dazu kann ich nichts sagen, das entscheidet die Regierung. Wie andere Aktionäre, etwa die Allianz, die da bald auch vertreten sein wird. Ist diese Debatte nicht ein Zeichen dafür, wie verklemmt das alles ist? Der Staat beteiligt sich an einer Bank, aber ja nicht zu viel. Er nimmt im Aufsichtsrat Eigentümerfunktionen wahr, aber bloß nicht direkt. Für mich ist der Bund ein institutioneller Investor wie alle anderen. Er ist im Aufsichtsrat vertreten. Ja, das ist nichts Besonderes. Ich werde dort genauso mit ihm umgehen wie mit allen anderen Aktionären. Wer profitiert denn eigentlich von dieser Konstruktion? Sind Mittelständler jetzt besser dran? Natürlich. Es gibt zwar kein Grundrecht auf Kredit für Mittelständler. Im Gegenteil. In der Krise steigen die Ausfallwahrscheinlichkeiten für Kredite - auch darum werden Kredite tendenziell teurer, obwohl weltweit die Leitzinsen sinken. Aber sowohl Kreditkunden als auch Sparer haben natürlich ein Interesse an einer stabilen Commerzbank. Das heißt, Sie räumen ein, ohne Staatsgeld wäre die Commerzbank gekippt? Sie wäre in einer wesentlich schwierigeren Situation als jetzt. Am freien Kapitalmarkt kann sich ja im Augenblick keine Bank Eigenkapital holen. Es gab also nur zwei Möglichkeiten: Eigenkapital vom Staat oder die Kredite brutal einzuschränken. Zweiteres hätte der gesamten Wirtschaft geschadet. Das wollte niemand. Es ging nur um eine Kapitalerhöhung für die Commerzbank? Nicht um ihre drohende Pleite? Das war dann aber kein „systemisches Risiko“, wie immer behauptet wird. Doch, die durch Lehman ausgelöste Bankenkrise war ein Risiko für das ganze Land. Es ist noch kein systemisches Risiko, wenn die Kredite knapper werden. Systemisches Risiko würde bedeuten, es gibt kein Geld mehr am Geldautomaten. Wenn die Banken in dieser Situation das Kreditvolumen verringern - das wäre das Schlimmste, was der Wirtschaft passieren könnte. Der Fehler wurde in der Großen Depression in den zwanziger Jahren gemacht. Darum weiten die Notenbanken ja jetzt auch die Geldmenge aus. Notfalls verteilen sie Geld mit dem Hubschrauber, wie der amerikanische Notenbankpräsident Ben Bernanke gesagt hat. Dafür machen wir Geldpolitik. Aber dafür verstaatlichen wir keine Banken. Aber Sie müssen doch sehen, wie man die Banken dazu bringt, dass sie weiter Geld verleihen können. Dafür brauchen die Banken Eigenkapital. Und das bekommen sie in dieser speziellen Situation nur vom Staat. Die Commerzbank braucht die Staatshilfe auch wegen ihrer Immobilientochter Eurohypo. Ist das sozusagen Ihre „Hypo Real Estate“? Die Situation bei der Eurohypo ist überhaupt nicht vergleichbar mit der der Hypo Real Estate. Zwar haben beide Staaten und Immobilien finanziert. Aber doch völlig unterschiedlich. Die Hypo Real Estate ist daran gescheitert, dass sie langfristige Kredite kurzfristig finanziert hat. Das klappte nicht mehr, als die Märkte für kurzfristige Finanzierungen in der Bankenkrise versiegten. So was hat die Eurohypo nie gemacht. Außerdem ist sie mit dem Gesamtkonzern im Rücken viel widerstandsfähiger. Wäre eine Pleite der Hypo Real Estate ein großes Problem für die Commerzbank? Natürlich. Das wäre für den ganzen Markt ein Riesenproblem. Wen würde das am stärksten treffen? Sie sehen ja, wer da alles im Rettungsausschuss sitzt: die privaten Banken, die Sparkassen, die Volksbanken und die Versicherer. Das sind alles Gläubiger der Hypo Real Estate. Wenn die pleitegegangen wäre, wären auch Kommunen in Schwierigkeiten gekommen. Müssen wir jetzt auch noch fürchten, dass Staaten bankrottgehen können? Viele Staatsanleihen haben drastisch an Wert verloren. Das hat zwei Gründe. Zum einen sorgen die großen Rettungspakete überall auf der Welt dafür, dass die Staaten sich stärker verschulden. Käufer von Staatsanleihen machen sich Sorgen, ob die Staaten das alles stemmen können. Zugleich gibt es Spekulanten, die darauf wetten, dass der Euro auseinanderbricht. Das machen sie, indem sie gegen vermutet schwache Glieder in der Kette spekulieren - und sie zielen dabei etwa auf Griechenland, Italien oder Irland. Wir hatten gedacht, in der Labilität der Märkte gibt es eine Stabilität der Staaten. Jetzt zeigt sich: In der Labilität der Märkte werden auch Staaten instabil. Ich bin mit 100-Prozent-Aussagen in dieser Krise sehr vorsichtig geworden. Kann ich zu 100 Prozent garantieren, dass im Euro-Raum kein Staat instabil wird? Nein. Aber Anleihen des Bundes und der Bundesländer sind noch relativ sicher? Die Bundesländer stehen gegenseitig füreinander ein. Die mussten sich immer schon gegenseitig helfen, wenn einer klamm war. Aber in Europa ist das anders? Ja, in Europa gibt es eine solche Verpflichtung nicht. Und in Ländern außerhalb der Währungsunion ist es noch mal heikler. Wir haben es ja in Argentinien gesehen: Es ist nicht undenkbar, dass ein Staat seine Schulden nicht bezahlt. Auch das Schloss von Versailles hat einmal Frankreich fast in den Bankrott getrieben. Ist das ein Kreislauf? Die Krise der Banken trifft die Staaten - und die Krise der Staaten trifft wieder die Banken? Ein bisschen schon. Darum sind die Staaten ja auch in der Verantwortung, gemeinsam mit den Banken eine Lösung zu finden. Wird man eigentlich milder in der Frage, ob andere Unternehmen wie Opel oder Schaeffler Staatsgeld bekommen sollen, wenn man selbst welches genommen hat? Ich glaube, da muss man jeden Fall einzeln prüfen. Wir werden nicht jedes Unternehmen, das ein ökonomisches Problem hat, über staatliche Hilfen auffangen können. Damit würde man das Problem nur für Jahre verschleppen. Auf der anderen Seite muss man schauen, wie viele Unternehmenszusammenbrüche ein Land verkraftet. Die Debatte über die politischen und sozialen Konsequenzen dieser Krise hat schließlich gerade erst begonnen. Liegt nun das Schlimmste schon hinter uns, oder wird alles noch bitterer? Es bleibt schwierig. Natürlich wird sich die Rezession auch in den Bankbilanzen bemerkbar machen. In den nächsten zwei Jahren wird es Kreditausfälle geben. Ratings verschlechtern sich, weitere Abschreibungen drohen. Eine einzige Bank in Deutschland ist stolz darauf, ohne Staatshilfe auszukommen: die Deutsche Bank. Dort spricht man, wenn es um die Commerzbank geht, vom „Stamükap“, dem Staats-Müllerschen Kapitalismus. Gemeint ist Ihr Aufsichtsratsvorsitzender. Gönnen Sie den Kollegen den Triumph? Mir wäre es auch lieber gewesen, die Krise rein privatwirtschaftlich zu meistern, da können Sie sicher sein. Und wenn Herr Ackermann doch noch den Staat bräuchte, würden Sie feixen? Nein, bestimmt nicht, im Gegenteil: Ich wünsche den Kollegen, weiterhin allen Erfolg - allein schon um zu beweisen, dass erfolgreiches Banking mit und ohne den Staat möglich ist.Das Gespräch führten Rainer Hank, Georg Meck und Christian Siedenbiedel
Text: FAZ.NET Bildmaterial: F.A.Z., Rainer Wohlfahrt |