Wo die Kurse noch wachsen Krise, welche Krise? Die Biotechbranche hat nur ein paar Kratzer abbekommen. Und sie bleibt auch hierzulande auf Kurs nach oben.
von Günter Heismann
Macht Genmanipulation immun gegen die Krise? Im Desasterjahr 2008 mussten nahezu alle Branchen an den Aktienmärkten heftigst bluten - seien es Stahl, Handel oder Autohersteller. Die Biotechnologie freilich überstand die Börsenturbulenzen lediglich mit ein paar kleinen Kratzern und blauen Flecken.
Die US-Unternehmen Amgen und Gilead, zwei der internationalen Marktführer, erzielten voriges Jahr sogar kräftige Kursgewinne. Der Trend gilt auch für die führenden deutschen Biotechfirmen. "Qiagen und Morphosys haben sich 2008 erheblich besser entwickelt als der DAX oder der TecDAX", weiß Hanns Frohnmeyer, Biotechexperte bei der Landesbank Baden-Württemberg.
Die Branche liegt hierzulande klar auf Wachstumskurs. Insbesondere Qiagen, ältestes und größtes deutsches Biotechunternehmen, hält die Anleger mit blendenden Aussichten bei Laune. „Das Ziel für das Jahr 2009 ist mit Sicherheit, die Milliardengrenze beim Umsatz zu überschreiten“, kündigt Vorstandschef Peer Schatz an. Voriges Jahr hat Qiagen Erlöse von schätzungsweise 900 Millionen Dollar erzielt (die Firma bilanziert in US-Währung). „2014 könnte Qiagen allein mit organischem Wachstum auf zwei Milliarden Dollar Umsatz kommen“, prognostiziert Frohnmeyer.
Groß geworden ist die Firma mit Technologien zur Aufbereitung von DNA. Mittlerweile hat Qiagen Hunderte von patentgeschützten Produkten im Programm. Zu den Kunden gehören nicht nur Universitäten oder Pharmakonzerne, sondern auch Polizei und Rechtsmedizin. „Qiagen hat von allen deutschen Biotechnologieunternehmen das ausgereifteste Geschäftsmodell“, stellt LBBW-Experte Frohnmeyer fest.
Längst hat die Firma begonnen, in ein neues Geschäftsfeld zu expandieren - die genbasierte Diagnostik. Zu den Hoffnungsträgern gehört ein Test zur Früherkennung von Gebärmutterhaiskrebs, der jetzt von den deutschen Fachärzten empfohlen wird. Gemeinsam mit einem anderen Verfahren durchgeführt, hat der Test eine Trefferquote von 100 Prozent. In den USA kommt das Verfahren auf eine Marktdurchdringung von mehr als einem Viertel, in Europa sind es erst sieben bis acht Prozent.
Entwickelt hat das aussichtsreiche Produkt die US-Firma Digene, die Qiagen 2007 für 1,6 Milliarden Dollar erworben hat. Mit der gezielten Übernahme solcher Konkurrenten will das Unternehmen systematisch sein Know-how im Wachstumsmarkt Diagnostik erweitern - 2008 hat Qiagen die australische Corbett sowie einen Geschäftsbereich der schwedischen Biotage übernommen. Analysten erwarten weitere Akquisitionen.
Wie Qiagen gilt auch Morphosys als relativ sichere Bank für die Anleger. Das Unternehmen aus Martinsried bei München ist hochprofitabel, verfügt über liquide Mittel von 130 Millionen Euro und hat praktisch keine Schulden bei den Banken. Vor allem aber ist es Firmenchef Simon Moroney gelungen, ein dichtes Netz von Forschungskooperationen und Lizenzverträgen zu knüpfen, das für einen kräftig sprudelnden, aber ebenso stabilen Cashflow sorgt.
Im vergangenen Jahr erneuerte Morphosys die Lizenzverträge mit den japanischen Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo und Shionogi; zugleich wurde das Abkommen mit Boehringer Ingelheim ausgeweitet. Am profitabelsten ist allerdings die Auftragsforschung für den Schweizer Pharmariesen Novartis. Im Rahmen des Vertrags, der bis 2017 läuft, fließen Morphosys mindestens 600 Millionen Dollar zu. Die Forschung wird aber voraussichtlich nur Kosten von 300 Millionen verursachen.
Das verbleibende Geld kann Morphosys für die Entwicklung eigener Medikamente verwenden. Die Biotechfirma forscht unter anderem an einem Mittel gegen Rheumatoide Arthritis. „Wir wollen 2009 circa 18 bis 20 Millionen Euro an Investitionen in firmeneigene Forschungs- und Entwicklungsprogramme tätigen“, kündigt Finanzvorstand Dave Lemus an. Dies drückt zwar die Erträge. Dennoch will Lemus dieses Jahr einen "soliden Gewinn" ausweisen.
Etwas riskanter als Morphosys und Qiagen ist die Aktie von Medigene. Das Unternehmen, ebenfalls in Martinsried ansässig, hat als erste deutsche Biotechfirma eigene Medikamente auf den Markt gebracht - etwa ein Mittel gegen Genitalwarzen, das die Zulassung der strengen US-Aufsichtsbehörde FDA hat. Doch von schwarzen Zahlen ist die Firma noch weit entfernt. „Medigene dürfte auch für das abgelaufene Jahr einen Verlust verbuchen“, befürchtet Biotechexperte Stephen McGarry von Goldman Sachs.
Allerdings könnte 2009 ein Durchbruch kommen. Vorstandschef Peter Heinrich versichert, dass er im ersten Halbjahr einen finanzstarken Partner für das wichtigste Produkt von Medigene finden wird - EndoTAG, ein Mittel gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Gegen diesen aggressiven Krebs gibt es bisher praktisch kein Heilmittel. Mit dem neuen Medikament, das die Überlebenszeit der Patienten verlängern soll, wäre Medigene weltweit fast konkurrenzlos.
Doch auch wenn das Biotechunternehmen in kürzester Zeit einen Partner finden sollte, wird EndoTAG wohl erst 2013 auf den Markt kommen. „Das Medikament könnte einen jährlichen Umsatz von maximal 400 bis 500 Millionen Euro bringen", schätzt Analyst Frohnmeyer. Davon bekäme Medigene rund 20 Prozent oder mehr. Der Barwert der Lizenz dürfte womöglich höher sein als der aktuelle Börsenwert des Unternehmens. „Daher könnte ein potenzieller Partner Medigene gleich ganz übernehmen“, spekuliert Experte McGarry.
Ähnlich wie Medigene sucht auch die Hamburger Evotec nach einem Alliierten in der Pharmaindustrie, um ihren Hoffnungsträger, ein Schlafmittel, auf den Markt zu bringen. Das Medikament hat bei klinischen Prüfungen gut abgeschnitten. Dennoch lässt die angekündigte Kooperation seit Monaten auf sich warten. Zusätzlich für Verwirrung sorgte im Dezember der überraschende Rücktritt von Vorstandschef Jörn Aldag. Kurz bevor er sein Amt niederlegte, brachte Aldag noch einen Vertrag mit dem Novartis-Konzern unter Dach und Fach. Es geht um Auftragsforschung mit einem Wert von mindestens 28 Millionen Dollar. Eine ähnliche Vereinbarung hat Evotec mit Boehringer Ingelheim getroffen. Das Abkommen brachte im vergangenen Jahr unerwartet hohe Einnahmen, sodass Evotec die Umsatzprognose für 2008 leicht erhöhte.
Freilich können solche Verträge rasch beendet werden, wenn die erwarteten Ergebnisse ausbleiben. Das musste die bayrische GPC erleben, deren Krebsmittel Satraplatin bei einer wichtigen Studie durchfiel. Knall auf Fall verlor GPC seinen wichtigsten Vermarktungspartner; zugleich brach der Aktienkurs ein. Ganz ähnlich büßte Paion dramatisch an Börsenwert ein, als die kleine Biotechfirma aus Aachen unverhofft einen Rückschlag erlitt.
Solche Risiken können Privatanleger kaum überblicken. Sie tun also gut daran, sich auf große, etablierte Biotechunternehmen wie Amgen, Gilead Sciences, Morphosys oder Qiagen zu konzentrieren. Noch sicherer ist es, in Fonds zu investieren, die die Risiken der Biotechnologie systematisch streuen. Auf diese Weise kann eine gute Dosis DNA das Portfolio von privaten Anlegern tatsächlich wirksam vor Finanzkrisen und Börsenturbulenzen schützen.
Charts von Qiagen und Morphosys wurden irrtümlich vertauscht, sch.. Korrektor *g* |
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