Russland: Aktienmarkt-Analysen
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Eröffnet am: | 18.01.06 14:06 | von: putin | Anzahl Beiträge: | 4 |
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02. Januar 2006 Die russische Börse hat nach einer zuvor 17monatigen Verschnaufpause seit Mai wieder nachhaltig den Vorwärtsgang eingelegt. Insgesamt hat es der RTS-Index in diesem Jahr auf ein Plus von fast 82 Prozent gebracht. Diese stolze Bilanz ist für viele Skeptiker angesichts der zunehmenden antidemokratischen Tendenzen in Rußland und der stärker werdenden Einflußnahme des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen nur bedingt nachvollziehbar.
Keine Überraschung ist die Hausse dagegen für Bill Browder, Chief Executive Officer bei Hermitage Capital Management Limited. Die Gründe für seine Zuversicht erklärte uns der Fondsmanager des größten Rußland-Fonds (der Hermitage Fund hat ein Volumen von knapp 1,9 Milliarden Dollar) bei einem Besuch in seinem Moskauer Büro. Und wer den mit unüberhörbarer Begeisterung vorgetragenen Argumenten des Rußland-Experten genau zuhört, der kann dessen Zuversicht durchaus nachvollziehen.
Die Liquidität spricht für den Markt
Das wichtigste Argument, das Browder in die Waagschale zu werfen hat, ist dabei die reichlich vorhandene Liquidität. „Der russische Aktienmarkt schwimmt auf einer Liquiditätswelle,” so sein Fazit. Zusammen mit den im Jahresverlauf gestiegenen Gewinnschätzungen für die russischen Ölfirmen und der Höhergewichtung russischer Aktien in den Portfolios international agierender Fondsmanager sorgt das reichlich vorhandene Kapital für ein sehr vorteilhaftes Börsenumfeld.
Die hohe Bedeutung der Liquidität für die Entwicklung an der russischen Börse läßt sich auch daran ablesen, daß der Korrelations-Koeffizient zwischen Geldmenge und Aktienkurs 0,85 beträgt. Die in den vergangenen Jahren drastisch gestiegene Geldmenge ist nicht zuletzt über die hohen Rohstoff- und Ölpreise zu erklären. Hätte die russische Börse aber alle damit verbundenen positiven Kurseffekte nachvollzogen, dann wäre das Plus vermutlich sogar noch höher ausgefallen. Zumindest läßt diesen Schluß die Tatsache zu, daß die Performance russischer Aktien hinter der in ebenfalls ölreichen Ländern wie Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Qatar oder Saudi Arabien zurückgeblieben ist.
Um diese Lücke zu schließen, war für die Psyche der Marktteilnehmer natürlich auch die Erkenntnis sehr wichtig, daß außer Yukos alle anderen Firmen weitgehend ungeschoren davon kamen. Das ließ die Investoren wieder Vertrauen fassen und je mehr sich die Erkenntnis durchsetzte, daß Yukos ein einmaliger Fall war, kehrten die Anleger wieder an den Markt zurück. Nachdem Yukos zerschlagen worden war (eine Maßnahme, die von Browder übrigens wegen der immer stärkeren politischen Einflußnahme von Yukos-Chef Chodorkowski als einzige logische Konsequenz eingestuft wird), kümmerte sich Staatschef Putin außerdem wieder mehr um sein Image bei ausländischen Investoren. Um seinen Ruf zu verbessern, hat er etliche Maßnahmen ergriffen. Laut Putin zählten dazu unter anderem eine Amnestie für Privatisierungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, eine Steuerreform, welche die Macht der Steuereintreiber beschränkt, die Liberalisierung der Gazprom-Aktien und eine geplante Privatisierungswelle. Für den Staat habe die Yukos-Affäre trotz aller damit verbundenen Imageprobleme zudem einen schönen Nebeneffekt gehabt. Und zwar den, daß die anderen Oligarchen jetzt viel mehr Steuern zahlen als früher.
Günstige Bewertung im Schwellenländer-Vergleich
Je mehr die Yukos-Affäre in Vergessenheit geriet, umso mehr konzentrierten sich die Marktteilnehmer wieder auf die an sich positiv wirtschaftlichen Rahmendaten in Rußland. Und natürlich auch auf die günstige Bewertung der russischen Börse. Deren Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt laut Browder auf Basis der für 2005 geschätzten Gewinne mit 9,1 nämlich noch immer deutlich unter dem Durchschnitts-KGV für andere Schwellenländer, das Browder auf 12,3 beziffert. Das positive Urteil in Sachen Bewertung wiegt laut Browder noch schwerer, wenn man zudem das starke Wachstum der Wirtschaft und bei den Gewinnen der russischen Unternehmen berücksichtigt. Eine Unterbewertung lasse sich auch beim Blick auf das Verhältnis von Gewinnrendite zu Anleiherendite feststellen. Die sich beim Vergleich dieser beiden Zahlen ergebende Risikoaufschlag bewege sich noch immer auf einem im historischen Vergleich hohen Niveau.
Neben der günstigen Bewertung blickt Browder aber auch deshalb optimistisch nach vorne, weil er davon ausgeht, daß die Liquidität in Rußland solange hoch bleiben wird, wie der Ölpreis über 40 Dollar notiert. Und er geht sogar davon aus, daß die Liquidität mittelfristig noch stärker auf die Kursfindung durchschlagen wird als bisher. Zu dieser Annahme verleitet ihn die Aussicht auf nachhaltige Reformen im Bankensektor. Diese Branche ist noch immer sehr unterentwickelt und wenn hier Reformen für Verbesserungen sorgen, wird das segensreiche Wirkungen für die ganze Wirtschaft haben. „Bei den Einlagen und der Kreditvergabe werden wir ein exponentielles Wachstum sehen. Ein effizientes Bankensystem könnte das Wirtschaftswachstum um zwei bis drei Prozentpunkte heben”, prophezeit Browder.
Verstärkt wird der Liquiditätseffekt vermutlich auch noch durch extern zufließende Kapitalströme. Zumindest sprechen die bevorstehende Liberalisierung der Gazprom-Aktie und die damit verbundene Aufnahme dieses Titels in die MSCI-Indizes für eine Höhergewichtung russischer Aktien in den international anlegenden Depots. Trotz der in diesem Jahr rekordhohen Mittelzuflüsse in Schwellenländer kommen russische Aktien laut Browder in international agierenden Fonds noch immer erst auf eine Gewichtung von 0,3 Prozent - und auch in den Schwellenländerfonds sei Rußland nach wie vor mit 22 Prozent untergewichtet.
Die Risiken scheinen derzeit beherrschbar
Das größte Risiko für die Hausse am russischen Aktienmarkt sieht Browder in den spätestens 2008 anstehenden Präsidentschaftswahlen. Da die Verfassung Putin eine dritte Amtszeit verbietet, wird ein neuer Präsident gewählt werden müssen. Browder rechnet aber nicht mit politischen Turbulenzen. „Putin wird schon den richtigen Nachfolger aussuchen”, meint er. Auch deshalb geht er von eine reibungslosen Machtübergabe aus. Dafür spreche zudem die noch immer hohe Beliebtheit Putins sowie das verglichen mit den Nachbarstaaten deutlich höhere Wohlstandsniveau in Rußland - ein Umstand, der Krawallen vorbeuge.
Weitere Gefahren wittert Browder in einer allgemein nachlassenden Risikobereitschaft der Investoren, einem drastischen Schwenk in der Geldpolitik der Notenbank oder einem markanten Fall der Ölpreise auf ein Niveau unter 20 Dollar pro Barrel. Alles das sind aber Punkte, mit deren Eintreffen Browder nicht wirklich rechnet. Und abschließend relativiert er sogar die politischen Bendenken, indem er sagt: „Demokratische Verhältnisse sind keine Grundvoraussetzung, um Geld zu verdienen. Rußland muß sowieso seine eigene Version von einer Demographie finden. Würde ein System wie im Westen angewandt, hätte das Land nicht einmal Mittel, um die Machtübernahme durch Kriminelle zu verhindern.”
10. Januar 2006
Die russische Börse zählte auch im Vorjahr weltweit zu den Aktienmärkten mit der besten Wertentwicklung. Richtig deutlich wird die ausgesprochen gute Form russischer Aktien aber erst im Langfristvergleich. Hat es der richtungsweisende russische Aktienindex RTS in den vergangenen Jahren doch im Schnitt auf ein jährliches Plus von rund 60 Prozent gebracht.
Wer diese Gewinne auch nur annähernd mitgemacht hat, für den stellt sich natürlich jedes Jahr auf ein Neues die Frage, ob die Zeit für Gewinnmitnahmen gekommen ist oder ob es Sinn macht, weiter investiert zu bleiben. Um darauf eine Antwort zu finden, ist es zunächst wichtig, sich die Gründe für die starke Performance im Jahr 2005 in Erinnerung zu rufen.
Gleich mehrere Faktoren trieben die Börse 2005 nach oben
Als treibende Kräfte erwiesen sich vor allem die im allgemeinen hohen Rohstoffpreise und im speziellen die Explosion beim Ölpreis. Starker Rückenwind ging aber auch von der Aufhebung der Beschränkungen beim Handel von Gazprom-Aktien für Ausländer aus sowie vom boomenden inländischen Konsum. Außerdem spielten die Liquiditätsschwemme eine Rolle sowie der große Appetit der Anleger auf Anlagen aus Schwellenländern. Das dabei Rußland wieder etwas mehr zum Zuge kam als noch 2004, hing mit den nachlassenden Ängsten zusammen, es könnte zu einer zweiten Zerschlagung eines privat geführten Konzerns wie zuvor beim Ölunternehmen Yukos kommen.
Das gute an diesem Rückblick ist, daß die meisten Antriebsfaktoren auch Anfang 2006 noch Bestand haben. Ihre Schubkraft dürfte zwar nachlassen, aber noch wirken die meisten der aufgezählten Punkte stützend auf die Kursfindung. Das verhilft dem Markt zu einer guten Ausgangsposition. Was die russische Börse letztlich daraus machen wird, hängt ganz entscheidend von der Entwicklung des Ölpreises ab. Da hier aktuell aber eher mit einer weiteren Befestigung als mit einer Abschwächung zu rechnen ist, stehen die Chancen gut. Zumal selbst schon bei einem auf dem derzeitigen Niveau verharrenden Preisniveau die bislang vorsichtig gebliebenen Ölanalysten ihre Gewinnschätzungen nach oben anpassen müssen. Das spricht unverändert für russische Ölaktien und insbesondere für den Branchenprimus Lukoil, weil der ganz besonders sensitiv auf einen höheren Ölpreis reagiert.
Öl- und Gasaktien im internationalen Vergleich unterbewertet
Für russische Ölaktien spricht im internationalen Vergleich auch deren tiefe Bewertung. Während die Reserven pro Barrel der russischen Ölbranche gemessen am Unternehmenswert nach Angaben der Analysten vom Broker UFG mit dem Faktor 1,9 bewertet wird, liegt diese Kennziffer bei anderen Ölwerten aus Schwellenländern im Schnitt bei 9,3 und bei Vertretern aus den entwickelten Ländern sogar bei 15,4. Ähnlich kraß fällt die Differenz auch beim Blick auf das Verhältnis von Unternehmenswert zur Produktion pro Barrel aus. Hier bekommen russische Titel im Schnitt nur den Faktor 48,5 zugebilligt, während die Konkurrenz als Faktoren 160,5 und 190,0 zugestanden bekommt.
Vergleichbar fällt übrigens auch der Vergleich bei Gazprom aus. Das Verhältnis von Unternehmenswert zu den Reserven pro Barrel liegt bei dem weltgrößten Gaskonzern bei 1,6 und beim Unternehmenswert zur Produktion pro Barrel bei 50,5. Die Konkurrenten aus den entwickelten Ländern werden an der Börse dagegen mit den Faktoren 27,8 und 281,5 bewertet. Diese Diskrepanz spricht auch bei den Gazprom-Aktien für weiter steigende Kurse, zumal die Aufnahme in die MSCI-Indizes hier eine starke Nachfrage praktisch garantiert.
Entdeckung der Nebenwerte dürfte anhalten
Reformbedarf wie bei Gazprom gibt es auch in vielen anderen Bereichen der russischen Wirtschaft. Allerdings läßt hier bei der Umsetzung das Tempo oft etwas zu wünschen übrig. Nennenswerte Fortschritte dürfte es in Form von Privatisierungen in diesem Jahr aber im Telekomsektor geben und auch in der Versorgerbranche, wo der Stromriese UES gemessen an den Kapazitäten ähnlich drastisch unterbewertet ist wie die Öl- und Gaswerte, sollte es tendenziell vorwärts gehen. Diese Aussicht verspricht eine überproportionale Kursentwicklung bei den betroffenen Sektorvertretern.
Wer besser abschneiden will als der Gesamtmarkt, der kann sein Glück außerdem mit Nebenwerten versuchen. Diese im Vorjahr entdeckte Gruppe scheint noch lange nicht ausgereizt, wobei allgemein Stock-Picking wichtiger werden dürfte. Weil dies aber für hiesige Anleger wegen dem oft spärlichen Nachrichtenfluß keine einfache Sache ist, kann ein Investment über Fonds oder Zertifikate eine sinnvolle Sache hin. Besonders wagemutige Investoren, die am Ball bleiben und es verstehen, mit Stop-Loss-Kursen zu arbeiten, können auch mit Hilfe von Hebel-Zertifikaten versuchen, den Markt zu schlagen.
Risiken nicht vergessen
Was die Risiken angeht, muß in erster Linie der Ölpreis und die sonstigen Rohstoffpreise im Auge behalten werden. Auch von politischer Seite müssen erfahrungsgemäß negative Nachrichten einkalkuliert werden. Wobei die dabei begangenen Fehler dann meist mittelfristig wieder einigermaßen korrigiert werden, so daß damit verbundene etwaige Korrektur oft sogar Kaufchancen darstellen. Zu den Fettnäpfchen, in die der Staat treten könnte, zählen auch eine zu starke Verstaatlichungswelle bei den als strategisch wichtig eingeschätzten Sektoren wie etwa der Rohstoffbranche. Denn daß staatlich geführte Unternehmen zumeist deutlich weniger effektiv wirtschaften als Privatunternehmen ist hinlänglich bekannt.
Volkswirtschaftlich betrachtet stellen die zu hohe Inflation sowie der unter Aufwertungsdruck stehende russische Rubel noch Bürden dar. Und natürlich dürften die globalen Risiken nicht vergessen werden. Dazu zählen die Gefahr einer spürbaren weltweiten Konjunkturabschwächung, deutlich höher steigende Leitzinsen als derzeit angenommen sowie eine zunehmende Risikoaversion unter den Marktteilnehmern, weil dies erfahrungsgemäß Schwellenländer wie Rußland in der Regel am härtesten trifft. Zumindest in den nächsten Wochen dürfte aber noch keine der aufgezählten Risiken so stark durchschlagen, daß eine Trendwende an der russischen Börse drohen könnte. Dagegen spricht auch die Charttechnik, die dank einem beeindruckenden Aufwärtstrend vielmehr ebenfalls als Kaufargument fungiert.
„Ende 2010 dürfte die russische Börse zwei oder drei Mal höher notieren”
11. Januar 2006
Zur russischen Börse äußern sich viele Analysten. Angesichts der sich allzu oft ähnelnden Aussagen und vieler Fehleinschätzungen könnte man als neutraler Beobachter auf die eine oder andere Stimme mitunter auch gut verzichten. Speziell gilt das häufig für selbsternannte Experten aus dem Ausland.
Doch es gibt auch lobenswerte Ausnahmen. Stets lesenswert sind etwa die Analysen von Eric Kraus. Der angesehene Stratege vom russischen Broker Sovlink Securities sticht aus dem Einheitsbrei mit pointierten Einschätzungen und kontroversen Aussagen hervor. Außerdem scheut sich der Franzose, der sich aber eher als Weltbürger sieht und neben französisch auch englisch, spanisch, italienisch und russische spricht, nicht davor, Mißstände direkt zu kritisieren.
Seine Offenheit hat ihm sogar schon einmal den Arbeitsplatz gekostet, als er sich weigerte, der Forderung seines damaligen Arbeitsgebers Nikoil Financial Corporation nachzukommen und weniger kritisch über Firmen wie den Ölkonzern Sibneft zu schreiben. Natürlich liegt auch Kraus mit seinen Einschätzungen nicht immer richtig, die Trefferquote übersteigt aber die Zahl der Nieten deutlich. Und zumindest zum Nachdenken regen die Studien von Kraus immer an.
Kritik an den Medien wegen der Berichterstattung über Rußland
Auch die Medien bekommen dabei regelmäßig ihr Fett weg. Ihnen wirft Kraus eine einseitige und oberflächliche Berichterstattung vor. Überhaupt nicht nachvollziehen konnte er beispielsweise die Darstellung des entmachteten Yukos-Chef Chodorkowskij. Dieser wurde speziell im Westen oft als Märtyrer oder zumindest als Opfer dargestellt, während Kraus Chodorkowskij als Täter einstuft, der sein Schicksal selbst provoziert hat und der einer der brutalsten und kriminellsten Oligarchen gewesen sei. Außerdem habe das Vorgehen gegen Yukos den schönen Nebeneffekt bewirkt, daß andere Oligarchen bei ihren Firmen auf fragwürdige Steuertricks verzichten und deutlich höhere Gewinne auswiesen.
Nicht verstehen kann er auch die Kritik an der engen Bande, die der abgelöste Bundeskanzler Schröder mit dem russischen Staatspräsidenten Putin pflegte. „Würde Westeuropa Rußland mit zu viel Kritik in die Arme von China treiben, dann wäre das wegen dem Rohstoffreichtum des Landes strategisch gesehen noch viel schlimmer.” Auch diese Ansicht teilt Kraus übrigens mit vielen anderen vor Ort sitzenden Kennern der russischen Börse.
Überhaupt bekommt Putin von Kraus, obwohl der normalerweise nicht vor Kritik zurückschreckt, ein gutes Zeugnis für seine Amtsführung ausgestellt. Während der Regentschaft Putins sei Rußland eindeutig auf den Wachstumspfad eingeschwenkt. Diese Tatsache nur auf die hohen Rohstoff- und Ölpreise zurückzuführen, greife viel zu kurz. So hätten die günstigen Rahmenbedingungen früher mit Sicherheit zu einem verschwenderischen Umgang mit dem Staatshaushalt geführt. Wie die Überschüsse im Haushalt und der üppig bestückte staatliche Ölausgleichsfonds zeigten, habe hier ein deutlicher Sinneswandel eingesetzt. „Putin ist verantwortlich für die erzielten Fortschritte. Verglichen mit 1997 leben wir hier heute in einer anderen Welt”, lobt Kraus.
Rußland braucht keine Verwestlichung, sondern eine Modernisierung
Kein gutes Haar läßt Kraus dagegen am unlängst zurückgetretenen Putin-Wirtschaftsberater Illarionow. Dessen Abtritt sei im Westen zwar zumeist als ein weiteres Indiz für ein Ende der Reformen in Rußland und einem autoritäreren Staat gewertet worden. Doch dabei handele es sich wieder einmal um eine Fehleinschätzung. Schließlich seien die eigentlichen Reformer wie Gref, Kudrin und Medwedew noch im Amt. Wer den vermutlich nicht ganz unfreiwilligen Abgang von Illarionow kritisch betrachte, der solle bedenken, daß sich keine noch so demokratisch auftretende Regierung der Welt sich in den eigenen Reihen einen ähnlich vehementen Kritiker leisten könne, wie es Illarionow gewesen sei.
Außerdem zweifelt Kraus die Fähigkeit Illarionows an, die für Rußland richtigen Wirtschaftsrezepte zu identifizieren. Dessen gebetsmühlenartig vorgetragenen Vorschläge zur Reformierung der Wirtschaft hätten sich stark an den Rezepten orientiert, die im Westen angewandt würden. Ob diese auch in Rußland Früchte bringen würden, sei aber mehr als fraglich.
Das gelte auch für die ständigen Rufen von Kritiker nach mehr Demokratie in Rußland. Wer sich diesen Forderungen anschließe, verkenne die Tatsache, daß das Land einfach noch nicht reif sei für eine Demokratie nach westlichen Vorbild. Würden die dortigen Systeme eins zu eins auf Rußland übertragen, würde das mit Sicherheit in der Machtübernahme durch eine kleine mächtige und finanzstarke Gruppe wie den Oligarchen resultieren. Doch das könne sicherlich nicht das Ziel sein. Folglich sei es das Beste, wenn der Westen nicht mehr versuche, Rußland zu belehren, sondern dem Land besser die Zeit geben solle, seinen eigenen Weg zu finden. „Es geht nicht darum, Rußland zu verwestlichen, sondern darum, es zu modernisieren”, so Kraus.
Rußlands Börse winken noch außergewöhnliche Kursgewinnen
Kein gutes Zeugnis bekommen von Kraus auch die Rating-Agenturen ausgestellt. Die unlängst von S&P beschlossene Höherstufung der Kreditwürdigkeit Rußland komme rund ein Jahr zu spät. Inzwischen hätten schließlich selbst die größten Pessimisten gemerkt, was für Fortschritte das Land wirtschaftlich gesehen gemacht habe. Mit zynischem Unterton stellt Kraus deshalb die rhetorische Frage in den Raum: „Was würden wir nur ohne die Rating-Agenturen tun? Sie sind wie jene Menschen, die erst dann „Vorsicht” rufen, wenn wir bereits ausgerutscht und mit dem Gesicht vorneweg auf den Boden gefallen sind.”
Kraus kann sich harsche Kritik wie diese leisten, hat er seinen Kunden doch auch dann dazu geraten, in Rußland engagiert zu bleiben, als die meisten anderen Anleger wegen der Yukos-Krise fast fluchtartig das Land verließen. Aber auch jetzt, wo die Bullen wieder eindeutig das Szepter an der russischen Börse schwingen, bleibt er weiter zuversichtlich gestimmt. Die inländische Wirtschaft laufe auf fast allen Zylindern und auch die Weltkonjunktur präsentiere sich in zunehmend guter Verfassung. Dieses Umfeld spreche für eine anhaltende fundamentale Neubewertung des Marktes. „Bevor die russische Börse auf Durchschnittsniveau im Performancevergleich zurückfällt, stehen erst noch zwei oder drei Jahre mit außergewöhnlichen Kursgewinnen bevor.”
Letztlich wisse zwar niemand wirklich, wo der Markt Ende 2006 notieren werde. Aber wenn sich das Umfeld nicht verändere und unberechenbare negative Faktoren ausbleiben, dann dürfte der Kursaufschwung anhalten. „In drei bis fünf Jahren dürfte das Bewertungsniveau deutlich höher sein und Ende 2010 dürften die Kurse zwei oder drei Mal so hoch notieren wie aktuell,” lautet die optimistische Prognose von Kraus. Zwar sei der Markt nicht mehr so spottgünstig bewertet wie noch vor einem Jahr, aber unter den größeren Weltbörsen wiesen russische Aktien nach den brasilianischen noch immer die zweitniedrigste Bewertung auf.
Ölpreisdynamik wird noch immer unterschätzt
Auch auf Ebene der Einzelwerte gebe es massive Fehlbewertungen, etwa bei Lukoil und bei Gazprom. Diese Unternehmen seien zwar nicht so gut gemanagt wie Shell, aber das lasse auch viel Raum für Verbesserungen. Bei der Einschätzungen der Aussichten der Ölaktien sei auch zu bedenken, daß die Analysten gerade zwar ihre Schätzungen für den Ölpreis von Mitte Dreißig auf Anfang Vierzig erhöht hätten. Aber auch dieser Wert liege noch deutlich unter dem aktuellen Niveau. Das lasse zum einen viel Spielraum nach oben bei den Gewinnschätzungen, für den Fall, daß Sovlink mit seiner Annahme eines weiter steigende Ölpreises richtig liege. Und zum anderen zeige die tiefe Konsensprognose beim Öl, daß sich am Dartsbrett vermutlich genauere Prognosen erzielen ließen als mit Hilfe der Analysten.
Die vermeintliche Fehleinschätzung der Ölexperten lasse Anlegern aber immerhin die Chance, noch etwas länger offensichtlich markant unterbewertete russische Ölaktien einzusammeln. Für Kraus ist die Wahrscheinlichkeit eines Ölpreises von über 100 Dollar jedenfalls weitaus wahrscheinlicher als die eines Rückfalls auf Notierungen unter 40 Dollar je Barrel. Er rät deshalb in diesem Sektor bei Werten wie Lukoil, Tatneft, Sibir Energy und TNK-BP zum Kauf. Sollte der Ölpreis tatsächlich hoch bleiben, werde das Rußland zudem weiterhin Haushalts- und Leistungsbilanzüberschüsse bescheren. Das wiederum wird die Konjunktur im Inland auf Trab halten und die Einflußmöglichkeiten Rußlands auf internationaler Ebene stärken. Trotz dieser voraussichtlich positiven Entwicklung wird Kraus aber mit Sicherheit auch in Zukunft noch genügend Anlässe zur Kritik finden.