Culture Club
komplett: http://www.heise.de/tp/artikel/46/46109/3.html
'...Will man der Zukunft der Nation ansichtig werden, so reicht hierfür ein Blick gen Süden. In die durch separatistische Bewegungen zerrütteten Staaten Südeuropas, oder weiter in die Zusammenbruchsregionen des globalen Südens. Die historische Zeit des Nationalstaates, dem die krisenhafte Globalisierung das ökonomische Fundament entzogen hat, ist somit tatsächlich abgelaufen....
Es sieht nun wirklich nicht gut aus: Die Ahnung vom nahenden Ende der Nation löst massenhaft eine reaktionäre Rückbesinnung auf die als Kampfgemeinschaft verstandene Nation hervor. Die bösartige Panik in den Foren, die überschäumende Wut, die all die Gossen des Internets überflutet und sich immer öfter in pogromartigen Aufmärschen oder Brandanschlägen manifestiert - sie sind Vorboten der kommenden Barbarei. Selbst der gemeine und grenzdebile Forentroll ahnt, dass eine gewaltige Erschütterung auf ihn zukommt.
Die abgetakelte Idee der Nation fungiert hier nur noch als oberflächliches Legitimationsmuster im drohenden Eintritt Europas in den Weltbürgerkrieg, der in der Peripherie des kapitalisierten Weltsystems längst schon tobt - und der die Nationen in Anomie versinken lässt. Der kaum noch einzudämmende Hass im Netz, die zur mörderischen Tat drängende Wut der ohnmächtigen spätkapitalistischen Subjekthüllen, sie könnten nur Vorstufen des drohenden Gemetzels darstellen:
Die Menschen bemächtigen sich zunächst der Sprache der Gewalt, bevor sie zu Akten der Gewalt übergehen.
Diese während des Jugoslawienkrieges gemachte Beobachtung des US-Journalisten Chris Hedges, sie gilt nun auch für das im nationalistischen Delirium versinkende Europa.
...Der wichtigste Hort des spätkapitalistischen "wahnsinnigen Raubaffen" ist die Mittelklasse, jene prekäre Schicht, die sich nach Oben orientiert und nach Unten abzudriften droht. Hier ist die Produktion von Panik am Ausgeprägtesten, die Mentalität des "Rette sich, wer kann" am Stärksten verbreitet. Die Nation gilt hier inzwischen als Trutzburg, in der man sich abschotten könne.
Mittels eines verstärkten Grenzregimes, durch den Ausschluss der Flüchtlinge, der Krisenverlierer (durch deren inzwischen offen diskutierte Konzentrierung in Lagern in Nahost), hofft man auch, die Krise draußen halten zu können. Es würde reichen, die Grenzen tatsächlich mal drei Wochen für deutsches Kapital und deutsche Waren zu schließen, um dieses Wahngebilde zu entkräften.
Und selbstverständlich stellt dieser neue alte Nationalismus nur ein Übergangs- und Verfallsphänomen dar, das den voranschreitenden Barbarisierungsprozess begleitet. Die Angst vor islamistischen Banden instrumentalisierend, formieren sich nun rechtsextreme Banden
Es ist gerade diese im Namen der Nation drohende Bandenherrschaft, die den Zerfall der Nation beschleunigt, wie etwa das Beispiel der Ukraine illustriert, wo die unzähligen faschistischen Banden und Milizen für eine Großukraine kämpfend den Zerfall des Landes forcieren. Inzwischen kämpfen die Milizen des Rechten Sektors nicht mehr gegen das "russische Imperium", sondern - ganz wie ihre Vorbilder aus den Elendsregionen der Peripherie - um die Kontrolle von Schmuggelrouten und Schwarzmärkten.
Alle wollen Irgendwen hängen sehen. Die Wut fordert Opfer, damit alles wieder gut werden kann. Die Naturalisierung des Kapitalismus geht mit einer Personifizierung der unverstandenen systemischen Krisenursachen einher, sodass die Suche nach Sündenböcken für den sich immer deutlicher Abzeichnenden Kollaps des Kapitals inzwischen manische Züge erreicht hat.
Die Feindbilder des im Internet grassierenden Raubaffen wechseln - oftmals noch durch die unter zunehmenden Kontrollverlust leidenden Massenmeiden angefacht - fast im Tagesrhythmus. Gestern war es noch der Grieche, vorgestern der Russe, heute ist es der Araber, übermorgen eventuell wieder der Jude. Das Ganze hat Ähnlichkeit mit den Hexenverbrennungen der frühen Neuzeit, die ja ebenfalls durch eine mörderische Personifizierung von unverstandenen gesellschaftlichen Umbrüchen befördert wurden....'
“Man is condemned to be free; because once thrown into the world, he is responsible for everything he does.”