Punsch, Pommes und Posaunen


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Neuester Beitrag: 20.12.02 11:06
Eröffnet am:19.12.02 11:12von: Happy EndAnzahl Beiträge:5
Neuester Beitrag:20.12.02 11:06von: utscheckLeser gesamt:1.029
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95441 Postings, 8521 Tage Happy EndPunsch, Pommes und Posaunen

 
  
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19.12.02 11:12
Es ist nun wieder diese besinnliche Jahreszeit über uns hereingebrochen, in der man abends in der frühen Dunkelheit durch die Stadt schlendert, in grellbunt-kitschig erleuchtete Fenster schaut und einem der kalte Ostwind trocken und alkoholgeschwängert entgegenbläst. Man lässt den Alltag hinter sich und schwelgt in alten Erinnerungen. "Markt und Strassen steh'n verlassen ..." - ja, früher war schon vieles besser.

Aber schnell zurück in die Gegenwart, sonst rempel ich noch mit diesem präsenilen Opa zusammen, der mit dem Frührentnerverein (* soweit in diesem Text von 'Frührentnervereinen' die Rede ist, so sind damit gleichermassen Kegelclubs, Kaffeekränzchen, Krabbelmuttis, Selbsthilfegruppen und sonstige Seniorenansammlungen gemeint) gerade freudestrahlend Glühweinstand Nr. 28 hinter sich gelassen hat. Und ich will doch wirklich nicht, daß der mir seinen lauwarmen Kirschpunsch "Winterzauber" für dreifuffzich über meinen sauteuren Burberry's Mantel pämpelt. Schäden auf Weihnachtsmärkten gehören ja inzwischen bei allen Versicherungen zu den kostenpflichtigen Zusatzleistungen. Aber blicken wir wieder politisch korrekt nach vorn, denn da rollt schon der nächste Angriff auf meine Garderobe auf mich zu: Familie mit drei Kindern unter 6 Jahren, bewaffnet mit 8500 klebrigen Kilo-Kalorien und kindlicher Arg- und Achtlosigkeit.

Das fordert meine vollste Konzentration, aber ich bringe geschickt einen entgegenkommenden Passanten zwischen mich und die Familie und kann schnell etwas Luft zwischen mich und den einsetzenden unkontrollierten Wutausbruch bringen. Dummerweise hat mich das näher an die überlebensgrosse Krippe gebracht, die schon am Vorabend des ersten Advent von den heiligen drei Königen heimgesucht wird - man sollte den Herren demnächst die Deutsche Bahn für die Anreise empfehlen. Aber die frühzeitige Überfüllung der Krippe fällt kaum auf, denn vor ihr hat sich das Schul-Orchester der Heilig-Abend-Realschule aufgebaut und demonstriert schonungslos blasmusikalischen Dilettantismus. Da freue ich mich wieder richtig auf zu Hause, wo mir wieder Westlife aus dem Radio entgegendudelt.

Aber bis nach Hause ist es noch weit, und erst muss ich Tochter Zion entkommen, die mich als pompöser und schlecht dirigierter Bläsersatz überfällt. Bloss ausser Sichtweite der Bühne, sonst fällt nachher noch auf, dass ich mich dem Applaus nicht anschliessen will, der doch bestenfalls Almosen-Charakter hat. Mit ein paar schnellen Schritten in eine sich wundersam auftuende Lücke gelingt mir das, jetzt kann ich erstmal wieder richtig durchatmen. Böser Fehler. Auf der anderen Seite der Lücke erkenne ich durch einen Ausbruch von frittenfettigem Nebel "Beckers Brutzelhaus", die konsequente Negation gesunden Essens.

Hier kann man alles, was sich braten lässt, in einer Form erleben, die die kühnsten Träume ziemlich alt aussehen lässt. Aber auch nach rechts und links ist kein Entkommen, hüben wie drüben lauern Cholesterinträger und tassenschwenkende Frührentnervereine. Da bleibt nur noch Notwehr, ich trete einem verträumt im Weg stehenden Mittvierziger zielsicher knapp unterhalb der Achillessehne in die Ferse und drängele mich mit einem halblaut gemurmelten "VerzeihungderHerr" in die Mitte des trägen Menschenstromes, der sich dahinwälzt zwischen den Buden mit "Original erzgebirglichen Unsäglichkeiten", "Veras Wollstübchen", "Tischers Weihnachtsschmuck Ex&Hopp" und "Osteuropäischer Krippenkunst". Hier offenbart sich mir, dass wir alle nur Statisten in Sam Raimi's neustem Streifen sind und "Braindead" eigentlich auch was für Kinder sein müsste. Hierhin darf man sie ja auch mitnehmen.

Nachdem die Vision verblasst ist, zwinge ich mich, mich wieder auf mein eigentliches Ziel zu konzentrieren - unbeschadet hier rauszukommen. Ja, ich gebe zu, ich war schon immer ein wenig anspruchsvoll. Aber nach dem Desaster mit den Versicherungen im vergangenen Jahr bin ich vorsichtig geworden. Ich orientiere mich nun an einer hellen Lichterkette, die offenbar den Ausgang markiert. Schnell ducken, sonst renne ich mir den Schädel an einem tiefhängenden Budenvordach ein. Kein Wunder, dass da keiner steht, der größer als 1,20 ist. Hinter mir nehme ich ein leises Klirren und ein lautes Fluchen wahr; schnell fege ich mit der Hand Reste von silbrigem Christbaumschmuck 'Lametta-Style' von meiner Schulter. Soll sich nicht so aufregen, die Tusse, selber schuld, wenn die das Zeug genau in den Weg hängen. Das ist doch bei den Preisen hier schon locker mit einkalkuliert, ein bisschen Verschnitt ist schliesslich immer. Und die soll bloss froh sein, dass ich kein Amerikaner bin, sonst würde ich ihr bei dem saugefährlichen Dach ohne gelb-schwarze Markierung den Arsch wegklagen.

Und prompt habe ich mein Ziel erst mal aus den Augen verloren, hier gibt es ja aus Prinzip keine geraden Wege. Statt dessen springt mich das fünfundsiebzigste Schild an, das weinerlich beteuert "Bei uns ist der Euro kein Teuro !" (Ausrufezeichen !) ; ist schon klar, letztes Jahr hat es schliesslich 2,80 gekostet und jetzt nur noch 2,40. Noch zwei Seitschritte, und ich habe endlich den Ausgang erreicht. Mist, Domseite, hier lauert noch der Stand des Erzbistums. Neben den üblichen Devotionalien liegt alles, was das Prinzip Merchandising hergibt, und da ist die "approbierte Biographie" seiner Eminenz noch das harmloseste. Bischöflich autorisierte Spirituosen konkurrieren mit Baseballkappen, Windjacken und Sweatern, alle wahlweise mit dem Wappen des Erzbistums oder einem Abbild des Doms.

Im Katalog des demnächst eröffnenden "BiShop" finden sich zudem die neuen Kleriker-Figuren (klein: 4,95; mittel: 9,95; gross: 24,95) mit einer Ankündigung der streng limitierten "Collector's Edition": 38cm gross, echt goldgewirkte Tiara beim Papst, die Kardinäle in mit echtem Purpur gefärbter chinesischer Seide, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein echtes Muss bei nur 198,50 pro Figur.

Endlich, wie durch ein Wunder, habe ich auch die Kirche hinter mir gelassen und schlage durch den dünner werdenden Strom von frierenden Kleinkindern, genervten Müttern und reichlich angetüdelten Vätern (nein, ich habe die Frührentnervereine nicht vergessen, die sind erst bei Glühweinstand Nr. 48 angekommen und haben noch ein Dutzend vor sich, Ordnung muss schliesslich sein) den Weg nach Hause ein. Vorbei an gescheiterten Existenzen, die sklavisch die Berge teuer erstandener Nutzlosigkeiten hinter ihren Ehefrauen herschleppen und noch dankbar sein müssen, dass der Typ am Stand mit den 0,75 Zentner Kerzen keine Kreditkarten nimmt. Gott sei Dank habe ich mein Portemonnaie gleich zu Hause liegen lassen.

Darum lasset uns einstimmen in den Chor der handelden Heerscharen: "Jauchzet, frohlocket! Es ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns das ganz große Geld !"

Und erinnert mich morgen bitte daran, dass ich den Mantel in die Reinigung bringe.  

9950 Postings, 8203 Tage Willi1Soll das heissen, dass Du heute

 
  
    #2
19.12.02 11:25
abend aufspielst?

Bis gleich
Willi




Willi1

 

179550 Postings, 8253 Tage Grinchhäbbie ich bin 22 und sogar vorsitzender

 
  
    #3
19.12.02 11:32
einer Selbsthilfegruppe!!! Ich finde das diskriminierent... obwohl ich schon Postsenil bin!!!  Ich fordere hiermit eine Entschuldigung und eine Richtigstellung!!!


 

5092 Postings, 8088 Tage dreameagleNa bei Deiner Slamlomtechnik...

 
  
    #4
19.12.02 14:49
wärst du doch besser ein Ski-Fahrer geworden*grins*

und kein Fussballfan!
Bist du soetwas nicht auch aus dem Stadion gewöhnt?


HOHOHO und Gruß DE

P.S. ich hoffe Du hast mich nicht auch mit einbezogen.....sonst lass ich nächstes Mal die Meute von der Leine!  

21880 Postings, 8096 Tage utscheckist der Mantel schon in der Reinigung??? o. T.

 
  
    #5
20.12.02 11:06

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