Deutschland droht zu implodieren:Schrumpfgermanien
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 05.06.07 16:35 | ||||
Eröffnet am: | 27.12.06 11:17 | von: utimacoSecu. | Anzahl Beiträge: | 8 |
Neuester Beitrag: | 05.06.07 16:35 | von: Mr_Blue | Leser gesamt: | 687 |
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von Michael Prellberg
Deutschland droht zu implodieren: Immer weniger Menschen wohnen in immer leereren Städten. Mehrere Bücher schildern die Suche der Stadtplaner nach Auswegen - und machen kaum Hoffnung.
Die Pendlerpauschale ist Gift. Ein historischer Fehler, der zeigt, was passiert, wenn der Staat dem gesunden Menschenverstand ins Handwerk pfuscht: Alles geht schief.
Der Staat nahm Steuern ein und gab sie denen, die sich ihren Traum vom Häuschen im Grünen erfüllen wollten. Danke, sagten die Häuslebauer. Danke, sagte die Baubranche. Und alles war in Ordnung.
Wenn alles in Ordnung ist, warum regen sie sich im Rathaus von Kiel darüber auf, wenn die Kieler nach dem Pinkeln auf die Spartaste drücken? Ist doch ökologisch vorbildlich! Ja, sagen die Beamten, wir brauchen aber Verschwender. Wenn das Wasser nur noch tröpfelt statt fließt, stinkt die Brühe bald zum Himmel. Das liegt weniger an der Spartaste als an den Kielern: Die Menschen verlassen die Stadt. Wer Arbeit hat, zieht ins grüne Umland. Wer keine Arbeit hat, zieht noch weiter weg. Der Arbeit hinterher.
Was bleibt, ist eine schrumpfende Stadt. Nicht nur die Kanalisation ist überdimensioniert, es gibt zu viele Schulen für zu wenig Kinder, die Busse pendeln leer von Endstation zu Endstation. In Geld ausgedrückt: Für dieselben Leistungen müssen immer weniger Menschen immer mehr zahlen. Wer das nicht will, zieht ebenfalls weg.
Diese Spirale wird das Land verändern. Bekommt jede Frau in Deutschland wie bisher ihre statistischen 1,4 Kinder, wird die Bevölkerungszahl bis zur Jahrhundertwende auf 24 Millionen Menschen sinken, hat das Berlin-Institut ausgerechnet. Nicht nur Dörfer, auch Städte werden aufgegeben werden, wie der vom Berlin-Institut herausgegebene Atlas "Die demografische Lage der Nation" zeigt. Rund um die Mitte implodiert Deutschland: Halle leert sich, Dessau leert sich, Magdeburg leert sich, Bitterfeld leert sich. Und die Landkreise rundherum sowieso.
Naturschützer mögen sich über mehr Raum für Wachtelkönige und Trappen freuen, für die Menschen ist es der Horror. Denn die Dörfer und Städte verschwinden ja nicht: Sie tun ja lange Zeit immer noch so, als funktionierten sie. Mit Straßenbeleuchtung und Busverkehr, mit Radwegen und Ordnungsamt - die alle bezahlt sein wollen. Und die keiner mehr bezahlen mag.
Darüber zu reden ist tabu in der Politikerkaste. Die Autoren des demografischen Atlas wundert das nach einem Blick gen Berlin nicht: "Selbst wenn die Berliner die Wirtschaftskraft ihrer Stadt um 60 Prozent steigern könnten, würden die tatsächlichen Einnahmen wegen sinkender Ausgleichsansprüche nur um sechs Prozent anwachsen" - der Finanzausgleich der Länder hält die Hauptstadt im Koma.
Es geht noch gruseliger: Willkommen in Detroit. In Amerika braucht es keine Pendlerpauschale, um die Einwohner in die Vorstädte zu verjagen. Es reicht eine bankrotte Stadtverwaltung, die zusieht, wie die Stadt verwahrlost. Es bleibt nur, wer nicht weg kann. Die Armen. Die Gestrandeten. Und die Kriminellen. Downtown Detroit, das macht der Reader "Schrumpfende Städte" klar, ist selbst für eine Stippvisite per Auto zu gefährlich - schließlich könnte eine Ampel auf Rot umspringen. Was könnte denen passieren, die dann anhalten...
Also ist Detroits Stadtrat auf die Idee verfallen, die Downtown in eine Suburbia zu verwandeln, und bebaut zentrumsnahe Brachen im Stil von Vorstadtsiedlungen. Das Konzept "Stadt" hat sich in den USA offenbar überlebt: In Detroit implodiert die Stadt, ebenfalls von innen.
"Schrumpfende Städte" birst vor solchen Geschichten. Manche sind skurril, einige makaber, nur wenige banal. Lesenswert und anregend sind sie alle. Sie spielen in Detroit, sie spielen im russischen Iwanowo, zwischen den englischen Städten Liverpool und Manchester, und sie spielen in Deutschland, zwischen Halle und Leipzig. Mit geradezu sadistischem Vergnügen schildert Matthias Bernt, wie arme Gemeinden ihre eigenen Wohnungsbaugesellschaften künstlich am Leben halten müssen, damit die weiter subventioniert werden. Denn stirbt die Wohnungsbaugesellschaft, ist auch die Kommune tot. Wer dieses Abhängigkeitsverhältnis durchschaut hat, begreift, warum der Abriss von längst nicht mehr benötigten Plattenbauten so langsam vorangeht.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht um Häme. Die "Schrumpfende Städte"-Bände haben den hehren Anspruch, den Blick zu öffnen für eine Realität, die Deutschland längst erreicht hat. Um handlungsfähig zu bleiben und zu besseren Lösungen zu kommen als in Detroit.
Das klappt nicht so ganz. Projektkurator Philipp Oswalt druckst herum, so richtige Handlungskonzepte habe man nicht im Köcher. Weil, sorry, nichts gefunden. Schade, aber nicht schlimm. Schlimm allerdings ist die Diskurs-Prosa, die abgesondert wird, um die eigene Hilfs- und Ideenlosigkeit in Worte zu kleiden. Stadtplaner etwa enttarnen sich als Zauberlehrlinge, die so gar nicht verstehen, wie ihre guten Absichten von der Wirklichkeit torpediert werden konnten. Erschütternd.
Es bleibt die Idee, sich frei werdende Räume anzueignen. Wie realistisch das ist, zeigt ein Beispiel aus Dietzenbach. Dort durften sich die Bürger auf leeren Grundstücke "Claims" abstecken. So entstanden Spielplätze und eine Hühnerfarm für Kinder - bis der Stadtrat das Projekt abwürgte: Angst vor Kontrollverlust.
In Deutschland, das zeigt Dietzenbach, wird unter behördlicher Aufsicht geschrumpft. Es gibt keine Freiräume gegen den Staat.
Daran zerschellen alle Blütenträume von zivilem Engagement. Also soll - Graffiti auf Ruinen - die Kunst es richten. Aber den Künstlern fällt auch nicht mehr ein. Oder sie weigern sich, wie Stephan Lanz schreibt, "als Ablenkungsmanöver in marginalisierenden Verhältnissen die Sozialpolitik zu entlasten".
Zwei dicke Bände und einen, irritierend uninspirierten "Atlas der schrumpfenden Städte" lang wird sich bemüht, das Mehr im Weniger zu sehen, im Schrumpfen auch Chancen zu entdecken - aber jede neue vergurkte Aufbruchsfantasie erzeugt wieder nur Resignation.
Das geht auch anders. Es ist anrührend, mit welch gleichmütiger Liebe die Autoren des Sammelband "Last & Lost" auf das verschwindende Europa schauen. Katharina Raabe und Monika Sznajderman sind klug genug, Entdeckerseelen loszuschicken. Herzzerreißend, wie lakonisch Lavinia Greenlaw darüber schreibt, wie sich das Meer die Küstenstädte in East Anglia holt. Oder wie Marius Ivaschkevitschius entdeckt, dass im litauischen Provinznest einst der zweitgrößte Bahnhof des russischen Reiches stand. Und seine Großeltern mittendrin wohnen.
In diesem stillen Einverständnis damit, dass ohne Vergehen kein Werden möglich ist, liegt der poetische Kern dieses wunderbaren Buches. Und der Schlüssel zum Umgang mit verzichtbaren Aufgeregtheiten zu schrumpfenden Städten.
Schrumpfgermanien
Die demografische Lage der Nation Berlin-Institut (Hrsg.) | dtv 2006 | 192 S. | 10 Euro | ISBN 342334296x.
Schrumpfende Städte. Band 1: Internationale Untersuchung Philipp Oswalt (Hrsg.) | Hatje Cantz 2004 | 736 S. | 39,80 Euro | ISBN 3775714812.
Schrumpfende Städte. Band 2: Handlungskonzepte Philipp Oswalt (Hrsg.) | Hatje Cantz 2005 | 896 S. | 39,80 Euro | ISBN 37755715584.
Atlas der schrumpfenden Städte Philipp Oswalt (Hrsg.) | Hatje Cantz 2006 | 160 S. | 39,80 Euro | ISBN 3775717145.
Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europas Katharina Raabe, Monika Sznajderman (Hrsg.) | Suhrkamp 2006 | 350 S. | 29,80 Euro | ISBN 351841772x.
Gruß
uS
Weil in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden, geht die Bevölkerung weiter zurück. Ende vergangenen Jahres lebten hierzulande nur noch 82,3 Millionen Menschen - noch einmal 123.000 weniger als zwölf Monate zuvor.
Die Zahl der lebend zur Welt gekommenen Babys ging im vergangenen Jahr um zwei Prozent auf 673.000 zurück, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mitteilte. Zwar sank auch die Zahl der Sterbefälle - trotzdem bleibt unterm Strich ein Minus von rund 150.000. Fachleute bezeichnen diesen Wert als "Geburtendefizit". Immerhin überstieg die Zahl der Einwanderer die der Auswanderer um 23.000. Dadurch schwächte sich die Negativ-Entwicklung etwas ab.
Nach den vorläufigen Zahlen der Statistiker sank die Zahl der Geburten in Deutschland im vergangenen Jahr um 13.000. Damit setzte sich der seit dem Jahr 1991 anhaltende Trend fort. Ausnahmejahre waren lediglich 1996 und 1997. Seit den frühen 90er Jahren gibt es in Deutschland jedes Jahr mehr Sterbefälle als Geburten. Dennoch wuchs die Bevölkerung im Bundesgebiet viele Jahre wegen der Zuwanderer. Seit 2003 ist dieser Trend jedoch gebrochen.
Vom Bevölkerungsrückgang waren die neuen Länder mit minus 0,8 Prozent besonders betroffen. An der Spitze lag Sachsen-Anhalt mit einem Minus von 1,1 Prozent vor Thüringen (minus 1,0 Prozent). Im früheren Bundesgebiet blieb die Bevölkerung nahezu konstant. Die Einwohnerzahlen gingen jedoch auch in Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland zurück. Eine Bevölkerungszunahme registrierten Bayern und die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Mit einem Plus von 0,6 Prozent war Hamburg Spitzenreiter. In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein blieb die Bevölkerung praktisch konstant.
Gruß
uS
Gut ein paar Deutsche, z. B. Hartz-IV-Empfänger, produzieren noch Kinder.
Aber wie wickeln die aussterbenden Gnerationen den Niedergang ab, geht ja nicht an einem Tag, hoffentlich?
Wir sind dann doch die erste Stufe der niederführenden Treppe!?
Vielleicht doch noch n paar Kinder machen und weniger in selbstgefälligen Ignorantenschwatz verfallen!?
Wir haben halt keine Zeit. Schließlich gibts wichtigeres als Kinder - arbeiten, fernsehen, am Handy rumfummeln und und und.
Man kann halt nicht alles haben.