Noch mehr Steuern!
Deutschland lernt zu leiden
Von MARIETTA KURM-ENGELS
Deutschland droht eine Deflation. Die Weichen dafür wurden bereits in den neunziger Jahren gestellt. Damals bestand aber noch die Hoffnung auf befreiende Reformen. Die neue Berliner Regierungskoalition hat diese Hoffnung zerstört. Eine Hand voll wirtschaftspolitischer Dilettanten ist angetreten, um mit lähmender Politik das Land zu ruinieren, das noch vor wenigen Jahren an der Spitze Europas stand.
Was ist Deflation? Allgemein wird darunter ein anhaltender Rückgang des Preisniveaus verstanden – eine Situation, in der sich die Verbraucher in Attentismus üben, in der die Unternehmer Angst vor der Produktion haben, die Kreditnehmer auf einem Berg real wachsender Schulden sitzen und Notenbanken mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, dass sie die Zinsen nicht unter null senken können. Diese Definition wurde aus den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 geboren. Noch scheint Deutschland von diesem Szenario weit entfernt. Die Inflationsrate liegt bei etwa einem Prozent. Die Beschwerden, dass nach der Einführung des Euros alles teurer geworden sei, hallen noch nach.
Die auf die Weltwirtschaftskrise und Japan begrenzte Erfahrung mit der Deflation verengt aber den Blick für ihre Ursachen: Es bedarf keines Aktiencrashs, damit ein Land in die Deflation abgleitet. Die entscheidenden Voraussetzungen sind Verunsicherung, gestörtes Vertrauen und daraus resultierender Pessimismus.
Selbst in Japan ist die Anfang der neunziger Jahre geplatzte Spekulationsblase am Aktien- und Immobilienmarkt längst nicht mehr das Problem. Nach Angaben der japanischen Notenbank haben die Banken die damit verbundenen Belastungen abgeschrieben. Wenn sie jetzt mehr denn je ums Überleben kämpfen, ist das eine Folge unterlassener Reformen. Japans Banken stehen zwar im Fokus der Aufmerksamkeit. Hinter jedem faulen Kredit aber verbirgt sich ein nicht mehr wettbewerbsfähiges Unternehmen. Und das ist Teil der Japan AG, eines paternalistischen Systems, in dem sich untereinander beteiligte Unternehmen gegenseitig nicht im Stich lassen und die Firma für den Mitarbeiter die zweite Familie ist.
Die Parallele zur Japan AG ist der deutsche Sozial- und Subventionsstaat. Gemeinsam ist beiden Ländern die Unfähigkeit der Politik zu Reformen. Fast ein ganzes Jahrzehnt lang hat sich Japan mit schwachen oder negativen Wachstumsraten herumgeschlagen. Die Japaner wurden von der Politik immer wieder enttäuscht. Auf die Preise dauerhaft durchgeschlagen ist die Misere erst 1999. Seither sinkt in Japan das Preisniveau. Deutschland verzeichnet seit Mitte der neunziger Jahre enttäuschende Wachstumsraten. In der Europäischen Währungsunion bildet es das Schlusslicht.
Um Deutschland wieder flottzumachen, müssten unternehmerische Initiative und Eigenverantwortung gefördert werden. Die neue Regierung unterlässt aber nicht nur dringend notwendige Reformen. Schlimmer noch: Sie tut das Falsche. Gleichzeitig hat sie jede Glaubwürdigkeit verspielt.
So werden Menschen erst ermutigt, durch Wertpapiere für ihr Alter vorzusorgen; dann werden die Kursgewinne aus heiterem Himmel der Steuer unterworfen. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung kann nur in dem Wissen beschlossen worden sein, dass die dadurch begründeten höheren Anwartschaften niemals zum Tragen kommen. Langfristig ist das Rentensystem schon bei den niedrigeren Renten nicht mehr bezahlbar.
Den meisten Privathaushalten dürfte überhaupt noch nicht bewusst sein, wie teuer sie das rot-grüne Feuerwerk zusätzlicher Abgaben zu stehen kommt. Vor allem Mittelständlern, die sich bisher mühsam über Wasser gehalten und auf Besserung gehofft haben, droht reihenweise der Konkurs. Sicher ist jetzt nur eins: Die Steuerschraube wird weiter angezogen. Die Sozialabgaben werden weiter kräftig steigen. Erbschaftsteuer, Vermögensteuer, Tabaksteuer und Ehegattensplitting sind nicht vom Tisch.
Das könnte der Auslöser für eine Deflationsspirale sein: Die Verbraucher sind um die Steuerlast ärmer. Es fällt Nachfrage aus. Wer seine Altersvorsorge auf Wertpapierbesitz stützt, muss mehr Vorsorge als bisher treffen. Dafür fällt Nachfrage aus. Wegen der Unberechenbarkeit künftiger Lasten werden Käufe aufgeschoben. Wer kann, stimmt mit den Füßen ab. Kapital flieht. Auch hier fällt Nachfrage aus.
Was bei den Unternehmen passiert, demonstriert eindrucksvoll der Einzelhandel. Auf einen massiven Umsatzeinbruch im ersten Halbjahr reagiert er mit Personalabbau und drastisch gekürzten Investitionen. Die Anbieter umwerben die zurückhaltenden Kunden mit immer neuen Sonderaktionen; es kommt zu wahren Rabatt-Schlachten. Dem Handwerk und dem Dienstleistungsgewerbe könnte es ähnlich ergehen. Die Folge: noch mehr Arbeitslose, eine noch kleinere Steuerbasis, noch größere Löcher im Staatshaushalt, weitere Steuererhöhungen . . .
Nach der Geldpolitik als erster Verteidigungslinie rufen diejenigen, die immer noch nicht begriffen haben, dass diese keine nationale Angelegenheit mehr ist. Die Europäische Zentralbank ist nicht nur Deutschland, sondern elf weiteren europäischen Staaten verpflichtet. Den Wechselkurs als Anpassungsmechanismus gibt es nicht mehr. Atmen können nur noch die Staatsausgaben und der Arbeitsmarkt. Höhere Staatsausgaben bedeuten aber nichts anderes als höhere Steuern in der Zukunft. Deutschland wird unter der Unfähigkeit von Rot-Grün lernen zu leiden.
Nach der Geldpolitik als erster Verteidigungslinie rufen diejenigen, die nicht begriffen haben, dass diese keine nationale Angelegenheit mehr ist. Die EZB ist nicht nur Deutschland, sondern elf weiteren Staaten verpflichtet.
HANDELSBLATT, Dienstag, 22. Oktober 2002, 06:02 Uhr
G.H. Es war der Tag der Superminister - des ehemaligen und des neuen. Eichel, der nicht wegen eines erweiterten Ressorts, sondern wegen einer eisernen Politik als der Superminister im ersten Kabinett Schröder galt, hat jetzt wieder Normalmaß. Sein Schicksal sollte dem neuen Supermann Mahnung sein. Keines der Ziele seiner Supersparpolitik (Sparen ist ohnehin der Dauerauftrag jedes Finanzministers) hat Eichel wirklich erreicht, schließlich nicht einmal einen stabilitätsvertragsgetreuen Haushalt. Sein größter Erfolg: Er hat seine eigenen Kollegen ein bißchen im Zaum gehalten. Die anfänglichen guten Jahre sind jedoch nicht nachhaltig genutzt worden. Kein Bürger erwartet nun von ihm, daß Eichel die Konjunkturflaute wettmache, aber seine neuen "Einnahmeverbesserungen" eignen sich nicht dazu, die Stimmung der Konsumenten wie der Produzenten zu heben.
Der neue Titelträger Clement, "super" wegen der Breite seiner Zuständigkeit, kommt einer liberalen Wirtschaftsordnung nicht näher als Eichel. Der Kanzler läßt ihm mit dem Auftrag, "Hartz" eins zu eins umzusetzen, keinen Spielraum. In seiner Einstandsrede mußte sich Clement als Verfechter unter anderem der Leiharbeit geben - und tat dies mit Leidenschaft. Den Arbeitgebern wird's recht sein, als Hauspsychologe deutscher Arbeitnehmer hat sich der Arbeitsminister damit allerdings - noch - nicht qualifiziert. Arbeiter und Angestellte fürchten die Mitnahmeeffekte, welche die einschlägige Gesetzgebung den Unternehmern ermöglichen könnte. Die Konsumlaune wird so nicht gesteigert - und bei schwachem Konsum lohnt sich die Erweiterung der Produktion selbst bei stabilen Nebenkosten nicht ohne weiteres. Clements zweiter Schwerpunkt, die staatlich initiierten Kreditangebote an Anfänger und Mittelständler, wird nicht nur einen Wust an Bürokratie nach sich ziehen, anstatt - wie von ihm angekündigt - den Bürokratiedruck zu mindern, sondern letztlich auch die Staatsquote steigern.
Was Clements und Eichels selbstbewußte Rhetorik verdecken sollte, hat der Superoppositionssprecher Merz umgehend aufgedeckt: die Gefahr einer Staatswirtschaft mit abnehmendem privaten Sektor. Weil Eichel und Clement rasches Handeln versprachen, ist Merz' Forderung, nach hundert Tagen eine erste Bilanz zu ziehen, berechtigt. Das wäre wenige Tage vor den Wahlen in Hessen und Niedersachsen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.2002, Nr. 253 / Seite 1
mas. Miese Stimmung, schlechte Wirtschaftsdaten, leere öffentliche Kassen. Dieser schrille Dreiklang droht die rot-grüne Koalition nach unten zu ziehen, kaum daß sie ihre zweite Amtsperiode angetreten hat. Wie will sie sich aus dieser mißlichen Lage befreien? Wer sich eine ernstzunehmende Antwort auf diese Frage vom zweiten Tag der Debatte zur Regierungserklärung erhofft hat, wurde enttäuscht. Vielmehr erinnern die Rezepturen an den legendären Baron von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen wollte.
Die Richtung gab der neue Superminister für Wirtschaft und Arbeit vor. Die Botschaft von Wolfgang Clement lautet: Wir schaffen Arbeit, dann gibt es mehr Wachstum, dadurch erhalten wir die Einnahmen, die wir brauchen, um die Lohnnebenkosten zu senken. Seine Stichworte lauteten "Hartz" und "eins zu eins". Übersetzt heißt dies: Die Arbeitsämter sollen zu einem der größten Arbeitgeber im Land werden. Und den Unternehmen soll das Einstellen von Arbeitslosen mit erheblichen Subventionen schmackhaft gemacht werden - denn nichts anderes ist der vielgepriesene Job-Floater, der jetzt "Kapital für Arbeit" heißt. So soll der Staat schaffen, was an Anreizen für die private Wirtschaft fehlt.
Die Finanzpolitik paßt sich in den neuen Kurs ein. Hans Eichel redet zwar noch mit Blick auf die Jahre 2004 und 2005 von großen Steuerentlastungen, aber er handelt anders. Mit seinem Konsolidierungspaket werden Bürger und Betriebe zur Kasse gebeten. Damit verabschiedet sich die Koalition vom allgemeinen Konsens, den sie bis vor vier Wochen selbst mitgetragen hat: Wer die Wirtschaft stärken will, muß Betriebe und Bürger entlasten. Nur so faßt der Mittelstand den Mut, den er zum Investieren braucht. Nur so steigt die Lust der Verbraucher, einkaufen zu gehen. Nur so entstehen Arbeitsplätze. Dieser Weg ist nicht leicht. Wer ihn gehen will, muß im Haushalt kürzen, Subventionen und Steuersätze gleichermaßen zurücknehmen (das eine ohne das andere wirkt wie eine Steuererhöhung) und die Sozialbeiträge über Einschnitte bei den Leistungen senken. Wie Eichel selbst sagt, tut es weh, den Menschen Geld wegzunehmen. Aber anders als die Regierung glauben macht, gibt es für die deutsche Krankheit keine schmerzfreie Therapie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.2002, Nr. 253 / Seite 11
Die neuen Steuerpläne: Nichts wie weg von hier
Von Anton-Rudolf Götzenberger
Es gibt noch Flecken auf der Landkarte, wo Anleger ihr Geld im Verborgenen arbeiten lassen. Doch die Schlupflöcher werden kleiner. Hier jeweils ein Pro und Contra zum Thema Kapitalflucht.
Steueroasen im Vergleich
Pro Kapitalflucht
Das umstrittene Steuerpaket der rot-grünen Regierung hat ein Thema wieder aktuell ins Blickfeld gerückt: Steueroasen. Sechs Gründe, sein Geld außer Landes zu schaffen.
1. Schutz für Privatsphäre und -vermögen. Weil Privatvermögen durch Rot-Grün eine immer stärkere Bedrohung erfährt und Konten oder Depots ziemlich präzise das Privatleben eines jeden Bankkunden spiegeln, bleibt vermögenden Familien, die ihren Reichtum gerade in der heutigen Zeit nicht zur Schau stellen wollen, nur die Flucht ins Ausland.
2. Geringe Aufdeckungsgefahr. Befindet sich das Vermögen erst einmal im Ausland, ist es dort weitgehend sicher. So kam der Bundesrechnungshof in seinem Sonderbericht vom 24. April zu dem Ergebnis, dass wer Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (In- und Ausland) wahrheitswidrig verneint und diese Erklärung gegebenenfalls nochmals bestätigt, im Regelfall nicht befürchten muss, dass seine Einkünfte vom Fiskus entdeckt werden. Dies gilt besonders dann, wenn alles über ausländische Nummernkonten abgewickelt wird.
3. Strikte Wahrung des Bankgeheimnisses. Während hier zu Lande der gläserne Bankkunde zur realen Horrorfigur zu werden droht, steht das Bankgeheimnis in klassischen Anlageländern wie Österreich, Luxemburg, der Schweiz oder Liechtenstein unverändert hoch im Kurs und bietet Anlegern Sicherheit gegen eine drohende Zentralisierung von Bankdaten bei staatlichen Behörden. In Liechtenstein und der Schweiz gilt das Bankgeheimnis als Grundrecht, in Österreich genießt es Verfassungsrang.
4. Restriktive Rechtshilfe in Steuersachen. Das "Territorialitätsprinzip" untersagt es deutschen Steuerfahndern, eigenständige Suchaktionen nach Steuersündern in Österreich, Luxemburg oder der Schweiz durchzuführen. Stattdessen sind deutsche Ermittler auf die Mithilfe ihrer ausländischen Kollegen angewiesen (Rechtshilfe). Trotz massiver Angriffe seitens der EU leistet das Fürstentum Liechtenstein den "Europäern" nach wie vor keinerlei Rechtshilfe in Steuersachen. In Luxemburg und der Schweiz wird man nur dann tätig, wenn seitens eines ersuchenden Staates aus der EU ein Steuer- oder Abgabebetrug nachgewiesen werden kann. Ein solcher liegt vor, wenn eine Täuschung der Steuerbehörden durch gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher oder Bilanzen erfolgt. Nicht als Steuer- oder Abgabebetrug gilt die Auslandsgeldanlage selbst oder das "Vergessen" von Kapitaleinkünften in der Steuererklärung. Besonders Freiberufler können sich in Sicherheit wiegen: Da sie keine Bilanzen erstellen müssen, können sie auch keinen Steuerbetrug begehen, auch wenn Einkünfte nur unvollständig erklärt worden sind.
5. Neue Möglichkeiten durch neue Medien. Das Internet ermöglicht Steuerflüchtigen die Verwaltung eines Wertpapierdepots auf Gibraltar, den Kanalinseln oder den Cayman Islands genauso mühelos wie bei der Hausbank um die Ecke. Auch die Erteilung von Kauf- und Verkaufsaufträgen kann via Internet erfolgen, egal ob der Discount Broker in München oder in Vaduz sitzt. Und mittels Kreditkarte, im Regelfall ausgestellt von einem mit der Vermögensverwaltungsbank nicht in Verbindung stehenden Kreditinstitut, lässt sich ein Konto im Ausland so bequem händeln wie zu Hause.
6. Diskretion bei der Vermögensplanung. Häufig geht es diskretionsbedürftigen Geldanlegern nicht primär um die Steuer, sondern um interne familiäre Belange. Gesetzlich verankerte Bankgeheimnisse bieten persönliche Sicherheit, schützen vor neidischen Blicken oder einem unersättlichen Anspruchsverlangen geschiedener Ehefrauen. Diskrete Instrumente zur Vermögens- und Nachfolgeplanung wie beispielsweise vertrauliche Ermessensstiftungen in Liechtenstein werden diesen vorrangigen Zielen dadurch gerecht, indem sie im Rahmen des Stiftungszwecks Ausschüttungen tätigen, ohne Bedingungen zu nennen. Des weiteren hebeln solche Stiftungen das deutsche Außensteuerrecht aus: Vermögen und Ertrag können den Begünstigten solcher Stiftungen nicht zugerechnet werden, da diese über keine gesicherte Rechtsposition auf Vermögen und/oder Ertrag verfügen.
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Contra Kapitalflucht
Die Hürden, sein Angespartes vor dem Zugriff des Fiskus in Sicherheit zu bringen, werden immer höher. Sechs Gründe, sein Vermögen in heimischen Gefilden zu lassen.
1. Lockerung des Bankgeheimnisses. Die Diskussionen über die Lockerung der Bankgeheimnisse in Drittländern wie der Schweiz und Liechtenstein werfen erste Schatten voraus. Dahinter steht die Absicht der EU, im Sinne der geplanten Richtlinie der EU bei der Besteuerung von Zinserträgen ein automatisches Verfahren zum Austausch von Informationen zu etablieren. Bereits 2001 schrumpfte das betreute Kundenvermögen der knapp 20 Liechtensteiner Banken um rund sechs Prozent. In der Schweiz verhält es sich nicht anders.
2. Verschärfung der Bargeld-Grenzkontrollen. Bis dato gilt, dass Steuerflüchtige Bargelder von mehr als 15.000 Euro den Zollbediensteten nur auf Verlangen mitteilen müssen, welche ihrerseits dann Kontrollmitteilungen an die Finanzbehörden erstatten. Eine neue EU-Verordnung über die "Verhinderung der Geldwäsche durch Zusammenarbeit im Zollwesen zwischen den EU-Staaten und Drittstaaten" soll künftig dafür sorgen, dass Bargeldtransfers in Drittländer ab einem Betrag von 15.000 Euro grundsätzlich meldepflichtig werden. Die Anmeldepflicht soll sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise und unabhängig davon gelten, ob es sich bei dem Reisenden um den Eigentümer des Geldes handelt oder nicht.
3. Striktere Bekämpfung der Geldwäsche. In Liechtenstein war es bis vor kurzem so, dass die Bank, die das Vermögen einer Stiftung verwaltet, den Geldanleger nicht kennen musste. Dieses Privileg ist der Bekämpfung der Geldwäsche zum Opfer gefallen. Auch in anderen Steueroasen ist ein Verstecken hinter juristischen Personen oder Treuhändern nicht mehr möglich. Damit wurde der Steuerflucht ins Ausland ein wesentlicher Anreiz entzogen.
4. Geplante Zahlstellensteuer. Als Ersatz für den geforderten Informationsaustausch bieten die Eidgenossen der EU seit Jahren die Einführung einer Zahlstellensteuer an. Schweizer Banken sollen hierbei einer steuerlichen Verpflichtung unterworfen werden und als "Zahlstelle" eine Quellensteuer auf Zinszahlungen erheben, die auf Konten natürlicher Personen mit Ansässigkeit in der EU fließen. Einziger Trost: Die Zahlstellensteuer soll nur zwischen 15 und 20 Prozent betragen.
5. Meldepflichten nach dem Tod. Spätestens mit dem Tod eines Steuerflüchtlings wird deutlich, dass dessen Steuerersparnis nur vorübergehend war. Denn deutsche Banken melden regelmäßig das Ableben eines Kunden an den Fiskus. Diese Meldepflichten gelten auch, wenn eine inländische Bank für einen deutsch-ansässigen Erblasser Konten- und Wertpapiergeschäfte über eine rechtlich unselbstständige ausländische Niederlassung abwickelt. Abgesehen davon ist der Fiskus oftmals auch der größte Nutznießer von Familienerbstreitigkeiten; erfährt er doch spätestens auf diese Weise von der Existenz größeren Auslandsvermögens auf diversen Nummernkonten und -depots. Die Erben nicht versteuerter Vermögenswerte sind gesetzlich verpflichtet, die Fluchtgelder nachzudeklarieren und nachzuversteuern, was in den meisten Fällen dazu führt, dass der Fiskus Alleinerbe wird. Nur die Erben jener Anleger, die ihr Geld schon zu Lebzeiten über einen angelsächsischen Trust oder etwa eine liechtensteinische Verbandsperson angelegt haben, müssen nichts befürchten. Denn diese Instrumente leben auch nach dem Tod ihres Gründers weiter.
6. Legale Steuersparmodelle. Das geltende Steuerrecht lässt dem Anleger immer noch attraktive Schlupflöcher. Wer etwa sein Aktiendepot in eine Vermögensverwaltungs-GmbH einbringt, braucht das von Rot-Grün angestrebte Kontrollmitteilungsverfahren über Spekulationseinkünfte nicht zu fürchten. Denn die GmbH kann Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften steuerfrei veräußern (uneingeschränktes körperschaftsteuerliches Schachtelprivileg).
Anton-Rudolf Götzenberger ist Experte und Verfasser zahlreicher Bücher zu den Themen Steueroasen und diskrete Geldanlagen.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
Streicht die Streichliste
Mit höheren Abgaben macht Rot-Grün die Wirtschaft kaputt
Von Wilfried Herz
Trotz aller gegenteiligen Versprechen von Kanzler Gerhard Schröder und anderen Koalitionsoberen - es gehört nur wenig Fantasie zu der Prognose, dass in der rot-grünen Streichliste für Abschreibungsmöglichkeiten und Vergünstigungen wieder einiges gestrichen wird.
Macht nichts. Es gibt zwar für jeden einzelnen Punkt im Kürzungskatalog von Finanzminister Hans Eichel einen einleuchtenden Grund. Doch so sinnvoll es ist, das Vorschriftendickicht zu lichten und unwilligen Steuerzahlern Ausweichwege zu versperren, so macht ein wahlloses Einsammeln von Steuervergünstigungen noch kein besseres Steuersystem.
Es ist widersinnig, bis in alle Ewigkeit Kursgewinne von Wertpapieren oder gar Lebensversicherungen zu besteuern, wenn man gerade erst die Riester-Rente auf den Weg gebracht hat und die kapitalgedeckte Altersvorsorge mit Staatsgeldern fördert. Und es zeugt von unüberlegtem Handeln, wenn der Finanzminister an einem Tag verkündet, dass wohltätige Spenden nicht mehr abzugsfähig seien - und kurz darauf der Kanzler höchstselbst nach massiven Protesten diese Abzugsfähigkeit wieder zugesteht.
Der vielstimmige Chor der Protestler in der Koalition und sogar in der Regierung gegen weitere Änderungen - von der Kürzung der Eigenheimzulage bis zur höheren Besteuerung von Dienstwagen - lässt das Schicksal des Eichel-Katalogs erahnen. Und nach dem Bundestag hat der Bundesrat dasSagen. Dort droht die Union mit ihrer Mehrheit. Sie ist zwar bis heute ein eigenes Konzept schuldig geblieben, lehnt aber das Regierungspaket ab.
Aus politischen Motiven könnte die Union der Wirtschaft einen Gefallen tun. Denn in der gegenwärtigen ausgeprägten Konjunkturschwäche ist es ökonomisch falsch, die Steuerlast zu erhöhen, um neue Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. Nichts anderes ist es aber, wenn die Regierung Subventionen abbaut, um Geld zusammenzukratzen, und nicht gleichzeitig die Steuersätze senkt.
Richtig wäre es, die so genannten automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen: Wenn wegen der anhaltend lahmen Konjunktur die Steuereinnahmen spärlicher fließen und Mehrausgaben für Arbeitslose notwendig werden, führt kein sinnvoller Weg an einer höheren Neuverschuldung des Staates vorbei. Das muss und darf dann keine Abkehr vom Sparkurs bedeuten.
Höhere Schulden jetzt und Sparen im Aufschwung - dieses Konzept erfordert vom Finanzminister Standfestigkeit und Glaubwürdigkeit. Beides hat Hans Eichel in der vergangenen Legislaturperiode mit seiner Haushaltskonsolidierung und der im Großen und Ganzen gelungenen Steuerreform bewiesen. Jetzt muss er alles tun, um diesen Ruf wiederherzustellen.
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(c) DIE ZEIT 45/2002
RENTE, GESUNDHEIT, ARBEITSLOSENGELD
"Da ist noch Saft drin!"
Von Markus Deggerich
Die Koalition steht vor der ersten Woche der Wahrheit. Mit harten Sofortmaßnahmen will sie in die sozialen Sicherungssysteme eingreifen. Gesundheitswesen, Rente und Arbeitslosengeld - alles steht auf dem Prüfstand. Aus den Millardentöpfen sollen alle verfügbaren Euros herausgepresst werden.
DDP
Unter Zeitdruck: Clement (r.) und Schröder im Bundestag
Berlin - SPD und Grüne suchen nicht nur Geld, sondern auch eine gemeinsame Position. In der kommenden Woche sollen die ersten Schnell-Gesetze auf den Weg gebracht werden, um die Finanzkrater bei Rente und Gesundheit zu stopfen und den Arbeitsmarkt in Schwung zu bringen. Doch hinter dem Ringen um die Einzelpunkte stecken auch politische Fernziele.
Vor allem bei der Rente sträuben sich die Grünen noch gegen die schlichte Erhöhung der Beiträge. Ulla Schmidt will sie von 19,1 aus 19,5 Prozent hochschrauben. Nicht dass die Grünen irgendetwas gegen mehr Cash in der Rentenkasse hätten. Aber sie wollen über den Finanzdruck in der Altersversorgung noch mal eine ihrer Lieblingsideen reaktivieren. Zwar hatte die SPD im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass die Ökosteuer nach 2003 keine weiteren Stufen erklimmt. Doch da diese Abgabe in das Rentensystem floss, hoffen die Grünen, dass sich ihr Partner in der Frage doch noch überzeugen lässt: Immerhin hatte die SPD im Wahlkampf versprochen, die Beiträge stabil zu halten. Über eine neue Form der Ökosteuer Arbeit nicht zu verteuern, Energieverbrauch zu besteuern und Geld für die Rente einzunehmen, lautet der grüne Plan.
IN SPIEGEL ONLINE
· Schmidts Not-Therapie: "Alle fürchten um ihre Pfründe" (31.10.2002)
· Gesundheitssystem vor Finanz-Kollaps: Rot-Grün packt den Sparhammer aus (30.10.2002)
· Clements Antrittsrede: Schattenboxen der Super-Kontrahenten (30.10.2002)
· Gesundheits-Sparpaket: Trotz breiter Kritik - Rot-Grün will es machen (01.11.2002)
· Schröders Regierungserklärung: Was Gerhard Nebel mit Willy Wolke gemeinsam hat (29.10.2002)
· Willy Wolke und Gerd Nebel: Wie Schröder bei Brandt abkupferte (30.10.2002)
Verbraucherschutzministerin Renate Künast geht auch schon in Stellung: "Vereinbart ist 19,3 Prozent. Das diskutieren die Fraktionen noch. Auch bei den Sofortmaßnahmen in der Gesundheitspolitik müssen sich SPD und Grüne bis kommende Woche einigen. Nachdem Grüne-Fraktionschefin Krista Sager noch Zweifel anmeldete an den Schmidtschen Plänen, hatten die betroffenen Interessengruppen bereits wieder Hoffnung geschöpft, einen Keil in die Koalition treiben zu können und das "Schlimmste" für sie zu verhindern.
Doch Schmidt hat die Einwände der Grünen abgefangen. Über das Wochenende will sie ihrem Partner die Details erläutern. "Das Konzept halte ich nach wie vor für richtig und sozial ausgewogen", begegnete sie am Freitag der Kritik aus dem grünen Lager. Zum geplanten Einfrieren der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und der daran geäußerten Kritik von Sager wies Schmidt auf vorgesehene Ausnahmeregelungen hin. Sollte die Leistungsfähigkeit einer Kasse existenziell betroffen sein, seien ausnahmsweise weitere Beitragserhöhungen möglich.
"Alle sollten auf den Boden der Vernunft zurückkehren"
Die Kritik der Ärzteschaft an der geplanten Honorar-Nullrunde hält sie für überzogen und Panikmache. Die Ärzte müssten im Monat auf lediglich 158 Euro Zuwachs durchschnittlich verzichten. "Alle sollten auf den Boden der Vernunft zurückkehren", versucht sie zu beruhigen. Das Sparpaket insgesamt bedrohe niemanden in der Existenz. Krankenhäuser, die bereits mit dem Fallpauschalensystem (DRG-System) arbeiten, seien von der Nullrunde ausgenommen, sagte Schmidt. Dies gelte auch bei den Sonderregelungen im Osten, wo die Honorare und Arbeitsbedingungen für Ärzte noch immer schwieriger sind.
Schmidt kennt das Sankt-Florians-Prinzip. Die Betroffenen hielten in der Regel 95 Prozent des Sparpakets für gut - kritisierten aber immer den sie selbst betreffenden Teil. Doch sie will das durchziehen: "Wir brauchen Luft, um im nächsten Jahr die große Strukturreform auf den Weg zu bringen", begründet die Ministerin ihre Sofortmaßnahmen, die bereits kommenden Donnerstag in erster Lesung beraten werden sollen.
Doch Sager beurteilt die geplante Nullrunde mit Blick auf die gerade stattfindende Wettbewerbsorientierung in den Krankenhäusern skeptisch. "Wir brauchen auf der Einnahmeseite die Einbeziehung aller Einkommensarten und auf der Ausgabenseite mehr Wettbewerb und die Stärkung der Patientenrechte", erklärt sie.
Mit den im Beitragssicherungsgesetz geplanten Maßnahmen hätten die Kassen die Möglichkeit, die Beiträge im nächsten Jahr stabil zu halten: "Wenn diese Pläne schnell umgesetzt werden, sind dirigistische Akte wie die Festschreibung der Beiträge per Gesetz nicht mehr notwendig", hofft Sager. Doch Schmidt sieht das anders und die Kassen wollen in einer Hauruck-Aktion am Wochenende eventuell ihre Beiträge erhöhen. Das dürfte Schmidt als Kriegserklärung empfinden.
Kommt die Kriegserklärung der Kassen?
DPA
Gegen den Kassen-Knebel: Krista Sager
Sager versucht zu vermitteln. Sie warnt die Kassen davor, "jetzt noch hastig flächendeckend die Beitragssätze zu erhöhen", bevor es am Donnerstag kommender Woche zu der ersten Beratung des Vorschaltgesetzes im Bundestag kommt. Sonst müssten sie "sich nicht wundern, wenn der Gesetzgeber doch eingreifen muss", drohte auch Sager am Freitag.
Dass es bei den Not-Gesetzen nur um den schnellen Euro geht und die eigentlichen Reformen noch ausstehen, kündigt auch der Grünen-Vorsitzende Fritz Kuhn an. Er will weitere Einschnitte bei der Arbeitslosenhilfe sowie weitergehende Reformen der Sozialversicherungen: "Wenn sie den Bundeshaushalt kennen und um die Arbeitslosenhilfe einen Bogen machen, dann werden sie nicht sparen", sagte Kuhn und machte die finanzielle Dimension klar, die rund vier Millionen Arbeitslose für den Bundeshaushalt bedeuten. Deshalb werde auch über die Veränderungen beim Arbeitslosengeld noch bis kommende Woche verhandelt, kündigte Kuhn an.
Blinder Fleck bei den Renten
Wie Schmidt sieht der Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen bei Rente und Gesundheit weiteren Reformdruck: "Wenn das Sparpaket irgendwo einen blinden Fleck hat, dann bei den Renten." Wenn in Deutschland in der Praxis wenigstens annähernd das reguläre Rentenalter erreicht würde, ergäbe sich eine enorme Kostenreduktion.
Woran die Grünen denken, es aber ebenso wie die SPD nicht wagen auszusprechen, ist die Schieflage in den Sozialsystemen: Ganze Bevölkerungsgruppen wie Beamte und Selbständige zahlen nicht in das System ein. Doch solche Fragen sollen im Rahmen der Schnell-Gesetze noch nicht diskutiert werden.
Denn auch auf der dritten Baustelle nach Rente und Gesundheit gibt es noch Abstimmungsbedarf für die kommende Woche. Das Spar- und Reformpaket von Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) ist in Zeitnot geraten. Obwohl das Gesetzespaket, das auch Teile der Hartz-Reform enthält, am kommenden Montag den Koalitionsfraktionen zur Beschlussfassung zugeleitet werden muss, waren wesentlichen Abschnitte am Freitag noch nicht abschließend geregelt.
Im neuen Doppelministerium wurde bei der Ausarbeitung des Gesetzespakets noch fieberhaft nach Sparpositionen gesucht. "Der Beratungsprozess ist im Gange, er läuft auf Hochtouren", sagt Clements Sprecherin Sabine Maass. Details nannte sie nicht. Für Montagabend ist eine Koalitionsrunde im Kanzleramt zur Feinabstimmung angesetzt.
Clement unter Zeitdruck
Nachdem Clement unter dem Druck aus den eigenen Reihen kurzfristig pauschale Leistungskürzungen für Arbeitslose mit Kindern im Volumen von etwa 200 Millionen Euro fallen ließ, muss er nach alternativen Einsparmöglichkeiten suchen. Dem Vernehmen nach war noch ein Betrag von 700 Millionen Euro im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit offen. Insgesamt will Clement satte 6,5 Milliarden Euro einsparen. Rund 1,85 Milliarden soll die Umsetzung der Hartz-Vorschläge bringen. Allein die Verkürzung der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit um eine Woche brächte eine Milliarde Euro.
Noch unklar sind nach Informationen aus der Koalitionsspitze auch die steuerlichen Regelungen für die Förderung von haushaltsnahen Minijobs sowie für Gründer einer Ich-AG, zwei zentralen Elementen der Hartz-Reform zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Auch an den tarifvertraglichen Regelungen für Leiharbeiter bei den neuen Personal-Service-Agenturen - auf die vor allem die Gewerkschaften großen Wert legen - wird noch gefeilt. Diese Elemente sind Teil des ersten Gesetzes zur Reform des Arbeitsmarktes, das am Donnerstag kommender Woche in den Bundestag eingebracht werden soll.
Arbeitgeber warnen vor Rohrkrepierer
Am Freitag startete als erster Baustein aus dem Katalog der Hartz-Reformvorschläge das Mittelstands-Förderprogramm "Kapital für Arbeit". Es soll Unternehmen über zinsverbilligte Kredite bis zu 100.000 Euro - von denen die Hälfte der Stärkung des Eigenkapitals dient - Anreize zur Einstellung von Erwerbslosen bieten. Die Regierung hofft damit auf bis zu 50.000 neue Jobs.
Weniger optimistisch über dieses neue Mittelstandsprogramm äußerte sich Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser: "Ich fürchte, das wird ein Rohrkrepierer". Ein weiteres Förderprogramm für den Mittelstand werde angesichts der vielen Programme, die schon existierten, nicht gebraucht. Dagegen warnte die DGB-Vize-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer davor, das Programm "madig zu machen". Wenn es gelinge, über billigere Kredite Unternehmen zur Einstellung von Arbeitskräften zu mobilisieren, könne dies "Hilfestellung leisten".
Die Koalition geht in eine harte Sitzungswoche, in der die ersten Weichen gestellt werden. Dass da noch mehr kommt, kündigt auch Fritz Kuhn an: "Was wir jetzt machen, ist mehr aus der Zitrone herauszupressen. Da ist noch Saft drin."
Leitartikel
Von Torsten Krauel
Mehrheit ist Mehrheit, verkündet ein reizbarer Gerhard Schröder seit fünf Wochen. Reizbar deswegen, weil seine Mehrheit eben gerade nicht steht, sondern immer wieder neu erkämpft und abgesichert werden muss. Nichts anderes als dies bestimmt sein Auftreten.
Schröders Rechnung ist simpel: Vier Stimmen über der Kanzlermehrheit hat er, sechs bis acht Grüne gehören zum Pazifistenflügel, über die Hälfte der SPD-Fraktion ist Gewerkschaftsmitglied. Also muss er in der Wirtschafts- und in der Außenpolitik - ausgerechnet den Gebieten, die einmal seine Domäne waren - Konzepte präsentieren, die auch für renitente Mitglieder seiner Koalition akzeptabel sind. (Ganz abgesehen davon, dass auch Chirac und Bush und Aznar Schröders neue Verwundbarkeit spüren.)
Das zwingt ihn natürlich zu unaufhörlichem Manövrieren, und so verhält er sich auch. Die Blässe der Regierungserklärung war das Ergebnis des Willens, sich niemanden zu verprellen. Welche konkreten Vorhaben auch immer die Redenschreiber in sein Manuskript geschrieben hatten - Schröder ließ sie entweder vorsichtshalber ganz weg (wie 20 000 streichbare Vorschriften in Eichels Bereich: das hätte diesen ja öffentlich desavouieren und somit in Fraktion und Partei Begehrlichkeiten wecken können) oder schwächte sie ab (aus "Lohnnebenkosten senken" wurde "Lohnnebenkosten, wo immer dies möglich ist, senken"), oder er trug Konzessionen dort, wo es politisch nicht weh tat, mit Leuchtfarbe auf (sein gravitätisch hervorgehobener "erweiterter Sicherheitsbegriff" stammt aus dem grünen Wertefundus, hat aber operativ keinerlei Bedeutung).
Der völlig erratische, überstürzte Kurs seiner SPD und der Koalition seit der Bundestagswahl spiegelt die Gratwanderung zwischen Mehrheit und Notwendigkeit. Zum einen ging es Schröder darum, das Eisen zu schmieden, solange es noch heiß war - Reformvorhaben galt es festzuklopfen, solange die Interessengruppen in der Fraktion sich ihrer vollen Macht noch nicht bewusst geworden sind. Zum anderen zeigte sich aber rasch, dass einige SPD-Politiker sich über ihre gestärkte Position sofort im Klaren waren, zum Beispiel Sigmar Gabriel. Dessen fortgesetzter Kampf um die Eigenheimzulage, mithin der fortgesetzte Tritt gegen Schröders Schienbein, wäre in der vergangenen Legislaturperiode mit massivem Liebesentzug sanktioniert worden. Jetzt indes sind Schröder die Hände gebunden, ja, er braucht einen solchen Gabriel sogar. Denn als Mitinitiator einer vom Kanzler pro forma abgelehnten Steuererhöhung für Millionäre (Vermögen- und Erbschaftsteuer) trägt Gabriel zu dem von Schröder, dem Koalitionstaktiker, durchaus erwünschten Eindruck bei, die SPD nehme den Reichen etwas weg.
Die ganze Steuer-Kakophonie, die nach dem Wahltag losbrach, kam Gerhard Schröder sehr zupass: Es setzte sich der Eindruck fest, nicht er allein, sondern die SPD wolle irgendwie umsteuern. Dieser Eindruck ist seine einzige Chance, knappe Abstimmungen nicht zum Votum für oder gegen Schröder werden zu lassen. So schwieg er, gerne und beredt. Außerdem rief er den künstlichen Belagerungszustand durch "die anderen" aus - die Union, "konservative Kettenhunde", mittelbar auch Bush. Er braucht die imaginäre Wagenburg, um seine Leute zusammenzuhalten. Das öffentliche Bewusstsein und die Seele der Fraktion soll in einem teils orchestrierten, teils einfach laufen gelassenen Meinungschaos ertränkt werden. Jeder Abstimmungssieg Schröders erschiene dann als Führungsstärke.
Die zweite Novemberwoche wird hier zur ersten Bewährungsprobe. Es stehen an: eine gräuliche Steuerschätzung, der Nachtragshaushalt 2003 mit seinen Grausamkeiten sowie die Abstimmung über die Verlängerung des Bundestagsmandates für einen nun durchaus aktiven Antiterrorkrieg. Da muss Schröder zeigen, ob er als Integrator einer Mehrheit taugt, die, gemessen an den Notwendigkeiten, kaum eine ist.
Angela Merkel hat Schröder vorgehalten, Politik für den Augenblick zu machen. Schröder hat das geärgert, weil es wahr ist. Der erzwungene Tagestaktiker ist jeder autonomen Gestaltungshoheit beraubt; das zerrt an seinen Nerven. Aber damit, dass Mehrheit nicht Mehrheit ist, muss er, der Einzelkämpfer ohne Teambedürfnis, leben - für vier lange, elende Jahre.
Den Autor erreichen Sie unter: krauel@welt.de
Von Stefan Dietrich
Grausamkeiten müssen am Anfang der Legislaturperiode begangen werden. Regierungen, die sich an diese demokratische Faustregel halten, fahren meistens ganz gut mit ihr. Sie handeln sich damit zwar unmittelbar nach der Wahl den Vorwurf der Wählertäuschung ein, doch wenn es gutgeht - das heißt, wenn nach und nach die Zinnen der goldenen Berge in Sicht kommen, von denen vor der Wahl die Rede war -, haben die Wähler den Schmerz nach zwei, spätestens vier Jahren auch wieder vergessen. Was die rot-grüne Koalition gerade in die Wege leitet, ist jedoch doppelt grausam: Es schmerzt, verspricht aber keine Linderung. Am Ende dieser Wahlperiode wird dieses Land aller Voraussicht nach schlechter dastehen als an deren Anfang.
Zugegeben - goldene Berge hatte vor allem die Union im Wahlkampf verheißen: eine Verringerung der Steuerlast, mehr Geld für Familien, Wachstumsimpulse für die Wirtschaft. Stoiber wäre heute in einer nicht geringeren Kalamität als Schröder, wenn es am 22. September zu einer schwarz-gelben Koalition gereicht hätte. Die meisten seiner ins Schaufenster gestellten Sonderangebote hätte er der Vorgabe opfern müssen, daß die Stärkung der Wirtschaftskraft für eine unionsgeführte Regierung Priorität genieße.
Im nachhinein scheint es fast, als habe sich die SPD seit Monaten auf nichts anderes vorbereitet als auf den Augenblick, in dem sie über einen Wahlsieger Stoiber und dessen gebrochene Versprechungen herfallen könnte. Nun aber muß sie selbst den deutschen Karren weiterziehen, der nicht zuletzt durch die steuer- und arbeitsmarktpolitischen Beschlüsse der rot-grünen Koalition so unbeweglich geworden ist wie nie zuvor.
Vom Start weg erweckt diese Regierung den Eindruck der Orientierungslosigkeit. Wie anders soll man es deuten, wenn der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zwar die klassischen Instrumente der Konjunktursteuerung verwirft, drei Absätze weiter aber schon wieder eine "konjunkturgerechte Ausgestaltung" des Stabilitätspakts propagiert, das heißt den Rückgriff auf eine höhere Neuverschuldung? Verheißungsvoll klang zwar Schröders Wort, es sei "jetzt nicht die Zeit, immer nur neue Forderungen zu stellen" und auf das erreichte Leistungsniveau fortwährend "draufzusatteln"; der Staat müsse auch einmal langsamer treten. An die eigene Adresse war dieser Appell aber nicht gerichtet.
Denn im Koalitionsvertrag, den der Kanzler anpries, haben SPD und Grüne die Traglast des Staates noch einmal hemmungslos erhöht. Nicht genug damit, daß selbst in einer haushaltspolitischen Notlage die volkswirtschaftlich fragwürdige Steinkohlesubvention und die langfristig noch erheblich teurere Förderung der Wind- und Solarenergie unangetastet bleiben - sogar für das Subventionsgrab Metrorapid ist noch Geld da -, nun müssen auch noch Ganztagsschulen und Kinderkrippen her, weil es die eigene Klientel so will. Auf die Baustellen der Alters- und Gesundheitsvorsorge, die im Sinne des Gemeinwohls am dringendsten der Sanierung bedürften, schickt die Koalition indessen eine Ministerin ohne Ideen und ohne Durchsetzungskraft.
Weil sich die Koalitionsparteien nicht von gesamtwirtschaftlichen, sondern von partikulären Interessen leiten ließen, haben sie sich angreifbar gemacht. Seit sich der Kanzler auf die Seite der Gewerkschaften gestellt hat, schlägt er einen zunehmend gereizten Ton gegen andere Lobbyorganisationen an, die ebenso legitime Interessen vertreten. Angreifbar zeigte sich in der vergangenen Woche aber vor allem Schröders Ministerriege.
Der Bauminister konnte die Kürzung der Eigenheimzulage nicht verteidigen, weil er selbst nicht davon überzeugt war, "Superminister" Clement war in Erklärungsnöten wegen der Erhöhung der Gasverbrauchsteuer und der Kürzung der Arbeitslosenhilfe, die Gesundheits- und Sozialministerin Schmidt geriet gleich an beiden Fronten ihres Ressorts ins Trudeln. Die geplante Anhebung des Rentenbeitrags um 0,2 Prozentpunkte mußte kurzfristig verdoppelt werden. Zusammen mit der sprunghaften Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ist das nun sogar den Grünen zuviel. In der Gesundheitspolitik fiel dem Kanzler und seiner Ministerin wiederum nichts Besseres ein, als den zahlreichen Reformkommissionen eine weitere hinzuzufügen und für die Zeit der Untätigkeit Dirigismus walten zu lassen. Finanzminister Eichel, der demnächst einen Nachtragshaushalt vorlegen soll, war indessen dazu verurteilt, die finanziellen Auswirkungen der Zickzackbewegungen in sein Zahlenwerk einzuarbeiten.
Daß die absehbare Neuverschuldung im Wahljahr unterderhand von 21 in die Nähe von 35 Milliarden Euro stieg, ist im nachhinein schon nicht mehr abzuwenden. Schlimmer ist, daß auch in den kommenden vier Jahren von Einsparungen nicht die Rede sein kann. Zusammen mit den neun Milliarden Euro, die schon durch die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform den Bürgern vorenthalten werden, summieren sich die im Koalitionsvertrag geplanten Mehrbelastungen bis 2006 auf 76 Milliarden Euro. Von der Steuerentlastung, welche die "Jahrhundertreform" von 2000 versprach, war bei den Bürgern schon bisher wenig zu spüren. Sie wird sich aber spürbar ins Gegenteil verkehren, bevor die dritte Stufe 2005 in Kraft tritt. Wachsen wird in dieser Zeit allein die Staatswirtschaft.
"Wir wollen ein Land schaffen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht." Mit den ersten Schritten in die neue Legislaturperiode straft der Bundeskanzler seine Regierungserklärung Lügen. Diese Regierung fragt nicht wirklich danach, wie Menschen leben wollen. Sie fragt zuerst, wieviel sie den Bürgern abnehmen muß, um ihre gesellschaftlichen Vorstellungen verwirklichen zu können. So hält es der Obrigkeitsstaat mit Untertanen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.11.2002, Nr. 256 / Seite 1
Im Jahr 5 wird es plötzlich ganz wie erwartet düster.
Das Ende naht, die Schuldigen werden freigesprochen, die Schäden übernimmt das Volk.
Wieder nichts neues.
Gruss TK
Im Gesetzentwurf halte Eichel aber noch an der rückwirkenden Besteuerung fest
Berlin - Bundesfinanzminister Hans Eichel ist nach einem Magazinbericht bereit, notfalls auf eine Besteuerung von bereits vorhandenem Aktien- und Immobilienbesitz zu verzichten. Die Fachleute des Ministers rechneten damit, dass sich eine rückwirkende Besteuerung nicht durchsetzen lasse, berichtete "Focus" am Samstag vorab. Alle nach dem 1. Januar 2003 erworbenen Aktien und Immobilien sollten aber nach dem bisherigen Gesetzentwurf voll der Einkommenssteuer unterworfen werden. Eine Sprecherin Eichels wollte sich nicht dazu äußern.
Im Gesetzentwurf halte Eichel aber noch an der rückwirkenden Besteuerung fest, berichtete das Magazin weiter. Auch Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) hatte sich entsprechend geäußert. Jedoch waren schon im von der rot-grünen Koalition beschlossenen Finanztableau keine zusätzlichen Einnahmen für 2003 eingeplant. Damit wäre aber im Fall einer rückwirkenden Besteuerung zu rechnen. Erst für 2004 hatte Eichel Mehreinnahmen von rund einer Mrd. Euro durch die Steuern auf Spekulationsgeschäfte eingeplant.
Nach dem Bericht des "Focus" will Eichel auch daran festhalten, eine Meldepflicht auf Kapitalerträge und Spekulationsgewinne einzuführen. Darauf sollten Banken und Immobilienfonds nach dem Gesetzesentwurf verpflichtet werden. Mit diesem Beschluss wird das Bankgeheimnis in Deutschland nach allgemeiner Einschätzung weitgehend ausgehöhlt. Bislang müssen Anleger Spekulationsgewinne nur versteuern, wenn sie Aktien innerhalb eines Jahres und Immobilien innerhalb von zehn Jahren verkaufen. rtr
Aktionärschützer befürchten Flucht aus Aktien
Von Heino Reents, Hamburg
Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) macht mobil gegen die geplante Spekulationssteuer auf Aktiengewinne. In einem offenen Brief an Bundesfinanzminister Hans Eichel fordern die Aktionärsschützer eine schnelle Rücknahme der Pläne - ansonsten drohe eine Flucht aus Aktien.
Viele Anleger hätten sich wegen der Steuerpläne in "heller Aufregung" an die Schutzgemeinschaft gewandt, heißt es in dem Schreiben. "Viele reagieren bereits panisch", so SdK-Vorsitzender Klaus Schneider. Auf Grund der zahlreichen Anfragen fürchtet die SdK, dass mit einer Flucht aus der Aktie zu rechnen ist, wenn die bislang bekannten Pläne eins zu eins umgesetzt werden.
Besonders belastet sei die Stimmung unter den Anlegern wegen der Gefahr einer rückwirkenden Besteuerung auf bereits seit längerem gehaltene Aktien. Aktionäre hätten vielfach angekündigt, solche Aktien notfalls noch vor Jahresende zu veräußern, um mögliche Kursgewinne steuerfrei vereinnahmen zu können. Ein massenhafter Aktienverkauf von Privatanlegern hätte gravierende Folgen für den Aktienmarkt, so Schneider.
Furcht um Altersvorsorge
Viele Aktionäre seien Aktiensparer und wehrten sich dagegen, durch die geplante Spekulationssteuer nun zu Spekulanten herabgewürdigt zu werden. "Diese Generation fürchtet jetzt um ihre Altersvorsorge und fühlt sich vor dem Hintergrund der Pläne teilweise betrogen", schreiben die Aktionärsschützer an den Finanzminister.
Für die Zukunft werde die Attraktivität der Aktienanlage deutlich abnehmen, weil dem höheren Risiko dieser Anlageform nur noch geringere Erträge gegenüberstehen. "Wir mahnen schnelle Entscheidungen an, denn die Tatsache, dass die Anleger nicht genau wissen, was auf sie zukommt, führt möglicherweise zu falschen Reaktionen", lautet abschließend die Forderung an Minister Eichel.
© 2002 Financial Times Deutschland
Kolumne
Von Roman Herzog
Das deutsche Volk weiß es schon seit langem, und der Bundesregierung scheint es in der Nacht vom 22. auf den 23. September aufgegangen zu sein: Die öffentlichen Kassen sind leer. Dass das misslich ist, braucht man keinem besonders zu erklären, auch wenn nun wieder das alte Spiel beginnt, in dem jeder der Regierung mitteilt, was und wie viel sie bei den anderen sparen soll. Viel schlimmer ist, dass es jetzt, trotz aller vorgefassten und laut verkündeten Ansichten, wieder zu Erhöhungen statt zu Verringerungen des so genannten öffentlichen Sektors kommt, also jenes Anteils am Bruttosozialprodukt, der der Gesellschaft und damit der Wirtschaft entzogen und über staatliche Kassen umgesteuert und umverteilt wird.
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Steigt der öffentliche Sektor, so verringert sich beim einzelnen Bürger der Spielraum, der ihm nach Abzug seiner monatlichen Fixkosten zur freien Gestaltung seines Lebens noch verbleibt. Und bei der Wirtschaft geht mehr und mehr der Spielraum für Investitionen und die damit verbundenen Innovationen verloren - ohne die es nach allen Erfahrungen auch keinen späteren Aufschwung mehr gibt.
Ich will hier nicht darüber rechten, ob die beabsichtigten Abgabenerhöhungen notwendig sind, und auch nicht darüber, ob sie bejahendenfalls ausreichen. Und nur mit Spott verfolge ich, wie sich in unseren Medien selbst für die Gesetze, die uns jetzt ins Haus stehen, allmählich schon wieder die Bezeichnung "Reform" einschleicht. Wenn man nur die Steuern erhöhen muss, um ein Reformer zu sein - dann prost Mahlzeit!
Dabei wäre es ohne weiteres möglich, der Wirtschaft auch in Zeiten knapper Kassen mehr Spielraum als bisher zu geben, und sogar ohne dass es den Staat Geld kostet. Man müsste sich nur wieder einmal an das erinnern, was die Vertreter der Wirtschaft schon seit Jahren predigen: Ihre Entscheidungsfreiheit leidet nicht nur unter der Überfülle bürokratischer Rechtsvorschriften, deren Beachtung und Einhaltung die Betriebe - und hier vor allem die kleinen - nicht nur wiederum Geld, sondern vor allem auch Zeit und Kraft kosten. Und schon seit Adam Riese wissen wir: Wenn es zwei Gründe gibt, warum eine Sache nicht läuft, und wenn einer davon im Augenblick nicht behoben werden kann, dann ist das noch lange kein Grund, auch den zweiten nicht in Angriff zu nehmen!
Da ließe sich bei Gott manches tun, was der Wirtschaft die bitteren Pillen, die sie jetzt schlucken muss, wenigstens einigermaßen erträglich machen könnte, und ich frage mich schon, warum der Bundeskanzler, der doch sonst ein gewiefter, psychologisch geschickter Taktiker ist, nicht zugleich mit seinen Tatarennachrichten noch ein paar andere, wirtschaftsfreundlichere Parolen ausgibt, als da wären:
* Reduzierung der die Wirtschaft strangulierenden Vorschriften, und wenn es zunächst einmal nur um zehn Prozent ginge,
* Abschaffung weiterer statistischer Erhebungen, die dem Staat wenig bringen, die Unternehmen aber schwer belasten, und dazu gleich auch noch die Abschaffung überflüssiger oder nur wenig nützlicher Melde- und Anzeigepflichten,
* Verringerung oder wenigstens Abkürzung zahlreicher Genehmigungsverfahren. Man könnte die zuständigen Behörden viel öfter dazu verpflichten, ein Genehmigungsverfahren binnen vier oder meinetwegen auch sechs Wochen abzuschließen, und wenn das nicht geschieht, die Genehmigung einfach als erteilt fingieren.
Es gäbe noch viele weitere Möglichkeiten, aber ich will meinen Lesern solche Details für heute ersparen. Vieles wäre möglich, um die Wirtschaft freier zu stellen, auch in Zeiten knapper Kassen. Warum tut man es dann nicht? Sind wir hier wieder einmal an einer Stelle, an der den leitenden Politikern das Detailwissen, den zuständigen Abteilungen der Ministerien dafür aber die Fantasie fehlt? Wenn man schon eine Krise wie die gegenwärtige hat und wenn es wahr ist, dass Krisen immer auch etwas an Chancen in sich bergen, warum nimmt man sie dann nicht wahr?
Es ist mehr als ein Jahr her, dass der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof den Entwurf eines kurzen, bündigen und für jedermann verständlichen Einkommensteuergesetzes der Öffentlichkeit vorgelegt hat. Geschehen ist seither nichts. Es mag ja sein, dass Kirchhof in der einen oder anderen Frage zu optimistisch ist - wie sollte er den augenblicklichen Steuerdschungel sonst auch ertragen? Wenn es aber so ist, warum setzt man sich mit ihm dann nicht wenigstens auseinander? Und warum schweigt man auch sonst zu den berechtigten Einwänden?
Roman Herzog war von 1994 bis 1999 Bundespräsident.
An dieser Stelle lädt die WELT täglich Persönlichkeiten desöffentlichen Lebens ein, ihren Standpunkt zu vertreten.
Das wird ein bitterer Winter
Von Hans-Jörg Vehlewald
Schöne Bescherung: Jetzt werden sogar noch die Weihnachtsbäume teurer...
Das ist die nächste von zahllosen Schlechte-Laune-Meldungen, mit denen uns die Regierung das Leben schwer macht.
Für viele Bürger hat es schon fröhlichere Weihnachten gegeben als in diesem Jahr.
Erinnern wir uns! Im Sommer hieß es noch: Steuerentlastung ab 2003. Der Aufschwung kommt!
Und jetzt? Benzin, Strom, Heizung, Gas, Wohnen – alles wird teurer.
Jeder wird am Ende des Winters ein paar Hundert Euro weniger in der Tasche haben.
Wofür? Damit Renten- und Krankenversicherer uns weiter vorgaukeln, unser Geld sei sicher angelegt?
Damit Beamte weiter Milliarden durch Steuerschlamperei und Fehlplanung verschleudern?
Damit Politiker weiter üppige Diäten und Pensionen kassieren?
Die Regierung muss endlich sagen, wo sie bei sich selbst sparen will, statt immer weiter nur die Bürger zu schröpfen!
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Eichel plant Steuererhöhung auf Heizöl um 22 Prozent. Abstriche bei der Erdgas-Steuer sind nicht vorgesehen
Berlin – Das Bundesfinanzministerium will der Koalitionsrunde aus Spitzenpolitikern von SPD und Grünen auch eine höhere Steuer auf leichtes Heizöl vorschlagen. „Nach dem überarbeiteten Gesetzentwurf des Ministeriums soll die Steuer auf 75 Euro von derzeit 61,35 Euro pro 1000 Liter steigen“, hieß es am Montag in Koalitionskreisen. Insgesamt rechne Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) durch die Veränderungen im Rahmen der Ökosteuer mit Mehreinnahmen von 1,7 Mrd. Euro im kommenden Jahr.
Der Gesamtverband des deutschen Brennstoff- und Mineralölhandels (GDBM) reagierte empört auf die Pläne der Bundesregierung: „Die mittelständische Branche kann die Erhöhung in dem harten Wettbewerb nicht mehr auffangen“, sagte GDMB- Geschäftsführer Günther Jäckel: „Die Steuererhöhung wird sich voraussichtlich voll auf die Endverbraucherpreise durchschlagen.“ Nach Schätzung seines Verbandes werden sich die Heizkosten eines Vier-Personen-Haushalts pro Jahr um rund 41 Euro erhöhen. Dies sei auch deshalb bedenklich, weil überproportional viele Heizöl- Kunden Geringverdiener sind.
Nach den ursprünglichen Plänen der Regierung sollten Energiesteuern lediglich 1,2 Mrd. Euro für den Bundeshaushalt bringen. Dazu war vorgesehen, die Besteuerung von Erdgas von 35 auf rund 58 Cent pro Kilowattstunde anzuheben und somit dem leichten Heizöl gleichzustellen. Als Begründung hieß es, für eine steuerliche Bevorzugung von Gas gebe es keinen Grund mehr, da sich inzwischen ohnehin 75 Prozent aller Häuslebauer für diesen Brennstoff entscheiden. Die Gas-Wirtschaft bestand jedoch aus Klimaschutzgründen bis zuletzt auf einen gewissen steuerlichen Abstand gegenüber dem Heizöl – und fand damit beim Bund, insbesondere bei Bundesumweltminister Trittin, Gehör. Zwar wird die Erdgas-Steuer nach wie vor um 66 Prozent auf 58 Cent pro Kilowattstunde erhöht. Doch durch die Belastung des Konkurrenzproduktes Heizöl um rund 520 Mio. Euro bleibt die steuerliche Belastung von Gas immer noch um 18 Prozent unter der des Heizöls. dgw
Zu den bekanntesten Steuern in Deutschland zählen wohl die Lohn- und Einkommensteuer und die Kraftfahrzeugsteuer. Immer dann, wenn das Benzin wieder einmal teurer wird, gerät auch die Mineralölsteuer in die Schlagzeilen. Und wer einen üppigen Nachlass antreten darf, wird sich mit der Erbschaftssteuer auseinandersetzen müssen.
Aber in deutschen Landen gibt es weitaus mehr als nur diese Steuern. Wie wär's zum Beispiel mit der Branntwein- oder der Schaumweinsteuer oder mit der Steuer für das Vergnügen? Wir haben für Sie einmal zusammen getragen, welche Steuern in Deutschland gezahlt werden. Alle Steuern, die keiner anderen Steuerart zugeornet sind, wie etwa die Biersteuer gelten als so genannte Hauptsteuern.
Übrigens: Es gab schon einmal mehr. Viele Steuern wie die Leuchtmittel-, die Kupon oder die Zuckersteuer sind inzwischen abgeschafft.
Steuerarten
Abgeltunqsteuer (gehört zur Kapitalertragsteuer)
Abzugsteuern bei beschränkt Steuerpflichtigen
Aufsichtsratsteuer (gehört zu den Abzugssteuern bei beschränkt Steuerpflichtigen)
Automatensteuer (gehört zu Vergnügungssteuer)
Besitz- und Verkehrsteuern
Biersteuer
Branntweinsteuer
Einfuhrumsatzsteuer
Einkommensteuer
Erbanfallsteuer (gehört zur Erbschaftsteuer)
Erbschaftsteuer/ Schenkungsteuer
Feuerschutzsteuer
Gemeindesteuern (zählen zu den Örtlichen Steuern)
Getränkesteuer
Gewerbesteuer
Grunderwerbsteuer
Grundsteuer
Heizöhlsteuer (gehört zur Mineralölsteuer)
Hundesteuer
Jagd- und Fischereisteuer
Kaffeesteuer
Kapitalertragsteuer
Kinosteuer (gehört zur Vergnügungssteuer)
Kirchensteuer
Körperschaftsteuer
Kraftfahrzeugsteuer
Lohnsteuer
Lustbarkeitsteuer (gehört zur Vergnügungssteuer)
Luxussteuer (ist in einigen Fällen im Rahmen der Hundesteuer, der Jagd- und Fischereisteuer, der Kraftfahrzeugsteuer und der Tabaksteuer zu zahlen)
Mehrwertsteuer (gehört zur Umsatzsteuer)
Mineralölsteuer
Örtliche Steuern
Personensteuer (gehört zur Körperschaftsteuer)
Quellensteuer (allgemeiner Begriff für verschiedene Steuerarten, z. B. Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer oder Zinsabschlagsteuer)
Realsteuer (ist bei der Grund- und der Gewerbesteuer eingeordnet)
Rechtsverkehrsteuer (gehört zur Grunderwerbsteuer )
Rennwett-, Lotterie- und Sportsteuer
Schankerlaubnissteuer
Schankverzehrsteuer (gehört zur Getränkesteuer)
Schaumweinsteuer
Schenkungsteuer (gehört zur Erbschaftsteuer)
Solidaritätszuschlag
Spielbankabgabe
Straßengüterverkehrsteuer (fällt im Rahmen der Beförderungsteuer an)
Stromsteuer
Tabaksteuer
Umsatzsteuer
Verbrauchsteuern
Vergnügungsteuer
Verpackungsteuer
Versicherungsteuer
Vorsteuer (ist beim Vorsteuer-Vergütungsverfahren im Rahmen der Umsatzsteuer zu zahlen)
Zweitwohnungsteuer
Zwischenerzeugnissteuer
Gruss
Trader
Von Joachim Jahn
Wenn Wahlbetrug ein Straftatbestand wäre, müßte die Berliner Staatsanwaltschaft gegen diese Bundesregierung ermitteln - von Amts wegen. Im Wahlkampf hatte die rot-grüne Kabinettsmannschaft Steuererhöhungen (außer zur Finanzierung der Hochwasserschäden) ausgeschlossen. Unmittelbar nach dem Urnengang folgte der finanzpolitische Offenbarungseid; wie leer die Haushaltskassen sind, war vorsätzlich verschwiegen worden. Und nun prasselt eine Anhebung von Abgaben und Sozialbeiträgen nach der anderen auf die wehrlosen Bürger und Unternehmen nieder.
Am schlimmsten trifft es die Privatleute, die ihr Geld in Immobilien oder Aktien angelegt haben und damit vielfach für ihr Alter vorsorgen wollten. Für diese Langzeitsparer schnellt der Abgabensatz schlagartig von null auf (rund) fünfzig Prozent hoch, sollten die bisherigen "Spekulationsfristen" tatsächlich übergangslos gestrichen werden. Selbst wer jahrzehntelang eine vermietete Eigentumswohnung abbezahlt oder ein Wertpapierdepot aufgebaut hat, müßte künftig bei einem Verkauf rund die Hälfte des Gewinns an den Fiskus abtreten.
Abzocken, Abkassieren, Auspressen - die Heerschar der Betroffenen zeigt sich zu Recht empört. Viele setzen darauf, daß das Bundesverfassungsgericht diesen "enteignungsgleichen Eingriff" verhindert. Doch die Hoffnung könnte trügen. In ihrer umstrittenen Rechtsprechung haben die Hüter des Grundgesetzes dem Bundestag bisher meist einen weiten Handlungsspielraum eingeräumt. Natürlich muß die Politik in der Lage sein, auf Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft mit neuen Steuergesetzen zu reagieren. Paragraphen und Regeln sind nicht in Stein gemeißelt. Doch die Verfassungsrichter haben dem Gesetzgeber manchen Freibrief ausgestellt, um das Vertrauen der Steuerzahler in die Rechtsgrundlagen ihrer einmal getroffenen Entscheidungen noch nachträglich zu enttäuschen.
Bald wird man sich in Karlsruhe mit einer Klage dagegen befassen müssen, daß Rot-Grün bereits in der vergangenen Wahlperiode die "Spekulationsfristen" drastisch und obendrein rückwirkend verlängert hat. Zu befürchten ist aber, daß die Robenträger ihrer bisherigen Zurückhaltung treu bleiben. Dann würden sie den Bundestag nicht dazu zwingen, daß er die damaligen - und die nun geplanten - Verschärfungen auf jene Steuerzahler beschränkt, die ihre Immobilien oder Wertpapiere erst nach den Regeländerungen angeschafft haben. Auf Schutz können wohl am ehesten jene Steuerzahler hoffen, die ihren Besitz erst nach Ablauf der ursprünglichen Frist abgestoßen hatten.
Wenn die Regierung also vielleicht auch keinen Verfassungsbruch plant - einen Vertrauensbruch begeht sie auf jeden Fall. Bundestags-Finanzausschuß und Bundesrat müssen diese Steuereintreiberei stoppen. Die Opposition muß der Versuchung widerstehen, angesichts der ebenfalls klammen Kassen ihrer Ministerpräsidenten bei dem Handstreich mitzumischen. Wer die Bürger vier Jahre lang in die private Altersvorsorge treibt, indem er sie mit der "Riester-Rente" und dem Ausbau des Anlegerschutzes ködert, darf sie nicht schlagartig um die Früchte ihrer Rücklagen bringen. Die "Staatsrente" ist unsicherer denn je - doch wer wollte noch langfristige Sparpläne abschließen, wenn er die Rendite am Ende mit dem Fiskus teilen muß? Wer wagt es angesichts derart unkalkulierbaren Handelns der Regierung noch, eine Lebensversicherung abzuschließen? Schon länger brütet schließlich eine ihrer denkwürdigen Kommissionen darüber, ob die "Privilegierung" dieser Vorsorgeform weiter zu rechtfertigen sei. Düstere Aussichten sind dies für die deutsche Assekuranz.
Steuersystematisch zwingend ist die Ausweitung der Abgabenpflicht ohnehin nicht. Wertsteigerungen im Privatvermögen waren bis vor vier Jahren nur innerhalb recht kurzer Ausnahmefristen abgabepflichtig. Zwar trifft das Argument der Befürworter zu, auch solche Vermögensmehrungen steigerten die individuelle Leistungsfähigkeit, den einzig gerechten Maßstab einer Steuerpflicht. Doch Ketzer meinen ohnehin, das einzig Systematische am geltenden Steuerrecht sei seine Unsystematik. Angesichts eines fatalen Haushaltsnotstands wird nun trotzdem der Zugriff des Staates auf das letzte Reservat der Privatsphäre ausgedehnt.
Doch auch dabei dürfen äußerste Grenzen nicht überschritten werden: So muß der Vertrauensschutz gewahrt werden, etwa durch langjährige Übergangsregelungen. Auch sollte die Steuerpflicht für den Verkauf von Immobilien und Aktien auf solche Vermögensgegenstände beschränkt werden, die erst nach der Verschärfung erworben worden sind. Jegliche Rückwirkung ließe sich auch dadurch vermeiden, daß als Anschaffungspreis der Wert am Stichtag der Gesetzesänderung gilt (sofern er über dem früheren Kaufpreis liegt).
Außerdem sollte ein deutlich ermäßigter Steuersatz gelten. Immerhin ist ein erheblicher Teil der Wertsteigerung von Grundstücken und Wertpapieren auf die Inflation zurückzuführen; solche Scheingewinne darf der Staat nicht mit Abgaben belegen. Bei Wohnungen und Häusern kommt dazu, daß die Eigentümer auch mancherlei Aufwand hineinstecken müssen. Die Bundesregierung will aber auf den rechnerischen Veräußerungsgewinn sogar die Abschreibungen draufschlagen, die die Besitzer im Lauf der Zeit vorgenommen haben. Zudem hat das Steuerrecht den sogenannten Zusammenballungseffekt zu respektieren: Wer auf einen Schlag viel Geld ausgezahlt bekommt, auf das er sich nur nach und nach einen Anspruch aufgebaut hat, darf bloß mit einer niedrigeren Tarifstufe in der Progressionskurve belegt werden. Dieser Steuersatz sollte zudem wie im Ausland mit der Dauer des Besitzes absinken.
Und wenn alle politische und juristische Gegenwehr versagt? Von Notverkäufen kurz vor Toresschluß ist Anlegern abzuraten. Wer aber seine Wohnung noch rechtzeitig vor dem Verkauf lange genug selbst nutzen kann, fällt aus der Steuerpflicht heraus. Und wer besonders gut betucht ist, kann überlegen, ob er noch schnell eine kleine Vermögensverwaltungsfirma gründet, um dort sein Hab und Gut unterzubringen. So hat diese Regierung zwar noch nicht die Hartzsche "Ich-AG", auf jeden Fall aber die "Ich-GmbH" vorangebracht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2002, Nr. 260 / Seite 13
Berlin (dpa) - Besitzer von Aktien, Investmentfonds und Immobilien sollen nun doch nicht generell Steuern auf Gewinne zahlen müssen. Die Finanzpolitiker von SPD und Grünen erzielten eine entsprechende Verständigung, wie die finanzpolitische Sprecherin der Grünen- Fraktion, Christine Scheel, am Dienstag auf dpa-Anfrage mitteilte.
Demnach soll es bei der heutigen Spekulationsfrist für Immobilien von zehn Jahren bleiben. Nur bei einem Verkauf innerhalb dieser Frist seit der Anschaffung muss der Wertzuwachs besteuert werden. Bei Aktien und Fonds solle die heute für Kursgewinne geltende Spekulationsfrist von einem Jahr verlängert werden, sagte Scheel. Im Gespräch seien fünf Jahre. Dies sei aber noch nicht entschieden.
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte geplant, die Spekulationsfristen abzuschaffen und Kursgewinne von Aktien und Fonds sowie den Wertzuwachs von Immobilien bei einem Verkauf generell zu besteuern.
Wirtschaft, Börse und Aktionärsvertreter hatten besonders kritisiert, auch früher erworbene Anlagen in die Steuerpflicht einzubeziehen. Scheel sagte dazu: «Auf keinen Fall wird es eine Rückwirkung der Besteuerung geben.» Denn «dies würde exakt die treffen, die im Vertrauen auf das Steuerrecht frühzeitig private Altersvorsorge betrieben haben». Wichtig bleibe, dass jetzt über Kontrollmitteilungen der Banken an den Fiskus «ein ganzes Stück Steuerehrlichkeit» hergestellt werde.
© dpa - Meldung vom 12.11.2002 11:18 Uhr