Die Terroristen gewinnen in jedem Fall
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 28.10.06 17:42 | ||||
Eröffnet am: | 21.08.06 09:36 | von: 007Bond | Anzahl Beiträge: | 8 |
Neuester Beitrag: | 28.10.06 17:42 | von: bluelamp | Leser gesamt: | 3.608 |
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Technology Review: Herr Schneier, überraschen Sie die teils drakonischen Sicherheitsmaßnahmen, die die britische Regierung nach Aufdeckung des Londoner Terror-Plots ergriffen hat? Werden wir künftig Flugreisen als etwas extrem Unangenehmes empfinden?
Bruce Schneier: Das ist gut möglich. Jedes Mal, wenn es eine terroristische Bedrohung gibt, scheinen Regierungen und Fluglinien neue Sicherheitsregeln zu erfinden, unter denen wir dann alle zu leiden haben. Nur: Nichts wird dadurch sicherer. Statt dessen machen uns diese Regelungen das Leben schwer und machen das Fliegen komplizierter.
TR: Ergibt sich aus den Informationen, die über die Londoner Zelle bislang herausgegeben wurden, tatsächlich eine ersthafte Bedrohung? Es gibt inzwischen Chemiker, die meinen, es sei äußerst schwer, einen solch flüssigen Sprengstoff an Bord zu mixen.
Schneier: Je mehr wir über diesen "Plot" erfahren, desto weniger plausibel erscheint er. Unglücklicherweise wurden die Briten von den Amerikanern bedrängt, die Verdächtigen zu früh zu verhaften, dementsprechend kennen wir nicht viele Details darüber, was sie überhaupt wollten.
TR: Was kann die moderne Flughafensicherheit überhaupt erkennen und was nicht?
Schneier: Es geht hier nie um die richtige Technologie, sondern um die Menschen. Flughäfen sind schlicht und ergreifend zu komplex um sie wirklich vollständig abzusichern – es gibt viel zu viele Personen, die da jeden Tag rein und raus können. Es ist ein falscher Ansatz, sich auf gefährliche Gegenständige zu konzentrieren, die an Bord geschmuggelt werden könnten. Die heutigen Sicherheitsmaßnahmen fangen die Dummen und schlecht Vorbereiteten, was allein vielleicht okay ist, um sie beizubehalten. Aber der Fokus kann nicht darin liegen, gefährliche Gegenstände aus Flugzeugen fernzuhalten – wir müssen die Terroristen vorher fangen. Auch in den Gefängnissen schaffen wir es doch nicht, Waffen herauszuhalten. Wie soll das dann bei Flughäfen funktionieren?
TR: Leben wir also insgeheim in einem Status "akzeptierter Sicherheit", in der die Sicherheitsmaßnahmen von sich aus schon bestimmte Gefahren nicht abwehren können? Ist das nicht gefährlicher Selbstbetrug?
Schneier: Sicherheit ist nie perfekt, sie ist immer ein Kompromiss. Wenn man denkt, dass man bestimmte Materialien von einem Flugzeug fernhalten könnte, ist das durchaus gefährlicher Selbstbetrug. Man darf auch nicht vergessen, dass sich die Terroristen unsere Sicherheitsmaßnahmen ansehen. Pistolen und Messer sind verboten, also nehmen sie Teppichschneider. Wir verbieten Teppichschneider und Korkenzieher und sie verstecken ihre Bomben in ihren Schuhen. Dann röntgen wir Schuhe und die Terroristen nehmen Flüssigkeiten und Gels mit an Bord. Verbieten wir die, fällt ihnen garantiert noch etwas anderes ein. Das ist alles schlicht und ergreifend Zeitverschwendung.
TR: Sie haben Ihre Weblog-Leser kürzlich aufgefordert, Hollywood-reife Terror-Szenarien einzuschicken, die nicht zu stoppen sind. Was kam dabei heraus? Was waren die erschreckendsten?
Schneier: Diejenigen, die am plausibelsten waren. Wie sich zeigte, ist es es enorm einfach, gute Terrorplots zu erfinden. Aus diesem Grund kann funktionierende Sicherheit sich nicht nur auf solche Plots konzentrieren. Weil es für Terroristen so einfach ist, sich Alternativen auszudenken.
TR: Glauben Sie, dass die Terroristen derzeit gut zu lachen haben, wenn sie sich die Lage an unseren Flughäfen ansehen?
Schneier: Sie sind sicher sehr mit sich zufrieden. Wenn man sich unsere Reaktion so ansieht, könnte man meinen, dass sie erfolgreich gewesen wären.
TR: Wie würde die ideale Sicherheit am Flughafen aussehen? Gibt es die überhaupt?
Schneier: Idealerweise wäre die so wie vor dem 11. September. Seither gab es eigentlich nur zwei tatsächliche Verbesserungen: Verstärkte Cockpit-Türen und die Tatsache, dass die Passagiere nun wissen, dass sie sich gegen Terroristen wehren müssen. Alles andere war schlichtweg "Sicherheitstheater" – Sicherheit, die gut aussieht, aber nichts erreicht.
TR: US-Medien berichteten kürzlich, dass beispielsweise Ladegut, das regulär mit vielen Passagiermaschinen mitfliegt, nahezu nicht kontrolliert wird. Wie viele dieser großen Lücken gibt es noch?
Schneier: Es gibt Hunderte dieser Sicherheitslöcher und wir werden sie niemals alle schließen können. Die Lehre, die man aus den britischen Festnahmen ziehen kann ist doch folgende: Die beste Investition in Sicherheit bleiben effiziente Geheimdienste und Sicherheitsbehörden, die gut ermitteln. Im Gegensatz zu Sicherheitsmaßnahmen, die sich auf hypothetische Plots konzentrieren, müssen wir hier nicht raten, was passieren wird. Wenn wir Milliarden in die Flugzeugsicherheit investieren, attackieren die Terroristen eben gut besuchte Filmtheater. Dann haben wir nicht nur unser Geld verschwendet.
TR: Terroranschläge können viele Opfer haben, doch die Gefahr, tatsächlich einem solchen Plot zum Opfer zu fallen, ist verhältnismäßig gering, wenn man dies etwa mit der Rate an Verkehrsunfällen vergleicht. Sollten wir dies im Hinterkopf behalten?
Schneier: Tot ist tot. In den USA haben wir beispielsweise offiziell beschlossen, dass es okay ist, dass wir jedes Jahr 40.000 Verkehrstote haben. WIr könnten diese Zahl deutlich senken, in dem wir strikte Geschwindigkeitsbeschränkungen einführen würden und Alkohol am Steuer stärker verfolgen, aber wir haben uns eben anders entschieden. Terrorismus sollten wir ganz genauso betrachten. Sicherheit ist, wie ich bereits erwähnte, immer ein Kompromiss.
TR: Es gibt ein berühmtes Zitat des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, der am Ende der katastrophalen Weltwirtschaftskrise den Amerikanern zurief, dass das einzige, was sie zu fürchten hätten, die Angst selbst sei. Sollten wir uns daran heute wieder erinnern?
Schneier: Die einzige perfekte Abwehrmaßnahme gegen Terrorismus ist, sich nicht terrorisieren zu lassen. Stellen Sie sich eine Sekunde lang vor, den britischen Verdächtigen wäre es gelungen, zehn Flugzeuge in die Luft zu sprengen. Danach gäbe es ein Chaos auf den Flughäfen, Verbote von Handgepäck und Politiker, die ein hartes Durchgreifen fordern. Das ist exakt das gleiche, was wir jetzt erleben. Je mehr wir uns von solchen Terrorszenarien terrorisieren lassen, desto mehr spielen wir Terroristen in die Hände.
Und wenn wir es dann auch noch zulassen, dass wir deshalb unsere Freiheiten und Grundrechte aufgeben müssen, gewinnen die Terroristen sogar, wenn sie vor dem Anschlag geschnappt werden. Im Umkehrschluss gilt: Lassen wir uns nicht terrorisieren, verlieren die Terroristen selbst dann, wenn sie ihr Ziel erreicht haben.
Quelle: Heise
Es geht um Kontrolle, Überwachung und Macht über den Bürger - nicht mehr und nicht weniger.
Es ist einfach ein super Geschäftsmodell - das Geschäft mit der Angst!
Wer sich hierdurch in Sicherheit wiegt, ist ein Illusionist.
Weist Israel und USA in die Schranken und es wird ruhig(er) werden!!
Das sind die wahren Zündler.
Und unsere Regierung spielt das ganze Spielchen mit :-(
Pluralismus-Paralyse
Innerhalb heutiger Diskussionen um den Staat der Zukunft nehmen Analysen von immer ausgeklügelteren Überwachungstechnologien einen breiten Raum ein. Aber es sind ganz konventionelle Dinge, die zur Zeit ausschlaggebend sind. Und damit komme ich zu meinen beiden Thesen:
These 1: Vieles ist überwachungstechnisch möglich, aber eigentlich gar nicht notwendig.
These 2: Der weitgehende Verzicht auf Technologie wird durch die Existenz einer Binär-Gesellschaft ermöglicht, deren absurdes Wertesystem aus einer Kette von Pluralität suggerierenden, sich aber in Wirklichkeit gegenseitig annullierenden, Gegensatzpaaren beruht.
Das binäre Paar aus 1 und 0 wird in diesem Zusammenhang nicht als eine Entweder-oder-Schaltung begriffen, sondern ist als Sowohl-als-auch-Kombination gedacht. Um die Binär-Gesellschaft in einem neutralen Schwebezustand zu halten, werden zusätzlich altbewährte Mittel eingesetzt: divide et impera und panem et circenses.
Einige Beispiele zu These 2: Eklatant sind die stark divergierenden Einstellungen zur Sexualmoral in den USA. Während Stars wie Madonna in Text und Bild in den Medien mit softpornografischen Szenarios allgegenwärtig sind, werden von selbsternannten Sittenwächtern Eltern abgemahnt, weil sie ihre dreijährige Tochter nackt am Strand herumlaufen ließen. Ebenfalls frappant ist die Behandlung von Genussmitteln: Alkohol untersteht zeit- und ortsweise der Prohibition oder muss in Papiertüten versteckt werden, wird aber gleichwohl in Unmengen produziert und - u. a. vom eigenen Präsidenten - konsumiert. Ähnlich ist die Situation bei den Rauchwaren. Die Zigarette ist lebensgefährlich, doch wenn man nur eine kleine Notiz diesbezüglich auf der Packung anbringt, geht der Verkauf in Ordnung. Die Wohnung wird immer mehr zum Gläsernen Haus. Große Fenster, durch die man bis ins Schlafzimmer schauen kann, bestimmen die Architektur. Fragt man die Bewohner jedoch nach ihren jährlichen finanziellen Einkünften, dann wird dichtgemacht. Das Handy macht viele zu rhetorischen Exhibitionisten. Dieselben Individuen schaffen es dann aber im Supermarkt nicht, ein kleines, klärendes "Könnten Sie mich bitte durchlassen?" über die Lippen zu bringen.
All diese Phänomene enden in einem schizophrenen Zustand, in dem alle offen und gleichzeitig verkapselt sind, in dem alle recht und gleichzeitig unrecht haben. Dieses ständige 1 und 0, Plus und Minus irritiert und verunsichert die Individuen zunächst. Schließlich verfallen sie in ein heiter geschäftiges Wachkoma, das auf politischer Ebene durch hohe Entscheidungsarmut und konformistische Willfährigkeit geprägt ist.
Jeder sein eigener Blockwart/Terrorist
Seit der Verfolgung der RAF in den 70er Jahren stellte der 11. September 2001 in Sachen Terrorismus-Hysterie in Deutschland einen neuen Höhepunkt dar. Bei der Treibjagd auf die "Drahtzieher" und ihre Helfer wurde modernste Technologie eingesetzt. Ich will auf die entsprechenden Geräte und Methoden nicht weiter eingehen. Schon morgen sind sie vielleicht überholt und veraltet. Wichtiger erscheint mir, dass in den entscheidenden Phasen nach wie vor archaische Dinge wie Gewehre und Gitterkäfige ihren fatalen Dienst tun. Und eine Alcatraz-artige Konstruktion mit natürlichen Wasserbarrieren wird zum Zwischenlager für Terroristen: Guantanamo.
Betrachtet man dagegen die neuesten Fahndungs- und Observierungsmethoden, so stellt allein schon die Auswertung der Unmengen von sekündlich anfallenden Daten ein kaum noch zu bewältigendes Problem dar. Und: Was nützt die perfekteste Videoüberwachung, wenn im entscheidenden Moment doch nicht geholfen werden kann? So geschehen beim Schulmassaker von Columbine.
Eine weitere Schwierigkeit ist die Sicherung der Systeme vor feindlichen Zugriffen. In seinem Roman "Berlin Alexanderplatz" lässt Alfred Döblin einen ehrlichen Obstverkäufer die Worte ausrufen: "Die Banane ist die sauberste Frucht, da sie durch ihre Schale vor Insekten, Würmern sowie Bazillen geschützt ist. Ausgenommen sind solche Insekten, Würmer und Bazillen, die durch die Schale kommen." Fälschungssichere Geldscheine, Pässe und virensichere PCs sind eine Illusion. Ebenso ergeht es den Geheimdiensten und den übrigen Sicherheitsabteilungen der einzelnen Staaten. Es kommt zu einer hypertrophen Aufblähung der Systeme, wie dies bei den Abwehrraketen mit ihren Anti-Anti-Raketen schon seit langem der Fall ist.
Eine althergebrachte Methode ist die Einbindung der Bevölkerung in die laufende Fahndung. Ihre Effizienz in Bezug auf die Ermittlungserfolge ist umstritten. Doch zur Beförderung einer Binär-Gesellschaft erweist sie sich als wirksam, wenn die staatlichen Institutionen bei ihren Kampagnen zur Anleitung der Bürger nur genügend Irritationen einbauen. Im Zuge der Aktivitäten der Terroristenverfolgung nach dem 11. September gaben die Polizeistellen Verhaltensanweisungen an die Bevölkerung. Allen Ernstes wurden folgende sieben Verdachtskriterien in den Medien verbreitet:
1. Herkunft aus einem der verdächtigen arabisch-islamischen Länder
2. Student an einer Technischen Hochschule
3. Stete, pünktliche Bezahlung der Rundfunkgebühren
4. Empfang von Gästen zu später Stunde
5. Schleichen durch das Treppenhaus
6. Parken des PKW um die Ecke
7. Plötzliches, spurloses Verschwinden ohne Vorankündigung
Sieht man einmal von dem ersten Punkt ab, müssen die anderen Kriterien doch einigermaßen befremden. Hier werden mit einem Mal erstrebenswerte, positiv besetzte Aspekte, wie ein Studium zu absolvieren, seine Rechnungen immer pünktlich zu bezahlen und leise, ohne die Mitbewohner zu stören, durchs Treppenhaus zu gehen, zu verdächtigen Handlungen. Ein Studentenleben mit nächtlichen Zusammenkünften in der WG wird zu einer höchst bedenklichen Angelegenheit. Sollten die späten Gäste am Ende laut stampfend durchs Treppenhaus ziehen und das Auto direkt vor dem Haus in der Toreinfahrt parken, um möglichst unverdächtig zu erscheinen? Hier wird nicht nur jeder zum Blockwart, sondern auch gleichzeitig zum potentiellen Terroristen, denn auf wen träfe nicht eins der oben genannten Kriterien wenigstens hin und wieder zu? Im übrigen soll es in der mobilen und durch keinerlei Meldepflicht behinderten US-amerikanischen Gesellschaft täglich vorkommen, dass Menschen plötzlich ohne Vorankündigung in einen anderen Ort weiterziehen.
Nomadisierung-Monadisierung
Im Bereich Arbeit werden sich zukünftig zwei Tendenzen verstärken: Zum einen wird sich Projektarbeit mit ad hoc zusammengesetzten Teams verstärken. Zum anderen, teilweise durch die Projektarbeit bedingt, wird die Mobilität zunehmen. Die Teams bilden innerhalb des Betriebskörpers dezentrale Module, die ihrerseits aus scheinbar gleichberechtigten, menschlichen Monaden bestehen. Das Losungswort lautet nach wie vor "flache Hierarchien", obwohl in Mitarbeiterschulungen gerade auch die Führungsqualitäten der Trainees gefördert werden. Überdies begünstigt die Koexistenz von internen und externen Mitarbeitern innerhalb der Firmen nicht gerade die Herausbildung einer homogenen Belegschaft. Im Gegenteil werden Mitarbeiter und Abteilungen durch unterschiedliche Entlohnung und Rechte bewusst gegeneinander ausgespielt. Da ferner im Bereich der frei ausgehandelten Honorare keine Transparenz besteht, kommt es zu weiteren divide-et-impera-Effekten. Hinzu kommen ausgelagerte Aktivitäten, die ein Auseinanderdriften des Unternehmens befördern.
Vollends grotesk wird die Situation, wenn von Mitarbeitern einerseits Commitment, Loyalität und Identifikation mit der Firma erwartet wird, sie aber andererseits in einem unpersönlichen Großraumbüro sitzen, in dem jeder jeden überwacht und die Herausbildung von menschlichen Beziehungen ständig behindert und unterlaufen wird. Auch hier sind die Methoden archaisch: Ein Mitarbeiter, der am Ende seines Arbeitstages vergessen hat, sein Desk abzuschließen, findet dessen gesamten Inhalt am nächsten Morgen für "Kollegen" gut sichtbar auf seiner Arbeitsfläche aufgehäuft. Das kommt dem mittelalterlichen "Pranger" nahe.
Natürlich hat man in den höheren Etagen, die es auch im hierarchischen Flachland nach wie vor gibt, längst erkannt, dass das Nebeneinander der nur mäßig überzeugenden Vorspiegelung einer harmonischen Betriebsfamilie mit basisdemokratischen Anmutungen und des durch Misstrauen, Überwachung und Entsolidarisierung geprägten Human-Ressources-Managements in seiner jetzigen Form auf die Dauer keine tragfähige Konstruktion ist. Allerdings nicht etwa deshalb, weil sie grundsätzlich falsch wäre, sondern weil sie zur Zeit nicht genügend austariert ist. Die Schrumpfung und Zerlegung der althergebrachten Stammbelegschaften zugunsten von Shareholder Values hat eine kritische Situation hervorgebracht, weil sie mit zu wenig Fingerspitzengefühl vorangetrieben wurde. Nur wenn das angenommene Trugbild einer real existierenden flachen Hierarchie und die tägliche Konfrontation mit einer tatsächlich eher totalitär operierenden Firmenleitung, vom Arbeiternehmer als gleich stark empfunden werden, kommt es zum Neutralisierungseffekt im Sinne der Binärgesellschaft.
So aber hat man die Belegschaften zu sehr zerstückelt und einer übertriebenen Überwachungsmaschinerie ausgesetzt. Vor lauter überängstlicher Kontrolle und übertriebenem divide et impera vergaß man überdies ein genügendes Panem-et-circenses-Angebot. Anstatt den Mitarbeitern wenigstens kleine Spielräume wie das beiläufige, private Surfen im Internet zu gewähren, verbietet man solche harmlosen Pausenzerstreuungen wegen vermeintlicher Effizienzminderung, während die teuren Gedankenspiele der Manager in praktischer Umsetzung ganze Firmen in die Pleite treiben.
Incentives führen nur zu Mitnahmeeffekten und zeitigen keine nachhaltigen Wirkungen. Dass man von schlecht bezahlten, nomadisierenden Monaden auf die Dauer nicht ohne weiteres altruistisches Commitment und intrinsische Motivation erwarten kann, versteht sich eigentlich von selbst.
Talk-Stalk
Die neueren Medien tendieren zur gesprochenen Sprache. Nach einer langen Phase der Verschriftlichung befinden sich postskriptuale Formen der oral tradition im Aufwind. Phänomene wie die steile Karriere des Handys und nicht enden wollender Talkshowproduktionen zeigen, wie sehr sich die Gesellschaft vom geschriebenen Wort wegbewegt. Der Briefträger ist längst zum Werbeträger herabgesunken. Der Textumfang der Email-Anschreiben schrumpft. Im IT-Bereich stecken die Spracherkennungsprogramme noch in den Anfängen. Doch gibt es schon Anwendungen wie etwa die Voice-Security-Card.
Im Sinne von panem et circenses ist die Talkshow ein idealer Spielraum. Von emotionalisierten Schlammschlachten bis hin zu scheindemokratischen Foren findet man außerordentlich Diverses versammelt. Um diesen pseudopluralistischen Playground noch authentischer erscheinen zu lassen, wird oft noch ein Publikum hinzugenommen. Die geladenen, vorsortierten Komparsen mit ihrer Plebiszit-Rolle unterliegen in gut organisierten Shows den üblichen Regieanweisungen. Wenn der Intendant ganz auf Nummer Sicher gehen will, werden die Zuschauer einem Initiationsritus unterzogen. Vom Regisseur seinerseits instruiert, konditioniert ein Warming-Upper das Publikum unmittelbar vor der Show. Stellt allein schon die hohe Frequenz der Sendungen und die inflationäre Zahl der geladenen Talkgäste eine extreme organisatorische Herausforderung an die Macher, so kommt es an den Rändern der Show, besonders bei sensiblen Themen, zu aufschlussreichen, kritischen Situationen.
Immer wieder wallt das Thema "Gewalt an Schulen" in den Medien auf. Schon 1997 befasste sich eine von Arabella Kiesbauers Daily-Talkshows mit dieser Problematik. In der Sendung mit fingierter Live-Atmosphäre kam es zu einer eklatanten Leistungsfunktionsstörung des Publikums, die aus einer Konfrontation mit konträren Elementen resultierte. Der Verbleib dieser denkwürdigen Szene im ausgestrahlten Sendematerial ist wahrscheinlich der knappen Produktionszeit geschuldet.
Ganz egalitär durchschreiten alle Talkshowteilnehmer bei ihrem ersten Erscheinen die gleiche Tür. Doch betreten sie die Bühne nicht irgendwie, sondern bekommen einen echt showmäßigen, starken Auftritt. Bevor sie für die Kamera und das Publikum sichtbar werden, kündigt Arabella sie an. Bei den Schlägern "Lux" und "Wisi" hörte sich das dann so an: "Sie sagen, Prügel austeilen ist geil. Herzlich willkommen!" Normalerweise schreiten die Gäste nach Arabellas marktschreierischer Begrüßung von einem freudigen Tusch begleitet unter rauschendem Beifall eine glitzernde Gala-Silbertreppe herunter. Doch dieses Mal ist das Publikum der durch und durch politisch korrekten Show offensichtlich konsterniert angesichts der divergierenden Aussagen: "böse Schläger" - "herzlich willkommen". Mit einer kurzen Verzögerung kommt es zu peinlichen Reaktionen mit vermischten Beifalls- und Unmutskundgebungen. Wiederum eine in der Binär-Gesellschaft typische temporäre Paralyse-Situation. Interessant, dass sich die Bürger diesen hochgradig schizophrenen Selbstparalyse-Exerzitien freiwillig unterziehen.
Pluto-Demo
Unsere Binär-Gesellschaft hat inzwischen Ausmaße erreicht, die einem politischen Kabarettisten nicht mehr viel zu tun übrig lassen. Der Kleinkünstler steht auf der Bühne und wird beklatscht. Doch im Publikum sitzen eben dieselben Politiker, die er mit scharfen Pointen überzog und klatschen mit. Just another Playground.
Müllskandal in Köln: Alle Parteien von Schwarz bis Grün geschmiert. Korrupte Kanzler: Kohl-Spendenskandal, Schröder-Gazprom-Affaire. Statt blühender Landschaften: Wiedervereinigungs-Kriminalität. Visa-Affäre. Zwischendurch Untersuchungsausschüsse mit Showprozesseinlagen. Am Ende: Keine gravierenden Konsequenzen. Der Wählerauftrag Steuer- und Beitragssenkung wird einfach ignoriert. "Reform" bedeutet Abbau.
Und in der Wirtschaft: Die Geschäfte laufen bombig, doch die Allianz setzt 7.500 Mitarbeiter "frei". Die Politik rührt sich nicht. Stark risikobehaftete Industriezweige der Gen- und Nanotechnologie werden durchgewunken. Angesichts all dieser Fakten sollte es jedem Bürger klar sein, dass dort, wo Demokratie draufsteht, oftmals Plutokratie drinsteckt.
Und die mündigen Bürger stehen auf und versammeln sich in der Bundeshauptstadt Berlin zu Hunderttausenden - auf der Fan-Meile. Another Playground. Wiederum haben wir es mit archaischen, sozialen Phänomenen zu tun. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gab es einen großen Gewinner, und das war nicht die deutsche Elf, sondern die Fahnenindustrie. Seit dem III. Reich gab es nicht mehr einen solchen Absatz der deutschen Nationalflagge. Fahne hissen, Fahne schwenken, singen, hupen, brüllen. Darin ergingen sich etliche Deutsche für einen Monat. Von den Politikern wurden sie für ihren unverkrampft fröhlichen Nationalismus, unter gleichzeitiger Beachtung der Weltoffenheit, gelobt.
Schon im Vorfeld der Weltmeisterschaft tauchten in den Medien Begriffe wie Fußballhasser auf. Einige mutige gastronomische Betriebe wagten es tatsächlich, auf ihren Menütafeln den kleinen Zusatz "WM-freie Zone" hinzuzufügen, jedoch ohne größere Resonanz. Noch staunte man, wie viele beflaggte Wohnungen und Fahrzeuge es plötzlich gab. Aber schon begannen die ersten Fans danach zu schauen, wer nicht geflaggt hatte, oder wenn doch, welche Fahne.
Trotz des Großbildschirms vor Ort und trotz des bequemeren Fernsehsessels in den eigenen vier Wänden zogen unzählige Deutsche es vor, eingequetscht in der Menge auf der Fanmeile zu stehen. Es besteht ein Bedarf an realen sozialen Begegnungen und Gemeinschaftserlebnissen auf niedrigstem Nenner. Auch hier Schizophrenie: Die deutsche Mannschaft erzielt den dritten Platz, und die Fans feiern mit großem Tamtam, als wäre die Weltmeisterschaft errungen worden. Und von hier ist es nur ein kleiner Schritt zu Goebbels' "sinnlosem Taumel". Die Massen bekommen etwas Input, ein wenig wird gesteuert, alles Lowtech. Hochtechnifizierte Kontrolle und Überwachung sind gar nicht notwendig. Die menschlichen Monaden kontrollieren sich gegenseitig. Die paar Studenten, die einige Straßen weiter gegen die Studiengebühren demonstrieren, kann man bequem nach altbewährter Methode niederknüppeln und in Sicherheitsgewahrsam nehmen. Auch wieder ganz archaisch. Big Brother geht derweil in Frührente.
Es fällt schwer, heute nicht mehr zu glauben, dass wir uns einer Weihmarer Republik mit riesen Schritten nähern. Grosse Volksparteien wie eine CDU oder SPD schaufeln sich doch heute das eigene Grab durch ihre ideenlose und im Prinzip gegen die Mehrheit der Interessen des Wahlvolks gerichtete Abzocker-Politik. Die Führungsriege dieser Parteien macht sich doch immer mehr zum Gespött des ganzen Landes. Hinzu kommen diese Gespenstermalerei und Einschüchterung eines ganzen Volkes mit der ständigen "Terrorgefahr". Das frustriert doch immer mehr Menschen hier und schürt dazu noch den Hass und damit verbunden die Ausländerfeindlichkeit!! Dies halte ich für sehr gefährlich!
Im Übrigen möchte ich hinzufügen: Mit den Anhängern bzw. Wählern der von den genannten Volksparteien unterstützten Lobbyisten alleine können diese Volksparteien in Zukunft sicher keine Wahl mehr gewinnen. Beide Parteien verlieren zusehends an Glaubwürdigkeit. Da stellt sich die Frage: Wann wird's bei uns die ersten Wahlbetrügereien geben - oder gab es diese etwa schon? Denn langsam kommen einen schon Zweifel, ob so viele Menschen hier so "dumm" sein konnten, solch verlogene Parteien zu wählen. Denn wie heisst es so schön: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht mehr! Wo ist die Partei in Deutschland, die sich für die Interessen der Mehrheit seiner Wähler einsetzt, die Versprechen vor der Wahl nicht nur gibt, sondern diese auch hält? Wo ist in Deutschland die Partei, die dafür sorgt, dass Recht auch das Recht ist, was wir Menschen - das Volk - hierunter auch verstehen?
Leitsatz für unsere Politiker: In Deutschland leben keine Zitronen, die man ständig auspressen kann, sondern Menschen!
aber leute babynahrung essen lassen und zahnpastatuben ausdrücken ist ja wohl quark.
Der Autor stellt dabei zwei Aspekte seines Generalthemas dar: die Verwandlung der Filmkamera in eine Waffe, die Umformung von Wahrnehmung in einen aggressiven Akt und den Ablauf und die Gesetze der Menschheitsgeschichte als Beschleunigungsprozeß, der heute, im Zeitalter gigantischer Informationsnetzwerke, auf seinen Endpunkt zurast. Der vorliegende Essay beschreibt den drohenden Endzustand dieser gewalttätigen Beschleunigung in der allesbeherrschenden Telekommunikation.
Der Wahn, dank elektronischer Telekommunikation überall und jederzeit dabeizusein, die Verführung der simultanen Teilhabe an allem, die Erfahrung der geschichtslosen Augenblicklichkeit im Beobachten: Virilio hat diesen Zustand als mediale Ghettoisierung, als elektronische Apartheid, als Koma diagnostiziert. Der rasende Stillstand einer Gesellschaft, die Zeit und Raum hochtechnologisch beherrscht, aber damit an der Auslöschung ihrer selbst arbeitet.
bluelampo Furioso