Ungerecht verteilte Last
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 30.03.08 00:06 | ||||
Eröffnet am: | 29.03.08 23:33 | von: nichts | Anzahl Beiträge: | 2 |
Neuester Beitrag: | 30.03.08 00:06 | von: Eichi | Leser gesamt: | 1.930 |
Forum: | Talk | Leser heute: | 4 | |
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Keine Zahl wurde in der Steuerdiskussion der zurückliegenden Wochen so oft wiederholt wie diese: Etwas mehr als die Hälfte der Einkommenssteuer wird von zehn Prozent der Steuerpflichtigen gezahlt. Manch ein Politiker will gar Märchenhaftes glauben machen. So etwa der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Ende Februar in einer Bundestagsrede: »Die zehn Prozent der Bevölkerung, die am meisten verdienen, zahlen 50 Prozent des Steueraufkommens.« Dabei verwechselt Herr Otto Bernhardt die Einkommenssteuer mit dem Gesamtsteueraufkommen und erweckt so einen falschen Eindruck über die Fairneß des deutschen Systems. Immer wieder soll so bewiesen werden, daß die Last vor allem von den Gutverdienenden geschultert wird. Besänftigt werden soll wohl auch der Ärger über Zumwinkel und Co, Leute, die ihr Geld in Steueroasen bunkern, obwohl sie die fälligen Abgaben doch locker bezahlen könnten. Einer genaueren Prüfung hält die Behauptung vom gerechten deutschen Steuersystems jedoch nicht stand.
Regressive Steuern
2005 wurden 34,8 Prozent der in Deutschland erwirtschafteten Einkommen über Steuern und Sozialabgaben (für die gesetzlichen Versicherungen – d. Red.) vom Staat eingesammelt. Steuern auf Einkommen und Gewinne sowie auf Vermögen belaufen sich nach Angaben der OECD auf 10,8 Prozent. Diese belasten gutverdienende Haushalte stärker, wirken also progressiv. 24 Prozent wurden durch Sozialabgaben und Konsumsteuern aufgebracht und wirken regressiv, belasten also untere Einkommen stärker.
Der Anteil progressiver Steuern an den Gesamtabgaben ist mit 31 Prozent (2005) in Deutschland besonders niedrig. Im Durchschnitt der 30 OECD-Staaten waren immerhin 41 Prozent aller Steuern und Abgaben progressiv, in der alten EU der 15 Mitgliedsstaaten ebenfalls 40 Prozent. Der große Unterschied resultiert aus dem hohen Anteil an Sozialabgaben, die Einkommensschwache in Deutschland besonders belasten. Alle höheren Einkommen werden zur Beitragsberechnung nicht herangezogen. Wer über besonders hohe Einkommen verfügt, kann sich diesem Solidarsystem sogar ganz entziehen. Deutschland liegt der jüngsten OECD-Untersuchung zufolge hinter Belgien und Ungarn unter den Industrieländern an der Spitze bei der Belastung von Bürgerinnen und Bürgern mit durchschnittlichen Einkommen. 52,2 Prozent des Lohns muß hier ein lediger Durchschnittsverdiener an Steuern und Sozialabgaben berappen. Dagegen werden Kapitaleinkommen in Deutschland im internationalen Vergleich nur niedrig belastet.
Spitzfindige mögen argumentieren, daß Sozialabgaben ja Versicherungsleistungen finanzieren und daher mit Steuern nicht in einen Topf geworfen werden dürfen. Diese strikte Unterscheidung ist jedoch nicht haltbar und im internationalen Vergleich unüblich. Viele der in Deutschland – aus guten Gründen – über Sozialversicherungen organisierten Leistungen wie medizinische Behandlung, Rente, Pflege usw. gehören zu sozialen Grundrechten. Sie werden in anderen Ländern komplett oder zu großen Teilen über Steuern finanziert.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte kürzlich fest, daß der effektive, also tatsächlich abgeführte Einkommenssteuersatz des bestverdienenden einen Prozents der Bevölkerung, weit unter dem Höchststeuersatz liegt. 2002 zahlten die Menschen mit den höchsten Einkommen nicht etwa die damals geltenden gut 51 Prozent plus Solidaritätszuschlag, sondern effektiv nur 32,4 Prozent ihres zu versteuernden Einkommens. Damit zeigt sich, daß der große Anteil der Spitzenverdiener am Gesamtaufkommen der Einkommenssteuer im wesentlichen eine Ursache hat: die enorme Ungleichheit der Einkommensverteilung und eben nicht die große Solidarbereitschaft der Reichen. Denn schließlich erhielten die zehn Prozent der Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen 2002 auch 32,2 Prozent der Gesamteinkommen. Im Vergleich dazu sieht ihr 54,7prozentiger Anteil an der gezahlten Einkommenssteuer schon viel weniger gewaltig aus. Die Klage der Reichen über die hohe Steuerbelastung bekommt angesichts der wachsenden Ungleichheit etwas Zynisches. Die Mittelschicht schrumpft, die Gruppe der Armen wächst ebenso wie der Reichtum bei den Vermögenden. Die Reichen aber beklagen sich über ihren Anteil am Steueraufkommen.
Kein Fluchtgrund
Es ist also festzustellen, daß die Einkommenssteuer deutlich progressiv wirkt. Das ist allerdings bitter notwendig, um den hohen Anteil regressiver Abgaben zumindest teilweise auszugleichen. Ein Teil der Spitzenverdiener zahlt hohe Einkommenssteuern. Ein anderer Teil drückt sich um diese, wodurch die tatsächlich gezahlten Steuersätze am oberen Ende weit unter dem Spitzensteuersatz liegen.
Durch Steuerflucht ins Ausland hinterzogene Abgaben und nicht deklarierte Einkommen tauchen in den Statistiken gar nicht erst auf. Mit der starken Progressivität des deutschen Steuersystems kann jedenfalls nicht argumentiert werden, wenn man die Wut der großen Mehrheit über die Flucht vieler Vermögender in die Steueroasen beschwichtigen will.
aus jungewelt.de