### George W. Bush in Mainz ###
"Nun müssen Taten folgen", mahnt Belgiens Regierungschef Verhofstadt nach dem Gipfeltreffen. Irak, Iran und Nahost sollen Beispiele dafür geben
Deutliches Händeschütteln: US-Präsident Bush (l.) und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
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Brüssel - Nach dem Versöhnungsgipfel der EU mit US-Präsident George W. Bush fordert der belgische Premier Guy Verhofstadt praktische Schritte. "Wir haben einen hoffnungsvollen Neubeginn. Es müssen nun Taten folgen, auf der Seite der Amerikaner und auf der Seite der Europäer", sagte der liberale Regierungschef in Brüssel.
Bei dem Gipfel sei deutlich geworden, daß die Amerikaner in einem anderen Ton mit ihren europäischen Partnern sprechen. Bush habe sein Interesse an einem einigen und starken Europa unterstrichen, sagte Verhofstadt, der zu den Gegnern des Kriegs im Irak zählte.
Brüssel sichert Irakhilfe zu
Nach den Wahlen in dem von US-Truppen und Verbündeten besetzten Land sind EU und USA bereit, eine internationale Wiederaufbaukonferenz für den Irak auszurichten. Wenn die künftige irakische Regierung dies wolle, würden die Vereinigten Staaten und die EU gemeinsam ein solches Treffen organisieren, sagte EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker.
Bush begrüßte diesen Vorschlag ausdrücklich. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, Brüssel wolle sich auch weiter für einen stabilen und demokratischen Irak engagieren. Bush hatte die EU-Staaten aufgefordert, dem Irak als der "jüngsten Demokratie der Welt" mehr Hilfe zu gewähren.
Schröder wirbt für diplomatische Lösung der Iranfrage
Der dem Irak benachbarte Iran soll ebenfalls Gegenstand einer gemeinsamen europäisch-amerikanischen Linie werden. Amerika und Europa seien sich einig, daß der Iran niemals in den Besitz der Atombombe kommen dürfe, sagte Bush. Für die EU warb Bundeskanzler Gerhard Schröder darum, gemeinsam eine diplomatische Lösung zu suchen. Der Iran behält sich die Herstellung eigener Atomwaffen vor.
Beide Seiten sicherten außerdem den Palästinensern und Israelis ihre Unterstützung zu, einen Frieden im Nahen Osten zu verwirklichen. An die Adresse Syriens gerichtet forderten Bush und EU-Ratspräsident Juncker die "lückenlose Aufklärung" des Mordes an dem früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri.
China als Reizthema
Reizthema bleibt eine mögliche Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China. Dafür hat sich unter anderen Kanzler Schröder stark gemacht. Bush warnte die EU-Staaten davor, das Waffenembargo gegen China übereilt aufzuheben und Hochtechnologie in das kommunistische Land zu liefern. Es bestehe das Risiko, daß sich durch europäische Waffenlieferungen das Gleichgewicht zwischen China und Taiwan verschiebe. WELT.de
Artikel erschienen am Di, 22. Februar 2005
MfG
kiiwii
In der Metzgerei Riechard, die ihre Kundschaft in der Sicherheitszone um das Kurfürstliche Schloß schon recht nahen Clarastraße bedient, hat sich hingegen Durchhaltewillen breitgemacht. Gestählt von Erfolgen im harten Wettbewerb - soeben wurde im „Großen deutschen Fleischwurstwettbewerb” eine goldene Medaille erkämpft -, verkündet der Metzger auf weißem Papier: „Wir versuchen, auch am 23. Februar für unsere Kunden offen zu halten.”
Rolläden runter
Probelauf für den Bush-Besuch |
Nicht mehr zu öffnen werden an diesem Mittwoch etwa 1.300 Mainzer Gully-Deckel sein. Überall dort, wo der Troß der 150 Wagen sich auf dem Weg vom Frankfurter Flughafen über die Autobahnabfahrt Weisenau in die Innenstadt am Mittwoch vormittag bewegen wird, haben Schweißer im Auftrage der Stadt die runden Scheiben fest mit dem Rand der jeweiligen Schächte verbunden.
Neben Tausenden von Mainzer Arbeitnehmern, die wie die Opelaner in Rüsselsheim zwangsweise einen freien Tag nehmen müssen, weil sie mit ihren Autos weder zu Arbeitsbeginn noch am Nachmittag mobil sein können, sehen sich also auch die Kanalratten mit der Umsetzung von Sicherheitsauflagen konfrontiert, die in der Geschichte der Stadt ohne Beispiel sind. Manche Garage in der Sicherheitszone ist in diesen Tagen für ihre Besitzer nicht nutzbar. Die Rolläden der Fenster entlang der Boelckestraße, die vom rechtsrheinischen Brückenkopf gegenüber der Innenstadt in Richtung Wiesbaden führt, haben geschlossen zu bleiben.
Hausmeister mit Freigang
Selbst die Klappe am Laternenmast wurde polizeilich versiegelt |
Die am Kasteller Kreisel gelegene Gustav-Stresemann-Schule hat schon am letzten Wochenende Besuch von der Polizei erhalten und wird seither Tag und Nacht observiert. Der dort wohnende Hausmeister Philipp Seniuk ist angehalten, sich in den kritischen Stunden am Mittwoch nicht am Fenster zu zeigen. Die Familie wird den Tag im Haus verbringen, er selbst darf, wie ihm zugestanden wurde, auch den Schulhof betreten. Hier wird Bush an diesem Nachmittag auf dem Weg zum Militärflugplatz Erbenheim vorbeikommen, wo ihn die als Soldaten in Wiesbaden stationierten Landsleute begrüßen werden.
Die Schülerinnen und Schüler der Gustav-Stresemann-Schule werden am Mittwoch, wie praktisch alle Mainzer Schulen, einen zusätzlichen freien Tag genießen können, aber wegen des Stundenausfalls auch zusätzlich aufgegebene Arbeit leisten. Weil der Rektor Rainer Dornig ein pflichtbewußter Pädagoge ist, hat er den Lehrkörper angewiesen, den Tag des Staatsbesuches zur Überarbeitung des Schulprogrammes sowie zur Ertüchtigung der pädagogischen Leistungsfähigkeit zu nutzen. Wie ernst die Sicherheitslage zu nehmen ist, zeigt der Spielcontainer auf dem Schulhof. Das Schloß, mit dem sein Inhalt vor unberechtigten Zugriffen geschützt ist, hat nicht das Zutrauen der Polizisten gefunden. Zusätzlich wurde am Dienstag nachmittag ein Siegel angebracht.
Mit der Kraft des Zaubertranks
Dem Steinmetzmeister Bernd Fuchs an der Boelckestraße hat der Bush-Besuch zu Reputation verholfen, welche die Grenzen seines Wirkungskreises rings um den Kasteller Friedhof sprengt. Der 41 Jahre alte Handwerker leistete gegenüber der Aufforderung von Beamten, die zwischen Werkstatt und Straße einer Verwendung harrenden etwa sechzig Grabsteine zu entfernen, hinhaltenden Widerstand.
„Wahnsinn” sei es doch, in den ein- bis zweihundert Kilogramm schweren Steinen „potentielle Wurfgeschosse” zu sehen, die einen eventuell hier vorbeifahrenden amerikanischen Präsidenten treffen könnten. Die vor zahlreichen Kameras wiederholte Feststellung von Fuchs, zu einer solchen Tat bedürfe es schon der von magischem Druidentrank beförderten Stärke eines Obelix, hatte dann sogar die Beamten scheinbar überzeugt. In den letzten Tagen, so sagt Fuchs, habe er von keinem solchen Ansinnen mehr gehört.
Einer Zweckentfremdung konnte hingegen der wegen der Winterszeit vom Wasser entleerte Brunnen im Innenhof des Kurfürstlichen Schlosses nicht entrinnen. Weil er als Ort von Wasserspielen bei dem derzeitigen Frostwetter nicht nutzbar war, ließ die Stadt ihn für diesen Mittwoch mit Erde und mit kälteunempfindlichen Pflanzen füllen. Nach dem Busch-Besuch kann der Brunnen dann seinen Winterschlaf fortsetzen.
Muß das „Gedöhns” sein
„Die Welt schaut auf Mainz”, sagt voller Stolz der designierte rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch und denkt dabei an die 1.800 Journalisten aus aller Welt, die aus der Stadt in alle Kontinente berichten werden. Bruch sollte eigentlich an diesem Mittwoch als Nachfolger von Walter Zuber im Mainzer Landesparlament vereidigt werden. Er muß zwei Tage warten.
Im Plenarsaal des Hohen Hauses sieht sich die 1832 von Patrioten bei ihrem Protestzug zum Hambacher Schloß mitgeführte schwarz-rot-goldene Fahne von zwei Sternenbannern eingerahmt. Der Saal des Parlaments erwartet hier den Auftritt des Sprechers des Weißen Hauses vor den mehr als 150 amerikanischen Journalisten, die über den Fortgang der Gespräche von Bush und Bundeskanzler Schröder berichten werden.
Die Mainzer Bürger zeigen sich, wie auch Beamte feststellen, zusehends mürrisch über das den Bush-Besuch begleitende „Gedöhns”. Muß das sein, fragt mancher zornig und denkt an die Kosten. Des Präsidenten wird kaum einer ansichtig werden. Das war vor fast 43 Jahren ganz anders. Am 25. Juni hatte John F. Kennedy in Wiesbaden die Zuschauer so in Begeisterung versetzt, daß Absperrketten brachen und jubelnde Bürger den Wagen des freundlich winkenden Präsidenten umschwärmten. „Einigen der jubelnden Wiesbadener war es gelungen, für einen flüchtigen Moment die Hand des gefeierten Kennedy zu ergreifen”, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 26. Juni 1963.
Abgesehen vom Wahlausgang hier in S-H;-), bin ich froh nicht im Ballungsgebiet zu wohnen und tagtäglich übers Kreuz Frankfurt zu müssen, dass war schon immer ein Grauß aber heute wird´s da ja richtig lustig. Das muss wirklich nicht sein, ich denke der Gastgeber sollte die Route und die Art und Weise eines Besuches gestalten. Nur meine Meinung,
MfG
DIE ZEIT
08/2005 Eine Frage der Würde Bush kommt nach Deutschland. Die Stimmung wird besser. Aber Freundschaft ist kein Vasallentum Die Europa-Reise der amerikanischen Außenministerin erinnerte an das Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein, in dem der Wolf zwar Kreide gefressen hat, um seine Stimme zu verstellen und freundlicher tönen zu lassen – aber doch derselbe geblieben war. Verteidigungsminister Rumsfeld war ein wenig vorsichtiger als Mrs Rice, schließlich hatte er vor einem Gremium zu sprechen, in dessen Augen seine Feldherrnqualitäten und seine Urteilskraft nicht mehr ganz unbeschädigt glänzen. Wenn demnächst der Präsident selbst nach Europa kommt, so wird er all seinen südstaatlichen Charme aufbieten, um eine »neue Phase der transatlantischen Beziehungen« zu suggerieren. Bedeutet dies alles eine prinzipielle Änderung der amerikanischen Außenpolitik? Ist Bush junior seit seiner überzeugenden Wiederwahl ein anderer geworden? Wohl kaum. Der Präsident wird viele Male Freiheit, Demokratie und Recht preisen. Guantánamo wird er dabei nicht erwähnen. Er wird auch kaum seine entscheidend wichtige Erklärung der »Nationalen Sicherheitsstrategie der USA« vom 17. September 2002 vortragen und seinen dort dokumentierten Willen, ohne Rücksicht auf das Angriffsverbot der UN-Charta präventive Kriege zu führen und für alle Zukunft die militärische Vorherrschaft der USA zu beanspruchen. Der Präsident wird vielmehr stillschweigend an diesen Prinzipien festhalten, zu denen er sich moralisch legitimiert und sogar von Gott beauftragt glaubt. Was also ist neu, abgesehen von der gefälligen Façon de parler? Neu ist die Einsicht, dass die USA zwar mit Hilfe technologisch hoch überlegener Distanzwaffen einen anderen Staat besiegen, ihn aber nicht dauerhaft besetzen und regieren können. Diese Einsicht gilt nicht nur für den Irak, sondern ähnlich für Iran oder für Nordkorea. Im Falle Iraks ist die Erkenntnis neu, dass ohne diplomatische Hilfen aus Europa und ohne zusätzliche Manpower der »willigen« europäischen Verbündeten ein Rückzug der amerikanischen Truppen sehr schwierig wird. Denn inzwischen ist der Irak das wichtigste Aktionsfeld für islamistische Terroristen aus vielerlei Ländern geworden. Hinter der amerikanischen Charme-Offensive vis-à-vis Europa verbirgt sich das Ersuchen um Hilfe. Viele europäische Regierungen werden sich schwer tun mit ihrer Antwort. Sie haben sich bereits in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan und im Irak mit Truppen engagiert, dazu kommen die unerklärten Protektorate über Makedonien und Albanien. Natürlich liegen Befriedung und Normalisierung im Irak mindestens ebenso sehr im europäischen wie im amerikanischen Interesse. Andererseits wissen die europäischen Regierungen, dass Demokratie im westlichen Sinne bisher kaum irgendwo im arabischen Raum funktionstüchtig existiert. Deshalb stehen sie dem erklärten Ziel einer »Demokratisierung des Mittleren Ostens« mit gehöriger Skepsis gegenüber. Die Europäer haben aber ein vitales Interesse daran, den vor einem Jahrzehnt von Samuel Huntington vorhergesehenen clash of civilizations zwischen dem Westen und dem Islam zu vermeiden. Und sie wissen, dass Amerika von einem solchen clash weit weniger in Mitleidenschaft gezogen würde und dass man deshalb von Amerika nur geringe Rücksicht auf religiöse, kulturelle und politische Konsequenzen erwarten kann. Unklar bleiben Amerikas Haltung gegenüber den europäischen Verbündeten und seine Absichten für die Zukunft der Nato. Als der Nordatlantikpakt 1949 geschlossen wurde, ging es um den militärisch bedrohlichen Gegner Sowjetunion. Seit deren Auflösung ist ein anderer möglicher militärischer Feind nicht zu erkennen. Seither bemühen sich viele Amerikaner und auch die diplomatische und die militärische Bürokratie der Nato um eine andere Aufgabe. Es wäre kein Zynismus zu sagen: Die Beauftragten eines militärischen Verteidigungsbündnisses sind auf der Suche nach einem neuen Feind. Allerdings liegt es durchaus im europäischen Interesse, das Bündnis und die Nato aufrechtzuerhalten, sozusagen als fleet in being. Während die USA 2001 den von einem übereifrigen Nato-Generalsekretär ausgerufenen »Bündnisfall« abgelehnt haben, sind sie inzwischen doch auf dem Wege, das Bündnis zu einem Instrument ihrer Strategie im Mittleren Osten umzuformen – und darüber hinaus. Im Text des Nordatlantikpaktes gibt es dafür keine Grundlage. Der Pakt hat keineswegs die Aufgabe, über seine geografisch definierten Grenzen hinaus Freiheit und Demokratie zu verbreiten; ebenso wenig verpflichtet er die vertragschließenden Staaten zur Mitwirkung. Bush wird auch kaum den Eindruck beseitigen können, den viele europäische Politiker in den vergangenen vier Jahren gewinnen mussten: nämlich dass Washington auch künftig in manchen Fällen unilateral handeln wird, ohne Rücksicht auf das weltumspannende Gefüge internationaler Verträge und Institutionen, ohne Rücksicht auf Verbündete oder gar auf die Europäische Union. Bis in die späten 1990er Jahre waren nicht nur China und Russland, sondern vornehmlich alle mit den USA verbündeten und befreundeten Staaten eine multilateral operierende Strategie der USA gewohnt: Amerika führte, jedoch in kooperativer Weise und unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Regeln. Nahezu alle Staaten der Welt haben ein vitales Interesse daran, dass diese Praxis wiederhergestellt wird – aber erzwingen kann das keiner. Der Präsident wird es sehr schwer haben, seine Verbündeten davon zu überzeugen, dass er keine Hegemonie anstrebt. In einem wichtigen Punkte stimmen die meisten Staaten der Welt heute mit den USA und mit Bush überein: Es soll keine Verfügungsgewalt über atomare Waffen in die Hände zusätzlicher Staaten gelangen, schon gar nicht in die Hände von staatsfrei handelnden Terroristen. Gegen die weitere Verbreitung atomarer Waffen haben die USA jedoch keine erfolgversprechende Strategie. Hoffnung gäbe es vielleicht dann, wenn die vom Nichtverbreitungs-Vertrag privilegierten Atomwaffenstaaten mit wirksamer Selbstbeschränkung ein Beispiel gäben. Aber auch darüber wird beim Besuch des Präsidenten kaum ein ernst gemeintes Wort gewechselt werden. Auslandsbesuche durch Staatsoberhäupter dienen mindestens zur Hälfte der Selbstdarstellung gegenüber dem heimatlichen Fernsehpublikum. Gleichwohl möchte man hoffen, Bushs Europa-Reise werde – neben dem Pomp – auch zu einigen ernsten Gesprächen hinter verschlossenen Türen dienen. Wie aber auch immer der Besuch verläuft, der amerikanische Präsident wird von den europäischen Gastgebern ernst genommen und freundlich empfangen werden. Wie groß oder wie gering auch immer die Divergenzen bei nüchterner Betrachtung bleiben, die amerikanische und die europäischen Nationen stehen einander näher als viele andere Völker und Staaten. Wir sind einander durch die Aufklärung und durch unser ethisches Erbe verbunden. Das amerikanische Fernsehpublikum muss diesen elementaren Zusammenhang aus Anlass dieses Besuches spüren können. Es muss gleichzeitig verstehen können: Wir Europäer wollen keine Vasallen sein, wir wollen unsere Würde bewahren.
Eigentlich wollte sich George W. Bush in Mainz als volksnaher und diskussionsfreudiger Staatslenker präsentieren. Doch eine Bürgerrunde mit vorher abgesprochenen Fragen lehnte das Auswärtige Amt in Berlin ab. Nun trifft sich der Präsident mit jungen Führungskräften - handverlesen von amerikanischen Instituten.
Fehlt da nicht etwas auf dem Programm, wenn heute US-Präsident George W. Bush in Mainz Station macht? Wo ist das so genannte Townhall-Meeting geblieben, eine Art Bürgerfragestunde im amerikanischen Stil? Noch vor wenigen Wochen hatte das Weiße Haus dieses Treffen zwischen ganz normalen Deutschen und dem mächtigsten Mann der Welt zum Herzstück des Bush-Besuches in Deutschland erklärt. Stolz erklärten US-Protokollbeamte, Bush wolle nicht nur die Politiker, sondern auch den Durchschnitts-Deutschen von der Richtigkeit seiner Politik überzeugen. Wo also könne man das besser tun als in einer offenen Runde, in der Handwerker, Fleischer, Bankangestellte und ein paar Studenten sitzen?
Die protokollarische Wirklichkeit sieht am Mittwochnachmittag anders aus. Das Townhall-Meeting ist gestrichen. Eine offizielle Begründung für die Absage gibt es weder von deutscher, noch von amerikanischer Seite. Aus dem Auswärtigen Amt (AA) hört man, das Treffen sei aus schlichten Termingründen entfallen. Alles ganz normal bei einem solchen Besuch mit vielen Ideen und nur wenig Zeit, so die Linie der Diplomaten. Hinter den Kulissen hingegen erscheint eine andere Erklärung: Eine unkontrollierte Begegnung mit dem erfahrungsgemäß US-skeptischen Normalo-Deutschen schien den Bush-Strategen zu unberechenbar. Einer Vorbereitung des Gedankenaustauschs nach US-Vorbild, bei der Teilnehmer und Fragen in einer Art Drehbuch sorgfältig ausgewählt werden, konnten die Deutschen wiederum nichts abgewinnen.
Bush mit offenem Visier
Ziemlich überrascht hatte das AA schon bei den ersten Planungen für die Mainz-Visite von Bush und seiner Frau Laura auf den unmissverständlichen Wunsch aus dem Weißen Haus reagiert, der Präsident wolle neben dem Kanzler auch mit ganz normalen Deutschen diskutieren. Weil dem Stab des Präsidenten die Sache aber so wichtig schien, machten sich die Protokollmitarbeiter das AA eilig an die Arbeit. Wo in Mainz sollte das Auditorium sitzen, wer sollte eingeladen werden? Wirtschaftsführer, Mainzer Bürger, Studenten, oder am besten alle gemeinsam?
Zum neuen Bush schien die Begegnung mit dem Bürger nur zu gut zu passen. Seit seiner Wiederwahl erscheint der Präsident selbstbewusst und schlagfertig, seinen Kritikern geht er nicht mehr aus dem Weg. Journalisten, die er einst mied, empfängt er inzwischen beinahe täglich zum Interview. Vor Publikum kann Bush locker, witzig und sehr überzeugend sein. Eine Hand am Mikrofon, die andere frei für große Gesten - Bush ist mittlerweile ein Meister in dieser von ihm hundertfach geprobten Form.
Offene Runde gegen die Missverständnisse
Das Townhall-Meeting schien der US-Administration wie gemacht, die skeptische deutsche Öffentlichkeit umzustimmen. Denn eine dauerhafte Verbesserung des Klimas, befanden die Strategen im Weißen Haus, ist nicht zu erreichen, wenn Bush nur die Politiker umstimmt. Die reagieren, halb aus Erleichterung über das Ende der Krise und halb aus staatspolitischer Vernunft, ohnehin recht freundlich. Der Präsident, erklärte einer seiner Pressesprecher noch vor zwei Wochen in Washington, werde in Europa trotzdem so schrecklich missverstanden. Umso mehr freue er sich auf das direkte Gespräch mit den Menschen.
Je länger aber die Diplomaten beider Seiten über die Tagesordnung für die Townhall-Runde diskutierten, umso offenkundiger wurden die verschiedenen Vorstellungen, wie der Programmpunkt Bürger treffen Bush vorbereitet werden muss. Das Weiße Haus, berichten deutsche Diplomaten, wollte Regeln ähnlich denen, die beim Besuch von Außenministerin Condoleezza Rice vor zwei Wochen galten.
Zensus für die Fragen
Damals wurden die Fragen für eine Diskussion mit Studenten einer französischen Eliteschule zuvor von Rices Stab begutachtet. Abgelehnt wurde etwa, was Benjamin Barnier, Sohn des französischen Außenministers für Rice aufgeschrieben hatte: "George Bush wird in der Welt, vor allem im Nahen Osten nicht verstanden, was können Sie tun, das zu ändern?" Genehmigt wurde lediglich Barniers Frage, ob im Irak eine theokratische Regierung nach iranischem Vorbild entstehe.
Eine solche Fragen-Regie aber war dem Auswärtigen Amt für die Mainz-Visite zuviel. Und Garantien, dass das Publikum nicht allzu kritisch nachhaken werde, wollten die Diplomaten von Joschka Fischer schon gar nicht abgeben. "Wir haben ihnen gesagt, seid nicht sauer auf uns, wenn böse Fragen gestellt werden", hat Wolfgang Ischinger, Deutschlands kundiger Botschafter in Washington, vergangene Woche bereits der "New York Times" anvertraut. Offiziell von der Agenda gestrichen wurde das Townhall-Meeting dennoch nie. Die Sache wurde ganz im Stil des gepflegten diplomatischen Umgangs geregelt - man redete einfach nicht mehr darüber.
Elite-Zirkel unterm Glaslüster
Statt der großen Runde trifft Bush nun einen elitären Kreis von so genannten "jungen Führungskräften". Eine ganze Stunde lang haben die rund 20 Teilnehmer der exklusiven Runde im edlen Mozartsaal des Schlosses in Mainz die Gelegenheit, den US-Präsidenten hautnah kennen zu lernen. Das Motto der Runde lautet "Ein neues Kapitel der transatlantischen Beziehungen". Unter den knapp sechs Meter hohen Decken des Parkettsaals sollen die im internationalen Slang gern auch als "young leaders" bezeichneten Teilnehmer als Vertreter der deutschen Öffentlichkeit ein ganz anderes Bild von George W. Bush gewinnen. Um die offene Rede zu garantieren, wurde die Presse von dem Termin von vornherein ausgeschlossen. Eventuelle Peinlichkeiten bleiben damit auch im kleinen Kreis.
Wer nun am frühen Mittwochnachmittag im "Mozartsaal" unter dem beeindruckenden Lüster am Konferenztisch Platz nimmt, suchten mehrere US-Institute in Deutschland aus. In den letzten Tagen schickte beispielsweise das Aspen-Institut und der US-finanzierte German Marshall Fund Listen mit möglichen Teilnehmern an das Auswärtige Amt. Voraussetzung war, dass die Nominierten zwischen 20 und 30 sind und bereits in jungem Alter Führungspositionen einnehmen. Folglich stehen nun keine Fleischer oder Handwerker, sondern junge Mitarbeiter der Firmen DaimlerChrysler, der Deutschen Bank oder der Unternehmensberatung McKinsey auf der elitären Gästeliste.
Bush trifft man nicht beim Brötchenholen
Eine der Teilnehmerinnen an der Bush-Runde ist die 31-jährige Berlinerin Katrin Heuel, Mitarbeiterin des Aspen-Instituts. Erst vor einigen Tagen bekam sie die Einladung aus dem Protokoll des AA und machte sich am Mittwochmorgen auf dem Weg nach Mainz. Ein bisschen nervös ist sie schon, schließlich trifft man George W. Bush ja nicht jeden Tag beim Brötchenholen in Berlin-Mitte. Von Absprachen für die Fragen oder einem Drehbuch für die Veranstaltung ist ihr hingegen nichts bekannt. "Ich werde ganz offen zu den Themen Iran, Nordkorea und Russland fragen", so die junge Mitarbeiterin der Programmleitung des Instituts am Nachmittag vor dem großen Tag. Gespannt sei sie, wie der Präsident auf die jungen Leute reagieren werde.
Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es ebenfalls, dass es vor der Runde kein Briefing über den Ablauf geben werde - zumindest nicht von der deutschen Seite. Lediglich eine ganze Reihe von Sicherheitschecks stünde routinemäßig auf dem Plan, da für den Mittags-Talk natürlich der höchste Standard gelte. Was der amerikanische Stab rund um den Präsidenten den "young leaders" vor dem Gespräch einflüstert, ist nicht bekannt. Zum Glück aber schließt eigentlich ja schon das Ober-Thema der Runde unangenehme Fragen nach der Vergangenheit aus - schließlich soll es ja um die Zukunft gehen.
Peinlich.
MfG
kiiwii