Culture Club
Seite 155 von 2441 Neuester Beitrag: 18.11.24 18:55 | ||||
Eröffnet am: | 22.09.12 21:13 | von: Fillorkill | Anzahl Beiträge: | 62.005 |
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Wir waren wie Maschinen - Gunnar Hinck untersucht die Geschichte der deutschen Linken der 1970er-Jahre
Nachdem die bundesrepublikanische Linke der 1970er-Jahre in den Orkus der Geschichte verabschiedet worden war und sich die Überlebenden in postmodernen Formen der Politik einrichteten oder die Existenz der Privatiers vorzogen, erlebt sie in jüngerer Zeit neue Aufmerksamkeit. Vor allem jüngere Autoren, die aufgrund ihrer Biografie als Nachgeborene nicht in den „Schuldzusammenhang“ der „bleiernen Zeit“ verstrickt sind, entdecken die als „ideologisch“ verrufenen Jahre von Neuem. Jan Ole Arps untersuchte in seinem Buch „Frühschicht“ (2011) den Weg von „proletarisierten“ Aktivisten der 1968er „Bewegung“ in die Betriebsarbeit, während Michael März in seiner sehr akademisch geratenen Studie „Linker Protest nach dem Deutschen Herbst“ (2012) die Protestformen gegen das sozialdemokratisch geprägte „Modell Deutschland“ in den Jahren zwischen 1977 und 1979 nachzeichnete. Während sich diese Studien auf einer mikrohistorischen Ebene bewegen und letztlich kaum einen Blick für die Makro-Dimension der Geschichte als Prozess des umgreifenden Ganzen entwickeln, ist die Perspektive in Gunnar Hincks Buch „Wir waren wie Maschinen“ weiträumiger, ohne dabei die Details aus den Augen zu verlieren.
Anhand exemplarischer Biografien linker Aktivisten erzählt der Politikwissenschaftler Hinck die verschränkten Episoden einer „bundesdeutschen Linken“, die sich nach dem Aufbruch von 1968 in zahllose maoistische, realsozialistische und spontaneistische, „undogmatische“ Fraktionen zersplitterte. Dabei ist Hinck ein detailreiches, gut recherchiertes, spannendes Buch gelungen, das nicht im Vergangenen verharrt, sondern auch den Blick in die Gegenwart richtet. Obgleich Hinck, der 1973 geboren wurde und seit 2009 SPD-Mitglied ist, keine Abrechnung mit der „totalitären Linken“ im Stile ehemaliger Mitläufer vorlegt, ist das Buch keineswegs eine desengagierte, akademische Fleißarbeit, um sich Meriten im Betrieb zu verdienen, sondern versteht sich als politischer Beitrag zur „Aufarbeitung“ der jüngeren Vergangenheit. „Die gebrannten Kinder der 70er Jahre haben zur Diskreditierung des Denkens in Alternativen in der Bundesrepublik entscheidend beigetragen“, lautet seine harsche Kritik. „Diese Diskreditierung hat bis heute gesellschaftliche Auswirkungen, wäre doch ein Denken in Alternativen in Zeiten wie diesen [sic!] nötiger denn je.“
Um den „Merkwürdigkeiten der 70er Jahre“ auf den Grund zu gehen und die seltsame Anziehungskraft der kommunistischen Weltrevolution für eine nicht unbeträchtliche „Anzahl junger und jüngerer Leute“ aufzuschlüsseln, beschränkt sich Hinck nicht auf die unmittelbare Vorgeschichte der „68er“ (deren Mythologisierung als Kraft der Modernisierung und politischen wie kulturellen Befreiung er infrage stellt), sondern nimmt die Realitäten der Nachkriegszeit wie „Unbehaustheit“ oder die Abwesenheit der Väter mit auf die Rechnung.
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=17097
Hier noch zwei weitere interessante Rezensionen:
http://www.sehepunkte.de/2014/07/23347.html
http://www.deutschlandradiokultur.de/...e.html?dram:article_id=216064
Insofern bedauere ich wie schon mehrfach betont, dass unsereiner als Industrial, Poststructuralism usw sich zu hart mit den linken Illusionen der 60er / 70er auseinandergesetzt hat, die Suche nach antiautoritären Alternativen, ihre Phantasie und ihren Charme dabei verkennend oder abwertend. Deshalb geht es heute darum, nicht nur die im Diskurs dominanten Ideologien wie Neocon und dessen dialektischen Widerpart, den völkischen Anticap anzugreifen, sondern das emanzipatorische Potential jener historischen Alternative, die einst Phantasie an die Macht bringen wollte, aus dem Mülleimer der Geschichte wieder frei zu buddeln.