Religion - das eigentliche Übel unserer Zeit?
DER SPIEGEL 43/2006 - 23. Oktober 2006
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KULTURKAMPF Glücklicher ohne Gott
Von Jörg Blech
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Zeitpunkt: 21.05.07 11:24
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Wider den Kreationismus
Harald Zaun 18.03.2007
Eine kleine Geschichte der Evolution und des Evolutionsgedankens mit kurzem Blick auf die Gegenwart
Im August 2006 berichtete das Wissenschaftsmagazin "Science", dass nur 40 Prozent der amerikanischen Bevölkerung an das Konzept der Evolution glaubt. Dass vor allem in den USA der Kreationismus immer mehr Anhänger findet, die sich vor allem zur akademisierten Variante der Evolutionskritik "Intelligent-Design" (ID) bekennen, bezeichnet der Physik-Nobelpreisträger des vergangenen Jahres, George F. Smoot, als "geradezu beängstigend" (siehe Telepolis-Special Kosmologie "Jenseits von Zeit und Raum" (1)). Das Wiedererstarken des Kreationismus ist deshalb so frustrierend und beschämend, weil deren Protagonisten all das mühsam erworbene Wissen jener früherer Forscher, die dereinst so tapfer gegen die Widerstände ihrer Zeitgenossen kämpften, um eine wissenschaftlich fundierte Evolutionstheorie zu etablieren, schlichtweg ignorieren oder als unsinnig hinstellen.
Für den heutigen geistes- und naturwissenschaftlich interessierten Leser mag der Gedanke befremdlich sein, dass viele abendländische Forscher und Philosophen der Aufklärung noch fest mit der theologischen Vorstellung verwurzelt waren, die Welt sei vor 6000 Jahren von Gott erschaffen worden.
Georges Baron de Cuvier (1769-1832). Bild: Musee National d'Histoire Naturelle, Paris
Wer damals wissen wollte, wann die Welt kreiert wurde, sah sich entweder apodiktischen kirchlichen Dogmen gegenüber, wie etwa jenem, das der englische Bischof James Ussher (2) (1581-1656) im 17. Jahrhundert zum Besten gab, der den Schöpfungsakt im Einklang mit der Bibel auf das Jahr 4004 vor Christus zurückdatierte - oder musste mit der von dem Begründer der zoologischen Paläontologie Georges Baron de Cuvier (3) (1769-1832) formulierten Katastrophentheorie vorlieb nehmen, wonach die Erde nur etwa 6000 Jahre alt war und die grundlegenden Veränderungen der Erdkruste allenfalls das Ergebnis großer geologischer Katastrophen waren.
Buffon brachte Lawine ins Rollen
Doch die Beobachtungen und Messungen, die vor allem die Biologen und Geologen dieser Epoche immer häufiger machten, korrespondierten immer weniger mit dem theologischen Datierungsmodell. Langsam, aber stetig setzte sich bei den Naturwissenschaftlern die Erkenntnis durch, dass die biologische, geologische und kosmische Gegenwart, wie sie sich dem zeitgenössischen Beobachter offenbarte, das Resultat einer langen historischen Entwicklung gewesen sein musste. Die Lawine ins Rollen brachte der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (4) (1707-1788), der in seinem Hauptwerk Histoire naturelle unverblümt erklärte, dass die Planeten bei einem Zusammenstoß der Sonne mit einem Kometen entstanden seien. Nur so lasse sich Buffon zufolge begründen, warum alle Planeten in derselben Richtung und in derselben Ebene um die Sonne kreisen.
Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707-1788)
Gegen die Katastrophentheorie konterte auch der schottische Geologe Sir Charles Lyell (5) (1797-1875). In seinem Aktualismus-Modell explizierte er, dass die natürlichen geologischen Prozesse, die gegenwärtig das Gesicht der Erde verändern, in der Vergangenheit genauso langsam abgelaufen sein mussten. Lyells Schrift Principles of Geology, die er 1830 bis 1872 gleich elfmal überarbeitete, machte vor allem auf Charles Darwin (6) (1809-1882) einen starken Eindruck.
Sir Charles Lyell (1797-1875)
Zu einem Zeitpunkt, da selbst gebildete Kreationisten noch ernsthaft daran glaubten, dass allein die Sintflut und die geringe Frachtkapazität der Arche Noah die biologische Selektion der Arten bedingt hatte, löste Darwin mit seinem 1859 erschienenen Buch "On the Origin of Species my Means of Natural Selection" in der Fachwelt und innerhalb der Kirche eine anders geartete Sintflut aus.
Zu kurze Zeitachse
Denn in seiner Evolutionstheorie, die auf Lyells Hypothese und eigenen Beobachtungen basierte, machte Darwin für den Artenwandel und die Entstehung neuer Arten keineswegs den biblischen Noah, sondern die natürliche Selektion verantwortlich. Angetrieben von dem Katalysator der Mutation konnten gemäß dem Survival-of-the-Fittest-Prinzip nur die an der Umwelt am besten angepassten Tier- und Pflanzenarten den Sprung in die nächste Generation schaffen. Darwins Evolutionstheorie, die bekannterweise heute von Kreationisten immer noch entschieden angefochten wird, gleichwohl aber selbst ohne größere "Mutationen" den Sprung über viele Generationen hinweg bis in die Jetztzeit schaffte, legte schonungslos offen, dass die Zeitachse des theologischen Schöpfungsmodells schlichtweg zu kurz war. Der Planet Erde musste im Gegensatz zur biblischen Version um Äonen älter sein. Alles, was das Alte Testament apodiktisch verkündete, löste Darwins "blasphemische" Deszendenztheorie in Luft auf.
Für Dinosaurier war, so argumentieren einige Kreationisten, auf der Arche Noah kein Platz. Ihr Aussterben war daher unvermeidlich. Bild: Edward Hicks
Von den Ergebnissen, die sich beim Studium der Erdkruste, der neuentdeckten Fossilien sowie der Tier- und Pflanzenarten zeigten, blieb die Astronomie nicht unberührt. Dennoch sollten noch etliche Jahre verstreichen, bis ein 43-jähriger Ex-Musiker, der bis zum 35. Lebensjahr nicht das geringste Interesse an Astronomie hatte, seinen Zeitgenossen die historische Dimension des Universums erstmals deutlich vor Augen führte.
Herschels Erkenntnis
Dabei war der deutsche Forscher Friedrich Wilhelm Herschel (7) (1738-1822), der vor allem durch die Entdeckung des Uranus internationale Berühmtheit erlangte, nicht der Erste, der behauptete, dass die im Okular des Teleskops tanzenden diffusen nebligen Lichtflecken möglicherweise abseits der Milchstraße gelegene kosmische "Welteninseln" waren.
Sir Wilhelm Herschels Kreation aus Holz und Stahl galt mehr als 50 Jahre lang als das größte Spiegelteleskop der Erde
Bereits Denker wie Thomas Wright, Immanuel Kant (8) oder Johann Lambert stellten ähnliche Überlegungen an. Sie gingen davon aus, dass derlei Nebel eigenständige weit außerhalb der Milchstraße im All eingebettete Sternsysteme waren. Herschel war aber derjenige, der zum einen die extragalaktische Astronomie als eigenständigen Zweig innerhalb der Astronomie etablierte und den Beginn der Kosmologie als beobachtende Wissenschaft einleitete. Zum anderen war er der erste Forscher, der unseren Heimatplaneten durch ständige Beobachtung der fernen "milchigen Nebel", zu denen er irrtümlich jedoch alle observierten planetarischen Nebel oder Supernova-Überreste zählte, endlich in die richtige Relation zum Rest-Universum setzte.
Hubble-Aufnahme eines Galaxienclusters. Bild: NASA, ESA, Hubble Heritage Team (STScI/AURA)
Wenngleich Herschels Instrumentarium noch nicht sensibel genug war, um galaktische Strukturen einwandfrei aufzulösen und fremde Galaxien eindeutig zu bestimmen, so hat er doch als Erster erkannt, dass die fremden "Welteninseln" in Form und Größe unserer Galaxis sehr ähnelten und das Weltall daher eine lange Geschichte haben musste. Seine Worte schienen dies zu verraten: "Ich habe weiter ins All geschaut als jemals ein Mensch zuvor. Ich habe Sterne beobachtet, deren Licht, das kann bewiesen werden, zwei Millionen Jahre bis zur Erde unterwegs war."
Bibel als wissenschaftliches Geschichtsbuch
Ungeachtet aller Anstrengungen, die frühere Forscher als Wegbereiter einer wissenschaftlich fundierten Evolutionstheorie gegen etliche Widerstände ihrer Zeitgenossen unternahmen, ignorieren viele "unserer" Zeitgenossen das mühsam erworbene historisch gewachsene Wissen, allen voran jene, die aus der Heimat des Kreationismus stammen: den USA. Abseits des europäischen Festlandes, auf dem die Evolutionsforscher im 18. und 19. Jahrhundert die historische Zäsur markierten, werkeln im 21. Jahrhundert Neokreationisten mittels des Intelligent-Design-Konzepts(ID) (9) daran, bestimmte Merkmale des Universums und Lebens mit einer intelligenten Ursache zu verklären. Jegliche Kenntnisse von Kosmologie, Geologie und Biologie negierend, assoziieren sie mit der Bibel kein spirituelles Opus, sondern ein wissenschaftliches Geschichtsbuch und nehmen die im ersten Buch Mose (10) beschriebene Erschaffung der Welt binnen sechs Erdtagen beim Wort: Der Schöpfer von Himmel und Erde war ein genialer Ingenieur, der seinen Plan bis ins letzte Detail genau umsetzte!
Kreationisten bestreiten nicht die frühere Existenz von Dinosauriern ... nur älter als 6000 Jahre waren diese Reptilien deren Meinung nach nicht. Bild: ESA
Wie konsequent die Kreationisten und ID-Ideologen in den letzten Jahren zumindest ihren Plan umsetzen, beweist der Blick auf die jüngste Geschichte. So wagte der Bundesstaat Alabama im Jahr 1995 einen reaktionären Schritt, indem er anordnete, die US-Schulbücher, in denen die Evolutionstheorie dargelegt wird, mit einem Vermerk zu versehen, wonach die Evolution keineswegs als Tatsache hinzunehmen, sondern vielmehr höchst strittig sei. In Kansas wurde 1999 die Evolutionslehre sogar vom Lehrplan der Schulen gestrichen, um dann 2002 wieder eingeführt zu werden, weil in diesem Jahr die christlichen Konservativen bei den Schulratswahlen die Mehrheit verpassten. Andere Mehrheiten sorgen derweil woanders dafür, dass der Spuk weitergeht. Heute ist es in Kentucky etwa längst gang und gäbe, Buchseiten zum Thema `Urknall zu verkleben oder, so geschehen in Georgia, das komplette Kapitel "Über die Entstehung des Lebens" aus den Grundschulbüchern zu verdammen. Ja, mittlerweile scheuen sich sogar renommierte US- Schulbuchverlage davor, den Namen Charles Darwins überhaupt zu erwähnen.
Erschreckende Bildungsdefizite
Mehr als 80 Jahre nach dem legendären "Monkey trial" (11) ("Affenprozess") in Dayton (Tennessee), als 1925 ein junger Aushilfslehrer wegen der Verbreitung darwinistischen Gedankengutes vor Gericht Rede und Antwort stehen musste, knapp 50 Jahren nach dem Urteil des Supreme Court (12) (Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten), der 1968 das Anti- Evolutionsgesetz von Arkansas von 1928 für verfassungswidrig erklärte, wagt US-Präsident George W. Bush den Schritt zurück. Er plädierte bereits im Sommer 2005 dafür, in den Schulen die Lehre vom "Intelligent Design" und die Evolutionstheorie als "gleichberechtigt" nebeneinander zu vermitteln . Seinen Standpunkt hat er bis heute noch nicht korrigiert.
Kein Wunder also, dass sich die Wissenslücken der meisten US-Bürger mit der Zeit immer mehr zu Wissensgräben ausweiten - vor allem auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Hierzu passt eine von der National Science Foundation (NSF) (13) der USA im Jahre 2002 initiierte Umfrage, die bei der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung erschreckende Bildungsdefizite aufdeckte. Auf die Frage etwa, wie lange die Erde für eine Umkreisung um die Sonne braucht, fanden nur 54 Prozent der erwachsenen Befragten die passende Antwort. Vielleicht noch schlimmer: Mehr als 50 Prozent aller volljährigen US-Bürger konnten bei der Erhebung nicht datieren, ob die Dinosaurier vor dem Auftauchen des Homo sapiens bereits ausgestorben waren oder zeitgleich mit unseren Urahnen koexistierten.
Dinos und Urmensch lebten zeitgleich
Der starke Einfluss der Neokreationisten und deren rigoroser an allen Fronten ausgetragener "Kulturkampf" manifestiert sich auch im Internet, wo zwei elektronische Lexika namens "Conservapedia" (14) und "CreationWiki" (15) dem "antichristlichen" Wikipedia Paroli bieten wollen. Insbesondere das 2535 Artikel umfassende "CreationWiki" versucht mit pseudowissenschaftlichen Argumenten und vermeintlich akademischen Termini die Richtigkeit der Darwinschen Evolutionstheorie in Frage zu stellen.
Dass den ID-Anhängern dabei jedes Mittel recht ist, beweist das 25 Millionen Dollar teure und privat finanzierte "Creation Museum" (16) in Cincinnati, das seine Pforten im Juni dieses Jahres für interessierte Besucher öffnen wird. Mit seiner 4645 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche zählt es zu dem weltweit größten Museum seiner Art. In ihm steht eine Phalanx von 70 Dinosauriermodellen, die kommenden Besuchern weniger Angst als vielmehr die Erkenntnis einflößen sollen, dass die Dinosaurier - wie alle "Tiere des Feldes" - am sechsten Schöpfungstag geschaffen wurden und zeitgleich mit Adam und Eva in trauter Friedsamkeit die Erde bevölkerten.
Bush um 80 Jahre voraus
"Wir sind im Krieg. Wir rüsten euch mit Raketen aus, damit ihr sie in die Welt hinaustragt und auf das Fundament der Moderne abfeuert, die Evolution", tönte Ken Ham noch vor vier Jahren in Gegenwart von 800 Zuhörern während einer Kreationisten-Konferenz in den Saal. Heute zählt der in den USA lebende 55-jährige Australier, dessen harte Gesichtszüge ein wenig an Abraham Lincoln (17) erinnern, zu den gefragtesten christlichen Konferenzrednern. Wie seine Mitstreiter geht der Wortführer des christlichen Fundamentalismus in den USA davon aus, das die Welt 6000 bis maximal 10.000 Jahre alt ist. Seitdem der Gründer der radikalchristlichen Organisation "Answers in Genesis" (18) voller Missionseifer seine Botschaft verkündet, erlebt der längst verloren geglaubte Kreationismus in den USA eine unerwartete Renaissance, was auch dem gegenwärtig mächtigsten ID- Befürworter zu verdanken ist: dem amtierenden US-Präsidenten. Im Beisein einer Journalistengruppe sagte (19) dieser am 1. August 2005 im Weißen Haus:
Both sides ought to be properly taught [...] so people can understand what the debate is about. Part of education is to expose people to different schools of thought. [...] You're asking me whether or not people ought to be exposed to different ideas, and the answer is yes..
Thomas Woodrow Wilson, der 28. Präsident der Vereinigten Staaten, amtierte von 1913-1921.
Hätte George W. Bush sich besser wohl ein Beispiel an dem Pfarrerssohn und Amtsvorgänger Woodrow Wilson (20) (1856- 1924) genommen, der zwar 85 Jahre zuvor im Weißen Haus residierte, dennoch seiner Zeit voraus war - vor allem in puncto Kreationismus. Seine Feststellung, die er bereits 1922 kurz nach seinem Amtsende in einem Brief an Winterton C. Curtis mit Blick auf das Aufkommen kreationistischer Tendenzen zu Papier brachte, spricht für eine Weitsicht, die Bush leider nicht zu Eigen ist: "Of course, like every other man of intelligence and education I do believe in organic evolution. It surprises me that at this late date such questions should be raised."
Links
(1) http://www.heise.de/kiosk/special/tp/07/02/
(2) http://www.lhup.edu/~dsimanek/ussher.htm
(3) http://www.panevolution.com/evolutionstheoretiker/cuvier.html
(4) http://www.ucmp.berkeley.edu/history/buffon2.html
(5) http://www.gennet.org/facts/lyell.html
(6) http://darwin-online.org.uk/
(7) http://www.seds.org/messier/xtra/Bios/wherschel.html
(8) http://web.uni- marburg.de/kant//webseitn/homepage.htm
(9) http://www.gwup.org/skeptiker/archiv/2003/4/intellegentdesigngwup.html
(10) http://www.bibel-online.net/buch/01.1- mose/1.html
(11) http://www.law.umkc.edu/faculty/projects/FTrials/scopes/scopes.htm
(12) http://www.supremecourtus.gov/
(13) http://www.nsf.gov/
(14) http://www.conservapedia.com/Main_Page
(15) http://creationwiki.org/Main_Page
(16) http://www.answersingenesis.org/museum/
(17) http://www.historyplace.com/lincoln/
(18) http://www.answersingenesis.org/
(19) http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/.../AR2005080201686.html
(20) http://www.whitehouse.gov/history/presidents/ww28.html
Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24831/1.html
Fördern ansteckende Krankheiten die Vielfalt des Glaubens? Forscher haben Hunderte Gemeinden weltweit untersucht - und einen deutlichen Zusammenhang zwischen Infektion und Religion entdeckt.
Der Blick auf die globale Verbreitung der Religionen zeigt eine rätselhafte erscheinende Tatsache: In den Tropen sind Glaubensgemeinschaften bei weitem zahlreicher anzutreffen als in gemäßigten Klimazonen. In der Elfenbeinküste etwa gibt es 76 religiöse Gruppierungen, während in Norwegen nur 13 gezählt werden. Brasilien hat sogar 159 verschiedene Religionen, das flächenmäßig größere Kanada dagegen nur 15.
Jetzt meinen Wissenschaftler, eine Erklärung für das seltsame Ungleichgewicht gefunden zu haben: Infektionskrankheiten, die in den heißen Gebieten der Erde öfter vorkommen, begünstigen demnach auch die Ausbreitung von Glaubensgemeinschaften.
Corey Fincher und Randy Thornhill von der University of New Mexico in Albuquerque haben dazu die Bedrohung durch Infektionskrankheiten in 339 traditionell lebenden Gesellschaften der Erde abgeschätzt. In die Berechnung flossen Größen wie die Durchschnittstemperatur, die Niederschlagsmenge, die geografische Breite und Werte aus medizinischen Datenbanken ein, in denen Häufigkeit und Verbreitung von Erregern und Parasiten aufgelistet waren.
Als die Forscher die Vielfalt religiöser Gruppierungen in den jeweiligen Ländern zu diesen Daten in Beziehung setzten, ergab sich ein klarer Zusammenhang: Je größer die Bedrohung durch Infektionskrankheiten in einer Region ist, desto vielfältiger ist die religiöse Praxis, schreiben Fincher und Thornhill im Fachmagazin "Proceedings B" der britischen Royal Society.
Als Grund vermuten sie, dass ein hohes Infektionsrisiko zur Aufspaltung der Bevölkerung in immer kleinere Gruppen führt: Die Menschen würden den Kontakt zu Fremden eher vermeiden, sich stärker ihrer eigenen Gruppe zuwenden und keine großen Entfernungen zurücklegen. So komme es zur Entstehung immer kleinerer sozialer Strukturen mit eigenen religiösen Traditionen.
Einen ähnlichen Zusammenhang hatten Forscher bereits bei der Entstehung von Sprachen vermutet, wo eine starke Bedrohung durch Infektionskrankheiten ebenfalls mit einer großen Vielfalt einhergeht.
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,569029,00.html
Gestern war ich in mal wieder auf meinem Spaziergang in der katholischen Kirche und zwar in der "Lourdesgrotte". Und da habe ich eine Kerze angezündet und ein paar Cent in die Kasse gesteckt. Daraufhin fragte mich eine "innere Stimme", welches Anliegen ich denn habe. Und ich sprach mental, "diese Kerze ist für dich, meine geliebte Madonna".
In dem Christenstaat USA bilden Atheisten inzwischen eine geächtete Minderheit. Doch nun wehren sich Evolutionsbiologen und wollen den Menschen den Glauben austreiben. Ihre These: Religionen sind das eigentliche Übel unserer Zeit.
Richard Dawkins, Zoologe von der Oxford University, tritt vor den Altar, genießt den Blick auf die vollbesetzten Kirchenbänke und sagt in feinstem Englisch: "Der Gott aus dem Alten Testament ist ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, völkermordender, sadomasochistischer, unberechenbar bösartiger Tyrann."
Zuerst tost Gelächter durch das Gotteshaus, dann klatschen die 600 Zuhörer in die Hände. Das Spektakel, das vergangenen Donnerstag in der First Parish Church im amerikanischen Cambridge stattfand, war das Gegenteil eines Gottesdienstes: Hier predigte einer, der den Leuten den Glauben austreiben will.
Richard Dawkins ist ein glühender Anhänger der Evolutionstheorie. In zahlreichen Büchern hat er sie einem Millionenpublikum erklärt. Jetzt, im Alter von 65, legt der Professor sein Vermächtnis vor: "The God Delusion" heißt das Werk - die Wahnvorstellung von Gott**.
Mit der Beflissenheit eines Naturwissenschaftlers legt Dawkins dar, warum es "fast sicher keinen Gott geben kann", und fordert eine Abkehr vom Glauben: "Sie können ein Atheist sein, der glücklich, ausgeglichen, sittlich und geistig ausgefüllt ist."
Nicht nur in der rappelvollen Kirche zu Cambridge (in der Buchautoren regelmäßig öffentlich lesen), sondern auch andernorts finden unerwartet viele Menschen diese Botschaft bedenkenswert. Dawkins' Kampfschrift wider den Glauben trifft einen Nerv: Sie erscheint in einer Zeit, in der sich die Weltreligionen feindselig gegenüberstehen. Das Buch hat auf Anhieb die Bestsellerlisten in Großbritannien, Kanada und den USA gestürmt. In den kommenden Wochen wird der Autor eine Lesereise von der amerikanischen Ostküste bis nach Kalifornien unternehmen.
In der Nation zwischen Atlantik und Pazifik gibt es für Professor Dawkins zu missionieren wie in keinem zweiten Land der westlichen Welt. Einer aktuellen Umfrage
der Zeitschrift "Newsweek" zufolge glauben 92 Prozent der US-Amerikaner an einen Gott. Zugleich ist die Präsidentschaft George W. Bushs die "erste glaubensorientierte Regierung in der amerikanischen Geschichte", wie es der Historiker Arthur Schlesinger ausgedrückt hat.
Mit Gottes Beistand hat Bush sein Land nicht nur in einen verlorenen Krieg gegen den Irak geführt. Auch der in der Welt aufblühende Anti-Amerikanismus ist zu einem Gutteil darauf zurückzuführen, dass viele die Unbelehrbarkeit des nach eigener Einschätzung "wiedergeborenen Christen" nicht mehr verknusen können.
Dass mit Dawkins der schärfste Kritiker aus dem liberalen Oxford kommt, ist kein Zufall. Und doch ist der Engländer beileibe nicht der einzige Naturwissenschaftler, der neuerdings die Gefahren und Absurditäten religiöser Überzeugungen offenlegt und sich in die Politik einmischt.
Nur einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 machte sich Sam Harris, ein Doktorand der Neurowissenschaft an der University of California in Los Angeles, daran, ein ketzerisches Buch zu schreiben: Die großen Weltregionen seien miteinander schlichtweg nicht zu vereinen, sie würden unweigerlich Konflikte schüren und "das Aufkommen einer brauchbaren Welt-Zivilisation verhindern".
Grauenhaft seien die Zustände in seiner Heimat, befand Harris; es sei schlichtweg tabu, den Glauben eines Mitbürgers zu kritisieren - mit fatalen Folgen: Menschen, die sonst eigentlich normal seien, könnten "die Früchte des Wahnsinns ernten und diese als heilig betrachten".
Als Beispiele lassen sich junge Muslime anführen, die Flugzeuge in Hochhäuser fliegen. Oder amerikanische Christen, die Abtreibungskliniken in die Luft jagen. Aus Harris' Sicht waren da mitnichten Extremisten am Werk, die ihre Religion nur falsch verstanden haben. Ganz im Gegenteil: Sie hätten sich nur an den Wortlaut ihrer jeweiligen heiligen Schriften gehalten. Denn diese seien nun einmal Anthologien von Gewalt, Racheakten und Dekreten, denen zufolge Ungläubige sterben müssen.
Sam Harris, inzwischen 39, konnte lange Zeit keinen Verleger finden. Und selbst als der New Yorker Verlag Norton einwilligte, sein Manuskript 2004 zu veröffentlichen, waren laut Harris einige Lektoren nicht bereit, sich mit ihm zu treffen.
Im Volk indes stieß Harris mit seinem Erstlingswerk auf großes Interesse. "The End of Faith" ("Das Ende des Glaubens") hat bisher 270 000 Exemplare in den USA verkauft und läuft auch als Taschenbuch glänzend. Im soeben erschienenen Nachfolgebuch, das ebenfalls in den US-Bestsellerlisten geführt wird, stichelt Harris weiter*. Organisierte Religionen vergleicht er mit Vergewaltigungen. Wenn es in seiner Macht läge, die Welt von einem dieser zwei Dinge zu befreien, erklärt Harris, dann "zögerte ich nicht, die Religion abzuschaffen".
Doch warum haben so gut wie alle Menschenvölker Religionen? Den nun aufbegehrenden Atheisten zufolge ist die Hinwendung zum Übernatürlichen ein Nebenprodukt der Evolution. Der Philosoph Daniel Dennett, 64, von der Tufts University in Medford, Massachusetts, vermutet: Unsere Gehirne seien durch die Evolution so gestrickt, dass religiöse Storys sich unter Menschen ausbreiten wie erfolgreiche biologische Arten.
Gerade die Gehirne von Kindern seien für religiöse Inhalte besonders empfänglich, glaubt Dawkins: Sprösslinge, die ihren Eltern brav gehorchen, haben demnach einen Vorteil in der natürlichen Aus-
lese. Folglich seien Kleinkinder von Natur aus darauf programmiert, elterliche Anweisungen nicht weiter zu hinterfragen. Dawkins schreibt: "Das Kind kann nicht wissen, dass 'Paddel nicht im krokodilverseuchten Limpopo-Fluss' ein guter Ratschlag ist, dass aber 'Du musst eine Ziege bei Vollmond opfern, da sonst der Regen ausbleibt' bestenfalls eine Verschwendung von Zeit und Ziegen ist." Die Empfänger des widersinnigen Ratschlags gäben diesen später an die eigenen Kinder weiter.
Die Folge dieser Unsinnslawine: Die mit religiösem Gedankengut infizierten Menschen sind mit rationalen Argumenten kaum mehr zu erreichen und kennen keine Selbstzweifel mehr. "Die Vermessenheit tiefreligiöser Menschen", urteilt Philosoph Dennett, "ist die gefährlichste Sache in der heutigen Welt."
Den Präsidenten George W. Bush und den Terrorchef Osama Bin Laden stecken die Atheisten Dennett und Dawkins in eine Schublade: beide auf der Seite des Glaubens und der Gewalt; beide gegen die Seite der Vernunft und des Diskurses.
Ihre eigene Weltauffassung schöpfen Philosoph Dennett und Zoologe Dawkins aus der Evolutionstheorie, die sie in zahlreichen Büchern weiterentwickelt haben. Richard Dawkins wurde in der ganzen Welt bekannt, als er 1976 sein Buch "Das egoistische Gen" vorlegte: Anders als bis dahin vom Gänseforscher Konrad Lorenz (1903 bis 1989) behauptet, gehe es in der Evolution keinesfalls nur um die Erhaltung der biologischen Art. Vielmehr sei das Gen die treibende Kraft der Selektion. Es benutze den Körper bloß, um sich zu vermehren. Das bedeutet: Sämtliche Tiere - und damit natürlich auch alle Menschen - sind reine Überlebensmaschinen für eigennützige, egoistische Gene.
Durch eine Vielzahl weiterer Bestseller wurde Dawkins zum einflussreichsten Biologen seiner Zeit, wobei ihn die Auswirkung der Evolutionstheorie auf die Religion zunehmend fesselte. Das Vorhandensein von komplexem Design in der belebten Welt war Tausende Jahre der Grund dafür, dass Menschen überhaupt an einen Designer, an einen göttlichen Schöpfer glaubten - wie sonst sollte das Auge des Adlers, das Winterfell des Schneehasen entstanden sein?
Doch dann erkannte der britische Naturforscher Charles Darwin (1809 bis 1882) den Mechanismus der natürlichen Auslese: Das Design in der belebten Natur entsteht in Wahrheit durch die seelenlosen Kräfte der Evolution. Aus simplen Amöben können so im Laufe von Millionen Jahren hochkomplexe Säugetiere entstehen. Erst mit dem Wissen um Darwins Entdeckung, so erkannte Richard Dawkins, sei es einem Menschen möglich, ein Leben
als "intellektuell erfüllter Atheist" führen zu können.
Auch die Vorstellung, Seele und Körper des Menschen seien getrennte Einheiten, ist inzwischen durch Erkenntnisse der Neurobiologie überholt. Gedanken entstehen aus Molekülen, Proteinen, Enzymen. "Wir Menschen mögen eine Seele haben", sagt Philosoph Dennett, "aber sie besteht aus vielen kleinen Robotern."
Die beiden Darwinisten belassen es nicht dabei, Gott die Existenzgrundlage abzusprechen. Sie geißeln auch den "Glauben an den Glauben", wie ihn so viele Menschen hegen: Selbst wenn es gar keinen Gott gebe, so die verbreitete Überzeugung, sei die Religion nützlich, weil sie den Menschen moralische Werte aufzeige.
Genau dieses Argument knöpft sich Dawkins in seinem neuen Buch vor. Er hält es nicht nur deshalb für abwegig, weil im Namen der Religion so viel Blut geflossen ist. Dem Zoologen zufolge sind es die Gesetze des Darwinismus selbst, die erklären, warum sich die meisten Menschen durchaus moralisch verhalten. Im Tierreich fänden sich viele Beispiele für Selbstlosigkeit ("Altruismus").
Bestimmte Ameisen, Termiten, Bienen und Wespen beispielsweise opfern sich für Artgenossen auf. Die darwinistische Begründung: Die Helfer und jene, die sich helfen las-
sen, sind eng verwandt. Auf den Menschen übertragen, würde das bedeuten: Anstatt ein eigenes Kind aufzuziehen, kümmert man sich um ein Dutzend Nichten und Neffen - und verhilft auch so vielen eigenen Erbanlagen in die nächste Generation.
Überdies finden sich in der belebten Natur zahlreiche Beispiele für "reziproken Altruismus": Helf ich dir, hilfst du mir. Genau so verhalten sich etwa Vampirfledermäuse. Sie teilen Blut mit hungrigen Artgenossen (indem sie es hervorwürgen) - merken sich aber genau, von wem sie beim letzten Mal selbst etwas abbekommen haben. Diejenigen Individuen, die fair teilen, verhungern nicht und können sich fortpflanzen.
Ganz ähnlich, glaubt Dawkins, muss es unter prähistorischen Menschen zugegangen sein. Sie lebten in überschaubaren Sippen und halfen sich gegenseitig. Wie auch den Sexualtrieb habe die Evolution die Selbstlosigkeit in das Gehirn des Menschen gestanzt. Diese Gefühle sind demnach auch in heutigen Menschen aktiv und erklären, warum Menschen fremde Kinder adoptieren und voller Liebe aufziehen.
Der Evolutionspsychologe Marc Hauser von der Harvard University hat das Moralverhalten von gläubigen und ungläubigen Menschen unterschiedlicher Kulturkreise untersucht und kommt zu dem Schluss: Alle Menschen verfügten über eine "universelle moralische Grammatik, eine Fähigkeit des Geistes, die im Laufe von Millionen Jahren" entstanden sei - durch die Evolution, ganz ohne göttliches Zutun.
Die Befunde der Darwinisten sind die neueste Munition in einem Kulturkampf, der in den USA heftiger denn je zwischen Ratio und Religion tobt. Die Anschläge vom 11. September haben die Gewichte zugunsten der christlichen Fundamentalisten verschoben.
Einer Gallup-Umfrage vom vergangenen Oktober zufolge sind 53 Prozent aller US-Bürger sogenannte Kreationisten: Sie gehen davon aus, dass die Erde vor 6000 Jahren entstanden ist - während die Naturwissenschaft das Alter auf 4,6 Milliarden Jahre schätzt. Richard Dawkins offenbart das Ausmaß des Fehlers durch einen geografischen Vergleich: "Es ist so", feixt er, "als ob man glaubte, New York City und San Francisco seien 700 Yards entfernt."
Doch wer in den USA gegen solchen Unsinn ankämpft und sich gar als Nichtgläubiger outet, gehört zu einer geächteten Minderheit. Autor Sam Harris erscheint zu öffentlichen Auftritten mit einem Leibwächter. Philosoph Dennett erhält Woche um Woche Briefe von christlichen Mitbürgern, die ihn darin buchstäblich zur Hölle wünschen.
Post kommt auch von Menschen, die vom Glauben abgefallen sind, das jedoch aus Angst vor Repressalien verschweigen. Typisch ist Dennett zufolge ein Briefeschreiber, der im Mittleren Westen eine Reinigung besitzt. Der Mann fühlt sich als Atheist, tut aber religiös, damit seine Kundschaft nicht wegbleibt.
Gerade einmal 37 Prozent der US-Bürger können sich laut der "Newsweek"-Umfrage vorstellen, einen nichtgläubigen Kandidaten ins Präsidentenamt zu wählen. Die Soziologin Penny Edgell von der University of Minnesota in Minneapolis sagt: "Weite Teile der amerikanischen Öffentlichkeit sehen Atheisten als Bedrohung der amerikanischen Lebensart." So sind bekennende Nichtgläubige in den USA kaum zu finden: 300 Millionen Menschen leben in dem Land, ganze 2500 von ihnen zählen zum Verbund der "American Atheists".
Doch Richard Dawkins hofft, diesen Kreis deutlich zu vergrößern. Und tatsächlich: Seine Wanderpredigt kommt beim Publikum gut an. Nach dem Vortrag in Cambridge applaudieren die Menschen hingerissen, und ein junger Mann tritt vor ihn hin. "Danke, dass Sie zu uns gekommen sind", ruft er und fragt dann: "Darf ich eine Umarmung von Ihnen haben?" Indigniert weicht der englische Professor zurück. So weit geht sein missionarischer Eifer dann auch wieder nicht. JÖRG BLECH
* In der First Parish Church in Cambridge. ** Richard Dawkins: "The God Delusion". Bantam Press, London; 416 Seiten; 28,95 Euro. * Sam Harris: "Letter to a Christian Nation". Verlag Alfred A. Knopf, New York; 104 Seiten; 12,95 Euro. * Im American Museum of Natural History in New York.
Quelle: http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/...=49298959&top=SPIEGEL
"Wo ist Dein Gott?"
Der Footballspieler Tim Tebow gehört zu den populärsten Figuren im amerikanischen Sport - wegen seiner Religiosität, die er auch auf dem Spielfeld zelebriert. Das ganze Land diskutiert über sein Verhalten: Soll ein Sportler seinen Glauben so ausleben dürfen? Und welchen Einfluss hat die Religion auf den Athleten? Amerika ist gespalten.
weiter: http://www.sueddeutsche.de/sport/...-tebow-wo-ist-dein-gott-1.1185072
Religiöse Predigten unter den Augen, ein Wurfarm wie eine Schrotflinte - und eine Pose, die Promis wie Justin Bieber und Lady Gaga nachahmen: Der streng gläubige Tim Tebow führt die Denver Broncos durch die NFL-Playoffs. Am Samstag muss er gegen seinen Entdecker antreten.
weiter: http://www.sueddeutsche.de/sport/...terback-zum-niederknien-1.1256556