Klaus von Dohnanyi über die Schweiz und die EU
Klaus von Donanyi gab der Sonntagszeitung in Zürich heute ein grösseres Interview. Einige Auszüge davon:
Ist der Bilaterismus der Schweiz der richtige Weg? Unbedingt. Wenn ich Schweizer wäre, würde ich unter keinen Umständen der EU beitreten.
Warum nicht? Die Schweiz verdankt ihre erfolgreiche Position in der Welt ihren politischen Strukturen. Die würde ich mir nicht nehmen lassen. Von der EU würden diese Strukturen zwangsläufig platt gewalzt werden. Ich würde der EU nur unter aller grösster Not beitreten.
Wo sind die Grenzen des bilateralen Weges? Das muss ausgelotet werden Die Schweiz muss diesen Weg gehen. Eines Tages wird es vielleicht schwieriger, aber die EU muss ein Interesse haben, denn die Schweiz hat viel zu bieten und kann etwas vorleben.
Wer wäre die bessere Wahl für die deutsche Volkswirtschaft? Schröder oder Merkel? Nimmt man nur die beiden Personen, sind die Unterschiede viel geringer als viele denken. Die Differenz liegt in den Parteien.
Die Schweiz profitiert von Geldern die aus Deutschland in die Schweiz fliessen. Finden Sie das in Ordnung? Das ist unvermeidlich. Der Kapitalmarkt ist beweglich. Wenn die Schweiz günstigere Bedingungen gibt, muss Deutschland damit leben.
Ein Teil des Geldes ist aber nicht versteuertes Fluchtgeld. Da müssen bestimmte Dinge wahrscheinlich auf die Dauer geändert werden. Die Schweiz muss aber Wert darauf legen, dass ihre Form des Bankgeheimnisses bewahrt bleibt. Denn das ist ein Teil der Stärke der Schweiz. Andere Länder haben Atombomben, die Schweiz hat die Stärke des Bankgeheimnisses.
Bemerkenswerte Worte aus dem Munde eines Sozialdemokraten.
MfG quantas
Eigentlich bin ich auch für ein JA, aber die Sicherheit der Schweiz dadurch gefährden - lieber stimme ich NEIN!? Die Schweiz ist nämlich erst durch seine stabile Lage so erfolgreich.
Godlike
Die Abstimmung über die erweiterte Personenfreizügigkeit ist der siebte Urnengang über das Verhältnis der Schweiz zu Europa in den letzten 33 Jahren. Nachstehend eine Chronik:
- 3. Dezember 1972: Bei einer Stimmbeteiligung von 52,9 Prozent wird das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von 72,5 Prozent der Stimmenden und allen Kantonen angenommen.
- 6. Dezember 1992: Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent lehnt der Souverän den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Gebodigt wird die Vorlage von der Deutschschweiz; die Romandie stimmt geschlossen zu. Die Stimmbeteiligung liegt bei ausserordentlich hohen 78,7 Prozent.
- 8. Juni 1997: Die Volksinitiative «EU-Beitrittsverhandlungen vors Volk» wird von 74,1 der Stimmenden und sämtlichen Kantonen abgelehnt. Sie richtete sich gegen das 1992 in Brüssel deponierte Beitrittsgesuch der Schweiz und wollte den Bundesrat verpflichten, Beitrittsverhandlungen nur mit Zustimmung des Volkes aufzunehmen. Die Stimmbeteiligung beträgt nur 35,4 Prozent.
- 21. Mai 2000: Mit einem Ja-Stimmenanteil von 67,2 Prozent heisst das Volk die erste Serie der bilateralen Verträge gut. Nein zum bilateralen Weg sagen bei einer Stimmbeteiligung von 48,3 Prozent nur die Kantone Tessin und Schwyz.
- 4. März 2001: Mit 76,8 Prozent Nein-Stimmen wird die Volksinitiative «Ja zu Europa» abgelehnt. Bei einer Stimmbeteiligung von 55,8 Prozent sagen auch alle 26 Kantone Nein zum Begehren, sofort Beitrittsverhandlungen mit der EU aufzunehmen.
- 5. Juni 2005: Bei einer Beteiligung von 56,6 Prozent wird die Teilnahme der Schweiz an den Abkommen von Schengen und Dublin mit 54,6 Prozent Ja angenommen. Eine knappe Mehrheit der Kantone ist dagegen, doch spielt das Ständemehr keine Rolle.
Schweizer stimmen über Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ab
Die Schweizer Stimmberechtigten entscheiden heute über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten. Gemäss den neusten Hochrechnungen zeichnet sich eine Ja-Mehrheit ab. Eine Aussage war vorher schwierig, weil es lange Zeit ein grosses Lager von Unentschlossenen gab.
Hohe Stimmbeteiligung.
Integration heisst in diesem Fall unser Tod, eine faire Demokratie ist nicht mehr möglich.
Weiter kämpfen oder aufgeben!?
Godlike
Schweiz heisst Ausdehnung der Personenfreizügigkeit gutAuch die zweite europapolitische Abstimmung in diesem Jahr brachte ein Ja. Nach dem Vertrag zu Schengen/Dublin haben die Stimmberechtigten auch der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten zugestimmt. Das Resultat war deutlicher, als dies die Prognosen vor der Abstimmung erwarten liessen. ubl. Die Schweizer Stimmberechtigten haben am Sonntag der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit zugestimmt. Das Ja fiel mit 56,0 Prozent wesentlich deutlicher aus, als zuvor angenommen worden war. 1'457'807 Stimmberechtigte sagten Ja, 1'146'784 lehnten das Geschäft ab Die Stimmbeteiligung lag bei 53,8 Prozent. Damit wird die Personenfreizügigkeit - ein Element der ersten bilateralen Verträge mit der EU - auf die zehn neuen EU-Mitglieder ausgedehnt. Ablehnung nur in sieben KantonenAbgelehnt wurde die Vorlage lediglich in den Kantonen Obwalden, Nidwalden, Uri, Schwyz, Glarus, Tessin sowie Appenzell Innerrhoden. Alle anderen Kantone haben Ja gesagt. Damit wechselten sieben Kantone, die Anfang Juni die Verträge zu Schengen/Dublin noch abgelehnt hatten, ins Ja-Lager. In der Ostschweiz gab es nur noch im Kanton Appenzell Innerrhoden ein Nein, alle anderen Kantone haben «die Seiten gewechselt». Das klare Bild bei den Kantonen zeigt, dass die Vorlage auch das Ständemehr problemlos geschafft hätte, obwohl es diese Hürde beim aktuellen Geschäft nicht gab. Es gab keinen RöstigrabenInteressant dürfte die Auswertung des Abstimmungsverhaltens einzelner Gruppen sein, lässt sich doch jetzt schon sagen, dass dieses nicht den traditionellen Bahnen von Europa-Abstimmungen folgte. So gab es dieses Mal keinen Röstigraben. Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit wurde sowohl in der Westschweiz wie auch in der Deutschschweiz angenommen, lediglich das Tessin sagte Ja. Nicht so stark dürfte auch der Stadt-Land-Gegensatz gewesen sein. So waren in ländlichen Gebieten viele Bauern für die Vorlage, weil sie auf ausländische Hilfskräfte angewiesen sind. Zugleich gab es in Städten beispielsweise Zahnärzte, die sich vor der ausländischen Konkurrenz fürchteten. Auffallend war im Vorfeld der Abstimmung auch, dass sich viele Jugendliche Sorgen machten um die Arbeitsplatzsicherheit und deshalb gegen die Vorlage votierten. Zwei Seelen in der BrustOffenbar waren nicht wenige Stimmberechtigte rational von der Anpassung der Bilateralen I überzeugt, während sie sich zugleich unterschwellig um Arbeitsplätze sorgten und die Folgen eines Ja nur schlecht abschätzen konnten. Nur so lässt es sich erklären, dass die Gruppe der Unentschlossenen im Vergleich zu anderen Abstimmungen lange Zeit sehr gross war. Das führte auch zu Prognosen, die von einem knappen Entscheid ausgingen. Um auch die Gewerkschaften ins Boot der Befürworter zu holen, wurden flankierende Massnahmen gegen Lohndumping und zur Einhaltung von Gesamtarbeitsverträgen beschlossen. Im Jahr 2009 gibt es erneut die Möglichkeit eines Referendums. Und schliesslich kann bis 2014 im Rahmen einer Schutzklausel die Zuwanderung beschränkt werden. |
Das Ja des Schweizer Stimmvolks zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten ist zunächst einmal ein Ja zu dieser Sachfrage. Was die Schweiz vertraglich zuvor den bisherigen Mitgliedern der EU zugesichert hat, gewährt sie nun auch den neuen Mitgliedstaaten im Osten. Das Ja bedeutet jedoch mehr als eine blosse Vertragsergänzung, ist mehr als eine Ausweitung eines bereits bestehenden Grundsatzes auf die neuen Familienmitglieder des Nachbarn. Mit dieser Volksabstimmung sind die Weichen der Schweizer Europapolitik für die nächsten Jahre gestellt. Alle Elemente für ein umfassendes bilaterales Vertragswerk mit der EU sind nun unter Dach und Fach. Das bisherige helvetisch-europäische Kooperationsmodell kann fortgeführt werden. Das Ja des Stimmvolks erspart der Schweiz mühsame Auseinandersetzungen mit der EU über die sogenannte Guillotine-Klausel. Bei einem Nein hätte die EU nämlich die Option gehabt, aus dem bilateralen Vertragswerk auszusteigen. Mit dem unbeirrten und selbstbewussten Vorantreiben des bilateralen Wegs hat die Schweiz à la carte ein Kooperationsmodell mit der EU aushandeln können. Sie begibt sich weder in die Isolation, noch wird sie in das feste Korsett einer überstaatlichen Union eingebunden. Dort hätte sie als Kleinstaat wohl weniger Gewicht und könnte ihre Interessen schlechter wahren als mit den bilateralen Verträgen: Die Schweiz bleibt souverän in Europa. Für absehbare Zeit scheint ein Beitritt der Schweiz zur EU als unwahrscheinliche Option, unabhängig davon, ob das früher einmal gestellte Beitrittsgesuch weit unten in einer Brüsseler Schublade liegen bleibt oder förmlich zurückgezogen wird. Selbst wenn aus pragmatischen Gründen der sogenannte autonome Nachvollzug von EU-Recht in gewissen Bereichen unumgänglich ist, bleiben der Schweiz unter dem jetzigen bilateralen Vertragsregime grosse Handlungsspielräume, die ihr föderalistische, bürgernahe und direktdemokratische Lösungen ermöglichen. |
Uebrigens für Lehrer Talisker, die Berner Lehrer bekommen in Zukunft nicht mehr alljährlich automatisch eine Lohnanpassung an steigende Lebenshaltungskosten, dieses Privileg wurde durch den Berner Souverän gestrichen.
JA | JA % | NEIN | NEIN % | Beteiligung | |
ZH | 266272 | 59.4 | 181913 | 40.6 | 55.5 |
BE | 192714 | 60.2 | 127234 | 39.8 | 42.3 |
LU | 70956 | 51.0 | 68062 | 49.0 | 58.3 |
UR | 5193 | 43.9 | 6641 | 56.1 | 46.9 |
SZ | 21025 | 40.8 | 30518 | 59.2 | 57.5 |
NW | 7318 | 46.2 | 8532 | 53.8 | 55.9 |
OW | 5480 | 45.7 | 6515 | 54.3 | 53.5 |
GL | 5421 | 43.0 | 7201 | 57.1 | 50.5 |
ZG | 22883 | 55.4 | 18407 | 44.6 | 60.1 |
FR | 52407 | 59.1 | 36317 | 40.9 | 53.3 |
SO | 47745 | 54.1 | 40498 | 45.9 | 53.1 |
BS | 42961 | 63.6 | 24644 | 36.5 | 59.4 |
BL | 57213 | 59.7 | 38550 | 40.3 | 53.7 |
SH | 16296 | 51.1 | 15568 | 48.9 | 68.7 |
AR | 11340 | 53.6 | 9799 | 46.4 | 58.5 |
AI | 2337 | 43.6 | 3018 | 56.4 | 51.0 |
SG | 81736 | 52.2 | 74781 | 47.8 | 53.2 |
GR | 30970 | 51.0 | 29772 | 49.0 | 47.3 |
AG | 102535 | 51.0 | 98724 | 49.1 | 54.6 |
TG | 44271 | 52.3 | 40462 | 47.8 | 58.2 |
TI | 36329 | 36.1 | 64335 | 63.9 | 50.4 |
VD | 140171 | 65.3 | 74619 | 34.7 | 57.1 |
VS | 56715 | 53.0 | 50277 | 47.0 | 57.0 |
NE | 41243 | 65.1 | 22067 | 34.9 | 60.3 |
GE | 81192 | 58.1 | 58452 | 41.9 | 62.6 |
JU | 14592 | 58.6 | 10323 | 41.4 | 51.7 |
Total | 1457315 | 56.0 | 1147229 | 44.0 | 53,8 |
Und, findest du das gut? Oder ist das nicht nen Musterbeispiel für die Gefahr von populistisch ausfallenden Volksabstimmungen (auch wenn ich nu nicht weiß, wie diese Entscheidung begründet wurde bzw. im Vorfeld Stimmung dafür gemacht worden ist)?
Gruß
Talisker,
der froh ist, dass ein ausgehandelter Tarifvertrag über seinen Lohn bestimmt und nicht irgendeine wie auch immer ausfallende, unter welcher Stimmung auch immer durchgeführte Volksabstimmung...
Der Handelsrat der polnischen Botschaft in der Schweiz, Jan Szustkiewicz, sagte gegenüber SF DRS, ein Nein hätte die polnische Bevölkerung getroffen. Denn Polen bewundere die Schweiz.
Szustkiewicz ist überzeugt, dass es keine Masseneinwanderung von polnischen Arbeitern in die Schweiz geben werde. Die Polen würden nicht einmal innerhalb des Landes in Gebiete mit einer tieferen Arbeitslosigkeit umziehen.
Dasselbe gelte für die tschechische Bevölkerung, sagte Josef Kreuter, der tschechische Botschafter in der Schweiz auf Anfrage. Der Zugang zum Schweizerischen Arbeitsmarkt sei deshalb nicht so wichtig. Vielmehr verhindere das Ja eine «inakzeptable Diskriminierung» von einzelnen EU-Mitgliedern und damit politische Probleme.
So sieht es auch Atis Lots, Sprecher des lettischen Aussenministeriums. Das Ja werde zudem die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz stärken.
Auch Diana Wallis, die Schweiz-Kennerin des EU-Parlaments, zeigte sich erfreut über das Ergebnis. «Doch nun haben wir einen wichtigen Punkt erreicht» ergänzte die Präsidentin der Delegation für die Schweiz, Island und Norwegen.
Sie sei nicht sicher, ob es auf dem nun bestätigten bilateralen Weg, diesem schrittweisen Vorgehen, weitergehen könne, denn die Beziehung Schweiz-EU «ist eine sehr komplizierte Beziehung». Vor allem die Schweiz müsse ihre Haltung überdenken.
Das Gesetz sieht bis 2011 eine Zuwanderungsbeschränkung vor, wobei die Zulassungen kontinuierlich steigen.
Ausländische Arbeitskräfte dürfen nur angestellt werden, wenn in der Schweiz niemand mit gleicher Qualifikation zur Verfügung steht.
Bevor eine Arbeitsbewilligung erteilt wird, müssen die Kantone die Lohn- und Arbeitsbedingungen kontrollieren.
Außerdem gilt bis 2014 eine Schutzklausel: Ist die Zuwanderung zu stark, so kann die Schweiz die Aufenthaltsbewilligungen wieder beschränken.
Für Arbeitssuchende aus Nicht-EU-Staaten wird aber im Gegenzug, die Aufnahme einer Arbeit in der Schweiz massiv eingeschränkt.
Du siehst, es ist nicht Lohndumping im Spiel. Es ist einfach so, dass wir den neuen Staaten der EU den freien Personen-Verkehr auch bieten müssen.
Nun ist aber Schluss, die Bilateralen sind da, mehr wollten wir nicht. Die Schweiz hat den freien Wirtschaftsverkehr mit der EU und mehr will sie nicht. Es wird jetzt noch eine Milliarde Franken Kohäsionszahlungen der Schweiz an die neuen EU-Länder geben und dann ist Ende mit Zahlungen an die EU.
Die Schweiz ist bleibt unabhängig, kann ihre direkte Demokratie weiter pflegen und hat sich durch zähe Verhandlungen mit der EU wichtige Vorteile geholt.
Netto-Zahler der EU wird die Schweiz nie werden. Ist doch gut so, dass EU-Beitrittsgesuch wird wahrscheinlich noch dieses Jahr noch zurück gezogen werden.
Gruss quantas
Ausland begrüsst AbstimmungsausgangProdi sieht Europa gestärktDie Annahme der erweiterten Personenfreizügigkeit ist von Medien und Politikern im Ausland einhellig begrüsst worden. Im Vordergrund der Berichte und Stellungnahmen stand die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarkts für Arbeiter aus Osteuropa und die positiven Effekte, welche die Abstimmung für Europa habe. (ap) Das Ja der Schweiz zur Personenfreizügigkeit wurde aber auch als positives Signal für Europa gewürdigt. Der frühere EU-Kommissionspräsident und Führer der Opposition in Italien, Romano Prodi, sieht den Zusammenhalt Europas durch den Schweizer Volksentscheid gestärkt. Die Integration der Völker werde dadurch gefördert, sagte Prodi und sprach von einer guten Nachricht. Impulse für die EU-ReformDer EU-Arbeitskommissar und frühere tschechische Ministerpräsident Wladimir Spidla bezeichnete den Abstimmungsausgang als sehr gutes Signal im gesamten Umfeld der Debatte über den freien Personenverkehr innerhalb der EU. Von einem Signal der Öffnung in einer schwierigen Phase der europäischen Integration sprach der italienische Europaparlamentarier Lapo Pistelli. Dass dieses Signal gerade aus der Schweiz komme, sei wichtig und töne wie eine Mahnung an die 25 EU-Staaten, den Weg der Reformen wieder aufzunehmen. Ausländische Presse würdigt die ÖffnungDer Ausgang der Volksabstimmung wurde auch von den meisten ausländischen Medien gewürdigt. Unerwartet deutlich sei die Zustimmung ausgefallen, berichtete «Die Welt». Der Wiener «Standard» schrieb, die Schweiz rücke wieder ein Stück an die EU heran. Allerdings sei nicht einmal für die proeuropäischsten Schweizer mittelfristig ein ernsthaftes Nachdenken über einen EU-Beitritt vorstellbar, kommentierte das Blatt und schloss mit den Worten: «Die Schweiz und Europa? So nah und doch so fern.» «Die Schweiz öffnet ihre Türen für die Arbeiter Osteuropas», titelte «Le Monde» in der Online-Ausgabe. Die Pariser «Liberation» machte unter anderem darauf aufmerksam, dass sich der Graben zwischen der europhilen Westschweiz und der in der Frage der Öffnung widerspenstigen Deutschschweiz diesmal nicht manifestiert habe. Die wichtigsten Deutschschweizer Städte Basel, Bern und Zürich hätten sogar deutlicher zugestimmt als einige Westschweizer Kantone. Der Genfer Korrespondent der «International Herald Tribune» würdigte unter anderem den Umstand, dass die Schweiz das erste westeuropäische Land ist, in dem das Volk der Öffnung für Arbeiter aus Osteuropa zugestimmt hat. Er verwies auf Analysen, wonach die Schweiz trotz ihres isolationistischen Rufs eine der offensten Volkswirtschaften auf dem europäischen Kontinent habe. |
Bemerkenswert ist eine gewisse Konvergenz. Die Westschweiz ist zwar, wie stets in der Europa- und der Ausländerpolitik, eher für eine Öffnung als die anderen Landesteile. Der Ja-Überschuss hat in den französischsprachigen Kantonen gegenüber der Schengen-Abstimmung jedoch leicht abgenommen. Auf der anderen Seite haben die Befürworter einer Liberalisierung des Grenzregimes im weitesten Sinn in der Deutschschweiz Boden gewonnen. Bern hat insofern Genf überholt. Sieben Kantone oder Halbkantone haben auf die Ja-Seite gewechselt. Im Nein-Lager verbleiben Innerrhoden, die Urschweiz, Glarus und, mit der stärksten Ablehnung, das Tessin. Die «Gräben» verlaufen also nicht hauptsächlich den Sprachgrenzen entlang, während die Einbürgerungsabstimmung vor einem Jahr ein stärker polarisiertes Bild ergeben hatte.
Das Ja zur Anpassung des Abkommens über die Personenfreizügigkeit ist nüchtern und konsequent. Dass es nur zögernd, ohne Begeisterung erfolgte, lässt sich erklären. Die Personenfreizügigkeit war diesmal nicht Teil eines Europa-Pakets, das vielerlei Vorteile versprach. Wenn der Souverän Volksinitiativen für eine Reduktion des Ausländerbestands stets abgelehnt hat, ist er gegenüber Rechtsansprüchen von bisherigen und künftigen Einwanderern meist skeptisch. Ausserdem war zu befürchten, dass die gegenwärtige Verunsicherung auf dem Arbeitsmarkt Abwehrreflexe auslösen könnte. Der Aufwand auf Befürworterseite war denn auch beträchtlich. Die ihrerseits nicht mittellosen Gegner wiesen missbilligend darauf hin. Entscheidend war aber wohl die verbreitete Überzeugung, dass die Schweiz ein Ja braucht, weil sie keine Alternative zu guten bilateralen Regelungen mit der EU als Ganzem hat. Daraus ergab sich in vielen Kreisen auch ein persönliches Engagement. Die Opposition konnte einen Zusammenhang mit einem EU-Beitritt noch weniger konstruieren als bei der Polizeikooperation. So kämpfte auch der Unternehmerflügel der SVP, entgegen der Parole der nationalen Partei, für die Freizügigkeit.
Als starkes Argument dienten die verschärften flankierenden Massnahmen gegen Lohnunterbietung. Sie werden und sollen nicht jede unangenehme Konkurrenz verhindern. Umso mehr sind sie gewissenhaft anzuwenden. Behörden und Sozialpartner haben gemeinsam Verantwortung dafür übernommen, für wirksame Kontrollen zu sorgen und allenfalls Mindestlöhne vorzuschlagen. Besonders die Arbeitgeberverbände, denen neue Auflagen an sich gewiss nicht willkommen sind, haben sich am Vollzug, der 2006 auf eine intensivere Stufe kommt, so zu beteiligen, dass das Vertrauen gefestigt wird.
Die nächsten europa- und ausländerpolitischen Entscheide sind bereits programmiert. 2007 oder 2008 treten Rumänien und Bulgarien der EU bei. Erneut wird die Schweiz eine gute, referendumsfeste Übergangsregelung aushandeln müssen; die Chance für eine dauerhafte Kontingentierung (im Unterschied zur EU-25) ist allerdings gering. 2009 steht die generelle Verlängerung beziehungsweise Kündigung des Abkommens zur Diskussion. Aus der letzten Verhandlungsrunde besteht übrigens noch die Pendenz der «einseitig» zugesagten Strukturhilfe an die ostmitteleuropäischen Staaten. Im Fall der zu befürchtenden Kompensation der Kosten zulasten der Entwicklungszusammenarbeit (Südhilfe) ist hier auch mit kritischen Stimmen von links zu rechnen. Politisch steht der Bundesrat allerdings bei den Kohäsionsbeiträgen gegenüber Brüssel im Wort.
Man mag von den Nervenproben der direkten Demokratie in diesen Fragen genug haben und der Freizügigkeit mit der EU wie der Migrationspolitik überhaupt endlich eine komfortable politische Basis wünschen. Der Blick richtet sich dabei auf die Bereiche, die das Land autonom regeln kann. In den kommenden Tagen widmet sich der Nationalrat der Differenzbereinigung beim Ausländergesetz. Die Befürworter konservativer Bestimmungen werden darauf verweisen, dass eine zurückhaltende Politik gegenüber Personen aus Drittstaaten das Gegenstück zur Öffnung auf die EU sei. Verfechter grosszügigerer Lösungen dürften betonen, liberale Grundsätze seien unteilbar. Soweit es um die Besserstellung und damit auch um die Integration bereits anwesender Menschen geht, liefert das neueste Abstimmungsresultat kein Argument für restriktivere Varianten. Geboten scheint aber weiterhin eine strikte Begrenzung der Neuzulassung aus Ländern ausserhalb der EU. Unabhängig vom Resultat der Beratungen ist nicht zu erwarten, dass der Schweiz weitere migrationspolitische Debatten erspart bleiben werden.
Ich bin stolz, dass wir als einziges Land in Europa, über die Personenfreizügigkeit, durch ein Volks-Plebiszit abstimmen durften. Dies macht die Abstimmung um so wertvoller.
Gelebte Demokratie nüchtern und rational!
quantas