Know-how für A-Bombenbau frei zugänglich
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Eröffnet am: | 05.09.02 12:34 | von: vega2000 | Anzahl Beiträge: | 2 |
Neuester Beitrag: | 05.09.02 12:43 | von: Wilhelm747 | Leser gesamt: | 1.932 |
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ATOMWAFFEN-TERROR
Der Westen ist wehrlos
Good news: Osama Bin Laden hat die Bombe noch nicht. Bad news: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Terroristen in den USA eine nukleare Höllenmaschine zünden. Das Know-how für den Bau ist frei zugänglich. Man braucht nur ein paar Kilo waffenfähiges Spaltmaterial - oder eine von den vier Dutzend Aktentaschenbomben, die der Sowjetunion abhanden gekommen sind.
Um zwei Uhr früh meldeten amerikanische Spionagesatelliten eine sprunghafte Zunahme der Telefongespräche zwischen dem Moskauer Atomministerium, dem Kreml und dem russischen Geheimdienst. Kurz darauf traf im Kommandobunker unter dem Golfplatz Fort McNare am Potomac die Nachricht ein, die Kontrollen an den Grenzen zwischen Russland, Kasachstan und Tschetschenien seien verschärft worden. Da war was Dramatisches im Busch. Um 5.20 Uhr rief die "National Security Agency" (NSA) vorsichtshalber den nationalen Atomnotstand aus. Das Planspiel kam auf Touren.
Angenommener Sachstand: Die russische Mafia hat aus einer Atomwaffenschmiede bei Tscheljabinsk eine Ladung waffenfähiges Plutonium gestohlen. Die Amerikaner versuchen, den Stoff abzufangen. Sie können aber nicht verhindern, dass iranische Agenten ihn sich greifen und ihn an die arabische Terrororganisation Hisbollah weiterreichen.
Terror-Planspiel mit deprimierendem Ergebnis
Das Unheil nimmt sich ein paar Wochen Zeit: Die Hisbollah baut aus dem Plutonium eine primitive Atombombe und schickt sie auf die Reise nach Amerika, um sie in einer Stadt an der Ostküste zu zünden. Zoll und Küstenwache riegeln die ganze Ostküste ab. Aber sie finden die Bombe nicht. Der Mechanismus der Zwangsläufigkeiten tickt.
Die Bunkerbesatzung - Geheimdienstler, Professoren aus Princeton und Harvard - braucht die Vision aber nicht bis zum Ende durchzustehen. Kurz vor dem Höhepunkt bricht der Operationschef, Ex-Verteidigungsminister James Schlesinger, das Planspiel ab. Der US-Geheimdienst CIA zieht ein deprimierendes Resümee: "Wir werden mit diesem Problem nicht fertig - jetzt nicht und in Zukunft nicht." Bei einem terroristischen Atomangriff müssten die Vereinigten Staaten mit mehr Toten rechnen als im Zweiten Weltkrieg.
Alarmstufe Rot: Regierung reagierte ratlos
Im Oktober vergangenen Jahres, vier Wochen nach der New Yorker Twin-Tower-Katastrophe, meldete ein Agent des "Nuclear Energy Search Team" (Nest) in Nevada, Terroristen hätten eine Atombombe mit einer Sprengkraft von zehn Kilotonnen Dynamit in Manhattan versteckt. Die Nachricht gewann enorm an Plausibilität dadurch, dass gleichzeitig aus Moskau gemeldet wurde, der russischen Generalität sei eine Zehn-Kilotonnen-Bombe abhanden gekommen. Das hieß: Alarmstufe Rot. Und diesmal war es kein Planspiel.
Aber was konnte man tun? In einer Zehn-Millionen-Stadt eine Bombe suchen, die vermutlich nicht größer war als ein Reisekoffer? Aussichtslos. Um Panik zu verhindern, beschloss US-Präsident George Bush gar nichts zu tun. Es passierte nichts. Glück gehabt.
"Die größte Bedrohung für die Vereinigten Staaten und für Russland wird in den nächsten zehn Jahren der drohende Verlust oder Diebstahl von A-Bomben oder waffenfähigem spaltbaren Material sein", sagte Harvard-Professor Graham Allison, der Anfang der neunziger Jahre Bill Clinton als Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium diente. Die Gefahr einer Atombombenexplosion habe seit dem Ende des Kalten Krieges nicht abgenommen, sondern zugenommen.
Durch die Begrenzung auf zehn Jahre wollte Allison ausdrücken, dass man die terroristische Gewalt langsam aber sicher in den Griff kriegen würde, weil die Zeit gegen den Terror arbeite. Seit dem 11. September muss man davon ausgehen, dass das Gegenteil richtig ist: Dass der Big Bang Amerika bisher verschont hat, bedeutet nicht, dass er unwahrscheinlich ist, sondern dass er noch kommt.
Das befürchtet auch Präsident Bush. Er hat deshalb hundert hohe Beamte aus den wichtigsten Ministerien und aus dem Weißen Haus in zwei atombombensichere Bunker irgendwo an der Ostküste abkommandiert. Die Beamten sollen eine Notregierung bilden, wenn ein Atomschlag den Regierungssitz in Washington ausschaltet.
Know-how für Bombenbau frei zugänglich
Das Know-how, das zum Bau der Bombe benötigt wird, ist frei zugänglich. Die physikalischen Daten und Formeln kann man in alten Ausgaben des Wissenschaftsmagazins "Science" nachschlagen. Oder in Robert Serbers Werkstattbericht "The Los Alamos Primer", den man sich auch aus dem Internet herunterladen kann.
Das Missbrauchsrisiko hat die Regierung in Washington nicht dazu bewegen können, die wissenschaftliche Informationsfreiheit einzuschränken. Sie hat es aber mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass einige Verlage und Institute neuerdings im Vorspann vor Risiken und Nebenwirkungen warnen: "Sollte ein Laie versuchen, ein solches Gerät zu bauen, so setzt er/sie sich der Gefahr aus, sich umzubringen, und zwar nicht durch eine Atomexplosion, sondern durch radioaktive Strahlung" (Werkstattbericht "Outlaw Labs" von der Universität Berkeley). Ein überflüssiger Hinweis für Selbstmordterroristen, für die bekanntlich die Angst vor dem Tod kein entscheidendes Verhaltensregulativ ist.
Das "Office of Technology Assessment" (OTA) des US Congress meint, ein gewiefter Techniker könnte mit Hilfe von und ein paar Handlangern "möglicherweise einen primitiven Nuklearsprengsatz entwerfen und herstellen". Das Aufwendigste sind die Sicherheitsvorkehrungen. Eine Bombe gilt erst als perfekt, wenn das Risiko, dass sie zum unrechten Zeitpunkt hochgeht, gleich null ist. "Terroristen verschwenden im allgemeinen aber keinen Gedanken an die Sicherheit", sagt Atomwissenschaftler Morton Braemer Maerli vom Osloer "Institut für Internationale Angelegenheiten". "Deshalb haben sie es viel leichter."
Tausendfache Sprengkraft der Oklahoma-Bombe
Die primitivste Bombe ist das "gun-type nuclear explosive device", Typ "Little Boy", der Hiroshima zerstörte. Man braucht dazu 30 bis 50 Kilo hochangereichertes Uran 235. Es wird in zwei ungleich große Portionen geteilt, die man an beiden Enden eines knapp einen Meter langen Zylinders placiert. Dann wird am Fuß des Zylinders eine Ladung konventioneller Sprengstoff gezündet. Die Explosion treibt die kleinere der zwei Uran-Ladungen in die größere und löst eine thermonukleare Explosion aus.
Das "Kanonenrohrsystem" (Branchenjargon) ist museumsreif, aber gegenüber herkömmlichem Sprengstoff ein satter Quantensprung. Die Rohrbombe hat mindestens tausendmal so viel Sprengkraft wie die Ladung, mit der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh die Front des Federal Buildings in Oklahoma City wegsprengte.
Weil sie so leicht herzustellen waren, hatte etwa die Apartheid-Republik Südafrika kein Problem, sechs Stück davon zu bauen. Die 150 Kilo Roh-Uran, die sie dazu benötigten, erhielten die Südafrikaner von ihrem Freund Marschall Mobutu Sese Seko, dem Revolverpotentaten der zentralafrikanischen Republik Zaire, die damals einen beträchtlichen Teil des auf der Welt verarbeiteten Urans förderte.
Für Nagasaki-Modell reicht Material aus Sellafield
A-Bomben-Aspiranten mit weniger guten Beziehungen würden wohl eher die Implosionsbombe auf Plutonium-Basis wählen. Man nennt sie nach ihrem ersten Testgelände auch "Nagasaki-Bombe". Der Werkstoff Plutonium 239 ist leichter zugänglich als Uran. Und wenn es dazu nicht reicht, kann man auch Plutoniumoxid nehmen.
Die Herstellung einer Plutonium-Oxid-Bombe ist noch leichter als die eines atomaren Rohrkrepierers auf Uran-Basis: Man presst etwa 35 Kilo Plutoniumoxid in ein konisches Behältnis, das dann von gewöhnlichem Sprengstoff umgeben wird. Die Explosion des Sprengstoffs führt zu einzelnen Kernspaltungen, die dann in einer Kettenreaktion die Plutoniumoxidladung in die Luft jagen.
Neue Möglichkeiten eröffnet die Produktion von Mox in der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield in Nordwest-England. Mox ist eine Mischung aus Plutonium und Uranoxid. Um daraus waffenfähiges Spaltmaterial herzustellen, brauche man nicht mehr Aufwand zu treiben als zur Herstellung von synthetischen Partydrogen, sagt der britische Atomphysiker Frank Barnaby.
Ein einfacher Plutonium-Böller entwickelt eine Sprengkraft von ungefähr hundert Tonnen TNT. Das ist Spielkram für Atomkriegsstrategen, aber immerhin zehnmal so mächtig wie die sogenannte Erdbebenbombe, das stärkste Kaliber, das jemals in Kriegszeiten eingesetzt wurde. Sie würden reichen, um das Zentrum einer mittleren Millionenstadt in Schutt zu legen.
Primitivste Stufe des Atomterror-Repertoires: die Dispersionsbombe. Ihre Detonation löst keine nukleare Kettenreaktion aus. Sie richtet deshalb auch nur geringe Zerstörungen an. Aber sie wirbelt eine Menge strahlenden Müll auf, der ganze Landstriche für Jahrzehnte unbewohnbar machen kann.
Für den "Low-tech-Terror" einer "dreckigen Bombe" reichen Abfälle aus Forschungsreaktoren oder aus Krankenhäusern. Oder einer von den Atomgeneratoren, die früher auf entlegenen Baustellen in der Sowjetunion Strom spendeten und die heute zu Hunderten irgendwo in der Wildnis herumliegen. Man kann daraus keine Atombombe bauen, aber sie enthalten extrem strahlungsintensives Strontium 90.
Obwohl der Rohstoff nicht schwer zu beschaffen ist und obwohl man sie leicht herstellen kann, sind noch keine dreckigen Bomben zum Einsatz gekommen. Dafür gibt es eine einfache psychologische Erklärung: Die meisten Terroristen sind Exhibitionisten. Sie bevorzugen Terror, bei dem es tüchtig blitzt und knallt.
Spiegel