Uhr für reuige Steuersünder läuft ab
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Eröffnet am: | 16.03.05 06:51 | von: EinsamerSam. | Anzahl Beiträge: | 36 |
Neuester Beitrag: | 22.03.05 22:44 | von: OzzyOsbourn. | Leser gesamt: | 1.983 |
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Uhr für reuige Steuersünder läuft ab
Die Uhr für reuige Steuersünder läuft ab. Nur noch 15 Tage bleiben, um die Steueramnestie zu nutzen. „Bis 31. März 24.00 Uhr muss die strafbefreiende Erklärung und das Geld beim Fiskus eingegangen sein“, sagt Steueranwalt Ulrich Derlien von Peters, Schöneberger & Partner in München.
DÜSSELDORF. „Ich empfehle meine Mandanten, einen Scheck an die Erklärung zu heften und sich den Empfang vom zuständigen Finanzamt quittieren zu lassen“, erläutert Derlien im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Die Steueramnestie von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) läuft Ende März aus. In den vergangenen 14 Monaten nutzten zahlreiche Steuersünder die Discountbedingungen und zahlten gut 1,1 Mrd. Euro Ablass an die Finanzämter. Wer bis Ende März die so genannte strafbefreiende Erklärung abgibt, muss 35 Prozent Steuern auf die hinterzogenen Einnahmen zahlen. Dabei werden je nach Steuerart zusätzliche Abschläge gewährt. So müssen bei der Einkommen- oder Körperschaftsteuer nur 60 Prozent, bei der Gewerbesteuer nur zehn Prozent, bei der Umsatzsteuer 30 Prozent und bei der Erbschaftsteuer 20 Prozent des hinterzogenen Betrags angesetzt werden; Verluste und Werbungskosten können nicht geltend gemacht werden. Die bei einer Selbstanzeige üblichen Säumniszinsen entfallen.
Die Amnestie gilt für Steuerhinterziehungen der letzten zehn Jahre; ältere Vergehen sind verjährt. Die bis 1996 erhobene Vermögensteuer entfällt völlig. „Effektiv liegt die Belastung für hinterzogene Einkommensteuer bei 21 Prozent, bei der Erbschaftsteuer sind es sogar nur rund sieben Prozent“, rechnet Derlien vor. Im Gegensatz dazu kann es bei einer Selbstanzeige im Extremfall dazu kommen, dass fast das gesamte Schwarzgeld an den Fiskus geht.
Der Bonner Steueranwalt Jörg Schauf von Flick, Gocke, Schaumburg betont, typischen Amnestiefälle seien reuige Privatanleger, die das Geld Anfang entweder Anfang der 90er-Jahre nach Luxemburg gebracht hätten, um deutsche Zinssteuern zu sparen oder sogar schon in den 70er-Jahren in die Schweiz transferiert hätten, um in einem neutralen und sicheren Land einen „Notgroschen“ zu haben. Diese Personen seien nun überwiegend in vorgerücktem Alter und machten sich nun darüber Gedanken, das Vermögen auf die Kinder zu übertragen. Einige Mandanten seien auch durch die ab 1. April startende zentrale Abfragestelle aufgeschreckt worden, über die der Fiskus sämtliche inländischen Konten eines Steuerpflichtigen entdecken kann, ohne allerdings Kontobewegungen abfragen zu können.
Steueranwälte und -berater stehen bis zum letzten Tag der Amnestie bereit. Größtes Problem ist häufig, kurzfristig Bankunterlagen aus den letzten zehn Jahren zu beschaffen. „In einem Fall hat uns eine Schweizer Bank die Erträgnisaufstellung für den 4. April zugesagt. In solchen Fällen müssen wir die hinterzogenen Einnahmen großzügig schätzen“, sagt Derlien. Dann bestehe die Möglichkeit, binnen eines Monats gegen diese Schätzung Einspruch einzulegen, sofern sich die Schätzung als viel zu hoch herausstelle. Allerdings könne die Finanzverwaltung dann in dem Einspruchsverfahren – anders als bei der Amnestie-Erklärung – die kompletten Belege, etwa Depotauszüge, verlangen.
Ein besonderes Problem ergibt sich für reuige Börsen-Zocker, die Spekulationsgewinne vor allem aus dem Boom-Jahren 1999 und 2000 dem Fiskus verschwiegen haben. Da im Rahmen der Amnestie Spekulationsverluste nicht gegengerechnet werden können, müssen die Zocker die strafbefreiende Erklärung geschickt mit einer Selbstanzeige kombinieren. Dazu werden zunächst einzelne Kapitalerträge, Spekulationsgewinne und -verluste so kombiniert, dass der Gewinn minimal ist. Für dieses Paket wird dann eine Selbstanzeige abgegeben. Für die verbleibenden Gewinne wird die Amnestie mit ihren günstigen Bedingungen genutzt. „Das für Steuererklärungen aus zehn Jahren optimal zu kombinieren, kostet Zeit“, sagt die auf Daytrader spezialisierte Münchner Beraterin Birgit Hosemann. Schätzen sei wegen des komplizierten Verfahrens extrem schwierig.
Hosemann ergänzt, dass das Interesse der Zocker an der Amnestie ohnehin sehr gering gewesen sei. „Die meisten Zocker sind beratungsresistent. Viele haben als Arbeitnehmer ohnehin noch nie eine Steuererklärung abgegeben und haben auch jetzt keinen Grund gesehen, sich damit auseinander zu setzen.“
Quelle: HANDELSBLATT, Dienstag, 15. März 2005, 15:44 Uhr
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Der Einsame Samariter
Wie NRW gegen Steuerbetrüger vorgeht
In die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs kommt Bewegung. Nordrhein-Westfalen will jetzt als erstes Bundesland eine landesweite Zentralstelle zur Bekämpfung dieser Taten einrichten. Das kündigte NRW-Finanzminister Jochen Dieckmann (SPD) im Gespräch mit dem Handelsblatt an.
HB DÜSSELDORF. Die Stelle soll 2006 ihre Arbeit aufnehmen, in Bonn angesiedelt werden und Anlaufstation sein sowohl für das auf Bundesebene zuständige Bundesamt für Finanzen, die Fahnder anderer Bundesländer sowie die landeseigenen Finanzämter. „Verbesserungen bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs können nie auf seine völlige Ausrottung gerichtet sein, sondern nur auf seine Eindämmung“, sagte Dieckmann. NRW konzentriere sich deshalb auf das Phänomen des besseren und schnelleren Informationsflusses zwischen den Behörden.
Grund für die Aktion sind die horrenden Steuerausfälle, die durch gut organisierte Banden entstehen. Nach Schätzungen des Münchener Ifo-Instituts wird der Umsatzsteuerbetrug mit 16,3 Mrd. Euro in diesem Jahr einen Höchststand erreichen. Hinzu kommt, dass Dieckmann dem mit Bayern und Rheinland-Pfalz vorangetriebenen Umbau des Umsatzsteuersystem derzeit wenig Chancen einräumt. Zum einen, weil das Bundesfinanzministerium dem skeptisch gegenüberstehe. Zum anderen, weil der dafür notwendige Konsens zwischen den EU-Staaten nicht absehbar sei. „Das ist uns ziemlich unverblümt von der EU-Kommission angedeutet worden“, sagte Dieckmann.
Momentan laufen von Bund und Ländern in Auftrag gegebene Planspiele, die einen Wechsel zum so genannten „Reverse-Charge-Modell“ testen. Dabei finden zwischen Unternehmen grundsätzlich keine Umsatzsteuerzahlungen mehr statt – und damit auch keine Vorsteuererstattung. Das Problem beim Umsatzsteuerbetrug ist nämlich bislang, dass der gewerbliche Käufer einer Ware die zu zahlende Umsatzsteuer im Rahmen des Vorsteuerabzugs meist erstattet bekommt, bevor er das Entgelt an den Verkäufer entrichtet hat. Betrüger können sich also Steuern vom Finanzamt erstatten lassen, obwohl sie tatsächlich gar keine gezahlt oder der Verkäufer diese nicht an den Fiskus abgeführt hat. Meist arbeiten die Täter mit fingierten Rechnungen und einem Netz aus Scheinfirmen (Karussell).
Dem will NRW jetzt mit einer Optimierung der Verwaltungsstruktur entgegen wirken. Zum einen wird in jedem Festsetzungsfinanzamt eine einheitliche Anlaufstelle für neu gegründeten Firmen entstehen. Dadurch sollen typische Fallgestaltungen, die auf Betrugsabsichten hindeuten, schneller erkannt werden. „Im Verdachtsfall werden dann Beamte die Sache vor Ort überprüfen“.
Zum anderen soll die neue Zentralstelle laut Dieckmann als Ansprechpartner fungieren und Erkenntnisse aus Umsatzsteuerprüfungen bündeln und allgemein verfügbar machen. Außerdem soll sie Profile von Tätern und Begehungsweisen erstellen und daraus neue Strategien entwickeln. Auch eine Koordinierung der Fahnder-Einsätze ist geplant. „Es geht immer darum, schneller an die Information über die kriminelle Konstruktion zu kommen“, sagte Dieckmann. Darüber hinaus will er Schwerpunkt-Ermittlungsteams für die besonders schwierigen Fällen ins Leben rufen.
In anderen Bundesländern kommt die Idee gut an. „Ich begrüße das und halte den Ansatz für sinnvoll“, sagte der rheinland-pfälzische Finanzminister Gernot Mittler (SPD) dem Handelsblatt. Man sei im Übrigen in die Entwicklung der NRW-Zentralstelle miteingebunden und wolle davon in zweierlei Hinsicht profitieren: „Einmal für die Strukturen im eigenen Land. Zum anderen für eine mögliche länderübergreifende Kooperation“, sagte Mittler. Aus Bayern hieß es, die Idee einer zentralen Betrugsbekämpfungsstelle sei bei Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) „auf offene Ohren gestoßen“. Auch will man wie NRW flächendeckend Stellen zur Betreuung von Unternehmensgründungen einführen.
Bei den Praktikern in der Finanzverwaltung werden die Bemühungen dagegen nur als „Tropfen auf den heißen Stein“ betrachtet. „Wir müssen die Taten im Vorfeld unterbinden, sonst ist es meist zu spät“, heißt es in Steuerfahnder-Kreisen. „Denn in der Regel laufen die Taten über die EU-Grenzen ab. Sind sie bereits passiert, ist ein nachträgliche Aufklärung so gut wie unmöglich“.
Quelle: HANDELSBLATT, Dienstag, 22. März 2005, 07:30 Uhr
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Der Einsame Samariter
Zwei Dutzend Anlagen, 23 Gesetzesänderungen in zwei Jahren,
1 300 ungeklärte Verfahren: Ohne Berater haben Sie im Duell mit dem Fiskus keine Chance. Ein Lehrbeispiel.
PETER BRORS,
DÜSSELDORF
HANDELSBLATT, 22.3.2005
Der Brief des Finanzamts hatte es in sich. 14 589,11 Euro sollte Klaus Bogner* an Steuern nachzahlen, und das, bitte schön, binnen vier Wochen. „Ich dachte, oh Gott, dann bist du jetzt fast pleite.“
Was war geschehen? Bogner, 38, ein schlanker, mittelgroßer Mann mit vollem schwarzem Haar und unauffälliger Brille, hatte im Februar 2005 noch keine Steuererklärung für 2003 abgegeben. Der fest angestellte Diplom-Ingenieur einer Ford-Tochter, der sich nebenher als freischaffender Softwareberater verdingt, hatte es gehalten wie unzählige andere Deutsche auch. Erst wird das Unvermeidliche monatelang vor sich hergeschoben. Und dann, wenn die zweite Aufforderung im Briefkasten liegt, in aller Eile nach Feierabend oder am Wochenende durchgezogen. Doch seine Finanzbeamtin gewährte ihm keine zweite Chance. Als er auf die erste Mahnung nicht reagierte, schickte sie ihm kurzerhand einen Schätzungsbescheid. Darin rechnete sie den Gewinn seiner selbstständigen Arbeit aus dem Jahr 2002 um den Faktor vier hoch, stufte ihn nun als umsatzsteuerpflichtig ein und legte all das auch gleich für 2004 zu Grunde. „In diesem Moment war mir klar, dass es ohne Berater nicht mehr geht“, bekennt Bogner.
Und so sitzt er an diesem trüben Märztag nun erstmals im Büro eines Steuerberaters. Der heißt Michael Seifert, schreibt Ratgeber-Broschüren für den DIHK und bildet als Referent den eigenen Berufsstand aus. Gegen den 2003er-Schätzungsbescheid hat er Einspruch eingelegt. Und für 2004 will Bogner wissen: Was holt der Profi, den sich viele nicht leisten wollen oder können, noch alles raus?
Beim Ausfüllen der Formulare lassen sich beide über die Schultern blicken. Herausgekommen ist so ein mehrstündiges Fallbeispiel, das zeigt: Wer sich allein vorwagt, ist verloren. Selbst Steuerzahler mit akademischer Ausbildung und relativ harmlos klingenden Vorgängen haben ohne Hilfe keine Chance. Und verschenken oft viel Geld.
Ein Wahnsinn, der in diesen Tagen, wenn die Lohnsteuerbescheinigungen zurückkommen, Millionen Bundesbürgern droht. Ein Wahnsinn, weshalb Angela Merkel noch vor dem Jobgipfel beim Bundeskanzler auf eine „radikale Vereinfachung des Steuerrechts“ drängte. Weshalb Bundespräsident Horst Köhler in seiner jüngsten Grundsatzrede aus einer Studie des World Economic Forums zitierte, wonach das deutsche Steuerrecht in Sachen Effizienz bei 104 untersuchten Ländern Platz 104 belegt.
Mantelbogen, 8.50 Uhr
Grün. Überall dieses Grün. Kein helles Grasgrün, kein dunkles Tannengrün, eher ein schmutzig-graues Grün, ein Grün mit Schleier. Jeder kennt diese Bögen, das Hauptformular, den so genannten Mantelbogen, und seine Anlagen: die Anlage N, die Anlage GSE, die Anlage AV, die Anlage KAP, die Anlage L, die Anlage AUS, die Anlage SO, die Anlage FW. Über zwei Dutzend verschiedene Bögen hält das Finanzamt vor. Warum sie alle grün sind? Keiner weiß es. Nicht der Bund der Steuerzahler, nicht die Druckerei, die die Papiere herstellt. Und auch nicht das Finanzministerium: „Keine Ahnung, aber Grün ist ja die Farbe der Hoffnung“, versucht ein Ministerialer die billigste aller billigen Erklärungen.
Beim Mantelbogen 2004 hat diese Hoffnung genau 119 Zeilen. Bogner hat nun einen Kuli in der Hand und beginnt mit der Arbeit. Erst läuft alles glatt: Name, Adresse, Bankverbindung. Die Tücken lauern ab Zeile 29. Hier lernt der gemeine Steuerzahler, dass das Abgabensystem allein sieben Einkunftsarten unterscheidet: Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieben, aus nichtselbstständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und die sonstigen Einkünfte. Bogner zögert: „Wo gehören denn meine EDV-Beraterumsätze hin? Ich habe ja kein Gewerbe angemeldet.“
Jetzt geht es Schlag auf Schlag. „Ausländische Einkünfte“. Keine. „Förderung des Wohneigentums“. Erst mal überspringen. „Einkommensersatzleistungen unter Progressionsvorbehalt.“ Wie bitte? Bogner nimmt die Brille ab. Reibt sich die Augen. Setzt die Brille wieder auf. Nimmt einen Schluck Wasser. Schiebt eine Hustenkamelle hinterher. Tippt sich mit beiden Zeigefingern an die Schläfen. Weiter in Zeile 40: „Aufwendungen für geringfügig Beschäftigte im Privathaushalt (Bescheinigung der Bundesknappschaft beifügen)“. „Das sind sicher die Ausgaben für die Putzfrau“, entfährt es ihm. Und es klingt irgendwie erleichtert, gerade so, als wäre er froh, mal etwas auf Anhieb zu wissen „Aber Bundesknappschaft. Hallo?“ Seifert: „Die stellt die Bescheinigung aus, dass die Putzfrau bei der Mini-Job-Zentrale auch gemeldet ist. Ohne den Schrieb kein Geld, immerhin 510 Euro weniger an Steuern.“ Bogner schüttelt noch den Kopf, da wartet schon Zeile 44: „Steuerermäßigungen bei Aufwendungen für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen“. „Wie? Nochmal die Putzfrau? Oder ist damit jetzt die Heizungswartung gemeint?“ „Vergessen Sie es einfach“, sagt Seifert.
Mit dem Finger fährt Bogner nun über den Bogen, eilig hinweg auch über Zeile 77 und den Terminus „Dauernde Lasten“. Der Berater fragt: „Wissen Sie, was das ist?“ Bogner wird rot, fühlt sich schon wieder „Ertappt!“. „Ist das wichtig?“ „Wenn mehrere hundert Euro für Sie viel Geld sind, dann schon.“
Vor zwei Jahren hatten Bogners Eltern ihm eine Wohnung übertragen. Dafür zahlt er seinem Vater nun 200 Euro im Monat. Das sind 2 400 Euro im Jahr, die, noch dazu voll abzugsfähig, bei einem Steuersatz von 35 Prozent 840 Euro ausmachen.
Als Seifert auf seinem Taschenrechner rumhackt, beginnt es draußen zu regnen. Der Mandant bittet um eine Tasse Kaffee. „Diese dauernde Last habe ich letztes Jahr nicht angegeben. Können wir das noch rückwirkend ändern?“ fragt er. Und stöhnt: „Wie soll man das eigentlich alles wissen, wenn man das nur einmal im Jahr macht?“
Tatsächlich muss, wer nur schon die „Dauernde Last“ wirklich begreifen will, den Paragrafen 10 fest im Griff haben, ein Vorschriftenmonster aus dem Berliner Gruselkabinett, das im Gesetz allein 117 Seiten füllt. Auch die Paragrafen 12 und 13, 16 und 22 sind bedeutsam, genau wie die Vorschrift 323 der Zivilprozessordnung. Und der wahre Lastenkenner muss auch noch Bescheid wissen über die „Abgrenzung zur Rente“, über „Taschengeldnebenleistungen“, „schädliche Änderungen“ und „variable Bemessungsgrößen“. Seifert: „Noch Fragen?“
Anlage N, 9.50 Uhr
All das wissen kann ohnehin nur der, der das rote Buch hat und es auch versteht. Wobei der Begriff Buch stark untertrieben ist. Es ist eher ein Werk, wenn auch mit schlichtem Titel: „Einkommensteuergesetz (EStG) Kommentar“. Es stammt aus dem Hause C.H. Beck, ist fast sieben Zentimeter dick, wiegt mehr als ein Kilo und hat 2 512 Seiten. Für Experten ist es der Routenplaner durch den Steuerdschungel, einen Urwald, dem jedes Jahr unzählige neue Bäume erwachsen. Allein in dieser Legislaturperiode ist das EStG 23-mal geändert worden.
Steuerzahler Bogner indes kann an diesem Morgen erstmals verschnaufen. Es geht auf zehn Uhr zu. Jetzt sind die Einkünfte aus „nichtselbstständiger Arbeit“ dran. Das hört sich leicht an. Das rote Buch braucht es dazu im Moment nicht. Schnell die Angaben von der Lohnsteuerbescheinigung abgeschrieben. Fertig. Weil er weder in Belgien, noch in der Schweiz arbeitet, wo es, das suggerieren die Zeilen 13 bis 19, umfassend geregelte Doppelbesteuerungsabkommen gibt (Bogner ruft halb mitfühlend, halb spöttisch: „Die Armen“), fegt er über die erste Seite und landet bei den Werbungskosten: Kontoführungsgebühr, die 110-Euro-Pauschale für Arbeitsmittel, die Entfernungspauschale für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte – all das kennt er. Kein Problem. So viel Spezialist ist er schon selbst.
Dass er bei den Fahrten ins Büro aber nicht unbedingt den kürzesten Weg angeben muss, sondern den, der für ihn in der Regel der schnellste ist, hört er indes zum ersten Mal. Genauso wie von den Tagegeldern für den Cebit-Besuch. Die hatte sich sein Arbeitgeber gespart, weil Bogner unzählige Kunden im Auftrag der Firma bewirtet hatte und sich so ja gleich mitverpflegen konnte. Laut Gesetz aber stehen ihm die Tagegelder trotzdem zu: Macht bei sechs vollen Messetagen 144 Euro und den Mandanten froh: „Gut, dass ich heute hier bin.“
Über 1 000 Euro hätte Bogner bis hierhin dem Staat bereits geschenkt, säße er wie in den letzten Jahren allein zu Hause. Das Engagement des Beraters beginnt sich zu rechnen.
Anlage GSE, 10.40 Uhr
Immerhin sorgt das Steuerchaos dafür, dass wenigstens eine Branche boomt. Inzwischen umschwärmt eine regelrechte Industrie das Steuervolk. 65 282 Steuerberatern stehen 257 211 Finanzbeamte und Angestellte in den Ämtern gegenüber. Sie liefern sich heiße Schlachten, gerne auch vor Gericht. Allein vor dem höchsten deutschen Steuergericht, dem Bundesfinanzhof, sind sage und schreibe 1 300 ungeklärte Verfahren anhängig. Unzählige davon betreffen die Anlage GSE, also die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit.
Gleich das erste Feld kostet Nerven und vor allem Zeit. Dort steht lapidar „Gewinn“. Also: Bewirtungsbelege sortieren, Tankquittungen ordnen, Rechnungseingänge überprüfen. Denn: „Ohne detaillierte Gewinn- und Verlustrechnung geht hier gar nichts“, sagt Seifert.
Sieben Kunden hat Bogner 2003 nebenher betreut, aber nicht alle haben in diesen schweren Zeiten alles bezahlt. „Kann, muss oder soll ich die Kosten für speziell diese Aufträge jetzt auch gegenrechnen? Und wenn ja: In welcher Höhe“, fragt er. „Und was ist mit dem PC? Kann ich den abschreiben? Voll?“
Die Antworten auf all diese Fragen hätte er sich mit viel Recherche vielleicht noch selbst erarbeiten können, abends spät nach Feierabend oder am Wochenende, wo die Stunden eigentlich der Erholung oder der Familie gehören. Den irren Aufwand für Zeit, aber auch für Hilfsmittel wie fingerdicke Ratgeber oder aktuelle Steuersoftware hat das Rheinisch Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung auf durchschnittlich 1 036 Euro je Erklärung hochgerechnet.
In jedem einzelnen Fall ein kleines Vermögen. Und eine grandiose Verschwendung. Zumal es nicht einmal vor teuren Irrtümern schützt. Welcher Jungunternehmer beispielsweise hat schon einmal von der Sonderabschreibung für kleinere und mittlere Unternehmer nach Paragraf 7g EStG gehört?
Anlage V, 13.35 Uhr
Bogner jedenfalls nicht. Mittlerweile ist der Nachmittag angebrochen, jetzt wäre die Anlage V mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dran. Bogner besitzt eine vermietete Eigentumswohnung. Nun würde es noch um den Aufwand für Warmwasser gehen, die Schornsteinfegerreinigung, die Hausbeleuchtung, die Müllabfuhr, die Grundsteuer und und und. Fast schon flehentlich bittet er: „Ich kann nicht mehr. Lassen Sie uns für heute abbrechen.“
Oder frei nach Ludwig Schmidt, dem Verfasser des roten Buches, der den Zustand des deutschen Einkommensteuergesetzes einmal so kommentiert hat: „Vergangenes Jahr standen wir noch vor einem Abgrund, dieses Jahr sind wir schon einen großen Schritt weiter.“
*Name von der Redaktion geändert.
MfG
kiiwii
[Übrigens: In diesem Land sind 5.216.434 Menschen arbeitslos.]
Habe eigentlich keinen Bock drauf.
Tsts..."2002"
ask zombi, mothers little helper.
MfG
kiiwii
[Übrigens: In diesem Land sind 5.216.434 Menschen arbeitslos.]
Das Handelsblatt und kiiwii haben sich den typischen Durchschnittsdeutschen ausgesucht:
Gut verdienender Diplom-Ingenieur, der nebenbei noch freiberuflich tätig ist und auch noch ´ne Eigentumswohnung vermietet und eine Putzfrau beschäftigt (Erstaunlich, dass scheinbar keine Einkünfte aus Kapitalvermögen vorliegen sollen *g*)
Mal ist er Waldy, mal Hartz, mal Zit, dazu viele andere und immer unzufrieden! Wer nimmt sowas Ernst? Lass ihn doch quatschen:-))
Ich bitte um sachliche Gegenargumente und/oder Hilfestellung
Danke
Psst aber nicht zu der Aussage: "aber ich bin nicht in der Lage, meine Steuererklärung selber zu erstellen."
Musste dich nunmal entscheiden.
Sobald Du was ausser der Reihe hast, (Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, Vermietung, usw.) bist Du ohne StB verloren. Und Du weißt das am besten.
Die Behauptung, dass die Mehrheit (!) :-) der Bundesbürger keine Probleme mit der Steuererklärung hat, ist in meinen Augen eine unbewiesene Meinungsäusserung Deinerseits und nichts weiter.
Ich stehe zu meiner Aussage. Die Steuererklärung ist -je nach den pers. Umständen- saukompliziert.
Vielleich ist das mit der Intelligenz ja auch nur Wunschdenken.
Mag alles sein. Aber allein, dass die Zunft der Steuerberater hierzulande zigtausende von Arbeitsplätzen sichert, sollte vielleicht auch zu denken geben.
Könnte der alte Mad nicht vielleicht ausnahmsweise auchmal n' büschn recht haben? Geht ja nich gleich die Welt von unter...
Wenn man dann trotzdem noch Schwierigkeiten mit der Einkommensteuererklärung hat, langt es, einmal zum Lohnsteuerhilfeverein oder Steuerberater zu gehen, und die nächsten Jahre kann man die ganze Sache getrost alleine machen.