Geht uns die Arbeit aus?


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Neuester Beitrag: 28.01.03 11:43
Eröffnet am:28.01.03 11:35von: Schwedenku.Anzahl Beiträge:2
Neuester Beitrag:28.01.03 11:43von: Mützenmach.Leser gesamt:590
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534 Postings, 7881 Tage SchwedenkugelGeht uns die Arbeit aus?

 
  
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28.01.03 11:35
Massenkündigungen bei Fusionen, steigende Aktienkurse bei Personalabbau, Produktivitätssteigerungen und die anhaltende Massenarbeitslosigkeit in Europa erzeugen eine Stimmung, die das "Ende der Arbeit" heraufbeschwört und die Unmöglichkeit einer Rückkehr zur Vollbeschäftigung predigt. SoziologInnen und PolitologInnen schreiben dutzende Bücher, in denen diese These vertreten wird und meinen, die Gesellschaft solle gemeinnützige Tätigkeiten irgendwie fördern.

Vollbeschäftigung: ein Relikt?

Hans Peter Martin verbreitete in seinem Bestseller "Globalisierungsfalle" die Szenerie, dass Erwerbsarbeit eine Ausnahmeerscheinung sein wird, nämlich nur für 20% der Bevölkerung.

Vivianne Forrester meint in "Der Terror der Ökonomie", dass es sich bei der Arbeitsgesellschaft um eine "untergegangene Welt" handelt. Sie kommt zum Schluß, dass es angesichts des "nicht zu behebenden und wachsenden Mangels an Arbeitsplätzen lächerlich und grausig (ist), jedem der millionen zählenden Arbeitslosen eine nachweisbare und ständige Suche vorzuschreiben (...) nach einer Arbeit, die es gar nicht gibt."

Der Soziologe Andre Gorz sieht im Mangel an Arbeitsplätzen eine Unternehmer-Strategie. Gegen den Zusammenhalt der ArbeitnehmerInnen und die Gewerkschaft haben diese "ihre unbesiegbare Waffe gefunden, nämlich die alle betreffende Verunsicherung, die Diskontinuität und Auflösung der Arbeit, ihren massiven Abbau." "Es gibt nicht und wird nie wieder ‘genug Arbeit‘ (gemeint ist entlohnte, feste Vollzeitarbeit) für alle geben." Er sieht im Verschwinden der Arbeit auch Chancen. Da Erwerbsarbeit unter dem Diktat des Kapitals und zu dessen Gunsten nichts erstrebenswertes sei, widerstrebt vielen die Perspektive einer Karriere in einer Vollzeitbeschäftigung. Wer sich nicht langfristig an eine Firma bindet, definiert sich nicht mehr über den Arbeitsplatz.

Das Problem sieht Gorz darin, dass heute ein Arbeitsplatz ein Wert an sich ist. Er garantiert Einkommen und auch viele soziale Rechte sind an ihn gebunden. Des Weiteren haben viele Menschen vor allem in der Arbeit soziale Kontakte zu anderen. Statt der Arbeitsgesellschaft schwebt Gorz nun die "Multiaktivitätsgesellschaft" vor. In dieser hat die Erwerbsarbeit für den/die Einzelne keine zentrale Rolle mehr, und man/frau kann über seine Zeit selbst verfügen.

Und die Realität?

Was hat es mit diesen Perspektiven auf sich, werden sie von der Realität bestätigt? Es kann schon sein, das künftig z.B. 20% der erwerbsfähigen Bevölkerung ausreichen werden, um die industriell gefertigten Güter und eine Reihe von (industrienahen) Dienstleitungen herzustellen. Aber daraus kann nicht auf eine Ende oder Verschwinden der Erwerbsarbeit geschlossen werden.

Der Anteil der in der Industrie Beschäftigten geht schon seit geraumer Zeit zurück, ohne dass deswegen zwangsläufig die Beschäftigung insgesamt sinkt. Die Frage ist, wie soll das Verschwinden der Arbeit gemessen werden. Es bieten sich einige Indikatoren an:

Die absolute Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse - nur werden da Voll- und Teilzeitbeschäftigungen über einen Kamm geschert.
Die Entwicklung der Beschäftigungsquoten: Diese zeigen die relative Bedeutung der Arbeit an, indem sie den Anteil der Menschen im Erwerbsalter angeben, der in Beschäftigung steht.
Die Entwicklung des Arbeitszeitvolumens, also Arbeitskräfte mal Arbeitszeit. Dieses zeigt das Ausmaß der geleisteten Erwerbsarbeit.
Wenn bei den selben Beschäftigungsquoten immer mehr Teilzeit arbeiten, müsste das Arbeitszeitvolumen stagnieren oder zurückgehen – so beim sogenannten "Poldermodell" in den Niederlanden der Fall.

Die Entwicklung in den Industrieländern

Ein Vergleich der OECD-Länder von 1986 und 1996 zeigt folgende Trends: Ein Steigen des Arbeitskräftepotentials, also der Leute, die einen Arbeitsplatz haben, oder als Arbeitslose einen suchen. Das heißt, dass heute mehr Menschen darauf angewiesen sind, sich ihre Existenz durch einen Arbeitsplatz zu sichern, als früher. Weitere angeführte Punkte:

Eine deutliche Zunahme der Frauenbeschäftigungsquote.
Anstieg der Beschäftigung.
Zunahme der Teilzeitarbeit an der Gesamtbeschäftigung in der OECD von 15,5 auf 18,6%.
30% der weiblichen und 10% der männlichen Beschäftigungsverhältnisse waren 1996 Teilzeitjobs.
70% der Teilzeitstellen sind mit Frauen besetzt.
Lineare Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit, aber kein weiteres sprunghaftes Ansteigen.
Was die Beschäftigung betrifft, gibt es selbst für die OECD keine Anzeichen, dass sie verschwindet, eher im Gegenteil. Die stattgefundenen Änderungen am Arbeitsmarkt betreffen die Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse, wie die Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes. Die Vergrößerung des Arbeitskräftepotentials zeigt, dass immer mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt und unselbständige Erwerbstätigkeit angewiesen sind. Die kapitalistischen Staaten - vor allem in Europa - sind seit Mitte der 70er Jahre mit dem Phänomen der Massenerwerbslosigkeit konfrontiert, die in Rezessionen weiter ansteigen, ohne dass der Sockel abgebaut wurde.

Gerade die USA zeigen eine mögliche Entwicklung, die nicht durch das "Ende der Arbeit", sondern einen Boom an schlecht bezahlten Jobs charakterisiert ist. In den 90er Jahren gab es eine steigende Beschäftigung im Dienstleistungssektor. Die zentrale Tendenz war nicht das Verschwinden von Beschäftigung, sondern für große Teile der Bevölkerung eine Verschlechterung der Beschäftigungsqualität: also kurzfristige, prekäre und schlecht bezahlte Jobs.

Die USA weisen mit 73,1% eine im internationalen Vergleich hohe Beschäftigungsquote auf. Der Erwerbstätigenanteil stieg seit Mitte der 70er Jahre um 10 Prozentpunkte auf ca. 75%. Aber es stieg nicht nur die Zahl der Beschäftigen zwischen ‘91 und ‘97 um fast 40 Mio., sondern auch die durchschnittliche Arbeitszeit: 1996 arbeitete der Durchschnittsamerikaner 247 Stunden länger als 1989, während das Einkommen der Durchschnittsfamilie sank. Eine Zunahme der Teilzeitstellen heißt nicht automatisch, dass sich das selbe Arbeitsvolumen auf mehr Menschen aufteilt, sondern auch, dass viele Menschen auf mehrere Teilzeitstellen angewiesen sind und auch ausüben müssen.

 

7089 Postings, 8062 Tage MützenmacherZuwas arbeiten, wenn´s kleine billige Robotis gibt

 
  
    #2
28.01.03 11:43
und das Essen aus den Genfabriken kommt.  

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