Rot-Grüne Chaoschronik 2002-2006:
Seite 69 von 137 Neuester Beitrag: 18.09.05 23:03 | ||||
Eröffnet am: | 22.09.02 22:29 | von: SchwarzerLo. | Anzahl Beiträge: | 4.404 |
Neuester Beitrag: | 18.09.05 23:03 | von: Karlchen_I | Leser gesamt: | 166.747 |
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Berlin (ddp.vwd). In der Affäre um eine Hotel-Einladung von Bundesbankpräsident Ernst Welteke rückt jetzt die Rolle der Bundesregierung in den Mittelpunkt. Die Union forderte am Samstag eine Klärung der Frage, ob die Regierung wegen Meinungsverschiedenheiten über den Verkauf der Goldreserven eine Ablösung Weltekes betreibt. Entsprechende Medienberichte hatte ein Regierungssprecher zuvor zurückgewiesen. Unterdessen gibt es neue Rücktrittsforderungen an die Adresse des Notenbankchefs. Welteke, der sich und seine Familie Ende 2001 von der Dresdner Bank zu einem Aufenthalt im Berliner Nobelhotel Adlon hatte einladen lassen, lässt sein Amt derzeit ruhen.
«Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will wissen, was an den Gerüchten dran ist», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Volker Kauder, der «Welt am Sonntag». Dazu werde die Union die Bundesregierung in den nächsten Tagen befragen. «Ich kann die Bundesregierung nur warnen: Hände weg vom Gold der Bundesbank», sagte Kauder.
Die Bundesregierung hatte am Karfreitag einen Bericht des Magazins «Focus» zurückgewiesen, wonach ihr eine Ablösung Weltekes gelegen käme. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) habe Welteke noch im März ausdrücklich für seinen Vorschlag gelobt, Goldreserven zu verkaufen, um Bildungsinvestitionen zu fördern. «Insofern ist da überhaupt kein Dissens zwischen Welteke und dem Bundeskanzler», erklärte ein Regierungssprecher.
Die Goldreserven haben einen Wert von rund 38 Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wird nachgesagt, er wolle mit Erlösen aus einem Teilverkauf des Goldes noch vor der Bundestagswahl 2006 eine Bildungsoffensive finanzieren. Deutliche Kritik übte Kauder am Plan des Bundesbank-Vorstandes, einen Ethikberater zu berufen. Es sei eine Zumutung, wenn Spitzenbeamte nicht wüssten, was anständig oder unanständig sei. «Im Übrigen sollte Welteke, solange die Amtsgeschäfte ruhen, wie bei einem Disziplinarverfahren für Beamte das Gehalt gekürzt werden», forderte Kauder. Die Notenbank hatte im Zuge der Affäre beschlossen, die strengen Verhaltensregeln der Europäischen Zentralbank zu übernehmen, die die Annahme von Vergünstigungen klar definieren.
Der Bundesbank-Vorstand hatte am vergangenen Mittwoch keinen Grund für eine Abberufung Weltekes gesehen, ihm aber mit Blick auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsnahme empfohlen, sein Amt ruhen zu lassen. Die Bundesregierung hat die Entscheidung scharf kritisiert. Inzwischen hat sich der kommissarische Bundesbankpräsident Jürgen Stark weiteren Druck aus Berlin verbeten. Rein formal kann die Bundesregierung zwar keinen Einfluss bei der Bundesbank geltend machen, da diese traditionell auf ihre Unabhängigkeit pocht und keinen Weisungen unterliegt. De facto hat das Wort der Regierung aber schon dadurch Gewicht, dass der Bundesbankpräsident auf ihren Vorschlag hin berufen wird. Abgesetzt werden könnte Welteke nur von seinen sieben Vorstandskollegen. Einen Aufsichtsrat hat die Notenbank nicht.
Aus den Reihen der Koalition erneuerte der SPD-Wirtschaftspolitiker Klaus Brandner die Rücktrittsforderung. «Der Bundesfinanzminister ist deutlich auf Distanz gegangen. Er spricht, glaube ich, für die ganze Bundesregierung», sagte Brandner dem Bremer «Kurier am Sonntag». Eine Änderung des Bundesbankgesetzes hält Brandner jedoch für überflüssig. Auch einen Aufsichtsrat zur Kontrolle des Bundesbankvorstandes lehnt er ab. Allerdings müssten für Spitzenbeamte genauso wie für Top-Manager in der Privatwirtschaft strenge ethische Regeln gelten. ddp.vwd/pon
Quelle: http://de.news.yahoo.com/040410/336/3z8zl.html
wenn sich welteke seine diversen Urlaube bezahlen lässt. wie arm ist doch unsere Opposition.
aber wer schon in der Frage des Irakkrieg immer noch an Massenvernichtungswaffen glaubt
und treu den Amis in den Arsch kriecht was will man von denen noch erwarten.
Wahlstreß
Verkauf der Goldreserven - Welteke-Ablösung schon länger geplant
Die Adlon-Affäre ist angeblich nicht der einzige Grund, warum die Bundesregierung Ernst Welteke als Bundesbankpräsident ablösen möchte.
Wie FOCUS mit Bezug auf Vorstandskreise berichtet, gab es Unstimmigkeiten über den Verkaufserlös der Goldreserven. Die Bundesregierung will dadurch einen zweistelligen Milliardenbetrag für eine Innovationsoffensive vor den kommenden Wahlen erlösen. Welteke sei aber nur bereit gewesen, einen Fonds einzurichten und der Regierung dessen Zinsen und Erträge zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung soll dieses Angebot als zu gering abgelehnt haben.
Focus online, 9.4.4
Wohlfahrtsverband besorgt
Arme verzichten auf Arztbesuch
Arme Menschen sind nach Feststellung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands die Opfer der seit Jahresbeginn gültigen Gesundheitsreform. Viele Behinderte, Suchtkranke, Obdachlose und Menschen in Alten- und Pflegeheimen könnten sich den Gang zum Arzt nicht mehr leisten, teilte die Organisation in Berlin mit. Dies habe ein Gutachten zu den Folgen der Reform ergeben.
Danach hätten Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen die Gesundheitsversorgung von mehr als 400.000 Menschen massiv verschlechtert. Der Wohlfahrtsverband fordert deshalb, die Betroffenen völlig von der Zuzahlungspflicht zu befreien. Seit dem 1. Januar müssen sie bis zu zwei Prozent des Sozialhilfe-Regelsatzes selbst tragen, das sind 71,52 Euro jährlich. Auch der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel kritisierte die Sozialpolitik der Bundesregierung. Diese streiche die Mindestsicherung der Bürger zusammen und überfordere sozial Schwache, die sich eine private Zusatzversorgung vor allem für die Rente gar nicht leisten können, sagte Hickel den "Lübecker Nachrichten". Damit sei neue Armut programmiert.
Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hielt den Reformkritiker dagegen vor, nichts Konstruktives beizutragen. "Da sind viele Schlaumeier unterwegs und sagen, was alles drückt und elend ist. Aber sie wissen nicht, wie es besser geht", sagte Müntefering der "Sächsischen Zeitung am Sonntag".
Die von Abweichlern in der SPD gegründete "Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" will bis Mitte Mai bundesweit regionale Strukturen aufbauen. Aus mehr als 60 Städten seien bereits Anfragen für Regionalgruppen eingetroffen, sagte der Sprecher Thomas Händel der dpa in Nürnberg. Die vor allem von bayerischen IG-Metall-Funktionären getragene Initiative hatte sich Mitte März aus Protest gegen die Reform-"Agenda 2010" formiert. Sie droht mit der Gründung einer eigenen Partei links von der SPD.
Quelle: http://www.n-tv.de/5233620.html
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat deutsche Investitionen im Ausland verteidigt und sich damit gegen Kritik aus der Regierungskoalition gewehrt. Die SPD warf deutschen Unternehmen dagegen mangelnden Anstand vor und drohte mit Zwangsmaßnahmen.
"Grundsätzlich sind deutsche Investitionen im Ausland zu begrüßen", sagte Hundt dem Kölner "Express". Damit stärkten deutsche Firmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit, von der auch ihr Stammsitz in Deutschland profitiere. Leider gelinge es umgekehrt nicht, "in ausreichendem und ausgewogenem Umfang" ausländische Investitionen nach Deutschland zu holen. "Das ist ein deutliches Zeichen für die Schwächen unseres Standortes", sagte er.
SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter nannte deutsche Unternehmer, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern "unanständig". Benneter sagte der "Welt", deshalb müsse die SPD die Sicherung der Zukunft notfalls erzwingen, zum Beispiel mit einer Ausbildungsplatzabgabe. Unanständig sei es auch, wenn Wirtschaftsvertreter zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland aufriefen und den Export von Stellen zum Druckmittel in der innenpolitischen Diskussion machten. Inakzeptabel sei auch die Ankündigung des Siemens-Konzerns, Tausende Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, falls sich die Gewerkschaften längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verweigerten.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sprach in der "Welt am Sonntag" von
"vaterlandslosen Gesellen". "Einerseits erwarten sie an ihrem Lebensort Deutschland eine perfekte Infrastruktur, hervorragende Theater, Universitäten, Krankenhäuser, Straßen und gut ausgebildete Fachkräfte. Zugleich verlagern sie Standorte nach außen, um weniger Steuern und Abgaben zu zahlen, aus denen all das finanziert wird. Diesen Widerspruch müssen die Unternehmer auflösen", sagte er.
Kritik an Steuerdumping
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber forderten eine EU-einheitliche Untergrenze bei der Einkommenssteuer, um eine weitere Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland zu verhindern. Stoiber sagte der "Bild am Sonntag", eine Mischung aus Niedrigsteuersätzen und Höchstfördergebieten in den neuen EU-Ländern könne für hiesige Arbeitsplätze tödlich sein. Bei den Steuern in Europa müsse es eine bestimmte Bandbreite geben, in der jeder Staat für sich selbst entscheiden könne. Aber einem reinen Steuerdumping müsse ein Riegel vorgeschoben werden. "Dabei könnte man zum Beispiel an eine Untergrenze von 25 Prozent bei der Einkommensteuer für alle EU-Länder denken", sagte Stoiber. Auch Huber forderte eine EU-weite Untergrenze für die Einkommensteuer. Bundesfinanzminister Hans Eichel sagte, Steuerdumping sei für die Bundesregierung nicht akzeptabel. "Und ein Steuersatz von null Prozent ist eindeutig Steuerdumping."
Quelle: http://www.ftd.de/pw/de/1081610581098.html?nv=hpm
FRANKFURT/WIESBADEN (dpa-AFX) - Die Pleitewelle hat 2003 in Deutschland einen neuen Rekord erreicht. Rund 101.000 Unternehmen und Privatleute meldeten im Vorjahr Insolvenz an, das waren 19 Prozent mehr als 2002. Diese Zahlen gab das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Frankfurt bekannt. Mit rund 39.300 Unternehmen betrug das Plus bei den Firmenpleiten 4,6 Prozent. Drastisch stieg die Zahl der Pleiten privater Verbraucher mit einem Anstieg von 57 Prozent auf 34.000 Verfahren. Bei rund 3 Millionen überschuldeten Haushalten werde sich dieser Trend weiter fortsetzen, so die Statistiker./mt/DP/js
Quelle: http://portale.web.de/Finanzen/Insolvenzen/?msg_id=4518437
Berlin (dpa) - Die Frage nach Sinn oder Unsinn einer Ausbildungsabgabe spaltet weiterhin die SPD.
Vor dem Spitzentreffen von Parteichef Franz Müntefering mit den SPD-Ministerpräsidenten am Sonntagabend in Berlin gab es erneut Zustimmung und Skepsis zu der von Rot-Grün geplanten Lehrstellenumlage, mit der die deutsche Wirtschaft zu mehr Ausbildungsbereitschaft gezwungen werden soll.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) stellte sich - wie zuvor bereits Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit - hinter Müntefering, der die Abgabe befürwortet. Platzeck sagte der «Bild am Sonntag»: «Ohne Druck auf die Unternehmen dieses Landes wird es nicht gehen. Jede Firma steht in der Verantwortung mitzuhelfen, dass alle Jugendlichen eine Ausbildung bekommen.» Müntefering wollte die Länder-Regierungschefs am Abend von den Umlage-Plänen überzeugen - auch um die Gefahr einer Blockade im Bundesrat zu verringern. Zu den Gegnern der Ausbildungsabgabe zählten unter den SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück aus Nordrhein- Westfalen, Heide Simonis aus Schleswig-Holstein und Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz. Im Anschluss an das Spitzentreffen wollten auch die Landes- und Bezirkschefs der SPD in Berlin über das Thema beraten.
«Das Gesetz zur Ausbildungsumlage, das wir in erster Lesung in den Bundestag eingebracht haben, wird kommen», zeigte sich der SPD-Chef in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» überzeugt. Die Umlage werde «nur angewandt werden, wenn die nötige Zahl an Ausbildungsplätzen zu Beginn des Ausbildungsjahres 2004/2005 nicht zur Verfügung steht». Freiwillige Lösungen hätten «ganz klar die Priorität vor einer Umlage», betonte Müntefering. Bei dem Treffen in Berlin gehe es darum, «in diesem Jahr vier bis fünf Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung» zu stellen. Nordrhein-Westfalens SPD-Chef und Wirtschaftsminister Harald Schartau sagte indes dem Magazin «Focus»: «Die Umlage wird kein einziges der Probleme lösen, die wir auf dem Ausbildungsmarkt haben.» Kein Unternehmer werde «eine frohe Einstellung zum Ausbilden entwickeln, wenn man versucht, ihn unter Androhung einer Geldstrafe zum Ausbilden zu zwingen».
Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Rainer Wend (SPD), hält einen Verzicht auf das Gesetz für möglich, «wenn die Wirtschaft mehr anbietet als bisher. Dazu würde gehören, dass die Wirtschaft beispielsweise über die Kammerbezirke hinaus entsprechende Verbünde bildet.» Er gehe davon aus, dass die SPD-Fraktion mehrheitlich für das Gesetz sei, sagte Wend der «Welt am Sonntag». Der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Jörg Tauss, sagte, das Spitzentreffen werde «von den Bildungspolitikern der SPD mit der Erwartung verbunden, dass vor allem vereinzelte Querschüsse aus den eigenen Reihen gegen das Gesetz und die Beschlüsse von Partei und Bundestagsfraktion umgehend beendet werden».
Die SPD-regierten Länder hätten «alle Möglichkeiten, in den nächsten Tagen ihre Vorstellungen in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Begrüßenswert und hilfreich ist dabei die klare Aussage des grünen Koalitionspartners in NRW, sich an einer möglichen Verweigerung des Landes im Bundesrat nicht zu beteiligen.» Tauss wandte sich gegen «die unsägliche Kampagne der Wirtschaftsverbände mit ... falschen Behauptungen gegen eine Umlagefinanzierung». Müntefering ist auf die Zustimmung vor allem Nordrhein-Westfalens zu dem Gesetz angewiesen. Mit NRW und den unionsgeführten Ländern käme es zu einer Zweidrittelmehrheit gegen das Gesetz im Bundesrat. Diesen Einspruch könnte der Bundestag nur mit Zweidrittelmehrheit zurückweisen. Die von Rot-Grün geplante Ausbildungsabgabe wäre folglich im Parlament durch Widerstand aus den eigenen Reihen gescheitert.
Quelle: http://www.wendlinger-zeitung.de/index.php?action=shownews&id=434693
Zypries (SPD) legt Menschenrechte neu aus
Staatlich verordnete Zwangsdienste sind durch mehrere internationale Menschenrechtsabkommen verboten. Justizministerin Zypries sieht das neuerdings anders - und macht einen neuen Vorstoß für ein soziales Pflichtjahr.
Das soziale Pflichtjahr für junge Menschen beschäftigt die Fantasie deutscher PolitikerInnen immer noch. Am Wochenende warf Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erneut einen Stein ins Wasser. Die Internationalen Menschenrechtskonventionen, die Zwangsdienste verbieten, könnten neu ausgelegt werden, so Zypries in einem Brief an Verteidigungsminister Peter Struck, Familienministerin Renate Schmidt und Innenminister Otto Schily.
Der Sorge, die sozialen Dienste könnten nach einer eventuellen Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes unter Arbeitskräftemangel leiden, hatte verschiedene PolitikerInnen laut über ein Pflichtjahr nachdenken lassen. Zuletzt hatte Innenminister Otto Schily gemeint, dass ein solches Pflichtjahr das "Abwehrbewusstsein" der deutschen Gesellschaft gegen Terrorrismus stärke, denn es schaffe ein "Reservoir an Helfern" für mögliche Notlagen.
Dagegen hatte unter anderem Familienministerin Renate Schmidt argumentiert und auf die gesetzlichen Grundlagen verwiesen. Das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und auch der Internationale Pakt über die bürgerlichen Menschenrechte verbieten solche Dienstpflichten mit wenigen Ausnahmen. Das stellt auch der Bericht "Perspektiven für Freiwilligendienste und den Zivildienst in Deutschland" erneut fest, den eine Kommission vor kurzem für Schmidts Haus anfertigte.
Zypries nun plädiert dafür, die Ausnahmen, die auch diese Konventionen vorsehen, so auszulegen, dass ein Pflichtjahr darin Platz hätte. Die Europäische Menschenrechtskonvention etwa erlaubt Dienstpflichten in vier Fällen: im Gefängnis, im Militär- oder Ersatzdienst, bei Notständen oder Katastrophen und bei Dienstleistungen, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören. Unter Letztere könnte man laut Zypries nun das Pflichtjahr einreihen. Dazu, so regt sie an, sollte ein externes Rechtsgutachten erstellt werden.
Bisher allerdings umfassten diese Bürgerpflichten den ehrenamtlichen Deichschutz oder die Pflicht, bei der Feuerwehr auszuhelfen. In der Expertise des Familienministeriums heißt es: "Ein ökologisches oder soziales Jahr fällt nicht hierunter." Das Justizministerium regt eine Neuinterpretation an: "Ministerin Zypries will diese Ausnahmen nicht mehr historisch auslegen, sondern zukunftsoffen", sagte ein Sprecher gestern der taz.
Die angeschriebenen Ministerien hatten den Brief am Sonntag noch nicht erhalten und wollten den Vorstoß daher noch nicht bewerten. "Das Familienministerium bleibt aber bei seiner Rechtsauffassung", teilte Schmidts Ministerium mit. Die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk wurde deutlicher: "Man kann sich doch nicht internationale Konventionen, die allgemeine Dienstpflichten verbieten, so zurechtstricken, dass das allgemeine Pflichtjahr plötzlich hineinpasst," sagte sie der taz.
Mit ihrer Neuauslegung steht Zypries international übrigens allein auf weiter Flur: Der einzige Staat der Welt, der ein Pflichtjahr kennt, ist die Militärdiktatur Birma.
taz, 19.4.4
L E H R S T E L L E N - A B G A B E ?
SPD-interner Streit eskaliert
FOCUS | 19.04.04 |
SPD-Chef Franz Müntefering hat einen neuen Anlauf unternommen, die Funktionsträger seiner Partei auf die Ausbildungsplatz-Abgabe einzuschwören.
Einen Tag nach seinem ergebnislosen Treffen mit den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten äußerte sich Müntefering am Montag vor Beginn der Beratungen mit Vorstand und Parteirat der SPD reserviert zu dem Vorschlag des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), zur Finanzierung zusätzlicher Lehrstellen zusammen mit der Wirtschaft einen auch aus Steuermitteln gespeisten Fonds zu schaffen. Ein solcher Fonds sei im Gesetz nicht vorgesehen.
„Das Gesetz kommt auf jeden Fall“
Ziel sei nicht die Ausbildungsplatzumlage an sich, sondern die Schaffung von genügend Lehrstellen, sagte Müntefering. Wenn sich alle Beteiligten anstrengten, könne man das hinbekommen. Erst wenn dieses Ziel nicht erreicht werde, müsse das Gesetz greifen. In der ARD hatte Müntefering erneut seine Entschlossenheit bekundet, an der Abgabe trotz der parteiinternen Kritik festzuhalten. „Das Gesetz kommt auf jeden Fall", sagte er.
„Vorgesehene Lösung viel zu bürokratisch“
Die schleswig-holsteinische Regierungschefin Heide Simonis (SPD) sagte vor Sitzungsbeginn, mit einer regional differenzierten Anwendung der Umlage könnte sie sich einverstanden erklären. Das hauptsächliche Problem liege nämlich bei den neuen Ländern. Eine steuerfinanzierte Fondslösung lehnte Simonis ab: „Dann wäre das duale System im Eimer.“ Generell sei die im Gesetzentwurf vorgesehene Lösung viel zu bürokratisch.
Beck will blockieren
Am Mittwoch wollen sich Müntefering und die Tarifpartner zu einem Gespräch treffen, am Freitag folgt eine Expertenanhörung im Bundestag. Erst danach soll eine endgültige Entscheidung über die Abgabe fallen. Unterdessen hat Beck nach dem Treffen der SPD-Ministerpräsidenten mit Müntefering bekräftigt, sein Land werde im Bundesrat einer bundesweiten Umlageregelung nicht zustimmen. Der nordrhein-westfälische SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück vertrete dieselbe Meinung.
Verärgert über die innerparteilichen Gegner zeigte sich der saarländische SPD-Landeschef Heiko Maas. Die Abgabe sei vom Parteitag beschlossen worden und damit auch für die Ministerpräsidenten bindend, sagte er im SWR. (denkt er sich so)
Müntefering ist im Bundesrat vor allem auf die Zustimmung Nordrhein-Westfalens angewiesen. Wenn das Land zusammen mit den unionsgeführten Ländern gegen die Abgabe stimmt, erhebt die Länderkammer mit Zweidrittelmehrheit Einspruch, die der Bundestag ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit zurückweisen müsste. Da die Koalition nicht über so viele Stimmen verfügt, würde die Abgabe scheitern.
STEUERPLÄNE
Neueste Steuererhöhung - SPD und Grüne wollen Fliegen teurer machen
Die Fraktionen von SPD und Grünen planen, Flugkraftstoff künftig mit der Mineralölsteuer zu belegen. Auf Flugreisen ins Ausland soll zudem Mehrwertsteuer fällig sein. Dafür sollen Bahnfahrten billiger werden.
"Wir wollen mit diesen Maßnahmen gleiche Wettbewerbsbedingungen für den Flug- und Schienenverkehr schaffen", sagte Grünen-Verkehrsexperte Albert Schmidt gegenüber der "Berliner Zeitung". Dies sei im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Auch SPD-Fraktionsvize Michael Müller betonte, die Regierungskoalition wolle prinzipiell für eine Gleichheit aller Verkehrsträger sorgen. Die steuerliche Privilegierung des Flugverkehrs müsse daher langfristig ein Ende haben.
Bisher wird zwar auf Bahnkarten Mehrwertsteuer erhoben, auf Flugtickets aber nicht. Anders als beim Kraftstoff für Autos wird beim Flugkraftstoff bisher auch keine Mineralölsteuer fällig. In einem gemeinsamen Antrag fordern die Regierungsfraktionen die Bundesregierung nun auf, diese Ungleichbehandlungen zu beseitigen. Außerdem soll der Mehrwertsteuersatz auf Fernverkehrstickets der Bahn reduziert werden. Der Antrag wurde im März von den Fraktionen beschlossen und soll nach den Worten Schmidts spätestens im Herbst abschließend im Bundestag behandelt werden.
Wann es zu der Verteuerung der Flüge kommen wird, ist noch ungewiss. Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) widersprach der Einschätzung, dass es zu einer schnellen Änderung bei der Besteuerung von Flug- und Bahnreisen komme. Aktuell habe die Bundesregierung keine derartigen Pläne, sagte der Sprecher.
Spiegel online, 20.4.4
Berlin - Die Fronten im SPD-Streit zur Ausbildungsplatzabgabe sind nach einem Krisengespräch unter Leitung von Parteichef Franz Müntefering in voller Härte aufeinander geprallt. Der Parteirat unterstützte gestern Münteferings Absicht, die Abgabe durchzusetzen. Währenddessen lehnt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Steinbrück den "Wahnsinnsbürokratiemechanismus" strikt ab. "Das Gesetz ist auf dem Weg. Da kommen wir nicht von ab", sagte dagegen Müntefering nach Berichten aus dem SPD-Vorstand. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck kündigte an, einem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen zu können.
Quelle: http://morgenpost.berlin1.de/inhalt/titel/story673156.html
Zweifel am Aufschwung - Deutschland wieder Schlusslicht
BDI senkt Wachstumsprognose für 2004 / Maschinenbau skeptisch, EU-Kommissionschef Prodi sieht Deutschland als Schlusslicht
Trotz des leichten Wachstums der deutschen Wirtschaft im ersten Quartal 2004 haben Verbände und Forschungsinstitute weiterhin erheblichen Zweifel an einer durchgreifenden Konjunkturerholung. Angesichts der anhaltenden Konsumschwäche senkte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) seine Wachstumsvorhersage für das laufende Jahr. Derzeit gehe der BDI nur noch von einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zwischen 1,5 und 1,7 Prozent aus, sagte Verbandspräsident Michael Rogowski am Montag auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover. Bislang war der Verband von einem Wachstum von bis zu zwei Prozent ausgegangen.
Kritik am Tarifsystem
Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rechnet in diesem Jahr in Deutschland nur mit einer "allmählichen konjunkturellen Erholung ohne kräftigen Schwung". Die Wachstumsprognose für das laufende Jahr werde daher auf "höchstens 1,5 Prozent" reduziert, sagte IW-Geschäftsführer Rolf Kroker bei der Präsentation der Frühjahrsumfrage des Instituts in Berlin. Bei der Vorlage der Herbstumfrage war das IW noch von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 Prozent ausgegangen. Deutschland bleibe auch im vierten Jahr in einer Seitwärtsbewegung, so lange wie nie zuvor in der Nachkriegszeit.
BDI-Präsident Rogowski sagte zum Auftakt der Messe, die auch als wichtiges Konjunkturbarometer gilt, das Geschäftsklima habe sich seit dem vergangenen Frühjahr zwar kontinuierlich erholt. "Richtig ist aber auch, dass die Stimmung wieder etwas abbröckelt." Die Erwartungen seien der aktuellen Lage weit vorausgeeilt. Das noch schwache Wirtschaftswachstum werde vor allem vom Export getragen, während der private Konsum wegen der hohen Arbeitslosigkeit im Inland weiter schwach sei. "Die Weltwirtschaft brummt und Deutschland ist noch im Kriechgang", klagte Rogowski. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) zeigte sich während eines Messerundgangs optimistisch. Nicht nur der Export, sondern auch die Investitionen im Binnenmarkt liefen besser.
Skeptische Töne schlug auch der Präsident des Maschinenbau-Verbands VDMA, Diether Klingelnberg, an: "Wir befinden uns in einer Aufschwungphase, allerdings wird es keinen stürmischen Aufschwung geben." Die Aufträge kämen vor allem aus China, Japan und neuerdings auch aus Nordamerika, während sich deutsche Unternehmen wegen der anhaltenden Standortdebatte mit Investitionen zurückhielten. Scharfe Kritik äußerte Klingelnberg am Tarifsystem, das Chancen für mehr Wirtschaftswachstum verbaue.
Die Deutsche Bundesbank sprach unterdessen in ihrem Monatsbericht von einer Fortsetzung der im Sommer 2003 begonnenen Aufwärtsbewegung "in kleinen Schritten". Saison- und kalenderbereinigt habe das BIP-Wachstum im ersten Quartal in Deutschland real bei 0,25 Prozent gelegen.
EU-Kommissionspräsident Romano Prodi stellte am Montag Deutschland in die Gruppe derjenigen Länder, die in Europa das geringste Wachstum aufweisen. Die Wirtschaft wachse in den EU-Ländern mit verschiedenen Geschwindigkeiten: mehr als drei Prozent, 1,5 bis zwei Prozent und im Falle von Deutschland und Italien überhaupt nicht.
Prodi betonte: "Die dritte Gruppe besteht aus zwei Ländern, Deutschland und Italien, wo die Konjunkturerholung nicht besteht und es grundlegende Probleme gibt."
Berliner Zeitung, 20.4.4
KONFLIKTKURS
EU-Kommission setzt Deutschland Ultimatum wegen Dosenpfand
Die EU-Kommission will Deutschland zwingen, die umstrittene Dosenpfand-Regelung zu überarbeiten. Die Bundesregierung hat nun zwei Monate Zeit, Änderungen anzubieten. Die Kommission sieht ausländische Getränkeanbieter benachteiligt.
Sollte die Bundesregierung innerhalb der Frist nichts unternehmen, kann die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hatte sich bis zuletzt bemüht, Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein vom deutschen Pfandsystem zu überzeugen und eine Einigung zu erreichen. In EU-Kreisen hieß es aber, an den Bedenken der Kommission habe sich seit dem Start des Verfahrens gegen das Pfand im Oktober kaum etwas geändert.
Bolkestein hatte damals betont, die Kommission akzeptiere zwar Pfandsysteme zum Umweltschutz. In Deutschland gebe es aber kein einwandfrei funktionierendes, landesweites Rücknahmesystem. Damit würden ausländische Hersteller benachteiligt. Die Kommission hatte auch Insellösungen für Discount-Märkte kritisiert, die nur von ihnen vertriebene Flaschen mit eigener Form zurücknehmen.
Im Umweltministerium stieß das EU-Ultimatum bisher auf Unverständnis. Zu den Insellösungen habe Deutschland zuletzt Ende März Änderungen angeboten, auf die die Kommission nicht eingegangen sei, hatte es aus dem Ministerium geheißen.
Spiegel online, 20.4.4
Von JENS MEIFERT
21.04.2004 21:47 Uhr
KÖLN. Das Kölner Verwaltungsgericht hat die gegenwärtige Einberufungspraxis zur Bundeswehr für rechtswidrig erklärt. In ihrem Urteil kam die Kammer zu dem Schluss, dass die seit Juli vergangenen Jahres gültigen Auswahlkriterien gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes verstoßen. Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Gericht das Verfahren der Einberufung als willkürlich und ungerecht verworfen hat. Das Urteil gibt Kritikern der Beibehaltung der Wehrpflicht Rückenwind. Geklagt hatte ein 21 Jahre alter Student aus Kerpen, dessen Einberufungsbescheid in einem Eilbeschluss ausgesetzt worden war. Die Kammer bestätigte dies nun, da nach derzeitiger Praxis nicht mal die Hälfte aller wehrdienstfähigen Männer tatsächlich zum Dienst eingezogen wird. Seit vergangenem Sommer werden Verheiratete oder über 23-Jährige generell vom Wehrdienst ausgeschlossen. „Es ist gut, dass es nun ein Urteil gibt, mit dem man sich gegen die Wehrpflicht wehren kann“, sagte Kläger Pohlmann gegenüber der Rundschau.
Das Bundesverteidigungsministerium betonte, dass es sich um ein Einzelurteil handele. Allerdings haben die rund 800 jungen Männer, die vermutlich dieses Jahr in Köln, Bonn und den umliegenden Kreisen eingezogen werden, gute Chancen, sollten sie sich in einer Klage auf das Urteil berufen. (Az.: 8 K 154 / 04)
Quelle: http://www.rundschau-online.de/kr/...76803&calledPageId=1037966276803
KEINE SCHENKUNGSSTEUER GEZAHLT
Strafanzeige gegen Kurt Biedenkopf
Gegen den früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf ist wegen einer Uhr der Nobelmarke Glashütte Strafanzeige erstattet worden. Der CDU-Politiker steht unter dem Verdacht des Verstoßes gegen die Abgabenordnung.
Dresden - Oberstaatsanwalt Andreas Feron bestätigte heute in Dresden die Anzeige gegen Biedenkopf. Dieser soll für die Uhr keine Schenkungssteuer bezahlt haben. Da der Politiker Landtagsabgeordneter sei, werde derzeit geprüft, ob Anhaltspunkte für die Aufhebung der Immunität vorlägen.
Die Beschäftigten des Unternehmens hätten Biedenkopf die Armbanduhr der Marke Carree Tourbillon zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2000 geschenkt, sagte eine Sprecherin der Glashütte Uhrenbetrieb GmbH. Die Beschäftigten hätten die Uhr in ihrer Freizeit angefertigt. Der sächsische Landtag habe damals aber beschlossen, dass Amtsträger keine Geschenke annehmen dürfen.
Daraufhin sei zwischen dem Unternehmen und Biedenkopf ein Leihvertrag mit der Option abgeschlossen worden, dass der Ministerpräsident nach dem Ausscheiden aus seinem Amt die Uhr kaufen könne. Andernfalls hätte er sie zurückgeben müssen. Biedenkopf habe dann für die Uhr den Materialwert bezahlt, da es sich um eine Schenkung gehandelt habe, sagte die Sprecherin. Keine Angaben machte sie über den Wert der Uhr und über die Höhe der Zahlung.
Aus Biedenkopfs Büro hieß es, dass der Ministerpräsident einen Betrag in Höhe von rund 6000 Euro gezahlt habe. Das Geld sei für ein Uhrenmuseum in Glashütte verwendet worden, sagte eine Mitarbeiterin.
Berlin: Wollen SPD und PDS etwas verheimlichen?
Berlin wird zur Hauptstadt der Armen. Doch die rot-rote Regierung, die heute einen Bericht zur Lage der Stadt vorlegte, verklausulierte die unangenehmen Fakten mit Formulierungen wie "soziale Disparitäten". Zudem wurde die Veröffentlichung des Sozialatlas immer wieder verzögert - denn sie blamiert den SPD/PDS-Senat.
Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner sah am Freitagvormittag vor allem rot. Doch diese Farbe symbolisiert ausnahmsweise nicht die Sympathie für eine der Links-Parteien im rot-roten Senat - sondern die zunehmende Armut Berlins.
In dem "Sozialatlas", den Knake-Werner vor sich und der Öffentlichkeit ausbreitete, sind vor allem tiefrote Schaubilder abgebildet. Die Zahlen und Fakten, die sie aus einem 350-seitigen Reader vortrug und auf einer Pressekonferenz präsentierte, sprechen eine klare Sprache: Berlin wird zur Hauptstadt der Armen.
Trotzdem mühte sich Knake-Werner, die Untersuchungsergebnisse erst einmal kräftig zu loben. Endlich habe man ein Zahlenwerk produziert, mit dem man nun politisches Handeln steuern könne - als ob der Senat erst seit kurzem wüsste, dass die Stadt in eine gefährliche Schieflage gerutscht ist.
Für den Atlas haben die Statistiker des Senats in akribisch die sozialen Grunddaten der Stadt zusammengestellt: Haushaltseinkommen, Arbeitslosigkeit, Lebenserwartung, Todesfälle. Die Tabellen ergeben dann schließlich einen "Sozialindex" - und, man ahnt es schon: Der fällt im Moment vor allem nach unten.
Im Gegensatz zur letzten Erhebung Ende der neunziger Jahre geht es den Berlinern im Durchschnitt aller Werte vier Prozent schlechter. "Da ist eine enorme Dynamik im Gange", versuchte einer der Statistiker den rasanten sozialen Abstieg der Hauptstadtbevölkerung möglichst wertfrei zu erklären.
Die Zahlen aus dem Bericht stellen dem rot-roten Senat von Klaus Wowereit (SPD) ein miserables Zeugnis aus. Demnach ist nicht nur das Land Berlin nach Bankenskandal und Wirtschaftsflaute bettelarm. Insgesamt 533.000 Berliner müssen laut dem Zahlenwerk mit weniger als 600 Euro im Monat auskommen und leben unterhalb der Armutsgrenze. Mitten in der Millionen-Metropole Berlin hat sich demnach in den letzten Jahren eine Armenarmee mit der Einwohnerzahl von Hannover oder Dortmund gebildet - und sie wächst ständig weiter.
Für die Stadt-Regierung sind die Zahlen nicht gerade angenehm. Gern stellen Regierungsmitglieder wie Bürgermeister Wowereit Berlin als glitzernde Metropole dar, in der sich die Glamour-Welt zu Filmfestspielen oder in Fünf-Sterne-Hotels trifft - und in der Champagner aus Pumps getrunken wird. Dass die Realität vieler Hauptstädter eher zwischen Arbeitsamt, Schuldnerberatung und der Trinkhalle stattfindet will so gar nicht in dieses Bild passen.
Wohl auch aus diesem Grund hatte der Senat die Vorstellung des Sozialatlas immer wieder verzögert. Intern lag der Bericht bereits seit Monaten vor. Als einer der Statistiker aber das Horror-Szenario kurz vor Ostern in einer vertraulichen Runde vor dem Kabinett vorstellte, verging selbst Wowereit seine Party-Laune.
Nach der achtstündigen Sitzung entschied sich der Senat zu einer Zwischenlösung. Geheimhalten konnte man den Bericht nicht, da dieser bereits angekündigt worden war. Deshalb sollten die Schreiber aber zumindest den Wortlaut weniger dramatisch klingen lassen und eine Version entwickeln, die den Inhalt etwas entschärft.
So ist in dem Werk nicht mehr von "schlechter" Sozialstruktur die Rede, sondern nur noch von "ungünstiger". Und die Situation in Berlin "verschärft" sich auch nicht, die Stadt leidet lediglich an "sozialen Disparitäten" - ein Vokabelpaar, das die ehemalige Klassenkämpferin Knake-Werner, einst Mitglied der westdeutschen DKP, am Freitag besonders gern verwendete. Die Verelendung Berlins ging letztlich in einem Schwall von Soziologennebel unter.
Beunruhigend an dem neuen Bericht ist vor allem, wie sehr sich die sozial Schwachen in einzelnen Bezirken konzentrieren. Wie ein Ring legen sich die armen Bezirke Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain Kreuzberg, Neukölln und Tiergarten rund um den Sitz der Berliner Regierung, die im Roten Rathaus mehr Notstandsverwaltung als aktive Politik betreibt. Hinzu kommen die Problembezirke im Osten wie Marzahn oder Hellersdorf, die sich nahezu in Ghettos verwandelt haben.
Nicht nur Pessimisten befürchten nun eine erneute Teilung der Stadt. Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist es aber nicht mehr Beton, sondern Geld, das die Menschen trennt.
Ein Beispiel für die allgemeine Verelendung ist der Bezirk Marzahn. Hier zogen junge Leute massenhaft aus und suchten sich eine Bleibe in besseren Wohngegenden, oft auch im Reihenhaus vor den Toren Berlins. Übrig blieben Alte, Arbeitslose und sozial Schwache, die leer stehenden Wohnungen übernahmen oft mittellose Ausländer. So wohnt auch in Berlin bald wohl jeder nur unter seinesgleichen, wie das in Hamburg oder München schon lange üblich ist: Die Reichen zwischen Nobel-Italiener und Boutiquen in renovierten Altbauwohnungen - und die Armen in immer dreckigeren Vierteln mit ansteigender Kriminalität.
Knake-Werner betonte pflichtschuldig, dass eine Änderung der Situation "aus eigener Kraft derzeit nicht möglich" sei. Wie auch, schließlich sind die Kassen der Hauptstadt so leer, dass der Senat an allen Ecken und Enden sparen muss. Nur mit euphemistischen Wortklaubereien wie am Freitag ist die Koalition aus PDS und SPD immer noch sehr freizügig.
Spiegel online, 24.4.4
Ein Armenviertel so groß wie Hannover
Von Matthias Gebauer
Berlin wird zur Hauptstadt der Armen. Doch die rot-rote Regierung, die heute einen Bericht zur Lage der Stadt vorlegte, verklausulierte die unangenehmen Fakten mit Formulierungen wie "soziale Disparitäten". Zudem wurde die Veröffentlichung des Sozialatlas immer wieder verzögert - denn sie blamiert den SPD/PDS-Senat.