Wie findet ihr Fischers "Auftritt"
Fragen über Fragen und nur einer kennt die Antworten:
Fischer beim «Verhör»
Der deutsche Aussenminister gibt Fehler zu – vor dem Ausschuss und laufender Kamera
Die Befragung Joschka Fischers war seit Wochen zum Schlüsseltermin stilisiert worden: in der Visa-Affäre, für die bevorstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und die Bundestagswahl 2006.
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<!-- artikel -->Gestern um zehn Uhr war es so weit: Die Einvernahme von Aussenminister Joschka Fischer vor dem parlamentarischen Visa-Untersuchungsausschuss samt direkter TV-Übertragung beginnt. Der mediengewandte grüne Politiker ist anfangs sichtlich nervös: Seine Stimme ist brüchig, knarrt noch mehr als sonst. Schon in den ersten Minuten widmet er sich dem Kern der Vorwürfe, während seiner Amtszeit seien ohne grosse Prüfung die Schleusen für die Einreise vor allem aus dem Osten weit geöffnet worden: Bevor der Ermessensspielraum für einzelne Visa-Anträge überhaupt zur Anwendung gekommen sei, hätten die Botschaften verschiedene Prüfungsstufen zu beachten gehabt, sagt er und nennt die diesbezügliche Vorwürfe «infam».
Aber: «In einem Amt werden Fehler gemacht, und da trage ich die Verantwortung. Im Moment, wo ich meinen Namen darunter setze, bin ich verantwortlich.» Seine Kernaussage: «Ich hätte früher informiert werden und eingreifen müssen.» Er habe die Lage vor allem als Problem von Personalressourcen gesehen. Die massenhafte Einreise aus der Ukraine sei ein «singuläres Ereignis» gewesen.
«Eine Majestätsbeleidigung»
Fischer verspricht sich, erzählt davon, dass er eine «Hausbesetzung» im Auswärtigen Amt angesetzt habe, meint aber «Hausbesprechung». Die Vergangenheit hole jeden ein, höhnt sogleich der Vorsitzende, der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl. Fischer, der in seiner Jugend zur Hausbesetzerszene gehört hatte, geht in die Offensive: «Es ist Ihr Problem, dass die Hausbesetzung 1998 (der Amtsantritt von Rot-Grün, Red.) tatsächlich möglich wurde. Das ist das eigentliche Problem dieses Ausschusses, dass Sie Rot-Grün für ein historisches Ungemach halten, eigentlich eine Majestätsbeleidigung gegen währende konservative Herrschaft in diesem Land.»
Von da an, nach einer Stunde Darstellung durch den Minister, scheint bei ihm das Eis gebrochen: Der grüne Minister kommt immer mehr in Fahrt und wettert: «Sie wissen, dass das alles nicht mit Rot-Grün begonnen hat. Dennoch laufen sie durch die Gegend und bezeichnen uns als Zuhälter.» Damit bezieht sich Fischer auf die Erlasse zur Einreisepolitik, die es schon unter der Vorgängerregierung, jener von Helmuth Kohl, gegeben hatte.
Ein Triebtäter?
Gegen Ende seiner Darstellung wird Fischer mürrisch: Es gebe Probleme mit der Einreisepolitik, das solle man nicht bei den Grünen abladen, «das ist so billig, ich finde, was die Opposition betreibt, ist infam». Nach mehr als zwei Stunden Monolog ist Fischer vom Zeugen zum empörten Ankläger geworden. «Skandalisierung» wirft er der Opposition vor: «Wissen sie, was sie in der Ukraine angerichtet haben? Müssen sie mich zum einwanderungspolitischen Triebtäter machen? Sie wissen ganz genau, ihr Ziel ist, mich wegzubekommen.» Immer wieder beteuert er, er wolle «sich nicht rausreden, nicht darum herumreden». «Mir kommen die Tränen», wirft der Vorsitzende Uhl ein, als Fischer gar zu sehr jammert. «Ich kann kein Krokodil weinen sehen, aber darf ich Ihnen ein Taschentuch anbieten», gibt dieser zurück. Und dann führt er unverfängliche Zeugen seiner Politik an, etwa Briefe von Oppositionspolitikern, die eine weitere Liberalisierung anregten: «Was man nicht so alles findet in den Akten», brummt er genüsslich beim Blättern im Wust Papier auf seinem Tisch.
Immer wieder anders reagiert Fischer in der bis in den Abend dauernden Vernehmung: Beim vom Vorsitzenden versuchten Kreuzverhör und der Frage nach der Verantwortung wird der Minister zornig: Erst solle geprüft und erst dann nach Verantwortung gefragt werden. «Die Verantwortung liegt bei mir. Schreiben Sie hinein: Fischer ist schuld.» Der CDU-Vorsitzende im Ausschuss, der Anwalt Eckart von Klaeden, stellt dem Zeugen Fragen von strenger Schärfe. Doch dieser entgleitet immer wieder, weicht geschickt aus. Schliesslich werden die Fragen so konkret, dass Fischer nur mehr Erinnerungslücken zugibt.
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Fischer sagt, er habe in den Jahren 2000 bis 2002, "nicht schnell, nicht entschlossen und nicht umfassend genug als verantwortlicher Minister gehandelt". Fischer sagt: "Das sind meine Fehler! Das ist meine Verantwortung!"
26. April 2005 | |
FISCHER VOR DEM VISA-AUSSCHUSS
Zwölfeinhalb Stunden im Kreuzverhör
Er sei müde, wolle nach Hause und habe nur noch den Wunsch, einen Wein zu trinken, sagte Joschka Fischer nach seinem Auftritt vor dem Visa-Ausschuss. Zwölfeinhalb Stunden war der Außenminister befragt worden. CDU-Mann Schäuble forderte nach dem Kreuzverhör den Rücktritt des Grünen-Politikers. Aus dem Koalitionslager wurde Fischer gelobt.
REUTERSFischer nach der Befragung: "Nach Hause und einen Wein trinken" |
Grünen-Fraktionsvize Reinhard Loske nannte den Auftritt Fischers eine "gelungene Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut". Die Fernsehübertragung habe Fischer geholfen. Sie habe für Transparenz und Klarheit gesorgt, betonte er.
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen bewerten die Aussage Fischers ähnlich. "Der Auftritt Fischers war sehr positiv", sagte Grünen- Landeschefin Britta Hasselmann. Er habe Fehlentwicklungen eingestanden und die Verantwortung übernommen.
Die Opposition bewertete den Auftritt Fischer ganz anders. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble (CDU) forderte den Rücktritt Fischers. Der Minister habe jahrelang Hinweise unterschiedlichster Herkunft auf den Missbrauch der Visa-Erteilung nicht ernst genommen. Im Vergleich mit dem vor Jahren von Fischer selbst geforderten Rücktritt von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) bezeichnete Schäuble einen Rücktritt des Außenministers als fast notwendige Konsequenz.
Auch die Obleute von Union und FDP, Eckart von Klaeden (CDU) und Hellmut Königshaus, werfen Fischer schwere Fehler vor.
Der FDP-Politiker Max Stadler kritisierte dagegen die Befragung Fischers. Der Ausschussvorsitzende Peter Uhl (CSU) hätte deutlich mehr die großen Linien und Versäumnisse in der rot-grünen Visa-Politik herausarbeiten sollen, sagte Stadler der Chemnitzer "Freien Presse". Stattdessen habe er sich bei der Befragung von Fischer in Erörterungen von Details verloren.
Der FDP-Innenexperte forderte dieses Versäumnis in den kommenden Fragerunden auszugleichen. Stadler geht davon aus, dass der Außenminister ein weiteres Mal vor den Untersuchungsausschuss geladen werden müsse. Stadler ist stellvertretendes Mitglied des Gremiums.
Der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter bescheinigte Fischer einen geschickten Auftritt. "Was die Selbstdarstellung und seine rhetorische Präsentation angeht, war er sehr gut. Herr Fischer hat in den ersten beiden Stunden die Sitzung dominiert und gepunktet." Fischer habe Fehler eingestanden und die Verantwortung für Versäumnisse übernommen. Es sei aber auch deutlich geworden, dass Fischer "zeitweise sein Ministerium nicht richtig im Griff hatte".
Quelle: Spiegel
Solche Blockateure braucht das Land!
Ich stelle mir gerade vor wie einige zu Hause am Frühstückstisch Frau & Kinder auf sprachliche Unzulänglichkeiten hinweisen & damit schon im Frühtau jegliche Motivation auf Eigenleben im Keim ersticken.
So wie sich manche hier ausdrücken redet kein vernünftiger Mensch der verstanden werden will.
Es gibt hier viele Gegner dieser rot-grünen Machtkoalition, leider aber nicht in den Mod-Fraktionen von Ariva.
Die Sozialpolitik und die Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland sollen 1996 zu den bestimmenden politischen Themen der Grünen werden. Die Grünen sprachen sich nach den Worten von Andrea Fischer dafür aus, anstelle der bisherigen Sozialhilfe eine bedarforientierte materielle Grundsicherung einzuführen. Fraktionschef Joschka Fischer warnte davor, die Sicherung des Wirtschaftsstandortes mit dem Verlust des Sozialstaates erkaufen zu wollen.
Die Arbeitnehmer haben nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auch 1995 reale Einkommenseinbußen von einem Prozent hinnehmen müssen. Die Kaufkraft sei in den letzten drei Jahren um insgesamt fünf Prozent zurückgegangen, berichtete DGB-Vorstandsmitglied Michael Geuenich.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge seien 1995 die Bruttolöhne einschließlich aller Lohnnebenkosten zwar um 3,4 Prozent gestiegen, die Nettogehälter jedoch nur um 0,8 Prozent, betonte der Gewerkschafter. Bei einer Inflationsrate von 1,8 Prozent bedeute dies real einen Kaufkraftverlust für die Arbeitnehmer.
Die Kameras laufen, der Grüne ist in seinem Element.
Statt eines Frontalangriffs, den alle erwarten, gibt sich Fischer zunächst ganz bescheiden. Mit leiser Stimmer erklärt er: „Ich übernehme die volle Verantwortung.“ Fischer wirkt zerknirscht, sammelt Sympathiepunkte.
Doch Sekunden später greift der Minister die Opposition hart an: „Was Sie hier betreiben, ist eine unsägliche Skandalisierung. Das hat mit Sachaufklärung nichts zu tun.“ Nach zwei Stunden und achtzehn Minuten Monolog ist es Fischer scheinbar gelungen, den Visa-Skandal kleinzureden.
Doch der Außenminister hat seinen Gegner unterschätzt! CDU-Chefankläger Eckart von Klaeden bohrt im Kreuzverhör nach. Und plötzlich erleben die Zuschauer einen Minister, der ins Schlingern kommt, sich verhaspelt, stottert:
An Warnungen und Gespräche mit Innenminister Otto Schily über den Visa-Mißbrauch kann er sich „überhaupt nicht erinnern“. Und peinlich: Trotz wochenlanger Vorbereitung auf die Vernehmung hat Fischer keine blasse Ahnung, ob das brisante Thema jemals im Kabinett besprochen wurde.
Auch die Hilferufe seiner Botschafter aus Moskau und Kiew, wo Mafiabanden mit deutschen Visa dunkle Geschäfte machten, hätten ihn nicht erreicht: „Mir liegt da keine Erinnerung vor.“
Kleinlaut räumt der Minister einen schweren Fehler ein: 1999 sei in seiner Amtszeit ein Erlaß ergangen, nach dem Visa-Anträge weniger gründlich geprüft wurden.
Aber auch da relativiert Fischer sein Geständnis: Den genauen Wortlaut habe er nie gesehen.
Nach Fischers Auftritt vor dem Ausschuß steht fest, der grüne Außenminister hatte seine Behörde nicht im Griff, übernimmt „Verantwortung“ ohne Konsequenzen – und hat noch lange nicht alle Fragen beantwortet. Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte erneut Fischers Rücktritt.
Frage: Herr Minister, gibt es irgend etwas, an das Sie sich mit Sicherheit erinnern können?
Antwort: Nach meiner Erinnerung, Herr Abgeordneter: Nein.
frech
dreist
intelligent
Komisch, wieso erinnert der mich immer in seinem
Auftreten an H.?
Ciao
Bernd Mi
Der Verlierer: Hans-Peter "Crocodile" Uhl (CSU) Ausschussvorsitzender. Stellte Fischer Fragen wie: "Sind Sie der Meinung, dass Sie Ihr Haus noch im Griff haben?" Er ist vermutlich der Einzige, der sich heute noch wundert, warum Fischer darauf nicht "Nein, bin ich nicht, leider" antwortete.
Was Fischer an Uhl nicht mag:
"Herr Vorsitzender, das mag ich an Ihnen nicht, dass Sie immer gleich zur Rechenschaft ziehen wollen."
Fischers klare Bekenntnisse:
"Ich geb es offen zu."
"Ich habe nichts zu verbergen."
"Ich kann das offen sagen."
"Mir liegt keine Erinnerung vor."
taz Nr. 7649 vom 26.4.2005, Seite 13, 22 Zeilen (TAZ-Bericht)
SPIEGEL ONLINE - 25. April 2005, 20:03
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,353407,00.html
Pressestimmen
"Der Höhepunkt des Skandals ist vorüber"
Der Auftritt von Außenminister Jochka Fischer vor dem Visa-Untersuchungsausschuss ist in den Kommentaren der Tageszeitungen vom Dienstag das beherrschende Thema. SPIEGEL ONLINE präsentiert Auszüge:
"Süddeutsche Zeitung"
Der Tag im Visa-Untersuchungsausschuss wird ihn eher wieder stabilisieren: Der Höhepunkt dieser Skandalgeschichte ist jetzt wirklich überschritten, neue Erkenntnisse gibt es nicht, es wird sie wohl auch nicht mehr geben. Es geht jetzt um die Bewertung der schon bekannten Fakten: Denn bekanntlich verwirren nicht die Dinge die Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge. Und hier führt der Fischer-Tag im Untersuchungsausschuss zur längst notwendigen Redimensionierung des Skandals. Die Maßlosigkeit der Kritik an Fischer hat die Öffentlichkeit über viele Wochen in Bann gehalten - der Außenminister wurde der Anstifter zu einer Invasion von Nutten, Verbrechern und Schwarzarbeitern aus der Ukraine dargestellt. Diese Maßlosigkeit ist es jetzt, die den Kritikern am meisten schadet - und mit der Fischer leicht Punkte machen konnte.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Im Visa-Untersuchungsausschuss geht es beileibe nicht um "umfassende Aufklärung" (Fischer), sondern um möglichst große Wirkung auf die Öffentlichkeit. Dieses immer schon existierende Motiv aller Beteiligten wurde durch die Übertragung im Fernsehen noch verstärkt. "Die Opposition hatte und hat es da weit schwieriger als der Zeuge, muss sie doch die Wühlarbeit in dieser Untersuchung leisten, um am Ende nur das bestätigen zu können, was Fischer mit großer Geste schon zugab: dass er die Verantwortung für sein Versagen und das seines Ministeriums trägt". Über das Schicksal des Außenministers befindet nicht der Ausschuss, sondern der Kanzler. Und auch dem kommt es in diesem Fall nicht zuerst auf die Wahrheit, sondern auf die Wirkung an. Fischer gab sein Bestes. Man wird sehen, wie weit das noch reicht.
"Stuttgarter Nachrichten"
Es ist diese Verquickung von zerknirschter Verteidigung und lustvollem Angriff, die Fischer so meisterhaft beherrscht, dass es dem Ausschuss schwer fällt, Vorwürfe von Fakten und Mutmaßungen von Argumenten sauber zu trennen. Der Außenminister braut mit vielen unterschiedlichen Zutaten ein Getränk, von dem man schon bald kaum mehr weiß, woraus es eigentlich besteht. Fehlentwicklungen? Ja! Skandal? Nein! Verantwortung? Ja! Konsequenzen? Nein! Und so weiter. Frei nach Hegel lässt sich das Ergebnis wie folgt in Worte fassen: Was nicht mehr verstanden wird, hat aufgehört zu existieren.
"Leipziger Volkszeitung"
Solange Fischer für die politischen Ankläger in erster Linie der Ex-Straßenkämpfer ist, der als eine Art Hausbesetzer im Auswärtigen Amt eine Provokation darstellt, sind Streitereien um missverständliche Erlasse in einer Visa-Angelegenheit bloße politische Hilfsargumente. Die taugen zum Sturz Fischers von Platz eins der Popularitäts-Hitliste - aber nicht zum freiwilligen Amtsverzicht. Erleichtert wird diese Sicht der Dinge durch den voreingenommensten Ausschussvorsitzenden in der Bundestagsgeschichte, als der CSU-Mann Uhl sich immer wieder präsentiert. Es hat schon seinen Grund, dass CDU-Chefin Angela Merkel offenbar mit größerem Entsetzen auf dessen Wirken blickt als auf offenbar gewordene schwere Versäumnisse in der praktischen Visa-Politik.
"Westdeutsche Zeitung"
Wer erwartet hatte, hier würde eine tolle Fischer-Show geboten, wurde enttäuscht. Der Bundesaußenminister, hochachtungsvoll "Bundesminister des Äußersten" genannt oder "größter anzunehmender Außenminister" ("Die Zeit") oder sogar "Gottvater" (Grünen-Jargon), schrumpfte vor dem Visa-Ausschuss auf das Nieveau des Leiters einer ganz normalen Behörde in Deutschland. In der arbeiten Beamte, wie sie dem Alltagsklischee entsprechen: Da interessiert sich der Eine nicht für das, was der Andere tut. Im Zweifel lehnt man mit dem Hinweis, nicht zuständig zu sein, jede Verantwortung ab. Und wenn es ganz dicke kommt, kann man sich nicht erinnern.
"Hannoversche Allgemeine Zeitung"
Der Außenminister beteuert immer wieder, die handwerklichen Fehler in der Visa-Praxis seien mittlerweile abgestellt. Selbst wenn das so ist, kann die rot-grüne Koalition nach der gestrigen Vernehmung allenfalls einmal durchatmen. Die übergeordnete Frage, in welchem Verhältnis künftig die notwendige und wünschenswerte Offenheit des Landes und der verständliche Wunsch der Bevölkerung nach innerer Sicherheit stehen sollen, harrt noch einer Antwort. Erwartet wird diese Antwort vom Bundeskanzler im Bundestag.
"Mitteldeutsche Zeitung"
Er bestreitet nicht, dass Informationen vorhanden waren, die anders bewertet hätten werden müssen. Gefehlt hat es an der nötigen Rückkoppelung des Beamtenapparates zu der Hausleitung. Fischer hat als oberster Dienstherr einer Behörde versagt. Gerade weil die Überlegung richtig ist, dass die Öffnung und Demokratisierung Osteuropas eine erleichterte Visa-Vergabe verlangt, wäre die rechtzeitige Überwachung des Prozesses notwendig gewesen. All dies hat Fischer zugestanden. Doch sein Bekenntnis zur Verantwortung wird ohne Konsequenzen bleiben. Er sieht sich nicht zum Rücktritt veranlasst, und der Kanzler glaubt, ihn mit Rücksicht auf die Koalition nicht entlassen zu können. Das mag Rot-Grün eine Atempause verschaffen, aber es schadet der politischen Kultur. Nähme Fischer die Ministerverantwortung ernst, müsste er seinen Hut nehmen.
"General-Anzeiger", Bonn
Die Wahrheit ist schlicht: Der politische Instinkt Fischers hat in einem erschreckenden Umfang versagt. Diesen fatalen Eindruck konnte sein selbstbewusster Auftritt nicht verwischen. Anlass für einen Rücktritt? Wer sein Haus nicht im Griff hat, muss gehen, hat der Ober-Grüne einst Gesundheitsministerin Andrea Fischer zugeraunt. Sie musste ihren Kabinettssitz räumen. Der Außenminister steht unter politischem Naturschutz - ohne ihn gibt es Rot-Grün in Berlin nicht. Aber sein Denkmal bröckelt. Den Zerfallsprozess hat er mit seinem Auftritt nicht wenden können.
"Die Welt"
Fischer versucht den dialektischen Trick: Ich war's zwar formal, aber es ist ja kein Schaden entstanden, für den ich an den Pranger muss. Doch dieser Trick funktioniert in der Befragung durch den Ausschuss nicht mehr: Zu sehr muss Fischer die Fakten biegen. Und zu oft kann er sich an sie gar nicht mehr erinnern. Wann er wie informiert war? Fehlanzeige. Wie die Warnungen des Innenministers weggeräumt wurden? Keine Ahnung. Was Fischer bei dieser Erinnerungsakrobatik vergisst, ist der Eindruck, den er hinterlässt: der eines Ministers, der seinen Laden nicht im Griff hat. Das mag die Taktik sein, um sich allen präzisen Fragen weiterhin entziehen zu können. Aber das hat seinen Preis. Denn am Ende geht es nicht um die politische Verantwortung, sondern um die tatsächliche.
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Absoluter Neuling
SPIEGEL ONLINE - 26. April 2005, 09:13
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,353436,00.html
Auslandspresse
"Erste Runde an Fischer"
Viele ausländische Zeitungen beschäftigten sich mit dem Auftritt von Joschka Fischer vor dem Visa-Ausschuss. Eine Auswahl:
"Daily Telegraph" (London): "Joschka Fischer, Deutschlands bedrängter Außenminister, musste sich gestern abstrampeln, um sein politisches Überleben zu sichern. Deutschlands farbigster Politiker - und einer der engsten Verbündeten von Bundeskanzler Gerhard Schröder - stellte sich seinen Kritikern im Parlament sehr direkt, indem er Fehler zugab und darauf bestand: "Schreiben Sie auf, Fischer ist schuld." Doch nach etwa sieben Stunden begann Fischer - deutlich frustriert und ermüdet - wütend zu werden und mit lauterer Stimme zu sprechen.
Einwanderung war immer schon ein heißes Eisen in Deutschland, ist jetzt aber besonders brisant, da die Arbeitslosigkeit auf dem höchsten Stand seit dem Krieg ist und osteuropäische Arbeiter wiederholt beschuldigt werden, den Deutschen die Arbeitsplätze wegzunehmen."
"Times" (London): "Joschka Fischer, der bedrängte deutsche Außenminister, hat es nicht geschafft, mit seinem gereizten Auftritt Zweifel an seiner politischen Zukunft auszuräumen. Fischer könnte durch die Diskussion über eine Lockerung der Visabestimmungen noch immer zu Fall gebracht werden.
Die Kontroverse droht auch die Regierungskoalition zu untergraben. Die Gefahr für Bundeskanzler Gerhard Schröder wird langsam akut. Am 22. Mai wählt Nordrhein-Westfalen. Das ist die letzte Region, die noch von Sozialdemokraten und Grünen gehalten wird. Vieles deutet darauf hin, dass sie auch dieses Land verlieren werden, unter anderem weil die Grünen durch den Fischer-Skandal belastet werden."
Tages-Anzeiger" (Genf): "Fischers Strategie geht auf, denn was wiegt eine Informationspanne gegenüber den großen Aufgaben der Weltpolitik? Bleibt, dass Fischer am Montag seine Schuld umfassend eingestanden hat. Um seinen Rücktritt zu fordern, reicht das gleichwohl nicht. ...
Die Regierung hofft darauf, dass die Öffentlichkeit nach dem stundenlangen Verhör Fischers bald das Interesse für das komplizierte Thema verliert. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Rechnung aufgeht, ist groß. Ein Risiko bleibt: Wenn in den nächsten Wochen Zeugen oder neue Dokumente auftauchen sollten, die Fischer einer Lüge überführten, würde es für den Minister noch mal gefährlich. Doch fürs Erste ging die Runde an Fischer."
Neue Zürcher Zeitung" (Zürich): "Der Auftritt des deutschen Außenministers Fischer vor dem so genannten Visa-Ausschuss des Bundestages in Berlin hat wohl weitgehend dem entsprochen, was man hatte erwarten müssen: ein geschicktes, langatmiges Taktieren des Zeugen zwischen reuevoller Schuldzuweisung an sich selbst und frischen Attacken auf einzelne Mitglieder des geduldig zuhörenden Gremiums.
Der Ausschuss ließ es über sich ergehen, dass Fischer einen Filibuster-ähnlichen Monolog von weit über zwei Stunden Länge zum Hergang der Affäre und zu seiner Rolle in derselben hielt, ehe er dann den Zeitpunkt für reif erachtete, Fragen zuzulassen. Stil und Stoßrichtung standen sich dabei diametral gegenüber. Hier der mit allen Wassern gewaschene Politprofi, der elastisch die zu erwartenden Fragen im Voraus abfederte, dort das spröde Komitee, das Fischers Eloquenz nichts entgegenzusetzen hatte und es kaum vermochte, den Finger auf die Schwachstellen des Marathon-Vortrages zu legen."
La Repubblica" (Rom): "Prozess gegen den Helden der 68-Generation und der deutschen Linken live im Fernsehen. Einen ganzen Tag lang wurde der Außenminister und stellvertretende Regierungschef Joschka Fischer vom parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Angeklagter verhört. Eine Reality-Show ohne Beispiel, die von den deutschen Fernsehanstalten von morgens bis abends über die Sender gebracht wurde. ...
Unter Druck der untersuchenden Parlamentarier hat Fischer erstmals seine Schuld zugegeben, lehnt es aber ab zurückzutreten. Das dramatische Geständnis live im Fernsehen kann katastrophale Folgen für die Landtagswahl am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen haben, wo die Linke bereits jetzt als Verlierer gilt."
"Corriere della Sera" (Mailand): "Die Visa-Affäre scheint jetzt zwar ihr Potenzial zur politischen Vernichtung verloren zu haben. Aber der größte Schaden ist bereits entstanden, und es scheint, als sei dieser nur sehr schwer wieder zu beheben. Fischer ist vom Podest des beliebtesten Politikers in Deutschland gestoßen worden, auf dem er sich in den gesamten vergangenen sechs Jahren befunden hatte."
"Der Standard" (Wien): "Dass Fischer bleiben will und - so wie es im Moment aussieht - auch bleiben wird, hat weniger damit zu tun, dass keine gravierenden Fehler passiert sind. Der bis vor kurzem noch beliebteste deutsche Politiker ist in Schröders Kabinett unverzichtbar. Wenn er fällt, gerät die ganze Koalition ins Wanken und Schröder kann sich bei der nächsten Wahl die Fortsetzung eines rot-grünen Bündnisses abschminken.
Deshalb sieht es im Moment so aus, als bleibe Fischers Fehlverhalten ohne Folgen. Und dennoch: Auch wenn Fischer die Befragung im Ausschuss aufrecht hinter sich gebracht hat, bleibt doch ein politischer Schaden. Der Außenminister wird sich noch lange vorwerfen lassen müssen, dass er aus "ideologischer Verblendung" dem Schleppertum Tür und Tor geöffnet hat ... . Letztendlich treffen die Wähler die Entscheidung darüber, wem sie Glauben schenken."
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Absoluter Neuling
SPIEGEL ONLINE - 26. April 2005, 00:52
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,353420,00.html
Visa-Affäre
Schäuble fordert Rücktritt Fischers
Der CDU-Politiker und Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble hat nach der Vernehmung von Joschka Fischer vor dem Visa-Untersuchungsausschuss den Rücktritt des Außenministers gefordert. "Andere sind wegen anderer Dinge zurückgetreten worden", sagte Schäuble.
DDPCDU-Politiker Schäuble: "Wir haben keinen Außenminister mehr" |
Berlin - Im Vergleich mit dem vor Jahren von Fischer selbst geforderten Rücktritt von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) bezeichnete Schäuble am Montag im Fernsehsender Phoenix einen Rücktritt des Außenministers als fast notwendige Konsequenz. "Andere sind wegen anderer Dinge zurückgetreten worden", sagte Schäuble mit Blick auf die Rolle Fischers bei der Ablösung der damaligen Gesundheitsministerin.
Schäuble bezeichnete insbesondere den Umstand, dass über Jahre Hinweise unterschiedlichster Herkunft auf den Missbrauch der Visa-Erteilung im Außenministerium nicht ernst genommen wurden, als Grund seiner indirekten Rücktrittsforderung.
Aus der Sicht Schäubles hat die Visa-Affäre schon jetzt sichtbare Folgen. "Wir haben keinen Außenminister mehr", sagte er in der Sendung. Die deutsche Außenpolitik werde derzeit nur sprunghaft im Kanzleramt gemacht.
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Absoluter Neuling
In einer der wichtigsten Wahlkampfveranstaltungen für NRW und Bund machten die Obleute der Opposition vor dem Ausschuss eine schlechte Figur.
Schlecht vorbereitet? Unwahrscheinlich.
Politische und Rhetorische Unfähigkeit? Wahrscheinlich.
Fragt sich, ob die Union keine Besseren hat oder ob es sich um eine Fehleinschätzung der Bedeutung des U-Ausschusses handelt.
In beiden Fällen: *lol*
Absoluter Neuling
Umfrage - Ergebnis
Der Außenminister präsentiert sich vor dem Untersuchungsausschuss. Halten Sie ihn für glaubwürdig?
haben die n-tv.de Nutzer folgendermaßen geantwortet:A:Ja
40%B:Nein
60% tr>Abgegebene Stimmen:22159
Warum?
Weil die 68er der Tod einer jeden funktionierenden Marktwirtschaft sind.
Du als Arbeitsloser kannst doch bestimmt ein Lied davon singen, oder nicht?