Wir leben in einer Halluzination
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 13.07.25 18:14 | ||||
Eröffnet am: | 13.07.25 12:59 | von: Salat19 | Anzahl Beiträge: | 2 |
Neuester Beitrag: | 13.07.25 18:14 | von: goldik | Leser gesamt: | 226 |
Forum: | Talk | Leser heute: | 97 | |
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Im Jahr 1980 führten Forscher der Dartmouth University eine Studie durch, die unser Verständnis von Wahrnehmung und Realität eigentlich erschüttern sollte.
Den Teilnehmern wurde gesagt, dass sie an einem psychologischen Experiment teilnehmen würden, das untersucht, wie Menschen auf Gesichtsentstellungen reagieren. Jedem wurde mit Theaterschminke eine täuschend echte Narbe auf die Wange geschminkt. Die Teilnehmer betrachteten sich im Spiegel und wurden an den Zweck erinnert: mit Fremden zu interagieren und anschließend zu berichten, wie sie behandelt wurden.
Dann kam der Clou der Versuchsanordnung.
Kurz bevor sie hinausgeschickt wurden, sagten die Maskenbildner, sie müssten noch eine letzte Korrektur vornehmen. In Wirklichkeit entfernten sie die Narbe vollständig. Die Teilnehmer glaubten weiterhin, sie seien entstellt, und gingen mit dieser Überzeugung in die Welt hinaus.
Als sie zurückkamen, berichteten sie vorhersehbare Dinge. Menschen seien unhöflich gewesen. Abweisend. Merkwürdig. Einige sagten, andere hätten häufiger weggesehen. Manche fühlten sich bemitleidet.
Aber es gab keine Entstellung. Das Einzige, was sich verändert hatte, war der Glaube der Teilnehmer.
Sie glaubten, beschädigt auszusehen und ihr Gehirn fand exakt das, was es erwartet hatte. Nicht als kognitive Strategie. Sondern als neurobiologisches Muster, das die Wahrnehmung selbst formt.
Ich denke dabei sofort an die vielen Diskussionen um Diskriminierung. Wie viel davon passiert objektiv, wie viel nur subjektiv weil Medien zur Zeit Überempfindlichkeiten nähren und legitimieren? Nichts bringt dem Ego mehr als eine Opferrolle aus der heraus man auch subtil Täter sein und andere anklagen darf.
Aber die Frage ist noch weitreichender. Was ist eigentlich Realität? Die Studie zeigt: Das Gehirn zeigt uns nicht die Realität. Es zeigt uns das, was wir erwarten. Es nimmt Erinnerungen, Traumata, Erwartungen, Werte, Projektionen und malt daraus ein Bild. Du siehst die Welt nicht, wie sie ist. Du siehst, was dein Gehirn bereits geübt hat. Dieses Bild fühlt sich real an, weil es verkörpert ist. Du spürst es im Bauch, in der Spannung in deinen Schultern.
Alles was wir "da draußen“ wahrnehmen wird von dem geformt, was längst "hier drinnen“ ist.
Deshalb können zwei Menschen durch dieselbe Straße gehen und völlig Verschiedenes wahrnehmen. Das konnten wir gut ab April 2020 sehen. Je nachdem welcher Trigger ausgelöst wurde (Angst vor Seuche oder Angst vor Freiheitsverlust) erlebten Menschen sehr unterschiedliche Realitäten.
Das Problem ist nicht Subjektivität. Das Problem ist, dass die meisten Menschen glauben, sie seien objektiv. Wer sich fragt: "Warum können sich Menschen nicht mehr auf einfache Fakten einigen?“ Das ist die Antwort. Weil die meisten Menschen keine Fakten sehen. Sie sehen Vorhersagen.
Jetzt skaliere das hoch. Ein Planet voller Nervensysteme, die ihre Ängste und Ideale auf die Welt projizieren, jedes überzeugt, klar zu sehen, jedes emotional sicher, dass seine Version der Ereignisse die "Realität“ sei.
Bildung macht uns dagegen nicht immun. Im Gegenteil. Akademische Bildung oder kristalline Intelligenz machen die Täuschung eloquenter. Selbstsicherer. Aber es ist Projektion.
Die Menschen in der Studie haben nicht gelogen. Sie haben ihre Erfahrung nicht erfunden. Ihr Schmerz war real. Und das ist das Erschreckende. Du kannst zutiefst leiden wegen etwas, das gar nicht existiert.
Es geht nicht darum, diesen Schmerz abzutun. Es geht darum, Verantwortung für deine Wahrnehmung zu übernehmen.
Nicht sich besser fühlen oder positiv denken. Sondern lernen, die Halluzination zu unterbrechen.
Welche Narbe siehst du immer noch, die längst nicht mehr da ist? Und was würde sich in deinem Leben verändern, wenn du aufhören würdest, an sie zu glauben?
Quelle:
Kleck, R. E. & Strenta, A. (1980). Perceptions of the Impact of Negatively Valued Physical Characteristics on Social Interaction. Journal of Personality and Social Psychology, 39(5), 861–873.
Text basiert auf einem Post von Joe Turan, danke für die Inspiration!