Irak Krieg


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28.01.03 18:13
Die Angst vor Saddams Kindersoldaten

Von Markus Becker

Sollte es zum Krieg im Irak und zum Häuserkampf in Bagdad kommen, werden amerikanische Soldaten auf eine Bedrohung stoßen, die sie in einen grausamen Gewissenskonflikt bringen kann: Kindersoldaten, die zu Tausenden in Saddam Husseins Heer kämpfen und auf Töten programmiert sind - wie etwa der "Löwenclub Saddams".
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Irakische Kindersoldaten beim Training mit Sturmgewehren: Grausame Waffe im Häuserkampf
AP
GroßbildansichtIrakische Kindersoldaten beim Training mit Sturmgewehren: Grausame Waffe im Häuserkampf
Berlin - Nathan Ross Chapman ahnte nicht, dass er nur noch wenige Minuten zu leben haben würde. Am 4. Januar stand er auf einem Kleinlaster und ließ seinen Blick über die zerklüftete Bergregion vor den Toren der afghanischen Stadt Khost schweifen. Sein Auftrag: Die Ergebnisse alliierter Bombenangriffe überprüfen - ein Routineeinsatz für den 31-jährigen Kommandosoldaten der amerikanischen Special Forces, der schon in Panama, im Irak und auf Haiti gekämpft hatte.

Plötzlich ging scheinbar aus dem Nichts ein Geschossregen auf Chapman und seine Begleiter nieder. Mehrere Kugeln durchschlugen Chapmans Beine und durchtrennten eine Arterie. Der Elitekämpfer verblutete. Er war der erste US-Soldat, der bei der Operation "Enduring Freedom" starb. Hätte Chapman seinen Angreifer gesehen, vielleicht hätte er sich dennoch nicht gewehrt: Der zweifache Vater hätte vor der Wahl gestanden, entweder selbst zu sterben oder einen 14-jährigen Jungen zu erschießen.

Die Episode war Thema bei einer Tagung des Center For Emerging Threats and Opportunities, einer vom US-Marinekorps und dem Potomac-Institut für Politische Studien gegründeten Organisation zur Analyse neuer Bedrohungen der Nationalen Sicherheit. Sie könnte ein Vorgeschmack auf eine der grausamsten Seiten sein, die eine Invasion im Irak annehmen könnte: Saddam Hussein könnte Tausende Kinder in die Schlacht schicken, um die Moral der angreifenden Alliierten zu schwächen. Beispiele dafür gibt es: schon im ersten Golfkrieg schickten Iran und der Irak Brigaden von Kindersoldaten in die Schlacht.

Irakische Jugendliche in einem militärischen Sommer-Camp in Bagdad: Unterricht an Handfeuerwaffen und in islamischer Geschichte
AP
GroßbildansichtIrakische Jugendliche in einem militärischen Sommer-Camp in Bagdad: Unterricht an Handfeuerwaffen und in islamischer Geschichte
Dass diese Rechnung aufgehen könnte, wissen westliche Streitkräfte aus Erfahrung. Im Zweiten Weltkrieg mussten amerikanische und britische Soldaten auf Kinder schießen: Hitlerjungen, die während der letzten Kriegsmonate in den Ruinen deutscher Städte verheizt wurden. Die Wirkung auf die Moral der betroffenen alliierten Einheiten war verheerend, ungeachtet der Tatsache, dass die Alliierten kurz vor dem Sieg standen.

Noch im Jahr 2001 zeigte sich, wie ratlos westliche Streitkräfte in solchen Situationen reagieren können: Im westafrikanischen Sierra Leone geriet eine komplette britische Patrouille in Gefangenschaft, als sie auf Kindersoldaten stieß und vor einem Feuergefecht zurückschreckte. Die rund 150 britischen Kommandosoldaten, die ihre Kameraden anschließend befreiten, hatten diese Wahl nicht: Sie lieferten sich eine heftige Schießerei mit den jungen Geiselnehmern. Das Ergebnis waren mehrere Dutzend Tote. Manche der Briten, berichtete das renommierte Brookings Institute in Washington, litten später unter Depressionen und dem Posttraumatischen Stress-Syndrom.

"Kinder verstehen nichts von Taktik und bilden keine zusammenhängenden Einheiten", erklärt Major Jim Gray, Attaché der britischen Royal Marines in den USA. "Sie sind nur Kinder, aber Kinder auf Drogen und mit Waffen. Wenn sie angegriffen werden, kämpfen sie wie wild." Westliche Soldaten, fordert Gray, müssten deshalb unbedingt auf den "Schock" vorbereitet werden, gegen Kinder kämpfen zu müssen.

US-Soldaten beim Häuserkampf-Training: Tödliche Bedrohung durch Kindersoldaten
AFP/DPA
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Saddam Hussein hat seine Lehren aus der Geschichte offenbar gezogen: Er bereitete den militärischen Missbrauch von Kindern sorgfältig vor. Seit Mitte der neunziger Jahre veranstaltet das Bagdader Regime nach Informationen des Brookings Institute jährliche Trainingscamps, in denen Tausende Jungen drei Wochen lang militärisch gedrillt, im Umgang mit Handfeuerwaffen geschult und der Ideologie der regierenden Baath-Partei ausgesetzt werden. Das Eintrittsalter der Teilnehmer: zehn Jahre.

Seit 1998 existieren auch militärische Übungsprogramme für die gesamte Bevölkerung. Einmal im Jahr werden alle Iraker ab 15 Jahren 40 Tage lang zwei Stunden täglich gedrillt und an Handfeuerwaffen ausgebildet. Darüber hinaus existieren paramilitärische Kindersoldaten-Einheiten innerhalb der "Futuwah"-Jugendbewegung, einer Organisation der Baath-Partei, die bereits in den siebziger Jahren gegründet wurde und Kinder ab zwölf Jahren militärisch ausbildet.

Für das irakische Regime bietet der Zugriff auf die Jugend gleich zwei Vorteile. Anders als in westlichen Ländern bildet diese Altersgruppe im Irak einen enormen Anteil an der Gesamtbevölkerung: Etwa die Hälfte der 22 Millionen Einwohner des Landes ist jünger als 18 Jahre. Ihre Militarisierung ergibt ein gewaltiges Nachwuchspotenzial für Saddams Truppen, ihre Indoktrinierung trägt darüber hinaus zur Stabilisierung des Regimes bei.

Die wichtigste Kindersoldaten-Organisation, so das renommierte Brookings Institute in einer Mitte des Monats vorgelegten Untersuchung, sind die "Ashbal Saddam", die "Löwenclubs Saddams", die nach der Niederlage im Golfkrieg von 1991 gebildet wurden. Zehn- bis 15-Jährige werden bis zu 14 Stunden täglich in Camps gedrillt, politisch auf Linie gebracht und gegen Gewalt abgestumpft, unter anderem durch regelmäßiges Verprügeln und Tierquälereien. Allein in Bagdad sollen rund 8000 Kindersoldaten der "Ashbal Saddam" stationiert sein. Sie würden, so die Befürchtung von Experten, in kleinen Gruppen als leichte Infanterie und Scharfschützen eingesetzt, um irakische Städte, vor allem aber Bagdad zu verteidigen. Ob Saddam wirklich in einem möglichen Krieg gegen die USA solche Pläne hat, ist allerdings völlig unklar.

Militär-Camp für junge Iraker: 14 Stunden täglich gedrillt
AP
GroßbildansichtMilitär-Camp für junge Iraker: 14 Stunden täglich gedrillt
Viele Kindersoldaten, warnt Peter Singer vom Brookings Institute, seien ihren älteren Gegnern in Sachen Kampferfahrung um Jahre voraus, da sie buchstäblich auf dem Schlachtfeld groß geworden seien. Zudem legten sie in Gefechten oft eine erschreckende Grausamkeit an den Tag und seien sehr viel schwerer auszurechnen, risikobereiter und brutaler als erwachsene Soldaten. Die Tatsache, dass Erwachsene oft zögern, ehe sie auf Kinder schießen, verschaffe den halbwüchsigen Kämpfern einen weiteren Vorteil. Bei einem Häuserkampf um die irakische Hauptstadt könnte das grausame Folgen haben.

Zwar könnten Kindersoldaten, auch wenn das irakische Regime sie zu Tausenden in den Kampf schicken sollte, kein ernsthaftes Gegengewicht zur Überlegenheit westlicher Militärs darstellen. An der Propagandafront aber, warnten die Fachleute auf der Tagung des Center For Emerging Threats and Opportunities (Ceto), könnten Bilder von toten Kindern, erschossen von US-Soldaten, eine verheerende Wirkung entfalten. Im Nahen Osten wäre ihnen die Verehrung als Märtyrer sicher.

Was die Experten an Gegenmaßnahmen vorschlagen, dokumentiert die ganze Hilflosigkeit westlicher Militärs gegenüber Kindern, die über Jahre hinweg brutalisiert und fanatisiert wurden. Das Ausschalten der erwachsenen Führungsperson etwa sei ein probates Mittel, Kindersoldaten zur Aufgabe zu bewegen. Oder aber die halbwüchsigen Gegner auf Distanz zu halten, Warnschüsse abzugeben oder nicht-tödliche Waffen einzusetzen. Alternativen, die während eines Kampfs um jede Straße und jedes Haus nur schwer zu realisieren sein dürften - zumal dann, wenn die feindlichen Einheiten nicht ausschließlich aus Kindern bestehen.

So beziehen sich die praktikabelsten Ideen der Experten auf die Zeit nach dem Kindstod auf dem Schlachtfeld: Sprecher der US-Regierung, empfiehlt Brookings-Mitarbeiter Singer, sollten unbedingt erreichen, dass "die Schuld dem Regime gegeben wird, das die Kinder illegal ins Militär zwingt und sie die Drecksarbeit tun lässt - im vollen Bewusstsein, dass sie sterben werden".


 

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