Culture Club
Seite 53 von 2439 Neuester Beitrag: 13.11.24 21:23 | ||||
Eröffnet am: | 22.09.12 21:13 | von: Fillorkill | Anzahl Beiträge: | 61.954 |
Neuester Beitrag: | 13.11.24 21:23 | von: Fillorkill | Leser gesamt: | 6.470.213 |
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Sehr interessant sind dann auch solche Texte dazu, wie oben zu Lydia Lunch, die im Gegensatz zu Willy de Ville übrigens bisher an mir vorbeigegangen ist.
Das Debütalbum von the Cure ist natürlich großartig.
Die Bewegung um Throbbing Gristle ist sicherlich einer der außergewöhnlichsten Momente der Musikgeschichte des letzten Jahrhunderts bis heute. Wobei die Musik dort eigentlich fast in den Hintergrund rückt.
Kunst kam der Musik vielleicht nirgends näher als dort. (Womit wir im Grunde wieder thematisch bei den Eingangsbeiträgen unseres threads angelangt wären.)
Eine Kunst, die ich allerdings, wie auch den industrial insgesamt, recht ambivalent betrachte.
Es gibt nun viele differenzierte und kontroverse Betrachtungen zum Industrial und seinen verschiedenen Anliegen (z.B. hier: http://stefanhetzel.privat.t-online.de/industrl.html ) aber egal, wie man diese Ästhetisierung des Schrecklichen, die in der Tradition des Realismus der Nachkriegszeit steht und mit dadaistischen Motiven verbindet, auch bewerten möchte, sie haben damit ohne Frage einen ungeheuer wichtigen und wertvollen Beitrag abgeliefert, ein echter Meilenstein im Bereich von Kunst und Musik.
TG waren dabei m.E. nicht nur Wegbereiter und Namensgeber dieser Bewegung sondern zugleich auch ihr grandioser Höhepunkt.
Den Essay oben würde ich mir übrigens in vielen Punkten nicht unbedingt zu eigen machen wollen, aber immerhin in manchen. Was ich am meisten am Industrial kritisieren würde und dabei vor allem auch der Auffassung bin, dass sich seine Protagonisten damit selber nicht gerade einen Gefallen tun, ist der Umstand, dass dort alles, was Bestand zu haben scheint, der Blick für das Hässliche und Schreckliche ist.
Eine Kritik, die sich übrigens im Grunde genau so gegen den Realismus richten könnte.
Der Blick für die Schönheit, die sich eben auch abseits von romantisierenden Überhöhungen oder Vorstellungen der Antike auch im Realen mit allen seinen Unvollkommenheiten wiederfindet, scheint ihnen völlig zu fehlen.
Musik und Kunst, aber vor allem die Musik, spielt da meines Erachtens dann z.B. auch gerade mithinein.
Auch diese hat neben der Fiktion, die in der Werken zum Ausdruck kommt, eine ganz reale Dimension nämlich die des menschlichen Schaffens und aller zugehörigen Prozesse. Als solche sind Kunst oder Musik immer auch ein Stück Realität, egal, wie sie im Einzelfall gestaltet ist.
Der äußerst interessante und genau so radikale wie wirklich kreative Industrial verlangt seinen Betrachtern dabei schon in der Auseinandersetzung einiges ab, wenn man sich tiefer darauf einlässt. Es lohnt sich allerdings - auch wenn man dem dabei transportierten Weltbild am Ende nicht zustimmen kann, darum geht es dabei dann eben gar nicht so sehr (zumindest mir nicht).
Der alte Konflikt zwischen Künstler oder Boheme und Bürgertum kommt darin natürlich ebenfalls einmal mehr zum Ausdruck. Ein Konflikt, der in der Literatur von E.T.A. Hoffman bis Thomas Mann schon so häufig und wohl durchaus treffend thematisiert wurde.
Ein Konflikt, der sich heute allerdings ein wenig überholt zu haben scheint, zu verdanken haben wir diesen Umstand dann wohl nicht zuletzt gerade den Jugendbewegungen des letzten Jahrhunderts, von den Beatniks über die Hippies, den Punks und dann auch über die industrial people, die zwar im Grunde völlig antibürgerliche Bewegungen waren, damit aber gerade zu einer Art Erneuerung des Bürgertums geführt haben. Man könnte es durchaus als eine Art Liberalisierung begreifen.
Davon abgesehen geht oder ging es dem Industrial wesentlich um die 'schönen Künste'. Aufgehoben in einer Ästhetik, die Fordismus und Postfordismus reflektiert, die sich der Dekonstruktion von Mythen und ästhetisch hohl gewordener Routinen bedient, um sozusagen den Gassenhauer von heute zu entwickeln. Oben drauf kommt eine native Begeisterung für die kreativen Möglichkeiten, die die fortgeschrittene Technologie in den 70'ern anzubieten begann und natürlich der mit Punk zur kulturellen Realität gewordene postmoderne Imperativ 'lebe deinen Entwurf'...
Mit anderen Worten also eine Musik- und Bildsprache starker Emotionalität und hier die gesamte Bandbreife treffend, ganz ohne den nur stillschweigend vorausgesetzten Fokus auf 'das Unheil'. Mit den liebevoll gepflegten Suicidphantasien oder faschistoiden Todeskulten mancher Epigonen hat das nichts zu tun, eher mit einem James Last für Leute, die im Jetzt leben...
Love Song von TG (76)
Fillorkill hat vor einigen Tagen auf den Hintergrund des Films "Z" hingewiesen.
Die Musik dazu stammt von Theodorakis, der während der Militärdiktatur in Griechenland zeitenweise auf der kleinen Insel Ägina einsaß, und dessen Musik in Griechenland zu Zeiten der Militärdiktatur verboten war.
Nichtsdestotrotz wurde die Musik auch öffentlich gespielt und "Zorbas Dance" auf der Insel Mykonos z.B. unter den Augen der örtlichen Polizei getanzt...
Das nur als kleine Ergänzung zu den Angaben von Fillorkill, die ich teilweise nicht kannte oder schon wieder vergessen hatte....
Danke fillo
Mit Deinem Verweis auf Adornos Imperativ bringst Du im Grunde nochmal das zum Ausdruck, was ich oben mit anderen Worten (diese Ästhetisierung des Schrecklichen, die in der Tradition des Realismus der Nachkriegszeit steht) beschrieben habe.
Ein Imperativ, der aus dem Trauma der Nazizeit zwar verständlich aber letzten Endes unsinnig und auch bedauerlich ist. Traumaverarbeitung ist dann im übrigen sicher noch ein weiterer Aspekt des Industrial.
Fordismus und Postfordismus und die Betrachtungen der Wirtschaft, die dahinter stehen, sind indessen Theorien, die hinsichtlich der Veränderung von Arbeitsprozessen, die mit der Industrialisierung und der Massenproduktion entstanden sind, sicher vieles in Teilen durchaus richtig erfassen, dabei aber hinsichtlich ihrer Implikationen doch kritikwürdig sind. Ich selbst kann sowohl mit dem Fordismus als auch mit dem Postfordismus, der mit der Konzeption des ersteren bricht, als Theorie eher weniger anfangen.
Von diesen durchaus ideologisch behafteten Begrifflichkeiten abgesehen, spielt die Industrialisierung und damit eines der großen Themen der Moderne beim Industrial aber sicher mit rein, wie der Name im Grunde auch bereits nahe legt.
Politische Aspekte kommen dann auch noch hinzu, wobei ich in der Musik an politischen Themen nicht besonders interessiert bin, in der Tendenz stört es mich sogar eher.
Eine Wegbereitung elektronischer Musik ist dann wiederum ein anderer Aspekt.
Genau so wie natürlich ganz oben die Kunst. Im Grunde waren sie dann sogar Wegbereiter für Performance Art und Aktionskunst im weitesten Sinne.
Das alles sind jedoch Dinge, die einem zwar mehr oder weniger unmittelbar ins Auge stoßen, die man aber auch beiseite schieben und einfach die Musik oder bei manchen Stücken vielleicht besser gesagt die Klanggebilde als art pour l'art genießen kann.
Eine Verquickung von art and music, die auf diesem Gebiet das Radikalste und Extremste ist, was es dort je gegeben hat und vermutlich auch geben wird. Es gibt ja wirklich kein Tabu, was TG nicht gebrochen hätten. An diesem Fundus haben sich derweil Generationen von nachfolgenden Musikern vom Underground bis hinein in den tiefsten mainstream bedient, toppen oder gar noch etwas Neues hinzufügen lässt sich da in Sachen Provokation jedoch nur schwerlich.
TG haben den Industrial dann eben nicht nur eingeleitet sondern mit seinem Beginn dann im Grunde gleichsam vollständig ausgelotet und erschöpft.