Wie haben auch verstanden!


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Neuester Beitrag: 31.10.02 08:43
Eröffnet am:31.10.02 08:39von: DixieAnzahl Beiträge:2
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    #1
31.10.02 08:39
Wir haben auch verstanden!

Leitartikel
Von Konrad Adam
Wenn die Elbflut die Stunde der Exekutive war und die Kanzlerwahl die Stunde des Parlaments, dann ist die Regierungserklärung der Augenblick des Volkes. Die Wähler erfahren, was die Gewählten mit ihnen vorhaben. In dieser Lage hat den Kanzler sein Gespür verlassen. Es war ein Fehler, sich auf die Nachfolge von John F. Kennedy herauszuspielen und die Bürger danach zu fragen, was sie für ihr Land tun könnten. Denn es macht einen Unterschied, ob man so etwas vor Antritt seiner ersten oder zu Beginn seiner zweiten Amtsperiode vorträgt. Das hat der Kanzler nicht begriffen. Während Kennedy noch alle Hoffnungen auf seiner Seite hatte, hat Schröder schon manches hinter sich.

Der Sinn für solche Unterschiede scheint ihm zu fehlen. Nachdem er die Wahl gewonnen hat, ist es mit Takt und Stil bei Schröder vorbei. Wie Wehner - "Wir brauchen Sie nicht!" - stößt er die Opposition vor den Kopf, um sie gleich anschließend im Stil von Mielke ("Ich liebe euch doch alle") zu umarmen. Vielleicht glaubt er inzwischen selbst, was er zum Lobe seine überaus wandlungsfähigen Außenministers einmal bemerkt hat: dass die bunten Vögel beim Publikum besser ankommen als die grauen. Das gilt aber nur im Zoo, und soweit sind wir in der Politik denn doch noch nicht.

Wer seit vier Jahren an der Regierung ist und weitere vier Jahre lang regieren möchte, sollte einige Fragen beantworten können. Zum Beispiel diese:

Mit welchem Recht erwartet er, dass jemand Arbeitsplätze schafft, die er als Kanzler unbezahlbar macht? Ein Recht auf Arbeit mag es geben; die Pflicht, andere mit Arbeit zu versorgen, gibt es dagegen sicher nicht.

Mit welchem Recht presst er Berufsanfänger zur Mitgliedschaft in einem Versicherungsverein, der ihnen nur noch eins versprechen kann: dass sie erheblich weniger zurückbekommen, als sie eingezahlt haben? Verpflichtet Solidarität dazu, sich selbst zu ruinieren?

Mit welchem Recht wirbt er für das Ehrenamt, wenn er das wichtigste Ehrenamt von allen, das von Eltern, bestraft? Das höchstrichterliche Urteil, das die Regierung dazu anhält, mit jedem einzelnen Reformschritt die Benachteiligung der Familie abzubauen, ist immer noch nicht umgesetzt.

Mit welchem Recht will er ganzen Berufsgruppen eine Nullrunde verordnen, wenn der Staat seinerseits die administrierten Preise für Wasser, Energie und Müllabfuhr drastisch erhöht? Kann oder will die Obrigkeit nicht sparen?

Mit welchem Recht verlangt er Steuerehrlichkeit, wenn sein Finanzminister nach dem schäbigen Prinzip vorgeht, die Steuern nicht von denen einzutreiben, die sie am besten bezahlen können, sondern von denen, die sich am schlechtesten dagegen wehren können? Während die großen Unternehmen Steuergutschriften in Milliardenhöhe entgegengenommen haben, ging die Masse der Lohnsteuerpflichtigen leer aus.

Dass so viel Willkür hingenommen wird, hat wenig mit Billigung, dafür aber umso mehr mit schierer Unkenntnis zu tun. Die Schafe wissen nicht, dass sie und wie sie geschoren werden, und glauben deshalb, dass ihr Nachbarschaf noch kräftiger unter die Schere kommt als sie selbst. Der starke Staat, auf den der Kanzler so stolz ist, begünstigt doch nicht die Bedürftigen, sondern diejenigen, die sich im System auskennen und eine starke Lobby haben.

Deswegen habe ich wenig Lust, des Kanzlers Einladung anzunehmen. Ich habe es längst aufgegeben, mich zu fragen, was ich dazu beitragen kann, dass "es" besser wird. Denn ich weiß ja, warum "es" nicht geht: weil sich eine außer Rand und Band geratene Staatsmaschinerie anmaßt, besser als jeder Einzelne zu wissen, was gut ist für ihn selbst und seinesgleichen. Nachhaltig scheint mir an dieser Regierung und den sie stützenden Gruppen nur die Entschlossenheit zu sein, nachhaltig in der Gegenwart zu leben. Der Dritte Weg ist zu Ende, was folgt, ist der Marsch in die Arbeitnehmergesellschaft. Warum als Bürger dabei helfen?

Wir bestehen auf dem Recht, den Wagen, der uns überrollen soll, nicht auch noch selbst zu ziehen. "Wir haben verstanden", hat der Kanzler einmal gesagt. Wir auch.


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    #2
31.10.02 08:43

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