Der Fall Hohmann und die Meinungsfreiheit in Deuts
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 04.01.04 23:39 | ||||
Eröffnet am: | 04.01.04 12:13 | von: Happy End . | Anzahl Beiträge: | 11 |
Neuester Beitrag: | 04.01.04 23:39 | von: Oshkosh | Leser gesamt: | 3.045 |
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Am 3. Oktober 2003 hielt Martin Hohmann (CDU) in seinem Wahlkreis Fulda eine zunächst unbeanstandete, im Aufbau ungeschickte und im Ergebnis unglückliche Rede zum Tag der deutschen Einheit.
Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hatte der Auftritt eines Politikers aus der zweiten Reihe derartige Konsequenzen. Innerhalb weniger Wochen, besonders in den Tagen vom 3. bis 14. November, wurde die Szene wie mit einer Serie von Blitzen ausgeleuchtet. Grell zutage traten die Machtverhältnisse im Lande, der niedrige Stellenwert der Meinungsfreiheit, das geistige Defizit der CDU-Führung, die Schwäche des einst starken konservativen Parteiflügels, aber auch - in diesem Ausmaß zum ersten Mal - das Aufbegehren breiter Bevölkerungsschichten gegen die Zumutung der Kollektivschuldtheorie.
Wir wollen im folgenden die Chronologie des Falles kurz nachzeichnen, die Rolle der Akteure und die politische Dimension der Affäre untersuchen - auch wenn immer noch nicht ganz geklärt ist, wie es kam, daß Hohmann in einem „abrupten Kurswechsel“ (Neue Zürcher vom 11.11.) aus der Fraktion entfernt wurde.
Über allem schwebte von Anfang an der diffuse Vorwurf des Antisemitismus, der seit einiger Zeit in Deutschland mehr und mehr den Faschismus-Vorwurf verdrängt. Die Definition dessen, was antisemitisch ist, wird zunehmend und beliebig ausgeweitet. In der Ausgabe von 1966 verstand der Brockhaus unter Antisemitismus noch „die Abneigung oder Feindseligkeit gegen Juden“. Übrigens nannte das Lexikon den Begriff eine „Fehlbildung“, weil er die gesamte Gruppe der Semiten (also auch die Araber) zu einer Gemeinschaft ummünze, während in Wirklichkeit nur die Juden gemeint seien. (Inzwischen sind manche Zeitungen bereits dazu übergegangen, auch Palästinenser und andere Araber des Antisemitismus zu beschuldigen - eine groteske Begriffsverwirrung.)
Wer Hohmanns Rede unvoreingenommen liest und im Gegensatz zur Bild-Zeitung des Konjunktiv mächtig ist und weiß, was eine rhetorische Frage ist, wird bei Hohmann keinen Antisemitismus finden. Merkel, Bosbach und die anderen, die ihren Kollegen schließlich lange genug kennen, haben das auch nicht behauptet (schließlich kursierte die Rede in der Fraktion lange genug, bevor sie gehalten wurde). Niemand in der CDU-Führung hält Hohmann für einen Antisemiten. Nur hätten sie das auch einmal öffentlich sagen können. Wenn sie es gesagt hätten, wäre es ihnen allerdings schwergefallen, den Ausschluß aus der Fraktion zu begründen.
Das Vorspiel
Nachdem Hohmann schon im Oktober von einer offenbar gut informierten Journalistin gewarnt worden war, daß „etwas ganz Großes“ auf ihn zukomme, heizte sich die Affäre Anfang November zunehmend auf. Am 1. November führte Hohmann ein Gespräch mit dem ZDF, das am 4. November zur Entlassung von General Günzel durch Verteidigungsminister Struck führte.
Reinhard Günzel hatte mit seinen Spezialkommandos in Afghanistan im Auftrag der Amerikaner hochgefährliche Operationen durchgeführt, deren Details bis heute nicht publik geworden sind. Die amerikanische Armee war von seiner Professionalität sehr beeindruckt. Günzel hatte die bisher schwierigste Mission der Bundeswehr brillant gemeistert, was auch nie bestritten wurde. Und dann wagt es Struck am 4. November, von einem „einzelnen verwirrten General“ zu sprechen. Falls er wirklich verwirrt war, hätte Struck ihn das Kommando Spezialkräfte gar nicht übertragen dürfen. Eine schäbige Beleidigung, aber keinerlei Protest von Seiten der Opposition.
Hat Hohmann den General ins Messer laufen lassen? Genau dieser Eindruck entstand in der ZDF-Sendung, aber er war falsch. Als das Fernsehteam im Büro von Hohmann aufkreuzte („Wir wissen, daß Sie falsch verstanden wurden“) lag ein Stapel von Unterstützungsbriefen auf seinem Schreibtisch. Unter der Bedingung, daß kein Name genannt werde, las Hohmann aus einem Brief vor, der oben auf dem Stapel lag. Verabredungswidrig und unter Bruch des Briefgeheimnisses richteten die Fernsehleute, sobald sich die Gelegenheit bot, die Kamera auf den Brief.
Am Montag, dem 3. November, tagte das Präsidium der CDU und erteilte Hohmann eine Rüge. Für ein härteres Vorgehen gegen den Abgeordneten zeichnete sich „wenig Unterstützung“ ab, wie die Presse berichtete. Es folgten insgesamt drei Entschuldigungen Hohmanns, die im wesentlichen nicht von ihm, sondern von Merkel, Koch und Bosbach formuliert wurden. Damit war der Fall aus Sicht der Partei- und Fraktionsführung im Prinzip erledigt.
Merkels Kurswechsel
Noch am 6. November, einem Donnerstag, sprach der stellvertretende CDU-Vorsitzende Böhr von einem „Schlußstrich“. Auch Stoibers Kanzleichef Huber verteidigte am 6.11. den Verzicht Merkels auf einen Fraktionsausschluß.
Am selben Tag meldete sich der israelische Botschafter Stein zu Wort und sprach von „klassischem Antisemitismus“, der bekämpft werden müsse. Der neue EKD-Ratsvorsitzende Huber stieß ins selbe Horn. Bundeskanzler Schröder nannte Hohmanns Worte „gefährlich“, was nicht einmal falsch war. Als dann, ebenfalls am 6. November, auch Jürgen Rüttgers aus NRW den Ausschluß Hohmanns aus der CDU verlangte, bemühte sich Angela Merkel noch, auf Rüttgers mäßigend einzuwirken.
Am Sonntag, dem 9. November, sendete das Fernsehen Bilder von der Grundsteinlegung für ein neues jüdisches Gemeindezentrum in München. Zu sehen war Paul Spiegel, wie er zwischen Stoiber und Bundespräsident Rau stand. Charlotte Knobloch, die Vertreterin der bayerischen Juden, hielt eine bewegende und würdige Rede. Spiegel, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, sprach auch. Er nannte es „unerträglich“, daß ein Mann mit diesem Gedankengut im Bundestag sitze; Hohmann gehöre zu den „Brandstiftern“. Stoiber wiederum äußerte in Richtung Hohmann, er stelle sich „außerhalb des Grundgesetzes“.
Damit hatte Stoiber den CDU-Konsens (Rüge und Entschuldigung) aufgekündigt. Mit wem er sich in München dabei absprach, ist weniger wichtig. Stoiber mußte wissen, daß er Angela Merkel in Zugzwang brachte und daß sie ihre bisherige Linie gegen das Diktum aus München nicht durchhalten konnte. So kam es, daß Merkel schon am Montag, dem 10. November, im Geschäftsführenden Fraktionsvorstand der CDU für den Ausschluß des Abgeordneten plädierte.
Am Abend zuvor hatten noch Roland Koch bei einem Auftritt in Hessen und Generalsekretär Meyer in der Sendung von Sabine Christiansen den Nicht-Ausschluß verteidigt. Sie mußten sich düpiert vorkommen.
Sabine Christiansen hatte fairerweise Hohmann zu ihrer Sendung eingeladen. Er sagte ab, weil er sein Versprechen gegenüber Merkel halten wollte, Funkstille zu wahren - und verschenkte damit die wohl letzte Chance, sich vor einem Millionenpublikum zu erklären.
Der genaue Zeitpunkt, an dem Merkel umfiel, und die näheren Umstände sind bis heute ungeklärt. Selbst die über CDU-Interna meist gut informierte FAZ schrieb am 15. November, das Verhalten von Frau Merkel auf der Sitzung vom 10. November habe den Eindruck erweckt, „daß sie ihren Entschluß spontan und ohne eine Prüfung in der Partei oder Fraktion gefaßt und verkündet hat. Das beschäftigt Partei und Fraktion, weil sie nicht wissen, auf wen der plötzliche Sinneswandel zurückzuführen ist und wer Einfluß auf ihre Vor-sitzende hat - heute in diesem, morgen eventuell in einem anderen Fall. Vermutungen dazu sind schon im Umlauf.“
Sieben Tage später, auf der Präsidiumssitzung der CDU vom 17. November, wollte oder konnte Merkel - auch gegenüber einem erbosten Roland Koch - immer noch nicht darüber Aufschluß geben, wann und warum sie ihre Position so abrupt geändert habe. Sie sagte nur, das Ganze sein ein „Prozeß“ gewesen, der über das ganze Wochenende (sie meinte den 9. November) gedauert habe. Die FAZ (18.11.) sprach von „eisiger Stimmung“ im CDU-Präsidium.
Bitteres Fazit: Die einst stolze CDU, die Partei Adenauers und Erhards, die Partei der Westbindung und des Wirtschaftswunders, kann nicht mehr souverän darüber bestimmen, wer ihrer Fraktion angehören soll und wer nicht. Entsorgt wurde nebenbei auch noch Art. 38 Grundgesetz, wonach die Abgeordneten des Deut-schen Bundestages an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und „nur ihrem Gewissen“ unterworfen sind.
Übrigens: Falls es Stoibers Absicht war, aus der Desavouierung Merkels am 9. November taktische Vorteile zu ziehen, hat er sich getäuscht - die Schar seiner Anhänger in der CDU ist seitdem nicht gerade gewachsen. Besonders der konservative Flügel hat nicht mehr den Eindruck, aus München Unterstützung zu bekommen.
Die Hexenjagd
Am 12. November sagte der Historiker Professor Arnulf Baring im Bayerischen Fernsehen: „Natürlich ist seine Rede problematisch, aber sein Ausschluß ist ein Armutszeugnis für die Union wie für das liberale Grundverständnis dieses Landes.“
Wie recht er hatte, hat sich längst gezeigt. Die Meinungsfreiheit hat nur noch wenige Verteidiger in Deutschland. Fast alle Medien und fast alle Politiker sagten (fast) dasselbe zum Fall Hohmann. Nach einem halben Jahrhundert der Westorientierung scheint dem Land die Vorstellung immer noch oder schon wieder fremd zu sein, daß es keine Meinungsfreiheit gibt ohne die Freiheit, mißliebige oder vielleicht sogar falsche Äußerungen machen zu dürfen.
Bundestagsabgeordnete und selbst einfache Parteimitglieder, die ein Wort für Hohmann einlegten, wurden massiv unter Druck gesetzt:
* Als der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis den Fraktionsausschluß einen “menschlichen Fehler“ nannte, verlangte die bayerische SPD seinen Ausschluß aus der Partei - nicht den Ausschluß Hohmanns, sondern den von Geis.
* Als der CDU-Ratsherr Hans Knoblauch in Recklinghausen die Rede in das Schaufenster eines Wahlkreisbüros hing und dazu schrieb: „Man darf in Deutschland nicht mehr die Wahrheit sagen“, kündigte der CDU-Kreisverband ein Parteiausschlußverfahren an. Inzwischen hat sich Knoblauch schriftlich entschuldigt und sein Verhalten als „Dummheit“ bezeichnet.
* Der 23jährige Spätaussiedler Michael Wagemann in Mühlheim kam dem Ausschluß zuvor und verließ von sich aus die CDU.
* In Hannover leitete der SPD-Bezirk ein Parteiausschlußverfahren gegen ein Mitglied ein, das nicht einmal öffentlich, sondern in einer E-Mail die Rede „verteidigt haben soll“, wie in der Presse zu lesen war.
* In Niedersachsen bekam der CDU-Landtagsabgeordnete Thorsten Thümler Schwierigkeiten, weil er in einer Anzeige die Rede Hohmanns nur als „problematisch“ bezeichnet hatte. Das sei „verharmlosend“. Am 18. November wurde Thümler, nachdem er sich vor dem Fraktionsvorstand rechtfertigen mußte, gezwungen, sich „eindeutig“ zu distanzieren.
Deutschland hat sich weit von jenem Pluralismus entfernt, ohne den eine lebendige Demokratie nicht funktioniert. Hat man hierzulande vergessen, daß die Abschaffung der Meinungsfreiheit immer und ausnahmslos eine Vorbedingung und ein Charakteristikum von Diktaturen war?
Apropos Diktatur: Am 15. November zitierte die FAZ einen Unionspolitiker dahingehend, daß die Hälfte der CDU/CSU-Abgeordneten, die am Vortag auf einer chaotischen Fraktionssitzung für den Ausschluß Hohmanns gestimmt hatten, dies „gegen ihre innere Überzeugung“ getan hätten. Der (ungenannte) Abgeordnete weiter: „Die Stimmung war fast wie in einer Diktatur. Keiner wagte, sich anderen erkennen zu geben, wie er abstimmen würde. Jeder mißtraute jedem.“
Eine Trendwende?
Das Erstaunliche am Fall Hohmann war, daß die Bürger und die Parteibasis der CDU ganz anders reagierten, als sie dies früher getan hätten und als es die politische Klasse erwartete. In den Ted-Umfragen verschiedener Fernsehsender gewann Hohmann haushoch, und auch in den repräsentativen Meinungsumfragen trat rund die Hälfte für sein Recht auf Meinungsfreiheit ein - konträr zu fast allen Medien und allen Bundestagsparteien. Plötzlich stellte sich heraus, daß die Öffentlichkeit - im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung - den wesentlichen Grundsatz des Liberalismus verinnerlicht hatte. Die Deutschen sind nicht mehr autoritätsgläubig!
Dahinter verbirgt sich noch etwas anderes: Der Linkstrend, der seit 30 Jahren andauert, ist offenbar gestoppt. Dieser Schluß läßt sich aus neuen Untersuchungen des Demoskopie-Instituts Allensbach (vgl. FAZ vom 12.11.) ziehen. Seit den siebziger Jahren bittet Allensbach die Befragten regelmäßig, den eigenen Standpunkt auf einer Skala anzugeben, die von 0 (= extrem links) bis 100 (= extrem rechts) reicht. 1978 ordneten sich noch 46% rechts von der Mitte ein. 1999 waren es nur noch 33%. Jetzt sind es wieder 35%. Umgekehrt ist der Anteil „links von der Mitte“ auf 27% zurückgefallen.
Dazu Allensbach: „Der Linkstrend ist gestoppt. Der Wertewandel hat seinen Höhepunkt überschritten, die Bevölkerung orientiert sich neu.“ Und die Bevölkerung hat klare Vorstellungen davon, was „rechts“ bedeutet: Patriotismus, stolz auf Deutschland sein (das halten 63% der Befragten für „rechts“); für mehr Recht und Ordnung eintreten (53%); für die Förderung von Eliten an Schulen und Hochschulen eintreten (44%); für eine entschiedene Bekämpfung der Kriminalität (40%). Umgekehrt wird z.B. das Eintreten für mehr Zuwanderung von 66% der Deutschen als „links“ eingestuft.
Bislang ist es noch so, daß die Wähler rechts von den etablierten Parteien stehen und die Unionsmitglieder rechts von der Unions-Führung. Die spannende Frage ist nun, wie lange Merkel und Stoiber brauchen, um sich neu zu orientieren und sich vom alten Zeitgeist zu verabschieden.
(Aus: DeutschlandBrief, Dezember 2003)
MT
PS *gg*
Vielen Dank
WIR WOLLEN ALLE LIEB UND FREUNDLICH SEIN!
Würden Sie sich bitte im Umgang mit mir zivilisierter Umgangsformen befleißigen?
Herzlichst
Prof. Dr. Dr. Onno v. Pröml
Mit freundlichen Grüßen
E.
WIR WOLLEN ALLE LIEB UND FREUNDLICH SEIN!
Mit freundlichen Grüßen
E.