Regierungserklärung gerät zur Satireshow
«Verantwortungspartnerschaft» auf
Berlin (dpa) - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat alle Bürger in
Deutschland zu einer «echten Verantwortungspartnerschaft» aufgerufen. «Mehr
als auf die Verteilung knapper werdender öffentlicher Mittel kommt es heute
auf die Verteilung der Chancen an», sagte Schröder am Dienstag im Bundestag
in seiner Regierungserklärung zum Auftakt der neuen Legislaturperiode.
Als Maxime der nächsten Regierungsjahre nannte der Kanzler: «Es geht nicht,
nur das zu sagen, was nicht geht. Fragen wir uns, was jede und jeder Einzelne
von uns dazu beitragen kann, dass es geht.» Die neue Bundesregierung will
nach den Worten Schröders die Kräfte für Wachstum und Erneuerung stärken.
Die von der rot-grünen Koalition vereinbarten Einsparungen und Einschnitte bei
Steuervergünstigungen und Subventionen verteidigte der Kanzler als «in sich
ausgewogen».
Hört sich wie "Volksgemeinschaft" an. Keiner soll bitteschön darüber meckern, wenn ihm Geld aus der Tasche gezogen wird - das meint doch unser Gerdchen. Ich sach nur: GröFlAZ.
"der Gesetzgeber hat das noch nicht geregelt (scheinbar)." Auf was bezieht sich das? Bin ich zu naiv um das zu kapieren? oder hat der Gesetzgeber meine Naivität noch nicht geregelt?
Vielleicht kann ja auch irgendein anderer Sinn ins Flexos Gedankenfetzen bringen.
Grüße
ecki
R.
Oppositionsführerein Angela Merkel übte in ihrer Rede heftige Kritik an dem rot-grünen Koalitionsvertrag. Es sei ein Werk der Täuschung, Enttäuschung und Vertuschung. Sie warf Schröder vor, in seiner Regierungserklärung die Realität in Deutschland ausgeblendet zu haben.
"Ihre Wahrnehmung der Realität, ihre Regierungserklärung ist nicht von dieser Welt", sagte die CDU-Vorsitzende am Dienstag im Bundestag.
Die Politik der Bundesregierung belaste insbesondere die Durchschnittsverdiener. "Rot-Grün macht arm." Familien mit zwei Kindern und 30.000 Euro Jahreseinkommen würden durch die Regierungspläne mit etwa 200 Euro monatlich belastet, rechnete Merkel vor.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,220328,00.html
Schröder: Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik aus einem Guss
Berlin (vwd) - Bundeskanzler Gerhard Schröder hat für die kommende Legislaturperionde eine "Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik aus einem Guss" angekündigt. Eine solche Politik sei notwendig, um die Binnennachfrage und Investitionen anzukurbeln (???), sagte Schröder am Dienstag in Berlin in seiner ersten Regierungserklärung der beginnenden Legislaturperiode. Zu den fünf Säulen dieser Politik zählten strategische Investitionen in Bildung und Forschung, Infrastruktur und ökologische Erneuerung, die Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung, die Entlastung von Steuern und Abgaben (???) Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt sowie der Abbau unnötiger Bürokratie.
In den kommenden vier Jahren werde die Bundesregierung vier Mrd EUR für die Einrichtung von 10.000 neuen Ganztagsschulen zur Verfügung stellen sagte der Kanzler. Deutschland sei ein Land mit "großartigem wirtschaftlichen Potenzial und enormen eigenen Wachstumskräften". Diese müssten weiter entwickelt werden, um auch in Zeiten ungünstiger Weltkonjunktur bestehen zu können. "Wir wollen eine neue Kultur der Selbstständigkeit und einen neuen Aufschwung bei Existenz- und Unternehmensgründungen (???) ", sagte Schröder. Dazu werde die Mittelstandsförderung gebündelt.
Wer sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig mache, werde unterstützt. In Ostdeutschland werde der InnoRegio-Prozess durch "weiter entwickelte Fördermaßnahmen zur Gründung neuer Unternehmen" ergänzt. Die Planung von Bauvorhaben solle vereinfacht und Investitionen beschleunigt werden (???). Die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland werde auf der Grundlage des Solidarpaktes II erfolgen, der bis ins Jahr 2019 Planungssicherheit gewähre, sagte Schröder. +++ Beate Preuschoff
vwd/29.10.2002/bp/hab
Hat der seinen eigenen Koalitionsvertrag nicht gelesen? ;-)
Da wird was als neu verkauft, was schon abgestanden ist.
Sieh auch:
BMA-Pressestelle
Berlin, den 01. August 2002
Riester: Überbrückungsgeld für Existenzgründer wird aufgestockt - Voller
Erfolg des Job-Aqtiv-Gesetzes
Ein guter Tag für Existenzgründer und Arbeitsämter: Die Bundesregierung stockt das
Überbrückungsgeld in diesem und im nächsten Jahr auf. Aufgrund der regen Nachfrage
werden der Bundesanstalt für Arbeit für die Gewährung von Überbrückungsgeld
zusätzlich 145 Millionen € für 2002 und 70 Millionen € für 2003 als
Verpflichtungsermächtigung zur Verfügung gestellt.
Bundesarbeitsminister Walter Riester sagte: "Das Überbrückungsgeld ist eines der
erfolgreichsten Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Es hat sich zur Förderung
der Existenzgründung bewährt. Das große Interesse der Menschen zeigt, dass wir mit
dem Job-Aqtiv-Gesetz genau die richtigen Weichen gestellt haben. Unsere
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wirken."
Der Mehrbedarf ist auf verbesserte Zugangsvoraussetzungen für Existenzgründer
durch das Job-Aqtiv-Gesetz zurückzuführen. Damit ist die vierwöchige Wartezeit für
Arbeitslose weggefallen.
Bis Ende Juni 2002 haben 58.000 Menschen einen Förderantrag gestellt. Anfang Januar
waren es 6.400. Im Jahr 2001 wurden rd. 96.000 Personen gefördert. Die
Verbleibsquote lag 2001 bei rd. 91 %. Nach den Ergebnissen einer IAB-Studie sind
Überbrückungsgeldempfänger drei Jahre nach Aufnahme der Selbständigkeit noch zu
70 % selbständig.
Überbrückungsgeld steht den Arbeitnehmern zur Verfügung, die einen Anspruch auf
Lohnersatzleistungen haben und die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit,
Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden. Die Leistungen müssen vor Beginn der
Existenzgründung beim örtlich zuständigen Arbeitsamt beantragt werden.
Es handelt sich um ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das in weit höherem Maße
in Anspruch genommen wird als bei den Haushaltsplanungen angenommen.
Existenzgründung bedeutet Optimismus in die Zukunft.
DIE QUADRATUR DES KREISES
Mehr Geld zur Subventionierung von Arbeitsplätzen
Geringere Löhne und Lohnnebenkosten
Mehr privater Konsum
Höhere Steuereinnahmen für höhere staatliche Nachfrage
Kurz gesagt:
alle Pläne kosten Geld und wenn man das Geld dafür aus den Leuten rauszieht, funktionieren die Pläne nicht
Kommentar: Schröder macht sich nur selbst Mut
Von Peter Ehrlich, Hamburg
In wirtschaftlich schwieriger Zeit sollte eine Regierungserklärung den Menschen im Lande Mut machen. Kanzler Gerhard Schröder klang aber während seiner Rede häufig so, als wolle er sich und seiner Koalition selbst Mut machen.
Was die Menschen erwarteten, so der Kanzler, sei eine Politik, "die den Mut zur politischen Gestaltung der Zukunft hat". Diese Politik werde seine Regierung in den nächsten Jahren weiter entwickeln. Das klingt ein wenig, als habe der Kanzler erkannt, dass die Koalitionsvereinbarung nicht überall mutig und manchmal auch konfus ist.
Dementsprechend merkte man der Rede an, dass es etwas mühsam war, ein gemeinsames Motiv für das Regierungshandeln zu finden, eine leicht verständliche "Story". Auch der umständliche Titel ("Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung schaffen - für eine Partnerschaft in Verantwortung") zeigt das Fehlen einer klaren, sofort verständlichen Botschaft.
Immerhin enthielt die Rede einige Andeutungen, die Schröder aktives Handeln ermöglichen. So kündigte er an, das Sozialsystem weiter auf seine Wirksamkeit zu überprüfen und auch die Reform des Rentensystems fortzusetzen. Wie er das machen will, ließ er offen. Natürlich haben die Wähler nicht Schröder und die SPD gewählt, um den Sozialstaat abzuschaffen. Aber etwas klarer hätte er schon sagen können, wo Einschnitte nötig sind.
Ebenso vage blieben seine Äußerungen darüber, wie er Wachstum schaffen will. Schröders zentraler Appell lautete: "Hören wir auf, immer nur zu fragen, was nicht geht. Fragen wir uns, was jede und jeder Einzelne von uns dazu beitragen kann, dass es geht". Diesen Appell zu befolgen fiele leichter, wenn immer klar wäre, worum es geht. Nur zu einem klaren Konzept können Bürger Ja oder Nein sagen.
© 2002 Financial Times Deutschland
und Incentives verteilt hätten.
Siehe 100-Tage-Programm der CDU und FDP-Wahlprogramm.
Die Schwarz-Gelben verstehen eben mehr von Wirtschaft
als die Neider- und Umverteilerpartei.
Das sag ich als langjähriger aktiver Genosse (ehemaliger).
Die aktiven Sozis und Grünen sind überwiegend weltfremde Spinner, während
die Vernünftigen dort die Karteileichen wie Du sind.
Viele Grüsse
mod
Ist doch wohl nicht. Wenn Du Dir deren parteiprogramme ansiehst, dann gibt es da ziemlich viel Mittelstandsgedöns (gemeint sind Subventionen) und ein bißchen Arbeitsmarktreformen. Das war es dann aber schon.
Von Makro haben die so wenig Ahnung wie Rot/Grün. Ordnungspolitisch sind sie wegen ihrer Klientel festgezurrt. Und dann hängen sie wie der SPD der Vorstellung nach, dass der Finanzminister sich wie der Kassenwart eines Kaninchenzüchtervereins zu verhalten habe, dessen Verhalten keine gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen hat.
Im übrigen bin ich mit meiner Funktion als Karteileiche sehr zufrieden, denn ich glaube doch recht viel politischen Einfluss zu haben - wenn auch nicht nur über die Parteischiene. Ist so sehr viel komfortabler.
Von Volker Zastrow
Drei Generationen von Deutschen haben in der Bundesrepublik gelebt wie in einem Haus, das von den Nachbarn nicht unbedingt mit Wohlgefallen, aber mit Neid oder Bewunderung betrachtet wurde. Diese Zeiten sind vorüber. In den Kommentarspalten der Auslandspresse figuriert Deutschland - wie England in den Siebzigern - als der kranke Mann Europas. Statt Neid oder Bewunderung sprechen jetzt Häme oder Besorgnis aus den Zeilen. Dabei spiegeln die Zeitungen nur den Ansehens- und Einflußverlust wider, den Deutschland und seine Repräsentanten in der Politik erlitten haben. Nur die Deutschen haben es noch nicht bemerkt. Sie haben, wenn auch mit knapper Mehrheit, die Regierung wiedergewählt, die in gerade vier Jahren vermocht hat, soviel Kapital zu verspielen.
Kaum war die Wahlentscheidung getroffen, kassierten die alten und neuen Regierenden fast alles im Wahlkampf Gesagte und verkündeten das Gegenteil. Schlagartig schnellten die Sympathiewerte der Opposition wieder nach oben - das Volk fühlt sich belogen. Ja, wollte es denn nicht belogen werden? Daß Schröder seine veröffentlichte Meinung wechselt wie andere ihre Hemden, daß er den Leuten schamlos nach dem Munde redet, daß er selbst Lebensfragen der Nation dem Primat des tagespolitischen Popularitätswettbewerbs unterordnet, ist nun wahrlich keine Neuigkeit. Ein allemal hinreichend großer Teil des Volks prämiert diese Verhaltensweisen, die, durch Scham gemildert, im übrigen auch Oppositionspolitiker an den Tag legen. Soll man Schröder vorhalten, daß er abgebrühter als jeder andere - auch in seiner eigenen Partei - davon Gebrauch macht?
Die Regierungserklärung trug Schröder genervt und gelangweilt vor. Was schert ihn sein Geschwätz von heute? Der Wahltag ist vorüber, die Würfel sind fürs erste gefallen. Im Bundestag war Schröder noch nie in seinem Element. Und was seine Regierung im einzelnen tut, spielt für den Bundeskanzler keine überwältigend wichtige Rolle. Als die Oppositionsführerin Merkel sich in ihrer Rede mit der erklärten Absicht der Regierung beschäftigte, die Eigenheimförderung abzuschaffen, hielt ihr ein sozialdemokratischer Zwischenrufer entgegen, man wisse doch noch gar nicht, was am Ende komme. Das stimmt. Wie schon nach der ersten rot-grünen Koalitionsbildung, wie bei zahllosen Projekten der Koalition weiß man nie so recht, was gerade zurechtgewurschtelt, hingeschustert und wieder abgeschüttelt wird. Nicht einmal der damalige Wirtschaftsminister Müller konnte seiner "geringfügig beschäftigten" Ehefrau Auskunft geben, welche Folgen die Reform des 325-Euro-Gesetzes für sie haben würde. Auch jetzt ist schon wieder ein Teil der angekündigten Maßnahmen vom Kanzler kassiert worden.
Trotzdem ist im großen und ganzen erkennbar, was die Regierung vorhat: nicht, wie von Schröder angekündigt, "nachhaltige Entlastung der Menschen von Steuern und Abgaben", sondern zusätzliche Belastung des produktiven Teils der Gesellschaft, insbesondere der Arbeiter und Angestellten, in einem noch nicht dagewesenen Umfang. Schröder und seine Koalition gehen nicht etwa den von ihm angekündigten und von den Wirtschaftsweisen empfohlenen Weg der Entlastung. Statt dessen belasten sie die ökonomisch tragenden Säulen der Gesellschaft bis zum Bersten. Man muß fürchten, daß Deutschland nun wie Japan auf Dauer in den wirtschaftlichen Niedergang geführt wird.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung mit Worten nicht gespart, die den Vorgang beschönigen sollen: Auf die Mittelschicht, also den überwiegenden Teil der Werte schaffenden Bevölkerung, kommen zusätzliche Belastungen von monatlich zwischen 200 und 400 Euro zu, der größte Teil davon in Gestalt zusätzlicher Lohnnebenkosten. Es werden also in etwa die letzten frei verfügbaren Einkommensanteile enteignet. Die Folgen für die Kaufkraft und damit für die Konjunktur sind absehbar verheerend. Dasselbe gilt wegen der weiteren Verteuerung der Arbeit für den Arbeitsmarkt: Entlassungen und Pleiten werden nicht ab-, sondern zunehmen.
Doch auch in der Arbeitsmarktpolitik setzt die Regierung auf Wortgeklingel. Da tönt der Kanzler, Schwarzarbeit sei krimineller Mißbrauch der Sozialsysteme. In Wirklichkeit mißbrauchen die Sozialsysteme die Arbeit und generieren so den schwarzen Arbeitsmarkt. Doch warum sollte Schröder nicht darauf vertrauen, daß er in Zukunft genauso wie in der Vergangenheit mit Worten statt mit Taten Erfolg haben wird - wenn er etwa in seiner Regierungserklärung darlegt, die "bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie" für Frauen werde Arbeitsplätze schaffen; oder wenn er die statistischen Effekte des Hartz-Programms, das sich inzwischen zur arbeitsmarktpolitischen Wunderwaffe der Regierung gemausert hat, zu ökonomischen erklärt?
Mit der Behauptung auf der einen Seite, die klassischen keynesianischen Instrumente stünden im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr zur Verfügung, und der andererseits erklärten Absicht, Leistungen und Ansprüche nicht zu kürzen, hat sich die Bundesregierung für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik entschieden, die der Rasenpflege durch das Auflegen von Bleiplatten gleicht. Man kann noch nicht einmal behaupten, daß sie ihr Vorhaben aufwendig tarnt. Sie führt Deutschland ins Desaster und ruft den Bürgern zu: Diesen Weg habt ihr gewählt!
Was nicht unzutreffend ist. Weit über die rot-grüne Klientel hinaus haben die Deutschen sich angewöhnt, den Staat als Verteilungs- und Verantwortungsagentur zu sehen. Schröders Politikstil paßt perfekt dazu. Wie niemand sonst verkörpert der Bundeskanzler einen Staat, der jedem zuruft, "daß es geht". Wozu Angela Merkel die kluge, aber unwillkommene Frage stellte: "Was ist ,es'?"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.10.2002, Nr. 252 / Seite 1
Deutscher Weg: Regieren per Reparaturkommission...
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... und ohne harte Wahrheiten
von Jan Ross
Die Müdigkeit, sie will und will nicht weichen. Es war eine ziemlich sichere Wette gewesen, dass Gerhard Schröders Regierungserklärung besser würde als die rot-grüne Koalitionsvereinbarung. Zu einhellig war das Vernichtungsurteil über Ideenlosigkeit und Abkassiererei ausgefallen, und Schröder ist ein Meister der Frontbegradigung in solchen Lagen. Aber es kam nichts. Die Rede war im Gestus uninspiriert und in der Sache rückwärts gewandt, voller sozialfolkloristischer Breitseiten gegen den "Nachtwächterstaat", den freilich in Deutschland niemand einführen will, oder gegen die Schwarzarbeit, in der die Regierenden offenbar zu Recht einen Akt der Rebellion gegen das herrschende Beschäftigungssystem erkennen.
Nicht, dass das Bewusstsein von der Veränderungsbedürftigkeit der Bundesrepublik den Kanzler ganz und gar verlassen hätte; für Renten- und Gesundheitswesen sollen jetzt Hartz-artige Reparaturkonsense erarbeitet werden. Doch das Prinzip der Runden Tische schränkt die Kantigkeit der möglichen Ergebnisse von vornherein ein. Ein bisschen Zukunftssorge und Gefahrenvorkehr werden wohl propagiert, aber die Krisendiagnosen von der Demografie bis zum Terrorismus stehen so unverbunden neben den Bekundungen des Weiter-so, dass sie wirkungslos bleiben für Sprache, Haltung und Botschaft der Regierung. Was Wunder, dass man den Bekenntnissen zur Erneuerung kein Vertrauen schenken und kein Gewicht beimessen kann.
Rasanter Realitätsverlust
Bezeichnend für die Entleerung der rot-grünen Begriffs- und Gedankenwelt ist der Sinneswandel, den die Rede vom Gemeinwohl mittlerweile im Kanzlermund erfahren hat. Sich mit den organisierten Interessen anzulegen, das bedeutete für den Schröder der ersten Legislaturperiode auch Distanz zur eigenen, gewerkschaftlich verfassten Klientel. Wenn heute der Staat als Gegengewicht zur Verbandsmacht ins Feld geführt wird, dann sind die bösen Unternehmervertreter gemeint. Das Gemeinwohl ist wieder Parteisache geworden.
Der politisch interessante Streit in Deutschland dreht sich derzeit gar nicht so sehr um einzelne konkurrierende Problemlösungsvorschläge oder Programme. Beantwortet werden muss zunächst die Frage, in welcher Wirklichkeit wir eigentlich leben. Es gehörte zu den kuriosen, aber durchaus erhellenden Aspekten der Parlamentsdebatte über die Regierungserklärung, dass beide Seiten einander galoppierenden Realitätsverlust vorhielten. In der Tat, darum geht es: Wie steht es nun im Ernst um die Bundesrepublik? Ist sie nach ein paar Schönheits-operationen wieder vorzeigbar oder ein schwerer Sanierungsfall wie Großbritannien in den siebziger Jahren und Japan heute? Wird dem Bildungsnotstand mit mehr Geld für Kleinkindbetreuung und Ganztagsschulen abzuhelfen sein, oder braucht es eine unpopuläre Wiederentdeckung der Mühen des Lernens, Lehrens und Erziehens? Sind der 11. September und die strategische Neuorientierung der Vereinigten Staaten nur eine Randirritation für die deutsche Außenpolitik, oder werden wir uns jetzt sehr fest anschnallen müssen?
Gespaltenes Land
In der Wahrnehmung seiner Situation und in der Einschätzung ihrer Dramatik wirkt das Land eigentümlich gespalten. Der kleine Selbstständige, der seine Felle davonschwimmen sieht, und der beamtete Akademiker, der etwas mehr Belastung für einen guten Zweck durchaus noch verkraften zu können glaubt: hier der CDU-Wähler aus wirtschaftlichen Gründen, dort der Schröderist um des fortschrittlichen Lebensgefühls willen - sie scheinen nicht in derselben Welt zu Hause zu sein.
Die Wahrheit liegt, wie immer, weder beim einen noch beim anderen Extrem, weder bei den Untergangspropheten noch bei den Entwarnern. Aber in der Mitte liegt sie auch nicht, sondern ein gutes Stück näher bei den Alarmisten. Die Regierung hat abermals den Anspruch aufgegeben, unangenehme Einsichten offen und angriffslustig auszusprechen. Die Opposition hat sich auf diesem Feld gleichfalls nicht hervorgetan; Edmund Stoibers konturenarmer "Kompetenzwahlkampf" ist noch in lebhafter Erinnerung. Aber zum Ziel hat der Stoibersche Schleichweg nicht geführt, und nun fallen die Rot-Grünen wegen ihrer Reformunlust der wachsenden Verachtung anheim. Die Varianten der Realitätsflucht sind ausprobiert und erledigt. Keine schlechte Gelegenheit, sich dem Ernst der Lage zuzuwenden.