Verteilt Schecks an die Bürger!
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 02.11.07 19:17 | ||||
Eröffnet am: | 26.10.07 17:17 | von: Intermezzo | Anzahl Beiträge: | 8 |
Neuester Beitrag: | 02.11.07 19:17 | von: Intermezzo | Leser gesamt: | 1.129 |
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Die deutsche Politik muss den Konsum stimulieren. Aktiv. Am besten sofort, bevor Amerika, Finanzkrise, Euro und Ölpreis der Wirtschaft die letzten Wachstumskräfte rauben.
Von Robert von Heusinger
Pech für Deutschland, dass es zurzeit keine ernstzunehmende Opposition gibt. Sonst hätte diese die Minister für Wirtschaft und Finanzen an einem Tag wie gestern an den Pranger gestellt. Das Wachstum wird sich nächstes Jahr wieder leicht abschwächen - auf zwei Prozent, prognostiziert Wirtschaftsminister Michael Glos. Warum? Weil es draußen in der Welt eine Finanzmarktkrise gibt, weil der Euro so stark ist und der Ölpreis unaufhaltsam klettert.
Die größte Bremse verschweigt der Minister. Die größte Bremse ist hausgemacht: die Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte von Anfang des Jahres. Viele Volkswirte hatten für eine maßvollere Anhebung plädiert und vor den Folgen des brutalen Vorgehens der großen Koalition gewarnt. Anfangs war die Weltkonjunktur der deutschen Wirtschaft hold und übertünchte die Folgen des Steuerschocks. Doch jetzt, da sich das Tempo des weltweiten Wachstums abschwächt, werden die Schleifspuren sichtbar. Die Mehrwertsteuererhöhung ist der wahre Grund für den noch immer darnieder liegenden privaten Verbrauch in Deutschland.
"Wir haben den deutschen Konsumenten noch nicht aufgegeben", heißt es flehend in einer aktuellen Studie der blaublütigen Investmentbank Goldman Sachs. Diese Studie, die an die oberen Zehntausend des globalen Kapitalismus ging, zeigt, warum der private Verbrauch in Deutschland eines der Schlüsselrisiken für die Weltwirtschaft ist. Wenn die Deutschen nicht endlich wieder mehr Geld ausgeben, genauer: ausgeben können, klappt es mit dem globalen Ausbalancieren der Ungleichgewichte nicht. Dann folgt auf die immer wahrscheinlicher werdende Rezession in Amerika auch eine auf dem alten Kontinent. Dann wird es nichts mit der Abkopplung.
Was Politiker und leider auch Ökonomen in Deutschland gern vergessen: Noch ist Deutschland die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt, gemessen in harten Euro (nächstes Jahr überholt China). Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren an der boomenden Weltwirtschaft gesundgestoßen. Die Nachfrage aus den USA, England, Frankreich und Russland hat hierzulande den Aufschwung beschert und einen Leistungsbilanzüberschuss, der unappetitlich hoch ist. Irgendwann kommt der Punkt, an dem auch Deutschland dem Rest der Welt Nachfrage spendieren muss. Zunächst aus Eigeninteresse, um nicht mit in den Abwärtsstrudel gerissen zu werden. Aber auch, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren. Dieser Punkt ist erreicht.
Seit dem Jahr 2000 stagnieren die Konsumausgaben in Deutschland, während die Menschen im Rest Eurolands heute 15 Prozent mehr einkaufen als vor sieben Jahren, 15 Prozent! Warum? Weil der Aufschwung beim Gros der Menschen nicht ankommt. Erst war es die Lohnzurückhaltung, jetzt ist es die Mehrwertsteuererhöhung, die den Menschen das, was sie in Fabriken und Büros seither mehr erwirtschaften, wegnimmt. Und was sagt der Minister, was sagen die Forschungsinstitute? Im nächsten Jahr ziehe der Verbrauch endlich an. Das sagen sie schon seit drei Jahren.
Deshalb ist die Zeit reif für eine pragmatische Finanz- und Wirtschaftspolitik. Diese Politik muss den Konsum stimulieren. Am besten sofort, bevor Amerika, Finanzkrise, Euro und Ölpreis der Wirtschaft die letzten Wachstumskräfte rauben. Der Finanzminister schwimmt in Geld, die Arbeitslosenversicherung läuft über. Die unnötig scharfe Mehrwertsteuererhöhung rückgängig zu machen ist riskant, da der Handel die Preise nicht senken würde.
Warum nicht Schecks an die Haushalte verteilen und die überschüssigen Steuereinnahmen zurückgeben? So was haben die Amerikaner nach dem 9. September 2001 gemacht. Warum nicht den Freibetrag anheben, ab dem Steuern gezahlt werden müssen? Warum nicht den Arbeitslosenbeitrag nur für die Arbeitnehmer kräftig senken (die Unternehmen brauchen angesichts von Rekordgewinnen derzeit keine weiteren Entlastungen)?
Möglichkeiten gibt es viele. Dafür muss man das Problem erkennen. Und man muss von falschen Vorstellungen Abschied nehmen. Vorstellungen wie der, unbedingt hier und heute Staatsschulden zurückzuzahlen. Was fordert die Oppositionspartei FDP? Genau das. Vorsorge für schlechte Zeiten. Die deutsche volkswirtschaftliche Debatte ist vertrackt, oder um mit dem Fußballer Jürgen Wegmann zu sprechen: Erst hatten wir kein Glück (die große Koalition), und dann kam auch noch Pech hinzu.
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