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Rebellion gegen Gaspreiserhöhungen
Von Michael Houben „Geiz ist Geil!“, tönt es im heiß umkämpften Elektronikmarkt. Blöd also, wer nicht vergleicht. Teure Anbieter haben keine Chance. So einfach funktioniert Wettbewerb. Wer das nicht weiß, dem hämmert es die Werbung ein, teilweise auch drastisch: „Lasst euch nicht verarschen, vor allem nicht beim Preis.“ Dieses Motto haben sich in Paderborn inzwischen einige tausend Erdgaskunden zu Eigen gemacht. In regelmäßigen Abständen finden Informationsabende statt, die immer von weit über 100 Bürgern besucht werden. Sie protestieren hier gegen die Preiserhöhung ihres Lieferanten, E.ON Westfalen Weser. Die aufgebrachten Bürger verweigern dem Konzern schlichtweg die Zahlung der geforderten Preiserhöhungen von über elf Prozent. Aber warum tun Sie das? Warum zahlen Sie nicht einfach wie früher den höheren Preis? Importpreis kontra Verkaufspreis Schon im Juli hatte [plusminus darüber berichtet, dass die Gasgroßhändler Preiserhöhungen ankündigen wollten. Gleichzeitig bewies eine Tabelle des Statistischen Bundesamtes: Der Importpreis, den die Konzerne für Erdgas zahlen, war seit Jahren gesunken. Nur die Endverbraucherpreise stiegen. Die öffentliche Tabelle des Bundesamtes wurde zwar seit der Sendung nicht mehr aktualisiert, doch [plusminus hat die neuen Daten: Im Juli lag der Importpreis 5,5 Prozent unter dem Vorjahreswert, im August immer noch drei Prozent. Da hatten die Gasversorger schon mit Preiserhöhungen begonnen. Glänzende Geschäfte Der Unmut der Kunden wird durch die kürzlich veröffentlichten Quartalsergebnisse von E.ON noch geschürt. Zum Konzern gehört der zweitgrößte Stromversorger, der größte Gasimporteur und zwei große regionale Gasversorger. Der Umsatz bei Gas stieg seit Jahresbeginn um zwei Prozent, bei Strom sogar um vier Prozent. Obwohl das eigentlich nicht allzu große Zuwächse sind, verweist das Unternehmen ausdrücklich darauf, dass die Umsatzsteigerung durch aufgekaufte Auslandsunternehmen entstanden sind. Wo allerdings der Gewinn entstand, verrät der Konzern nicht. Und der stieg seit Januar um 17 Prozent. Gleichzeitig kaufte E.ON Teile der ungarischen, rumänischen und bulgarischen Gas- und Stromversorgung für insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Die Gaspreisrebellen hegen den Verdacht, es sei ihr Geld, das der Konzern da im Ausland investiert. Einer Ihrer Sprecher formuliert es ironisch: „Wenn E.ON mein Geld möchte für Investitionen, dann sollen sie auf den Kapitalmarkt gehen und sich das Geld dort holen. Ich bin ja gern bereit, Aktien zu kaufen oder mich an dem Unternehmen zu beteiligen. Die sollen Anleihen ausgeben aber nicht mich Verbraucher als Melkkuh benutzen.“ Ölpreisbindung Weil die früheren Stadtwerke Paderborn inzwischen zum E.ON-Konzern gehören, der selbst an den russischen Gasquellen mit einem kleinen Anteil beteiligt ist, sieht die Kundschaft hier von der Quelle bis zu ihrem Gasherd „alle Teile des Erdgasmarktes in einer Hand“. Auch deshalb nehmen viele Kunden die Begründung für die Preiserhöhung nicht mehr ernst. E.ON Westfalen Weser gibt nämlich als Grund für die Preiserhöhung - wie alle anderen Versorger - die Steigerung des Ölpreises an. Im Erdgashandel seien die Preise grundsätzlich an den Ölpreis gekoppelt. Eine solche Argumentation wäre vermutlich in jedem anderen Bereich der Marktwirtschaft unvorstellbar. Was würde ein Kunde wohl sagen, wenn zum Beispiel der Preis für Digitalkameras steigt, weil die Händler den Preis für diese Kameras an den von Fotopapier oder Farbfilmen koppeln? Endlich Transparenz Beim Erdgaspreis hat ein Kunde nicht einmal die Chance, das Angebot seines Lieferanten mit anderen Anbietern zu vergleichen. Doch das hat [plusminus jetzt geändert: Die Preise von gut 600 Gasversorgern können im Internet abgerufen und auf vielfältige Weise miteinander verglichen werden. Das Ergebnis zeigt: Obwohl sich alle Versorger bei der Preisfindung auf den Ölpreis berufen, sind die Endkundenpreise sehr unterschiedlich. 20.000 Kilowattstunden sind im hessischen Bad Vilbel bundesweit am günstigsten zu bekommen. 317 Euro teurer im Jahr ist das Gas in Angermünde. Hier beträgt der Spitzenpreis 1.156 Euro. Nur einige Kilometer entfernt ist die gleiche Abnahmemenge schon wieder knapp 200 Euro preiswerter. Viele Preiserhöhungen dieses Herbstes liegen über 12 Prozent. Doch nicht jeder Gasversorger muss wegen der Ölpreisbindung die Preise erhöhen. Einige, auch zuvor schon preiswerte Anbieter, haben ihre Preise in diesem Juli sogar noch gesenkt - um gut 2,5 Prozent zum Beispiel die Gas und Wasserwerke im saarländischen Bous-Schwalbach. Warum werden Kunden rebellisch? Theoretisch könnte ein Gaskunde natürlich zum Erdöl wechseln. Doch dafür benötigt man einen Tank. Außerdem fehlt den meisten Neubauten heute schlicht der Schornstein. Moderne Gasthermen hängen direkt unter dem Dach und haben nur eine Art Auspuff. Umrüsten auf andere Brennstoffe ist daher oft kaum möglich, ebenso wie bei den meisten Gasetagenheizungen. Doch viele Kunden hängen nicht nur ohne Alternative am Erdgas, sie haben auch keine Chance, sich den Gaslieferanten auszusuchen. Doch erstmals scheinen die Kunden das in großer Zahl nicht mehr hinnehmen zu wollen und protestieren. Der Bund der Energieverbraucher und einzelne Verbraucherzentralen empfehlen sogar, die Preiserhöhung nicht zu zahlen. Und schon wenige Wochen nach Beginn der Aktion meldete allein der Paderborner Gasversorger mehr als 2.600 eingegangene Schreiben. Aus Hamburg und Bremen wurden bereits Zahlen von mehr als 10.000 rebellischen Kunden genannt. Verbraucherverbände veröffentlichten kürzlich eine Schätzung von mindestens 50.000 Preiserhöhungsverweigerern in ganz Deutschland. Wie funktioniert die Rebellion? Von Gaspreiserhöhung betroffene Kunden, können sich laut Bund der Energieverbraucher auf das Bürgerliche Gesetzbuch berufen. Der Paragraph 315 betrifft die einseitige Preisfestsetzung durch einen Lieferanten. Er definiert die so genannte Billigkeit. Ein verlangter Preis muss sachlich begründbar sein. Vor allem aber: Ein Kunde kann den Nachweis der Billigkeit verlangen - zur Not vor Gericht. Der Kunde muss den Lieferanten dafür nicht verklagen. Wenn der Gasversorger die geforderte Preiserhöhung kassieren will, muss er sie vor Gericht einklagen und dafür laut Bund der Energieverbraucher seine komplette Preiskalkulation offen legen. Auf seiner Homepage bietet der Bund der Energieverbraucher weiterführende Informationen und ein Musterschreiben, das man an den Gasversorger schicken kann. Der Kunde soll demzufolge nach Paragraph 315 die Billigkeit des neuen Preises bezweifeln, die Offenlegung der Kalkulation fordern, nur den alten Preis zahlen und die Einzugsermächtigung kündigen. Stattdessen richtet man einen Dauerauftrag ein. Wichtig ist der Vermerk: „Abschlag laufender Monat“, sonst verrechnet der Gasversorger den Betrag mit aufgelaufenen Rückständen und behauptet, man hätte den laufenden Monat gar nicht bezahlt. Wenn die Jahresabrechnung kommt, müsste ein „Gaspreisrebell“ den alten Preis ausrechnen und nur diesen Betrag überweisen. Frieren braucht deswegen wohl trotzdem niemand. Laut Bund der Energieverbraucher darf einem Kunden, der sich auf Paragraph 315 beruft, das Gas nicht abgestellt werden. Weitere Informationen: - Erster bundesweiter Gaspreisvergleich
[plusminus-Datenbank
- „Gaspreise runter“
Aktion vom Bund der Energieverbraucher
- Paderborner Gaspreisrebellen
- Gasimportpreise
Excel-Tabelle (Stand: Juli 2004)
- E.ON Westfalen Weser AG
WDR [plusminus Appellhofplatz 1 50667 Köln E-Mail: plusminus@wdr.de Dieser Text gibt den Fernseh-Beitrag vom 07.12.2004 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
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