Der DORIS ihrem MANN sein FINANZMINISTER
"Hans, nu laß' ma" - Sparen ist nicht mehr chic
Von Manfred Schäfers, Berlin
17. Juli 2003 Unverhofft kommt oft. Diese Erfahrung hat Bundesfinanzminister Eichel zuletzt immer öfter machen dürfen. Er kann nur reagieren, statt zu agieren. Die Anlässe und Zeiten ändern sich, nur die Ursache bleibt gleich. Ihr Name: Schröder. Seine Funktion: Bundeskanzler. Immer wieder setzt Schröder seinen Finanzminister unter Zugzwang. Er hat die Richtlinien-Kompetenz und ist gewillt, sie auch auszuüben. Besonders gern macht er dies seit einiger Zeit in der Finanzpolitik. Eichel verliert entsprechend an Gestaltungsmöglichkeit, er darf ausführen, was Schröder vorgibt.
Inhaltlich weniger bedeutsam, aber klassisch in seiner Art ist der jüngste Fall. Schröder sagte vergangenen Freitag abend in einem Fernseh-Interview gleichsam nebenbei über das Vorziehen der Steuerreform: "Ich gehe mal davon aus, daß die Eckpunkte dafür noch in der nächsten Woche beschlossen werden." Er verriet auch, warum: "Dann wird es Zeit sein für die Oppositionspolitiker, die nicht im Urlaub sind, sich dazu zu verhalten." So wollte er die Union abermals unter Zugzwang setzen - was auch gelang, da es wieder einmal eindruckvoll gezeigt hat, über welches vielstimmiges Potential CDU und CSU verfügen.
Auf dem falschen Fuß erwischt
Doch hat seine locker dahingeworfene Bemerkung vor allem Eichel auf dem falschen Fuß erwischt, auch wenn dieser beteuerte, er habe schon vergangenen Donnerstag mit Schröder verabredet, die Gegenfinanzierung diese Woche zu klären. "Der Bundeskanzler hat gesagt, das machen wir am Mittwoch - und das ist auch in Ordnung so", hob Eichel bei der Vorstellung der Eckpunkte hervor.
Doch ein Finanz-Konzept gab es vergangene Woche noch nicht, als Schröder den Termin der Vorstellung bestimmte. Im Ministerium wußte keiner, was Eichel wann ankündigen sollte. In enger Abstimmung mit dem Kanzleramt wurde in den vergangenen Tagen das Finanzpaket geschnürt. Letzte Gespräche gab es Mittwoch morgen, erst dann war die Sache soweit rund, daß sie an das Licht der Öffentlichkeit getragen werden konnte.
Schröder ließ es sich auch nicht nehmen, das Ergebnis der Bemühungen an Eichels Seite zu verkünden, daß die Finanzierung zum größeren Teil aus einer höheren Neuverschuldung (rund 5 Milliarden Euro) besteht, ergänzt durch Privatisierungserlöse (2 Milliarden Euro) und einem vor allem später greifenden zusätzlichen Subventionsabbau (314 Millionen Euro für den Bund im Jahr 2004).
Schröders Diktum - nicht unbedingt im Sinne Eichels
Der Kanzler hat sich seit eineinhalb Jahren zum heimlichen Finanzminister entwickelt. Rückwärts blickend gibt es eine lange Liste an Punkten, bei denen Schröder Eichel gezeigt hat, wohin der Hase zu laufen hat: neben den "Eckpunkten" war es schon die grundsätzliche Frage, ob die für das Jahr 2005 vorgesehene Stufe der Steuerreform vorgezogen sollte - oder nicht. Zuvor hatte er - wiederum gleichsam im Vorbeigehen - die für dieses Jahr eingeplante Verschuldung (18,9 Milliarden Euro) verdoppelt.
Eichel hatte zuvor von 30 bis 35 Milliarden Euro gesprochen, nach Schröders Diktum hatte er keine Chance mehr, zu einer Haushaltsperre oder einem Haushaltssicherungsgesetz zu greifen, um die Neuverschuldung zu begrenzen. Aber auch beim europäischen Stabilitätspakt und den Reformreibereien Eichels mit der Gesundheitsministerin Schmidt (ebenfalls SPD) mischte sich Schröder ein - nicht unbedingt im Sinne Eichels.
Handeln das Schröders-Gebot der Stunde
Des Ministers Credo lautete bis vor kurzem: keine Steuersenkung auf Pump. "Steuersenkungen, mit denen wir in neue Staatsschulden ausweichen, sind ein Betrug an den Steuerzahlern, denn sie bedeuten nur, daß wir die Steuererhöhungen der Zukunft vorbereiten, wenn wir die Steuersenkungen heute mit Schulden finanzieren." Das hatte er vor drei Jahren in einer Grundsatzrede postuliert und galt bis vor wenigen Wochen. Daher gab es auch keine Steuersenkung zu Beginn dieses Jahres, obwohl sie sogar schon gesetzlich fixiert war.
Kurz vor der Bundestagswahl hatte Schröder die Opposition aus dem Tritt gebracht, als er die Steuerentlastung zur Finanzierung der Flutschäden zeitlich nach hinten schob. Damals wollte Eichel zunächst abwarten, wie die Lasten sich entwickeln. Doch für den Kanzler war Handeln das Gebot der Stunde - so wie heute, nur eben in die andere Richtung. Stetigkeit und Verläßlichkeit - von Eichel einst hochgehalten und für jedes Investitionskalkül unabdingbar - sind auf der Strecke geblieben.
Gute Miene zum bösen Spiel
Auch als der Kanzler sich in diesem Jahr abermals wendete, mußte Eichel wieder gute Miene zum bösen Spiel machen. Nun argumentiert er mit dem Wachstumseffekt der Steuersenkung. An früher erinnert nur sein Hinweis, die beschlossenen Korrekturen an der Umsatzsteuer würden dafür sorgen, daß die Zinsausgaben, die das Vorziehen nach sich zögen, nachhaltig abgedeckt würden.
Spätestens Ende Mai, als Schröder die Neuverschuldungsgrenze "großzügig", erhöhte war klar, daß der Kanzler endgültig die Lust am Sparen verloren hat. Selbst wenn Eichel anders wollte, konnte er es nicht mehr. Nach der Bundestagswahl hatte er noch mit einem Paket aus rund 40 Maßnahmen versucht, mehr Geld in die klamme Staatskasse zu bringen. Schon damals war der einst stärkste Mann hinter Schröder im Kabinett auf wachsende Spar-Unlust gestoßen. Sie gipfelte während der Koalitionsverhandlungen in dem Zuruf Schröders: "Hans, nu laß' mal." Doch Eichel wollte noch nicht ablassen. Sein Steuervergünstigungsabbaugesetz belastete das Wirtschaftsklima, brachte der SPD zwei verheerende Niederlagen in Landtagswahlen, und ließ sich doch nur zu einem Teil gegen den von den Unionsparteien dominierten Bundesrat durchsetzen. Das hängt Eichel immer noch nach.
Merkel muß mitspielen
Unmerklich verschob sich Schröders Präferenz, nachdem eine zeitlang Sparen auch in Schröders Augen "chic" war. Nach Lafontaine Abgang stützte er zunächst Eichels Konsolidierungspolitik, so daß dieser Sparerfolge einheimsen konnte. Doch als Eichel im Frühjahr vergangenen Jahres bereit schien, eine frühzeitige Defizit-Mahnung aus Brüssel zu akzeptieren (auch um intern ein Zeichen zu setzen), sorgte Schröder durch diplomatischen Druck dafür, daß dies unterblieb. Stattdessen hat er wiederholt - zuletzt diesen Mittwoch - davor gewarnt, nur auf das Defizitkriterium zu schauen, nicht umsonst sei von einem Stabilitäts- und Wachstumspakt die Rede.
Nun beteuert Eichel, Deutschland könne nächstes Jahr das Defizitkriterium erstmals nach zwei Jahren wieder einhalten. Doch dazu müßte einiges passieren: das Wachstum anspringen, die Arbeitslosigkeit sinken und die eingeplanten Spargesetze ohne Abstriche verwirklicht werden - und die Union mit ihrer Vorsitzenden Angela Merkel mitspielen.
FAZ net, 17.07.2003
Nun nicht mehr auf Eichel fokussiert
Anfang der Woche war das Merkel-Zitat „Ich bin auf Eichel fokussiert“ noch schlagzeilenträchtig. Damit dürfte es seit gestern wieder vorbei sein. Abgesehen vom Rollenspiel, das zwischen Regierung und Opposition nun einmal stattzufinden hat, konnte diese Präsentation der Finanzierung einer vorgezogenen Steuerreform keine überzeugende Wirkung haben - weder auf die wartende und umworbene Union noch auf hoffende Bürger.
Der Schnellschuss aus dem Finanzministerium verfehlt also den beabsichtigten Effekt für denjenigen, der genau hinschaut. Immerhin sollte klar erkennbar werden, wie Schröder und Eichel ihr spektakulär angekündigtes Werk vollenden wollen. Nicht Zahlen, Daten und Fakten tragen dann aber die Lösungsabsichten, sondern Schulden, erwünschte Selbstfinanzierungseffekte und Verkaufsabsichten für Bundesvermögen. Damit gilt das Prinzip Hoffnung. Das ist als Rechnung höchst riskant.
Der Kanzler und sein Finanzminister nehmen der Opposition die Schwierigkeit, sich auf eine Linie zu verständigen. Der Kampf zwischen Wohlmeinenden und den Blockierern müsste in der Union beendet sein, weil sich praktisch niemand, also weder Merz noch Merkel, weder Stoiber noch Koch, in die Rechnung mit so vielen Unbekannten einbeziehen lassen kann.
Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass dieses Werk seriös nicht gelingen kann. Das hat folgende Gründe:
Die öffentlichen Kassen stecken noch stärker in der Schuldenfalle, die Bundesrepublik bleibt gefangen in den Währungskriterien der EU und rennt in den dritten Haushalt gegen die Drei-Prozent-Marke.
Wer mit einer vorübergehenden höheren Verschuldung verfassungsrechtlich klar kommen will, muss nachweisen, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist und dann sicher und planbar davon ausgehen, dass ein hohes Wirtschaftswachstum das fehlende Steuergeld wieder in die Kassen spült. Selbstfinanzierungseffekte auf der Basis von 0,5 Prozent Wachstum, also an der Schwelle zum Null-Wachstum, können nicht seriös sein.
Während die UMTS-Lizenzen Zinsbelastungen abbauen sollten, gilt nun wieder das Gegenteil: Weitere Kredite. Dabei ist das Tafelsilber, das Eichel mit weiteren Anteilen an Telekom, Post und anderen Bundesbeteiligungen im Blick hat, aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr das wert, was es sein sollte. Aktienverkäufe in der Not? Das ist woanders in der Wirtschaft der Anfang vom Ende. Das sollte sich auch die leidende Deutschland AG nicht leisten.
Es fehlt an der Entschlossenheit, unnötige Subventionen abzubauen. Die Aktion Koch / Steinbrück hat ihren Reiz. Nur der Mut dazu bleibt auf diese beiden Ministerpräsidenten offenbar beschränkt. Wobei das Vertrauen in die Standhaftigkeit von Peer Steinbrück gegenüber dem Genossen Kanzler sehr begrenzt zu sein scheint.
Wie kann es weitergehen?
Gerhard Schröder hat nur die Chance, nicht nur die Union, sondern auch die im Bundesrat gefragten Ministerpräsidenten der eigenen Farbe hinter sich zu bringen, wenn er sich davon verabschiedet, die Sanierung anzukündigen, ohne im Detail zu wissen, wie das alles gehen soll, welche gesetzlichen Konsequenzen notwendig und durchsetzbar sind. Der Appell gegen die „Nein“-Sager genügt trotz der hohen Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit nicht.
Die Union muss willig und bereit sein, dort mitzumachen, wo es verantwortbar ist und Punkt für Punkt darlegen, wo und warum was nicht gehen kann. Die Rolle des Gestalters liegt beim Kanzler, nicht bei der Oppositionsführerin.
Kölnische Rundschau, 16.07.2003
BUNDESREGIERUNG
Mit Bilanztricks Milliarden umschichten
Um den Anstieg der Rentenbeiträge doch noch zu verhindern, plant die Bundesregierung eine Senkung der eisernen Reserve. Zudem will sie sich beim Risikostrukturausgleich bedienen, der den Krankenkassen zusteht. Derweil muss Bundesfinanzminister Hans Eichel mehr Geld für die Arbeitslosen aufbringen als eingeplant.
Berlin - Die eiserne Reserve der Alterskasse soll von derzeit 50 Prozent einer Monatsausgabe auf künftig nur noch 30 Prozent gesenkt werden.
Das geht aus dem internen Protokoll einer Krisensitzung hervor, zu der sich am vorvergangenen Freitag Spitzenbeamte des Sozialministeriums mit Vertretern von Kranken- und Rentenversicherung getroffen hatten.
Als Einmaleffekt stünden der Rentenkasse dadurch etwa 2,8 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Das entspricht 0,3 Beitragssatzpunkten. Allerdings würden durch den Griff in die Spardose neue Probleme entstehen. Schlimmstenfalls könnte die Rentenkasse in einnahmeschwachen Monaten mangels Rücklagen zahlungsunfähig werden. Eigentlich müsste in diesem Fall Finanzminister Hans Eichel mit Steuermitteln einspringen.
Dagegen plant die Regierung einen weiteren Kniff: Sie will Gelder aus dem Risikostrukturausgleich der Krankenkassen künftig auch nutzen, um Löcher bei der Rentenversicherung zu stopfen. Bislang dienen diese Mittel dazu, einen Ausgleich zwischen finanzstarken und -schwachen Krankenkassen herzustellen.
Eichels neue Last
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) muss in diesem Jahr rund 13 Milliarden Euro mehr aufbringen als eingeplant, um die Kosten der Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Das geht aus einem internen Vermerk des Finanzministeriums hervor. Danach rechnen Eichels Experten mit einem Bundeszuschuss für die defizitäre Bundesanstalt für Arbeit (BA) von 8,5 Milliarden Euro.
Die höheren Kosten für die Arbeitslosenhilfe, die aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, schlagen mit etwas mehr als vier Milliarden Euro zu Buche. Ursprünglich wollte Eichel der BA eigentlich keinen Bundeszuschuss gewähren. Für die Arbeitslosenhilfe waren bislang 12,3 Milliarden eingeplant. Ursache für den Mehrbedarf ist die anhaltende Konjunktur- flaute, die die Arbeitslosigkeit steigen lässt.
Trotz zuletzt wieder spürbar gestiegener Steuereinnahmen fehlen dem Finanzminister am Ende des Jahres gegenüber den Annahmen bei Aufstellung des Haushalts 2003 zudem sieben Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Diese Ausfälle sowie die höheren Kosten der Arbeitslosigkeit will Eichel im Rahmen eines Nachtragshaushalts im Herbst mit neuen Krediten in Höhe von fast 20 Milliarden Euro decken. Die Neuverschuldung werde damit in diesem Jahr auf 38,2 Milliarden Euro steigen, heißt es in dem Vermerk. Zunächst hatte Eichel für dieses Jahr nur neue Kredite von 18,9 Milliarden Euro vorgesehen.
Spiegel online
Eichels Nachkriegsrekord - Regierung vor Rekorddefizit und gesenkter Prognose
Die Bundesregierung wird offenbar mit ihrem Nachtragshaushalt und einer neuen Konjunkturprognose der schlechten Wirtschaftsentwicklung Rechnung tragen. Aus Regierungkreisen wurde bestätigt, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel in diesem Jahr voraussichtlich doch knapp 42 Milliarden Euro neue Schulden machen muss.
Bislang waren für das laufende Jahr eine zusätzliche Neuverschuldung in Höhe 18,9 Milliarden Euro Schulden geplant. Nun wird der Nachtragshaushalt wohl 23 Milliarden Euro ausweisen. Damit stiege die Nettokreditaufnahme für das laufende Jahr auf 41,9 Milliarden Euro. Das wäre mehr als das Rekorddefizit von 1996 in Höhe von 40 Milliarden Euro unter dem damaligen Finanzminister Theo Waigel. Grund für die erhöhten Schulden sind vor allem milliardenschwere Steuerausfälle und Ausgaben wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Auch die verzögerte Einführung der Lkw-Maut schlägt mit mehr als 600 Millionen Euro zu Buche.
Konjunkturprognose: Regierung nähert sich Instituten
Die Stagnation der deutschen Wirtschaft wird die Bundesregierung auch zum Anlass nehmen, ihre Konjunkturprognose für 2003 erneut zu senken. Unter Berufung auf Regierungskreise berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", auf der heutigen Kabinettssitzung solle darüber beraten werden. Unklar sei noch, ob die Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt auf 0,25 Prozent oder gleich auf Null reduziert werde. Derzeit liegt die offizielle Prognose der Regierung noch bei 0,75 Prozent Wachstum. Eine Absenkung war jedoch allgemein erwartet worden, da alle größeren Wirtschaftsforschungsinstitute seit langem für dieses Jahr eine Stagnation oder allenfalls ein minimales Wachstum voraussagen.
Tagesschau
Eine Null für Deutschland
Finanzminister Eichel geht jetzt von einem Nullwachstum der deutschen Wirtschaft für das laufende Jahr aus. Zuvor sagte die Bundesregierung 0,75 Prozent mehr voraus
Berlin - Die Bundesregierung wird ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr in dieser Woche voraussichtlich auf null reduzieren. Dies sagte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) am Dienstagabend bei einem Festakt in Berlin.
Eichel verwies dabei auf das am selben Tag vorgelegte Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die für 2003 ein Nullwachstum der Wirtschaft in Deutschland vorhersagen. Er glaube, dass dies auch die Vorhersage der Bundesregierung sein werde, sagte Eichel.
Bislang ging die Regierung noch von einem Wachstum von 0,75 Prozent aus. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) will am Donnerstag die neue Vorhersage der Regierung veröffentlichen.
Ein Sprecher Eichels bestätigte, dass die Prognose gesenkt werde. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete ohne Angaben von Quellen, dass Clement die Erwartung für 2003 mit einem viertel Prozent bezeichnen wird.
Die Welt, 21.10.2003
Eichel macht noch mehr Schulden
Der Finanzminister räumte bei der Vorstellung des Nachtragshaushalts 2003 eine Rekord-Neuverschuldung von 43,4 Milliarden Euro ein – 1,3 Milliarden mehr als bisher angenommen
Berlin - Bundesfinanzminister Hans Eichel muss noch mehr Schulden machen als bislang bekannt. Die Neuverschuldung im Bundeshaushalt steigt in diesem Jahr auf die Rekordmarke von 43,4 Milliarden Euro. Das sagte Eichel am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung der Eckdaten für einen Nachtragshaushalt 2003. Eichel hatte bisher von 42 Milliarden Euro gesprochen. Im ursprünglichen Haushaltsplan für 2003 ging die Bundesregierung noch von einer Neuverschuldung von 18,9 Milliarden Euro aus.
Mit der aktueller Neuverschuldung fällt auch das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit höher aus als die bisher nach Brüssel gemeldeten 3,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. „Wir werden über 4 Prozent nach Brüssel melden müssen“, sagte der Finanzminister.
Die Erhöhung der Neuverschuldung um rund 25 Milliarden Euro ist laut Eichel wegen Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben am Arbeitsmarkt erforderlich. Statt des erwarteten Wachstums von 0,75 Prozent stagniere die Wirtschaft in diesem Jahr. Damit sei ein Milliardenloch im Haushalt entstanden. Jedoch wäre ohne die 1999 begonnene Haushaltskonsolidierung die Verschuldung noch deutlich höher ausgefallen.
Zeitung: Geheime Planspiele zur Erhöhung der Mehrwertsteuer
Angesichts der Milliardenlöcher im Bundeshaushalt gibt es nach Informationen der „Berliner Zeitung“ in der Regierung geheime Planspiele für eine Anhebung der Mehrwertsteuer. Im Kabinett und in der SPD-Fraktionsspitze werde erwogen, die Mehrwertsteuer „nicht mehr in diesem Jahr, aber mittelfristig“ anzuheben, berichtet das Blatt. Derzeit sei die Meinungsbildung aber nicht abgeschlossen, es gebe noch erhebliche Bedenken. Von den Grünen komme sogar strikte Ablehnung. Ein Sprecher von Eichel wies den Bericht als „groben Unsinn“ zurück.
Die Welt, 23. Okt 2003
EU-KOMMISSION
Deutschland wird Defizitgrenze 2004 massiv verfehlen
Während das Bundeskabinett einen Nachtragshaushalt mit Rekordschulden verabschiedete, kam aus Brüssel die nächste Hiobsbotschaft. Die EU-Kommision rechnet damit, dass Deutschland den Stabilitätspakt auch im kommenden Jahr deutlich verletzten wird.
Brüssel - Für 2004 werde mit eine Fehlbetrag von 3,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gerechnet, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Herbstgutachten der EU. Falls die von der Bundesregierung geplanten Reformgesetze rechtzeitig in Kraft treten und die dritte Stufe der Steuerreform wie geplant vorgezogen werde, könnte das Defizit den Experten zufolge im kommenden Jahr nur 3,5 Prozent betragen.
Ohne diese Maßnahmen wird Deutschland nach Einschätzung der EU-Kommission sogar noch im Jahr 2005 ein überhöhtes Defizit von 3,4 Prozent aufweisen. Für das laufende Jahr erwartet Brüssel ein Defizit von 4,2 Prozent und damit einen massiven Verstoß gegen den europäischen Stabilitätspakt.
Die deutsche Wirtschaft wird der Herbstprognose zufolge in diesem Jahr stagnieren und auch danach unter dem EU-Durchschnitt bleiben. Für das kommende Jahr sagen die Konjunkturexperten ein reales Wachstum von 1,6 Prozent voraus. Sie sind damit etwas skeptischer als die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die in ihrem Herbstgutachten ein Wachstum von 1,7 Prozent prognostizierten. "Aufgrund steigenden Industrie- und Verbrauchervertrauens sollte in den kommenden beiden Jahren zu einer leichten Erholung kommen", heißt es in dem Gutachten.
Allerdings sei ein Drittel des erwarteten Wirtschaftswachstums im kommenden Jahr auf die im Vergleich zu 2003 höhere Zahl von Arbeitstagen zurückzuführen. 2005 werde das Wachstum mit 1,8 Prozent leicht anziehen. Dagegen werde die Arbeitslosigkeit bis Anfang 2005 weiter steigen und die privaten Konsumausgaben belasten.
Zur gleichen Zeit hat das Bundeskabinett den Nachtragshaushalt 2003 verabschiedet und damit einer drastischen Ausweitung der Neuverschuldung des Bundes zugestimmt. Der Nachtragshaushalt für das laufende Jahr sei am Mittwoch vom Kabinett gebilligt worden, hieß es in Regierungskreisen in Berlin. Darin ist eine Neuverschuldung des Bundes von 43,4 Milliarden Euro vorgesehen, ein neuer Rekordwert in der bundesdeutschen Geschichte. Ursprünglich war eine Neuverschuldung von 18,9 Milliarden Euro geplant.
Für die zwölf Euro-Länder erwartet die Kommission für das laufende Jahr ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent, das sich 2004 auf 1,8 Prozent und 2005 auf 2,3 Prozent beschleunigen werde. In der gesamten EU sei mit durchschnittlichen Wachstumsrate von 0,8 Prozent zu rechnen, die 2004 auf 2,0 Prozent steige und sich 2005 mit 2,4 Prozent nochmals erhöhe.
"Der Aufschwung wird von einer Erholung der Inlandsnachfrage und durch die wachsende Auslandsnachfrage ab der zweiten Jahreshälfte 2003 unterstützt", heißt es in dem Gutachten. "Letztere wiederum dürfte im Laufe des Jahres 2004 eine Beschleunigung der Investitionen auslösen."
Außer Deutschland werden 2004 auch Frankreich (-3,8%) und Portugal (-3,3%) die Defizitgrenze verletzen. Bei unveränderter Politik könnten diese Länder auch 2005 den Referenzwert überschreiten und zudem Italien erstmals dem "Club der Defizitsünder" beitreten.
Der Preisauftrieb in der Eurozone wird sich 2004 mit einer durchschnittlichen Rate von 2,0 Prozent nur leicht gegenüber dem laufenden Jahr (2,1 Prozent) abschwächen. Erst 2005 werde die jährliche Inflationsrate mit 1,7 Prozent unter die "Warnschwelle" von zwei Prozent fallen, bis zu der nach der Definition der Europäischen Zentralbank (EZB) Preisstabilität herrscht.
Spiegel online, 29.10.2003
STAATSEINNAHMEN
Armer Eichel: Steuerschätzer rechnen mit Ausfällen von 19,1 Milliarden
Neue Hiobsbotschaften für Bund, Länder und Gemeinden: Sie müssen in diesem und im nächsten Jahr weitere Steuerausfälle in Höhe von 19,1 Milliarden Euro verkraften.
Berlin - Zu diesem Ergebnis kamen die Steuerschätzer am Donnerstag zum Abschluss ihrer zweitägigen Beratungen. Damit haben die Experten das sechste Mal in Folge ein Wegbrechen der Staatseinnahmen verkündet.
In diesem Jahr wird mit gesamtstaatlichen Mindereinnahmen gegenüber der Mai-Schätzung von 8,2 Milliarden Euro gerechnet. Davon entfallen 4,2 Milliarden auf den Bund, 3,8 Milliarden auf die Länder. 2004 rechnen die Experten mit Steuerausfällen von 10,9 Milliarden Euro. Der Bund muss davon 4,8 Milliarden verkraften, die Länder 4,5 Milliarden. Die Gemeinden müssen 2003 mit keinen und 2004 mit 0,4 Milliarden Euro Mindereinnahmen rechnen.
Finanzminister Hans Eichel hatte noch höhere Ausfälle erwartet: Fünf Milliarden in 2003, sechs Milliarden in 2004. Wegen der erneuten Mindereinnahmen hatte Eichel bereits eingestanden, dass Deutschland auch 2004 und damit zum dritten Mal in Folge die im Euro-Stabilitätspakt zugelassene Defizitobergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes überschreiten werde.
Die Schätzung der Experten aus Bund, Ländern, Kommunen, Wissenschaft und Bundesbank bildet die Grundlage für die Erstellung der öffentlichen Haushalte. Die Mindereinnahmen errechnen sich aus dem Vergleich zur Frühjahrsprognose. Der Steuerschwund zwingt Bund und Länder zu weiteren Einsparungen sowie einer deutlich höheren Neuverschuldung in diesem und im nächsten Jahr.
Martin Kachelrieß von der HypoVereinsbank sagte, die Zahlen seien ein Dämpfer und bestätigten das pessimistische Bild der Staatsfinanzen: "Es wird klar, warum sich Eichel bemüht, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt die letzten Zähne zu ziehen." Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte werde im laufenden Jahr über vier Prozent und auch im kommenden Jahr deutlich über 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes liegen. Kachelrieß betonte, das Ergebnis der Steuerschätzung werde den Stimmen im Bundesrat Auftrieb verleihen, die vor einem Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform warnten.
Spiegel, 6.11.2003
qulle für den staat weil viele nicht wissen das es auch etwas zu holen gibt.
"[...] automatische Stabilisatoren wirken lassen [...]"
Eichels neue Lehre bei leerer Kasse
06. November 2003 Der Finanzminister begibt sich auf Hohe See. Ort des Geschehens ist die Humboldt-Universität. Eichel hält dort wieder einmal eine Grundsatzrede. Vor ziemlich genau drei Jahren hat er hier auf dem Höhepunkt seines Ansehens und seines Einflusses im Kabinett seine Vision eines Staates vorgestellt, der es in wenigen Jahren schafft, vom Sündenfall stets neuer Kredite zu lassen.
Sein Leitbild waren zwei Leitplanken, einerseits Konsolidierung der Staatsausgaben, andererseits Senkung der Abgabenlast. Stetig und berechenbar sollte die Neuverschuldung sinken - bis auf Null im Jahr 2006. Der Konjunktureinbruch hat seiner Planung den Boden unter den Füßen weggezogen, so daß sich Eichel in seiner neuen Rede zum zehnjährigen Bestehen der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Humboldt-Universität auf schwankendem Grund bewegen mußte. Sein damaliger Ansatz ist richtig gewesen, nur die Verhältnisse waren leider nicht so, lautete der Tenor seiner mit Spannung erwarteten Rede.
Der SPD-Politiker bemühte das Bild des Tankers. Die Bundesregierung habe Kurs zu mehr Wachstum und Beschäftigung gesetzt, der gehalten werden müsse, auch wenn er durch stürmische See führe. Für die Finanzpolitik hätten sich zwar seine Grundsätze bewährt, aber die Basis sei weggebrochen. Die Annahme eines stabilen Wachstumspfades, die im Rausch der guten neunziger Jahre zugrunde gelegt worden sei, habe sich als falsch erwiesen. Eichel zog daraus in der Universität die Lehre: Ohne ausreichendes Wachstum kann keine Konsolidierung gelingen. Nun gilt die Devise, die Finanzpolitik darf durch ihr Verhalten die Wachstumsdelle nicht vertiefen.
Neue Zauberformel
Die neue Zauberformel lautet: automatische Stabilisatoren wirken lassen, danach muß man in der Rezession höhere Defizite hinnehmen, aber dafür später um so mehr konsolidieren. Damit rechtfertigt Eichel auch das von der rot-grünen Koalition propagierte Vorziehen der dritten Steuerentlastungsstufe. Nur so könne man kontraktive Effekte vermeiden, die die Sparschritte im Haushaltsbegleitgesetz ansonsten auslösten. Dazu ist Eichel auch bereit, eine höhere Neuverschuldung in Kauf zu nehmen.
Vor drei Jahren klang er noch anders. „Steuersenkungen auf Pump darf es und wird es nicht geben", lautete sein Credo. "Sie bedeuten nur, daß wir die Steuererhöhungen der Zukunft vorbereiten, wenn wir die Steueresenkung heute mit Schulden finanzieren." Nach drei Jahren Stagnation hat Eichel sich von solch hehren Grundsätzen gelöst. Nun gilt: Konsolidierung ohne Wachstum ist genausowenig möglich wie Wachstum ohne Konsolidierung. Ein neues Jahresdatum für einen ausgeglichenen Haushalt wagt er nicht mehr zu nennen. Er mußte erleben, daß das Glück günstiger Konjunkturdaten vergänglich sein kann. So verweist er darauf, daß die Neuverschuldung (in diesem Jahr mit 43,5 Milliarden Euro Nachkriegsrekord) ohne seine Konsolidierungspolitik noch höher ausgefallen wäre. Grund für die Zielverfügung sind nach seinen Worten die anschwellenden Arbeitsmarktausgaben, auch wegen der zu zaghaften Sozialreformen, und die wegbrechenden Steuereinnahmen.
Schätzerkreise: Steuerschätzung günstiger als erwartet
So hatten in den vergangenen Jahren die Steuerschätzungen stets massive Einnahmeausfälle im Vergleich zur Haushaltsplanung ergeben. Schon rechnen die Fachleute von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Wirtschaftsforschungsinstituten, Sachverständigenrat und Deutscher Bundesbank wieder. An diesem Donnerstag wollen sie ihre Zahlen vorlegen.
Nach Informationen aus diesen Kreisen werden sich niedrigere Mindereinnahmen ergeben als bislang erwartet. „Die Schätzung wird günstiger ausfallen", will die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag aus Schätzerkreisen erfahren haben. Sie werde unterhalb des Betrages von 17,5 Milliarden Euro Steuermindereinnahmen liegen, die der Bund in seiner Schätzvorlage für das laufende und das nächste Jahr zusammen erwartet hatte. Die günstigere Entwicklung beziehe sich sowohl auf den Bund, als auch Länder und Gemeinden. So werde der Bund, für den die Regierung Mindereinnahmen von 4,5 Milliarden Euro in diesem und 4,7 Milliarden Euro im nächsten Jahr erwartet hatte, fühlbar besser abschneiden. Das Endergebnis der amtlichen Steuerschätzung will das Finanzministerium am Mittag mitteilen.
Eichel hatte bei der Vorlage des Nachtragshaushaltes 2003 mit Ausfällen für den Bund von rund sechs Milliarden Euro im nächsten Jahr gerechnet. Die Grüne Finanzpolitikerin Scheel sprach zuletzt von fünf Milliarden Euro. Das ist für Tanker-Kapitän Eichel eine vergleichsweise kleine Klippe. Er will sie nehmen, indem er weitere Aktien von Post und Telekom bei der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau parkt.
FAZ, 6.11.2003
EU-STABILITÄTSPAKT
Eichels Aufweichungsstrategie: "Die Kommission ist schuld"
Von Thomas Hillenbrand
Hans Eichel hat einen Frontalangriff auf den Brüssler Währungskommissar Pedro Solbes gestartet. Der deutsche Finanzminister will mit allen Mitteln EU-Sanktionen gegen die Bundesrepublik verhindern - auch wenn dabei der Stabilitätspakt irreparabel beschädigt wird.
Brüssel/Hamburg - In Gastbeiträgen für die "Frankfurter Allgemeine" und die "Financial Times" ließ Eichel (SPD) seinem Unmut über die Kommission freien Lauf. Die für die Überwachung und Einhaltung des EU-Stabilitätspaktes zuständige Behörde agiere "mechanistisch". Jede Diskussion darüber, wie die Brüsseler Vorgaben für die Haushaltspolitik der Mitgliedsländer zu interpretieren seien, würde von den Eurokraten "als Aufweichungsdiskussion diffamiert".
Eichel, der im kommenden Jahr zum dritten Mal in Folge das Defizitkriterium der Maastrichter Vereinbarung (siehe Kasten) verfehlen dürfte, wird bei seinen Ausfällen nach eigenen Angaben vor allem von der Sorge um den Fortbestand des Stabilitätspaktes getrieben. Der wird seiner Ansicht nach nicht von Wiederholungstätern wie Deutschland oder Frankreich gefährdet. Vielmehr schwäche die Kommission den Pakt, weil sie sich weigere, die dort niedergelegten Auflagen flexibel - will heißen: weniger strikt - auszulegen.
Hintergrund des kalkulierten Wutausbruchs ist zum einen die neue Vorlage des für den Stabilitätspakt verantwortlichen Kommissars Pedro Solbes. Der wird am Dienstag fordern, dass Deutschland im kommenden Jahr weitere sechs Milliarden Euro einsparen soll, um so sein Haushaltsdefizit um 0,8 Prozentpunkte zu senken. Eichel plant bisher, die Neuverschuldung um lediglich 0,6 Prozentpunkte zurückzufahren. Zum anderen ist Eichel wohl erbost darüber, dass die Kommission Deutschland genauso behandeln will wie Frankreich.
Gute Schuldner, böse Schuldner
Die Franzosen werden 2004 ebenfalls zum dritten Mal die Defizit-Latte reißen. In Berlin war man bisher allerdings davon ausgegangen, dass Solbes dem Rat der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin) empfehlen werde, Sanktionen gegen Frankreich zu beschließen, Deutschland aber mit einer Ermahnung davon kommen zu lassen. Hintergrund ist, dass Eichel bisher in der Öffentlichkeit immer den reuigen Haushaltsünder gegeben hat - bei der Haushaltssanierung ist er der Kommission entgegen gekommen. Frankreich hat Brüssels Mahnungen hingegen ignoriert und spielt auf Zeit; erst kommende Woche will Finanzminister Francis Mer ein konkretes Sparkonzept vorlegen.
Mit Eichels kooperativer Haltung gegenüber der Kommission ist jetzt Schluss. "Eichel zieht in den Krieg", titelt die französische Zeitung "Le Figaro" am Montag. Etwas verwunderlich ist Eichels Einschwenken auf die harte Mer-Linie schon, denn in der Vergangenheit hatte der Hesse bei seinen Berliner Kabinettskollegen immer wieder die Kommissionsvorgaben angeführt, um die Unausweichlichkeit seines Sparkurses zu dokumentieren. "Dieser eindeutige Sinneswandel", so ein Beobachter, "scheint mir vom Kanzleramt verordnet worden zu sein".
Harter Anwurf, harte Antwort
Solbes bezeichnete Eichels Wunsch nach einer flexibleren Auslegung der Defizitregeln in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung "La Tribune" als "gefährliche Interpretation". Der Kommissar sagte: "Wenn es ausreichen würde, dass ein Land sich an den Tisch setzt und diskutiert, um als kooperativ zu gelten und Sanktionen zu vermeiden, wäre das ein anderer Pakt." Die Kommission werde nicht zwischen kooperativen und unkooperativen Ländern unterscheiden. Es zählten allein die Resultate der Haushaltspolitik.
Rückendeckung erhält Solbes von der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Diskussion sei "in der Tat nicht förderlich für die Entwicklung einer Stabilitätskultur in Europa", sagte EZB-Chefökonom Ottmar Issing dem Schweizer "Tages-Anzeiger". Auch Kommissionpräsident Romano Prodi, der den Stabilitätspakt noch vor einem Jahr als "dumm" bezeichnet hatte, stellte sich hinter seinen Kommissar: "Regeln ohne Sanktionen existieren im Paradies, aber nicht in Brüssel."
Achse der Totengräber
Der Machtkampf ist vor allem für die Kommission ein riskantes Spiel. Wenn Solbes kommende Woche auf dem Ecofin-Treffen den 15 nationalen Ministern Sanktionen gegen Deutschland und Frankreich vorschlägt, ist eine Zustimmung keineswegs ausgemacht. Denn bei der gewichteten Abstimmung nach der so genannten qualifizierten Mehrheit müssten lediglich zwei der größeren Mitgliedsstaaten gegen die Sanktionen votieren, um den Entwurf der Kommission scheitern zu lassen. Der Haushaltssünder, über den jeweils abgestimmt wird, nimmt an der Abstimmung nicht teil - Deutschland müsste somit Italien für eine Blockade gewinnen, was als relativ wahrscheinlich gilt. Frankreich wird ohnehin zu dem Mitschuldner Deutschland halten und umgekehrt.
Elga Bartsch, Volkswirtin bei Morgan Stanley, sieht in einer Blockade der Großen ein schlechtes Signal: "Kleinere Länder mit Haushaltsproblemen wie Portugal müssen sich fast umbringen, um die Auflagen zu erfüllen, als Großer kommt man daran vorbei."
Solbes stünde bei einer Ablehnung seiner Vorlage als Frühstückskommissar da. Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff befürchtet, dass der Stabilitätspakt de facto tot ist, wenn Eichels Aufweichungsstrategie Erfolg hat: "Das ist eine Beerdigung dritter Klasse, Kennzeichen: Die Leiche trägt die Kerze selbst."
Spiegel online, 17.11.2003
DEFIZITSTREIT
"Untragbar" - Eichels neueste Versprechen
Bis in die Nacht haben Europas Finanzminister in Brüssel gepokert, am Ende setzte sich Hans Eichel durch: Die EU stellt ihr Defizitverfahren gegen Deutschland ein. Berlin muss keine Milliardenstrafen zahlen - doch die Glaubwürdigkeit der EU ist erschüttert wie lange nicht mehr.
Brüssel/Berlin - Offiziell nennt es sich Kompromiss, was bis in die Nacht in Brüssel ausgehandelt wurde. Und just dieses Wort - Kompromiss - benutzte Hans Eichel, als er am frühen Morgen vor die Fernsehkameras trat. Eichels Kontrahent, der EU-Währungskommissar Pedro Solbes, sieht das freilich ganz anders. Am Morgen sagte er, das Vereinbarte sei untragbar. Er, Solbes, behalte sich weitere Schritte vor - so eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Das Defizitverfahren gegen die Schuldensünder Deutschland und Frankreich einzustellen - für Solbes ist dies "weder mit dem Geist noch den Bestimmungen des Stabilitätspaktes" zu vereinbaren. Auch Kommentatoren sprachen schon von einer "herben Niederlage" der EU-Institutionen.
"Sehr anstrengend" für Deutschland
Der Inhalt der Vereinbarungen: Eine Mehrheit der Euro-Staaten hatte nach den neunstündigen Verhandlungen vereinbart, die Verfahren gegen Frankreich und Deutschland vorerst nicht weiter zu treiben. Auch die von der Kommission verlangten zusätzlichen Sparanstrengungen wiesen die Minister nach Darstellung Eichels zurück.
Eichel verpflichtete sich im Gegenzug, die deutsche Neuverschuldung 2005 unter die vorgeschriebene Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. Schon das werde "sehr anstrengend für Deutschland", bedauerte Eichel. Die Vereinbarung sei aber eine "realistische Basis".
Wien, Amsterdam, Madrid und Helsinki dagegen
Laut Eichel verpflichtete sich die Bundesregierung zudem, das konjunkturbereinigte Defizit 2004 um 0,6 und 2005 um weitere 0,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts abzubauen. Dem zu Grunde liege die Prognose der EU-Kommission, wonach die deutsche Wirtschaft 2004 um 1,6 und 2005 um 1,8 Prozent wachse.
Nach Angaben des amtierenden EU-Ratsvorsitzenden Giulio Tremonti stimmten die Niederlande, Österreich, Finnland und Spanien gegen die Vereinbarung. Für eine Sperrminorität reicht dies aber nicht aus.
Eichel: Nicht die Konjunktur abwürgen
Der Streit um neue Sparauflagen für Deutschland war in den vergangenen Tagen eskaliert. Die Kommission geht davon aus, dass Deutschland im kommenden Jahr unter Verstoß gegen Auflagen aus dem Januar zum dritten Mal in Folge gegen die Defizitgrenze des Stabilitätspaktes verstößt und dies auch 2005 tun könnte, wenn sie nicht zusätzlich bis zu sechs Milliarden Euro 2004 einspare.
Solbes wollte die Bundesregierung dazu zwingen, das konjunkturbereinigte Defizit bis 2005 um 1,3 Prozentpunkte zu senken. Damit wollte er sicher gehen, dass Deutschland den Stabilitätspakt 2005 wieder einhält. Eichel hatte die Empfehlungen mit der Begründung kategorisch abgelehnt, dass weitere Einsparungen die langsam anziehende Konjunktur abwürgen würde.
Spiegel online, 25.11.2003
Pyrrhussieg
"Rzeczpospolita" (Warschau):
"Für Frankreichs und Deutschlands Bruch der Haushaltsregeln zahlen die kleineren Länder Eurolands. Österreich, Holland oder Finnland haben viel getan, um die öffentlichen Finanzen zu verbessern. Ihnen droht nun ein langsameres Wirtschaftswachstum, höhere Zinsen und eine geringere Glaubwürdigkeit des Euro."
"Financial Times" (London):
"Europas Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus einer ganzen Reihe kaum umsetzbarer Zwangsmaßnahmen und fragwürdiger Haushaltsregeln. Es ist ein faules Dokument. Doch wenn man mit einem schlechten Gesetz konfrontiert ist, sollte man es ändern - nicht brechen. (...) Der Stabilitätspakt ist faktisch am Ende."
"El Mundo" (Madrid):
"Der Stabilitätspakt war geschlossen worden, um die Inflation einzudämmen und die Stabilität des Euro zu sichern. Haben die Gesetze der Wirtschaft sich seither geändert? Nein. Vielmehr haben Deutschland und Frankreich eine so katastrophale Wirtschaftspolitik betrieben, dass beide Länder in einer tiefen Krise stecken. Berlin und Paris errangen in Brüssel nur einen Pyrrhussieg. Die Kosten werden immens sein."
"Les Échos" (Paris):
"Diese Entscheidung war politisch unrecht, aber vielleicht wirtschaftlich richtig. Europa muss nun um den Stabilitätspakt trauern und sich auf Wachstum und Stabilität konzentrieren. Wenn sich die Lage bessert, kann man den Ländern wieder eine strenge Disziplin auferlegen."
"Wirtschaftsblatt" (Wien):
"Das Regelwerk hätte schon vor mehr als einem Jahr umgebaut werden sollen. Es zeichnete sich ab, dass der Pakt Probleme für die wirtschaftlichen Schwergewichte der Eurozone bringt, die ihre Hausaufgaben in den fetten Jahren nicht gemacht haben. Freilich: Auch damals hätte es einen politischen Tumult gegeben und einige EU-Staaten wären auf die Barrikaden gegangen."
"Magyar Hirlap" (Budapest):
"Die EU-Finanzminister haben die zwei größten Staaten der Euro-Zone laufen lassen. (...) Aber die kleinen Mitgliedsländer, die gegen den Beschluss gestimmt hatten und das Gebot ernst nahmen, dass sie ihre Ausgaben ins Gleichgewicht bringen müssen - sie haben jetzt das Gefühl, dass die Großen durch die gemeinsame Währung versuchen, einen Teil ihrer Probleme auf sie (die Kleinen) abzuwälzen."
"Pravo" (Prag):
"Deutschland und Frankreich nicht zu bestrafen ist so, als wenn ein Vater seinen ungezogenen Kindern Sanktionen androht, die Mutter ihnen aber auf Kosten der väterlichen Autorität alles vergibt. Die EU beginnt, mit verschiedenen Ellen zu messen: für das eine Mitglied gelten die Regeln umbarmherzig, für ein anderes wiederum werden sie weich geklopft."
Eichel zweifelt an seinem eigenen Sparversprechen für 2005
Bericht an Brüssel stellt Defizitziel unter Wachstumsvorbehalt
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zufolge Zweifel an seinem Sparversprechen, das Defizit zumindest 2005 wieder unter die Drei-Prozent-Marke zu bringen. In seinem so genannten Stabilitätsprogramm für Brüssel, über das das Kabinett heute berät, warnt Eichel vor einer möglichen "Dehnung beim Abbau des Staatsdefizits", wie die Zeitung berichtet.
Demnach stellt Eichel das Ziel, das gesamtstaatliche Defizit im Jahr 2005 wieder unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken, unter den Vorbehalt eines kräftigen Wirtschaftswachstums in den nächsten Jahren.
Sollte sich die optimistische Prognose von bis zu zwei Prozent Wachstum im kommenden und über zwei Prozent Wachstum in den folgenden Jahren bewahrheiten, dann werde das Defizit 2004 auf 3,5 Prozent des BIP und 2005 auf 2,5 Prozent - und damit wieder unter die EU-Höchstmarke - sinken, heißt es in dem Bericht laut "SZ". Wachse die Wirtschaft dagegen weniger stark, läge das Defizit 2005 noch immer bei drei Prozent. Eichel hatte sich erst vor wenigen Tagen in einem Interview überzeugt gegeben, dass er den EU-Stabilitätspakt im übernächsten Jahr wieder einhalten werde.
Die EU-Finanzminister hatten in der vergangenen Woche das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich gegen den Willen der EU-Kommission zunächst eingefroren. Im Gegenzug hatten sie aber unter anderem verlangt, dass 2005 wieder ein Defizit unterhalb der Stabilitätsmarke erreicht werden müsse. Allerdings hatten auch die EU-Minister zugestanden, dass dies nur gelte, wenn sich die Wachstumserwartungen bestätigten.
afp, 3.12.2003
"Dehnung beim Abbau des Staatsdefizits"
Deutschland wird aller Voraussicht nach auch 2005 gegen die Regeln des Stabilitätspakts verstoßen und damit sein Sparversprechen an die Euro-Partner brechen. Das berichtet die "Süddeutsche Zeitung". In einem Bericht an die EU-Kommission weise Finanzminister Hans Eichel auf eine mögliche "Dehnung beim Abbau des Staatsdefizits" hin. Demnach ist die Schuldengrenze nur einzuhalten, wenn die Wirtschaft 2004 und 2005 weitaus stärker wächst, als dies in den letzten ZEHN Jahren üblich war.
SZ, 2.12.2003
Abschlussbericht: Täuschungsmanöver der Regierung Schröder belegt
Lügenausschuss war Erfolg
Berlin (ots) - Der Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im 1. Untersuchungsausschuss der 15. Wahlperiode, Peter Altmaier, MdB erklärt anlässlich der heutigen Übergabe des Abschlussberichtes des „Lügenausschusses“ an den Präsidenten des Deutschen Bundestages:
Der „Lügenausschuss“ gehört zu den kürzesten, effektivsten und erfolgreichsten Untersuchungsausschüssen in der deutschen Parlamentsgeschichte. Er hat nachgewiesen, dass die Regierung Schröder Parlament und Öffentlichkeit vor der Bundestagswahl über die wahre Haushalts- und Finanzlage des Bundes und der Sozialkassen getäuscht und belogen hat.
Die Fachbeamten im Finanzministerium prognostizierten seit Juli 2002 eine Neuverschuldung von 33 Milliarden Euro und gingen von einer Überschreitung des Maastricht-Kriteriums von bis zu 3,5 Prozent aus. Im Arbeitsministerium wurde seit Mitte Juni 2002 ein Anstieg des Rentenbeitrags auf 19,6 Prozent für wahrscheinlich gehalten. Auch im Gesundheitsministerium lagen seit Ende August 2002 Erkenntnisse über die verheerende Finanzlage der Krankenkassen vor.
presseportal.de, 10.12.2003
„Wir werden den Stabilitätspakt 2003 auf Punkt und Komma einhalten. Da müsste schon der Himmel einstürzen.“
Vom „Sparminator“ zum Buhmann des Kabinetts: Der einstige Star von Rot-Grün ist gescheitert. Die Schulden nehmen sogar weiter zu.
Ist jetzt der Himmel eingestürzt? Offenbar ja, jedenfalls dann, wenn man den Vorhersagen Hans Eichels Glauben schenken darf. „Wir werden den Stabilitätspakt auf Punkt und Komma einhalten. Da müsste schon der Himmel einstürzen.“ Ein Zitat aus dem Dezember 2001.
Jetzt, zwei Jahre später, verletzt er mit dem Haushalt 2004 zum dritten Mal in Folge die Maastricht-Kriterien. Es steht zu befürchten, dass 16 der 17 Finanzminister in Bund und Ländern für das nächste Jahr verfassungswidrige Budgets aufstellen, weil sie höhere Kredite aufnehmen als sie Investitionen tätigen. Als Hans Eichel 1999 von Oskar Lafontaine sein Ministerium übernahm, lag die Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland noch bei 14 300 Euro. Nun lasten 15 593 Euro auf jedem Bürger. Diese Woche präsentiert der Minister seinen Haushalt 2004 dem Bundestag. Er enthält eine Rekordverschuldung. Noch nie hat der Bund einen so großen Kredit aufgenommen.
Was also ist aus dem „Sparminator“ geworden, wie der „Stern“ ihn noch vor vier Jahren nannte? Die Medien überschlugen sich damals mit Lob. Das war der Erfolg Klaus-Peter Schmidt-Deguelles, eines der besten PR-Beraters der Republik. Dessen fein dirigierte Imagekampagne zeigte Früchte. Eichel avancierte zum „Sparschwein der Nation“. Der Finanzminister mit den Anzügen von der Stange bildete das ideale Gegenstück zum Brioni-Kanzler. Rot-Grün mochte keine Inhalte haben, kein Ziel und keinen langen Atem. Der Budgetchef jedoch machte das wett: mit einer stringenten Haushaltspolitik, durch Seriosität und Verlässlichkeit. Das dürftige Kassengestell auf der Nase passte zur schlechten Kassenlage.
Tempi passati! Im letzten Frühsommer munkelten viele sogar über einen Rücktritt des Ministers oder seine Entlassung. Das hat sich nicht bewahrheitet – bisher. Fest steht jedoch: Eichel ist mit seiner Konsolidierungspolitik weitgehend gescheitert. Ein ausgeglichener Haushalt, ursprünglich hatte er dieses Ziel für 2006 anvisiert, ist nicht in Sicht. Mehr noch: Durch die schlechte Budgetlage im größten EU-Mitgliedsstaat Deutschland gerät der Euro-Pakt ins Wanken – mit Folgen für die gesamte europäische Integration.
Eichel verteidigt sich mit dem Hinweis, dass die Konsolidierung von 1999 bis 2001 „wie im Bilderbuch geklappt“ habe. „Der Bund hat seine Einsparziele auf der Ausgabenseite in jedem Jahr erreicht“, so Eichel. „Die konjunkturbedingten Steuerausfälle und Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt kann man aber nicht voll durch Kürzungen an anderer Stelle zusätzlich finanzieren. Deshalb gibt es seit 2002 höhere Defizite als geplant.“ Deutschland brauche jetzt „angemessene Wachstumsimpulse“. Auch deshalb forderte er bei den Maastricht-Kriterien „Flexibilität“ ein.
In gewisser Weise wird Eichel aber auch ein Opfer seines eigenen Erfolgs. Schließlich senkte er die Steuersätze immer weiter. Wenn jetzt die Steuerreform, wie von Rot-Grün vorgeschlagen, vorgezogen wird, hat Deutschland ein, wenn auch kompliziertes, aber im europäischen Vergleich doch günstiges Einkommensteuerrecht. Nur noch in zwei anderen Staaten Europas gibt es dann einen niedrigeren Spitzensteuersatz. Der Eingangssteuersatz liegt bei 15 Prozent, vor der ersten Reformstufe waren es noch 25,9 Prozent.
In die Kassen kommt damit weniger Geld. Zugleich gewinnt die Wirtschaft aber nicht an Fahrt. Schuld daran sind, so sieht es Eichel, die anderen: die Grünen, Clement, Ulla Schmidt und auch Schröder. Er habe seine Hausaufgaben gemacht, aber der Rest des Kabinetts habe nicht mitgezogen. Letztlich nutzt Eichel der Hinweis auf die Versäumnisse seiner Kollegen allerdings kaum. Er mag zwar die Strukturen des Haushalts verändert haben, nicht aber die Denkstrukturen der SPD. Doch er allein wird haftbar gemacht, wenn sich der Haushalt weiter in einer Notlage befindet – und die Budgetkonsolidierung nicht mehr als Markenzeichen für Rot-Grün taugt. Um das zu ändern, fordert Eichel drei Konjunktive: Erstens müsste der Arbeitsmarkt in Schwung kommen, sodass wieder mehr Geld in die Kassen fließt. Deshalb müsste auch die Wirtschaft anziehen. Schließlich müsste die Rente saniert werden, damit der Zuschuss des Bundes – er erreicht jetzt mit 77,3 Milliarden Euro einen Rekord – nicht weiter in die Höhe schnellt. Müsste, müsste, müsste.
Aber es geschieht zu wenig, und das Wenige ist auch noch unsicher. Niemand weiß, in welcher Form die Agenda 2010 aus dem Vermittlungsausschuss kommt. So schrumpft Eichels historische Rolle als Sanierer weiter auf Statistenniveau.
Rächt sich jetzt, dass das Image der Anfangszeit als eiserner Sparer zu künstlich war? Wo wenig Authentizität ist, bricht auch ein noch so perfekt gestaltetes Medienbild in sich zusammen. Der zurückhaltende Eichel, sachorientiert und nüchtern: Dieser Mann bricht sich in einem Politiker, der von Beginn an seine Macht nie aus den Augen verlor und auch zu hitzigen ideologischen Debatten in der Lage war. 1981, damals war Eichel Stadtoberhaupt von Kassel, ging er als erster Bürgermeister einer Großstadt eine Koalition mit den Grünen ein. Eichel galt als „Linker“, er gehörte zum „Studienratsflügel“ der hessischen SPD. Sechzehn Jahre war er Bürgermeister von Kassel, dann acht Jahre Ministerpräsident von Hessen: Kein Zweifel, er ist ein erfahrener Machtpolitiker wie andere auch, die sich lange auf schwierigen Posten halten.
Ein Meisterstück lieferte der Minister im letzten Bundestagswahlkampf mit seiner Behauptung, er werde das Defizit-Kriterium einhalten. Unmittelbar nach der Wahl musste er dann einräumen, dass die Verschuldung höher ausfallen werde als zuvor prognostiziert. Der zuständige Untersuchungsausschuss hat dazu in diesen Tagen seinen Bericht vorgelegt. Die Union wirft ihm darin vor, den Wähler belogen zu haben.
Damit hat Eichels Image als treuer Sachwalter der Haushaltsinteressen einen weiteren Kratzer bekommen. Hinzu kommt, dass er selbst seine Grundsätze aus taktischer Rücksichtnahme oft verraten hat. So erhöhte er die Tabaksteuer, obwohl er sich noch zuvor dagegen ausgesprochen hatte.
Außerdem gilt jetzt Schröder selbst als Überzeugungstäter, als ein Politiker, der es mit den Reformen ernst meint, und nicht mehr als Luftikus, der anhand von Meinungsumfragen regiert. Einen „soliden“ Hans braucht er als Ergänzung nicht mehr. Nebenbei hat der Kanzler einen Konkurrenten weniger. Noch nie hatte Schröder ein Interesse daran, dass ihm seine Minister über den Kopf wachsen.
So wird der Minister eines wichtigen Ressorts immer unbedeutender. Beim SPD-Parteitag in Bochum wurde das sichtbar. Eichel schaffte zwar mit 290 Stimmen auf Anhieb den Sprung in den Vorstand. Aber sonst nahm kaum jemand von ihm Notiz. Irgendwie hat man den Eindruck, dass sich Hans Eichel damit abgefunden hat, eher am Rand des Geschehens zu stehen.
Rheinischer Merkur, 11.12.2003
Die Putzfrau als "Wirtschaftskriminelle"
"Schwarzarbeit" im Haushalt künftig Straftat?
Wer die Putzfrau schwarz beschäftigt oder im Eigenheim Handwerker ohne Rechnung arbeiten lässt, muss künftig mit Strafverfolgung rechnen. Mindestens 1500 Euro Bußgeld würden fällig, wenn die Schwarzarbeiter den Fahndern auffallen und der Auftraggeber keine Rechnung von Putzfrau oder Handwerker vorlegen kann, berichtet das Düsseldorfer "Handelsblatt". Die Zeitung beruft sich dabei auf einen Entwurf von Bundesfinanzminister Hans Eichel für das "Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung".
Nichtanmeldung gilt als Wirtschaftskriminalität
Bisher begehen Privatleute lediglich eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie jemanden für ein Handgeld arbeiten lassen. Generell solle künftig jede nicht bei Sozial- oder Finanzbehörden angemeldete bezahlte Dienstleistung als Wirtschaftskriminalität gelten und vom zuständigen Zoll in enger Zusammenarbeit mit den Finanzämtern verfolgt werden, heißt es in dem Bericht weiter. Nachbarschaftshilfe dürfe dem Gesetzentwurf zufolge allenfalls durch "kleine Aufmerksamkeiten, wie z.B. ein Blumenstrauß oder eine Gartenpflanze" belohnt werden, um nicht als kriminelles Delikt zu gelten.
Einnahmeausfälle sollen aufgefangen werden
Mit den neuen Vorschriften wolle Eichel "enorme Einnahmeausfälle bei den Sozialkassen und beim Fiskus" eindämmen, heiße es in der Begründung. Mindestens eine Milliarde Euro mehr solle der Bund künftig jährlich an Steuern einnehmen. Wie viel dieser Summe an erhöhtem Aufwand der Zollfahnder entgegen stehe, beziffere der Gesetzentwurf nicht. Mit Strafen müssten auch Unternehmen rechnen, die Schwarzarbeit leisten oder Schwarzarbeiter beschäftigen.
Tagesschau, 02.01.2003
und schon haben wir Vollbeschäftigung.
Naja, vielleicht müssen einige sich dann selbst kontrollieren.
timchen
Defizitverfahren - EU-Kommission klagt gegen Finanzminister
Im Streit um die Auslegung des Euro-Stabilitätspaktes hat die EU-Kommission am Dienstag in Straßburg eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof beschlossen. Die EU-Kommission will sich nicht damit abfinden, dass der Finanzministerrat das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich gestoppt hatte.
Brüssel - Mit diesem Schritt eskaliert der Streit um den Euro-Stabilitätspakt und dessen Verfahren. Es ist das erste Mal, dass die EU-Kommission den EU-Ministerrat verklagt, weil dieser einen Vorschlag der Brüsseler Behörde in angeblich ungerechtfertigter Weise aushebelte.
Die EU-Kommission ist das ausführende Organ der Gemeinschaft. Im Ministerrat, der Brüsseler Machtzentrale, sind hingegen die Mitgliedstaaten vertreten.
Die Kommission will nach früheren Angaben beim EuGH ein Eilverfahren beantragen. Bisher erlaubte das höchste Gericht der EU in Luxemburg nur in zwei Fällen diese Schnellprozedur, bei der ein Urteil innerhalb weniger Monate zu erwarten ist. Zunächst muss das Gericht aber erst entscheiden, ob es die Klage überhaupt annimmt.
Von der auch unter den 20 Kommissaren umstrittenen Klage erhofft sich die Kommission Rechtssicherheit für künftige Fälle. Solbes sah in dem Beschluss der Finanzminister einen Verstoß gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die Finanzminister hatten die Vorschläge der Kommission für eine Verschärfung der Verfahren auf Sanktionen hin zurückgewiesen und stattdessen lediglich eine Erklärung verabschiedet.
Spiegel online, 13.1.2004
EU-Kommission zweifelt an deutscher Etatplanung
Die EU-Kommission zweifelt an den Eckdaten der deutschen Haushaltsplanung bis 2007.
Das geht aus der in Brüssel vorgelegten Bewertung des deutschen Stabilitätsprogrammes hervor. Das Bundesfinanzministerium hat die Zweifel zurückgewiesen.
Nach Einschätzung der Kommission sind die Vorstellungen der Bundesregierung zu Wirtschaftswachstum, Steuereinnahmen und Ausgabenentwicklung wenig realistisch. Die Kommission sieht das Risiko, dass das Haushaltsdefizit auch 2005 die Obergrenze im Stabilitätspakt von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigt. In diesem Fall hätte Deutschland dann zum vierten Mal in Folge die Defizitgrenze verletzt.
Dagegen sagte Ministeriumssprecher Jörg Müller in Berlin, der Vorwurf der Kommission, die Wachstumsaussichten für 2005 seien unrealistisch, sei "völlig unbegründet". Die Bundesregierung habe in ihrem Stabilitätsprogramm für Brüssel noch keine aktuelle Wachstumsprognose abgegeben. Die Berechnungsmethoden Brüssels und Deutschlands könnten auch nicht miteinander verglichen werden.
dpa, 18.2.4
STAATSFINANZEN
Zock mal wieder
Der Bundesfinanzminister will die enorme Zinslast des Bundes drücken - und dafür unter die Zocker gehen.
Fast so wichtig wie der neueste Sparplan von Bundesfinanzminister Hans Eichel selbst ist dessen Geheimhaltung: Die Gruppe seiner Experten ist handverlesen und zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet. Auf jeder einzelnen Seite ihres Berichts prangt der Schriftzug "Streng vertraulich". Eine penibel geführte Liste verzeichnet zudem, wer das Papier wann zu Gesicht bekommen hat. All das hat einen guten Grund.
"Was hier zum Schuldenmanagement des Bundes vorgeschlagen wird", so ein Beteiligter, "ist äußerst kapitalmarktrelevant." Wer vorab weiß, wie Eichel die Zinsbelastung des Bundes senken will, könnte illegale Insidergeschäfte tätigen. Das brisante Papier droht zudem die Anleihemärkte in Aufruhr zu versetzen. Denn Berlins Kassenwart will unter die Zocker gehen und sich auf hoch spekulative Geschäfte einlassen.
Devise eins: Nach uns die Sintflut. Devise zwei: Ohne Risiko kein Profit.
Schon heute zahlt der Bund jedes Jahr rund 38 Milliarden Euro an Zinsen. Zwischen 2004 und 2006 werden obendrein rund 250 Milliarden der Gesamtschulden von knapp 800 Milliarden Euro fällig. Dieser Berg muss umgeschichtet werden. Das Ministerium fürchtet, der Kapitalmarkt werde die hohen Summen nur mit teuren Aufschlägen akzeptieren.
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen soll die Situation deshalb kurzfristig entspannen. Der Kern von Eichels Geheimplan ist die "Neustrukturierung der Staatsschulden", für die das Ministerium ein "Zielportfolio" entwickelt hat, das in zehn Jahren erreicht werden und deutlich mehr Anleihen mit kurzen Laufzeiten enthalten soll als heute (siehe Grafik).
Die durchschnittliche Laufzeit sinkt schon bis 2007 von 6,17 auf 5,22 Jahre, was die Zinsenausgaben in dieser Zeit um rund 500 Millionen Euro drückt. Doch die Ersparnis hat ihren Preis.
Denn je kürzer die Laufzeiten der Anleihen ausfallen, desto stärker wirken sich auch Zinsänderungen aus. Jeder Häuslebauer weiß das. Selbst Ex-Finanzminister Theo Waigel predigte stets: Sind die Zinsen niedrig, muss man sich Geld langfristig leihen. Eichel schwenkt nun um - obwohl dadurch auch Mehrausgaben entstehen können, wie seine Experten zugeben. Bis 2007 sei diese Gefahr jedoch gering, denn bis dahin überwiegen die billigeren Zinsen durch die Umschichtung.
Ist das Zielportfolio aber erreicht, steigt das Haushaltsrisiko kräftig an - und liegt dann "15 Prozent über dem Niveau des derzeitigen", was Eichels Fachleute noch für vertretbar halten. Das ist Ansichtssache.
Denn möglich ist auch, dass sich der Bund dann in einer Phase steigender Zinsen am Kapitalmarkt neu verschulden muss. Mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 30 Prozent, so die Berechnungen, müsse er schon im ersten Jahr 570 Millionen Euro mehr aufbringen als unter der jetzigen Schulden-Architektur. Vier Jahre später läge die Summe bei 3,2, nach zehn Jahren sogar bei etwa 5,5 Milliarden Euro.
Die Umschichtung könnte so zu einem teuren Ausflug werden, der den relativ kleinen, kurzfristigen Gewinn kaum rechtfertigt. Doch das muss nicht mehr das Problem von Eichel sein, der dann sicher nicht mehr oberster Kassenwart in Berlin ist.
Zur "Strukturkomponente" des neuen Schuldenmanagements kommt eine "taktische Komponente". Die Finanzagentur des Bundes, die für Eichels Ministerium die Schulden managt, soll die Zinsentwicklung anhand von Wirtschaftsprognosen für die jeweils nächsten drei Jahre vorhersagen - und darauf spekulieren. Das tut sie mit Swaps, also hochriskanten Finanzinstrumenten, die eigentlich zum Absichern von Zinsrisiken gedacht sind.
Eichel hat die Finanzagentur bereits ermächtigt, diese Zockergeschäfte im Jahr 2004 auf 80 Milliarden Euro zu erhöhen. Obendrein will er künftig auch Fremdwährungsanleihen begeben, also Bundesschulden in Dollar, Rubel, britischen Pfund oder auch anderen Währungen.
Rechtlich ist das aber nicht möglich, der Bundestag müsste zustimmen. Doch auch diese Geschäfte sind riskant: Sinkt der Euro-Kurs gegenüber der jeweiligen Emissionswährung zum Ende der Laufzeit etwa um 20 Prozent, muss der Bund 20 Prozent mehr zurückbezahlen, als er sich geliehen hat.
Selbst bei einer Währungsabsicherung, heißt es in dem Bericht, "könnte der Eindruck von Spekulationsgeschäften entstehen". Andererseits führten diese Finanzinstrumente zu einer "Entlastung der Liquiditätssituation". Die sperrige Formulierung kaschiert eine prekäre Situation.
Die hohen Tilgungsverpflichtungen ab 2004 und die deshalb nötigen Umschuldungen könnten an den Märkten zu einem Überangebot führen, das von Investoren nur zu deutlich höheren Zinsen akzeptiert wird. Die Bundesanleihe, einst das sicherste Schuldpapier der Welt, droht dabei unter die Räder zu kommen. Wenn aber ein Teil der Schulden im Ausland platziert werde, sei diese Gefahr geringer.
Schon deshalb wollen Eichel und seine Finanzmanager den Gang zum Parlament antreten. Das einzige Problem: "Bisher wissen wir noch nicht", sagt ein Insider, "wie wir den Abgeordneten die Materie erklären sollen, ohne unsere Pläne im Detail offen zu legen."
Spiegel online, 6.3.4