Angriff mit Schockwellen


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Neuester Beitrag: 29.01.03 10:20
Eröffnet am:29.01.03 10:01von: Happy EndAnzahl Beiträge:2
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95441 Postings, 8519 Tage Happy EndAngriff mit Schockwellen

 
  
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29.01.03 10:01
Amerikanische Strategen planen Mini-Nuklearwaffen, um militärische Anlagen tief in der Erde zu sprengen

Der Experte im deutschen Verteidigungsministerium – „Bitte zitieren Sie mich nicht!“ – empfiehlt zur Lektüre Tom Clancy. Der Thrillerautor hat in seinem Sachbuch Fighter Wing detailliert die Probleme der Luftkriegsführung im Allgemeinen und die Zerstörung unterirdischer Bunker im Besonderen beschrieben. Als etwa das Bombardement der unterirdischen Kommandozentrale Taji Nr. 2, 28 km nordwestlich von Bagdad, nichts anderes bewirkt, „als den Rosengarten umzugraben“, muss eine neue Waffe her. Bei Clancy wird in nur 28 Tagen ein verbesserter Sprengkörper aus übrig gebliebenen Geschützrohren hergestellt. Eines der pfeilartigen Konstrukte, Spitzname Deep Throat, vernichtet das Ziel schließlich. Der deutsche Clancy-Fan ist sicher: „Im konventionellen Bereich gibt es genügend Waffen, fast jeden Bunker zu knacken.“

Diese Zuversicht teilen nicht alle Militärstrategen. Sie fragen sich: Wie soll man herankommen an die mutmaßliche nordkoreanische Atomwaffenfabrik in Kumchangri, die 200 Meter tief in den Fels geschlagen wurde? Wie an den libyschen Chemiewaffenkomplex in Tarhunah? Und wie kann man ohne Desaster ein irakisches Milzbranddepot rückstandslos verpuffen lassen? „Die einzige Möglichkeit, solche Ziele zu bekämpfen, sind nukleare, erddurchdringende Waffen“, sagt Fred Celec, Deputy Assistant beim amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Rückt der Einsatz solcher Mini-Nukes näher?

Die neue amerikanische Nukleardoktrin „Nuclear Posture Review“ vom vergangenen Jahr macht es möglich. Sie erlaubt neuerdings Präventivschläge mit Atomwaffen und deren Einsatz gegen Staaten wie Nordkorea, Libyen und den Irak. Das Problem ist nur, dass die Bomben des zur Abschreckung geschaffenen Megatonnen-Arsenals aus dem Kalten Krieg dafür viel zu gewaltig sind. Und die einzige kleinere Atomwaffe, die weniger radioaktiven und politischen Staub aufwirbelt – technische Bezeichnung: B-61-11 – ist nicht für alle Zwecke geeignet. „Die 61-11“, sagt Fred Celec, „kann nur weichen Boden durchdringen, nicht harten Fels.“

Angriff mit Schockwellen

Die Lehre aus dem ersten Irak-Krieg von 1991 ist nach Celecs Ansicht, „dass man, um zu überleben, sehr tief gehen muss“. Dazu brauche man eine Mini-Atombombe, die sich tief in den Boden gräbt und durch Schockwellen auch entfernt vom Einschlagpunkt gelegene Bunker vernichtet. Direkt nach Bekanntgabe der Nuclear Posture Review beantragte die National Nuclear Security Administration eine Machbarkeitsstudie für einen „Robust Nuclear Earth Penetrator“ (RNEP). Die Mittel in Höhe von 15 Millionen Dollar wurden zwar bewilligt, aber nur unter der Auflage, dass das Verteidigungsministerium noch einmal explizit die militärische Notwendigkeit und die Überlegenheit gegenüber konventionellen Waffen begründet. Bis zum 3. Februar muss der Report dem Senat vorliegen.

Die Atomwaffengegner sind alarmiert. „Das läuft unseren Bemühungen nach Rüstungskontrolle zuwider“, sagt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit. „Die Einsatzschwelle für Atomwaffen wird gesenkt, und es ermutigt andere Staaten, ebenfalls Atomwaffen weiterzuentwickeln.“ Die amerikanische Alliance for Nuclear Accountability verschickt Brandbriefe an die Senatoren: „Wir sind tief besorgt, dass die Regierung Schritte unternimmt, das Jahrzehnte alte Moratorium für unterirdische Nukleartests aufzuheben, um unter anderem Waffen wie den RNEP zu testen.“

Ihre einzige Chance sehen die amerikanischen Aktivisten im akribischen Nachweis, warum solche Systeme weder sauber sind noch zur chirurgischen Bunkerbekämpfung taugen. In seinem Report Fire in the Hole hat Michael A. Levi von der Federation of American Scientists jüngst nukleare und nichtnukleare Bunkerbrecher verglichen.

Damit eine Nuklearwaffe mit wenig Sprengkraft möglichst große Wirkung erzielt, muss sie tief in die Erde eindringen. In den Fels gezwängt, gibt sie ihre Explosionsenergie maximal und weiträumig an die Umgebung weiter. Während konventionelle Waffen metergenau ihr Ziel treffen müssen, wirkt eine atomare 1-Kilotonnen-Bombe (die Hiroshima-Bombe hatte 12,5 Kilotonnen) eher indirekt. Explodiert sie in fünf Meter Tiefe, können ihre Schockwellen bis in 70 Meter Tiefe vordringen – über der Erde entsteht ein gewaltiger Atompilz aus radioaktivem Staub und Geröll. Auf der windabgewandten Seite, rechnet Levi vor, würden Menschen noch in drei Kilometer Entfernung tödlich verstrahlt. Erst ab einer Explosionstiefe von mindestens 140 Metern würde der oberirdische Fall-out sicher vermieden (siehe Grafik). So tief reicht aber kein Sprengkopf. „Es wird ein Fall-out geben“, bestätigt auch Ministerialrat Fred Celec.

Der Friedensaktivist Levi untersuchte auch konventionelle Alternativen. Entscheidend für deren Wirksamkeit ist die Genauigkeit, mit der sie treffen. In den vergangenen Jahren hat die genaue Ortung der unterirdischen Anlagen Fortschritte gemacht: Seismische, elektromagnetische und optische Messungen spüren Höhlen und Tunnel mittlerweile bis zu 120 Meter tief im Fels auf. Die Konstrukteure arbeiten an Raketenantrieben, mit deren Wucht die Geschosse bis zu 12 Meter Beton durchbohren. Ein Bombenhagel mit dünnen small diameter bombs, die besonders tief eindringen, soll die Treffergenauigkeit auf 100 Prozent erhöhen. Und „intelligente“ Auslöser sorgen dafür, dass die tödliche Fracht erst detoniert, wenn sie in einem Bunker das richtige Untergeschoss erreicht hat. All diese Entwicklungen, sagt Levi, lösten aber das Problem nicht, dass viele potenzielle Untergrundziele überhaupt nicht zu erwischen seien.

Auf der Wunschliste der Militärs stehen die small nukes auch gar nicht so weit oben. „Die Militärs sind nicht glücklich über die Atomwaffen“, sagt Ivan Oelrich von der Federation of American Scientists. „Wegen der politischen Verwicklungen sind sie schwer einzusetzen.“ Wie sollte man diese Waffe auch verlässlich einplanen, wenn doch der Präsident das letzte Wort bei einem Einsatz hat? Besonders aber fürchten die Feldherren die Verstrahlung der eigenen Truppen.

Eine gute Gelegenheit

Im Weißen Haus treiben vor allem Zivilisten die RNEP voran, Leute wie Curt Weldon, Abgeordneter aus Pennsylvania und Vorsitzender des Unterausschusses für Militärforschung, oder Keith Payne, Präsident des National Institute for Public Policy und Vordenker der neuen Nukleardoktrin. Zu den Befürwortern einer neuen Nukleardoktrin gehört auch Michael Anastasio, seit einem halben Jahr Direktor des staatlichen Lawrence Livermore National Laboratory. Das Institut ist eine der drei großen Nuklearwaffenschmieden in den USA, ausgestattet mit einem Budget von 1,5 Milliarden Dollar. Seit dem Ende des Kalten Kriegs suchen die staatlichen Bombenbauer nach neuen Aufgaben. John Gordon, nationaler Sicherheitsberater im Kampf gegen den Terrorismus, hofft auf eine „Gelegenheit, die nächste Generation von Nuklearwaffeningenieuren zu trainieren“.

Und was sagen die Alliierten zu den amerikanischen nuklearen Umtrieben? „Deutschland“, sagt Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, „ist im Moment nicht gerade in der Position, komplizierte strategische Debatten mit den USA zu führen. Das können wir nur im Verbund mit anderen Nato-Staaten.“ Dort aber wird das heikle Thema nur ungern aufgegriffen: „No comment“, heißt es schroff aus dem Hauptquartier in Brüssel. Auf der Nato-Tagung in Brüssel sei die Sache politisch nicht behandelt worden, sagt Arnold. Die mögliche Entwicklung von small nukes wurde nur auf der Ebene der Botschafter „vorgetragen“. „Die Bush-Administration“, hofft der SPD-Mann, „muss die Kurve kriegen und begreifen, dass sie solche Dinge nicht gegen die Völkergemeinschaft beschließen kann.“

Zurzeit aber hat George W. Bush leichtes Spiel. Die Chancen, dass der RNEP-Antrag durchgewunken wird, stehen einmalig gut. Seit dem 5. November haben die Republikaner sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus die Mehrheit. Und die Kritiker sind gegenwärtig wie gelähmt. Das Direktorium des weltweiten Hauptsponsors der Atomwaffengegner, der W. Alton Jones Foundation, ist zerstritten und hat seine Zahlungen eingestellt.

„Ich denke, die Mittel werden bereitgestellt“, sagt Fred Celec. „Der Einsatz ist eine Entscheidung des Präsidenten. Unser Job ist es, ihn mit den Optionen zu versorgen, die er braucht, um das Land zu verteidigen.“  

722 Postings, 8549 Tage GlasnostDas macht mir in der Tat Angst!

 
  
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29.01.03 10:20
"Ist doch nur ein klitzekleines Atombömbchen!"

Wie immer ich bisher über die "Drohkulisse" gedacht habe - das, was G.W.Bush da jetzt an Überlegungen anstellt geht klar zu weit. Schon das laute 'Nachdenken' bringt jene auf dumme Gedanken, die sich schwer tun, die Regeln der Weltgemeinschaft einzuhalten. Und das sind die gefährlichsten. Wenn wir uns nicht an unsere eigenen Regeln halten, dann haben wir bald eine ganz andere Drohkulisse. Jeder, der die Zeit des kalten Krieges miterlebt hat, weiß was es für ein Gefühl ist zu wissen, dass östlich und westlich von dem Land, in dem man lebt Gigatonnenweise Atomsprengköpfe auf einen gerichtet sind und wenn einer durchdreht, dann beschehrt und ein Knopfdruck einen nuklaren Winter, der alles Leben auslöscht.

Haben wir denn nichts aus Hiroshima, Nagasaki und den Folgen von Tschernobyl gelernt? Brauche wir das jetzt nochmal? Bildung, die immer wieder ignoriert wird und die doch viele (gebildete) für dringend Notwendig halten, Bildung also (nicht nur in Geschichte) hindert uns daran, auf derart wahnsinnige Ideen zu kommen.

Ich bin zwar gegen Tabuisierung, aber Atomwaffen sind eine Außnahme und bleiben Tabu!

Ich hoffe inständig, dass die Vernunft die Amis nicht ganz verlassen hat!

Glasnost  

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