Ich bin stolz, ein alter Europäer zu sein
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 06.02.03 09:58 | ||||
Eröffnet am: | 23.01.03 17:07 | von: Happy End | Anzahl Beiträge: | 16 |
Neuester Beitrag: | 06.02.03 09:58 | von: Immobilienha. | Leser gesamt: | 1.874 |
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Vertreter des alten Amerika: Donald Rumsfeld
Berlin/Paris - Donald Rumsfeld sei Dank: Der US-Verteidigungsminister hat Europa befreit. Mit seiner verbalen Attacke gegen Frankreich und Deutschland leistet er vielleicht mehr für die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Einigung als 40 Jahre Elyseé-Vertrag und Händchen halten auf Friedhöfen. Selten war die Empörung so grenzüberschreitend und überparteilich wie an diesem Donnerstag.
Rumsfeld hatte zum deutsch-französischen Widerstand gegen einen Militäreinsatz im Irak gesagt, er sehe in Deutschland und Frankreich das "alte Europa". Er fügte hinzu: "Deutschland ist ein Problem, Frankreich ist ein Problem. Aber wenn sie sich die riesige Zahl anderer Länder ansehen, so sind sie auf der Seite der USA und nicht Frankreichs und Deutschlands."
Mit diesem Affront versucht er Europa zu spalten in "good guys" und "bad guys". Wobei er keinen Zweifel daran lässt, wer darüber entscheidet, wer die Maßstäbe bestimmt, wann Europa ein gutes Europa ist - und wie die USA Europa betrachten. Damit erzwingt Rumsfeld, was Europa sich lange nicht traute: Eine gemeinsame Haltung zu finden zu den Kriegsplänen der USA. Es wird interessant werden, wie Tony Blair als treuester Verbündeter der USA in Europa nun reagiert. Es heißt: Farbe bekennen.
Die Ironie ist, dass Rumsfeld den nationalen Stolz angreift und damit eine supranationale Allianz schaffen könnte. Zwar war bisher eher Deutschland allein - auch durch Wahlkampf bedingt - die treibende Kraft der Kriegsskepsis. Doch nun zeigen die harschen Reaktionen aus Frankreich, dass die "Grande Nation" beleidigt ist durch das US-Verhalten.
Mit deutlicher Empörung ist in Paris die Kritik von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld an der deutschen und französischen Irak-Politik aufgenommen worden. Wirtschafts- und Finanzminister Francis Mer sagte am Donnerstag, die Bemerkung vom "alten Europa" habe ihn "tief gekränkt".
"Die Weisheit des alten Europas"
Für die oppositionellen Sozialisten erklärte die ehemalige Ministerin Martine Aubry, die Äußerungen zeugten von der "Arroganz der Vereinigten Staaten, die die Welt mehr und mehr ohne Regeln allein regieren wollen". Regierungssprecher Jean-Francois Cope empfahl Rumsfeld die "Weisheit" des "alten Europas", um die Irak-Krise friedlich beizulegen.
Der Vorsitzende der bürgerlich-liberalen UMP, Alain Juppé, sagte: "Ich bin stolz darauf, zum alten Europa zu gehören." Dort hätten auch die USA ihre Wurzeln. Finanzminister Mer erklärte sogar, das "alte Europa" habe Schwung und werde dies auch zeigen. Umweltministerin Bachelot verwies auf den General Cambronne. Dessen Name steht im Französischen für eine vulgäre Beschimpfung, ähnlich wie im Deutschen Goethes Götz von Berlichingen. Mit dem Ausruf "Merde!" (Scheiße) soll der General Napoleons bei der Schlacht von Waterloo die Aufforderung der Engländer zur Kapitulation zurückgewiesen haben.
Europa einig im Widerstand
Auch Deutschlands Außenminister Joschka Fischer (Grüne) konterte am Donnerstag doppeldeutig: "In der Tat sind die Kulturen und die Staatenbildung in Europa älter als in den USA." Fischers französischer Amtskollege Dominique de Villepin bekräftigte die Haltung seiner Regierung, dass es derzeit keinen Grund gebe, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen: "Heute gibt es keine Rechtfertigung, Gewalt anzuwenden", sagte der Minister nach der Teilnahme beider Minister an einer gemeinsamen Sitzung der auswärtigen Ausschüsse von Bundestag und Nationalversammlung in Berlin.
Auch die CDU-Partei- und Unions-Fraktionsvorsitzende Angela Merkel, sonst gerne an Schröders Irak-Haltung mäkelnd, hat die Kritik von Rumsfeld an Deutschland und Frankreich strikt zurückgewiesen. "Ich halte es für nicht richtig, wenn jetzt so Töne aufkommen, wir seien das alte Europa. Das führt uns nicht weiter", sagte Merkel am Donnerstag in Berlin und zeichnete eine neue Karte des geeinten Europas unter Ausschluss Portugals: "Im Übrigen glaube ich, dass die Einigkeit Europas, von Polen bis Madrid, viel, viel größer ist, als sich das mancher vorstellt."
Europa als politischer Pol
Denn die Vorstellung in Europa vom "alten Europa" ist eine andere als in den USA. Es ist das Europa der Aufklärung und des Humanismus, das, gerade weil es eine Jahrhunderte währende blutige Geschichte hat, weiß, wovon es spricht. Ein einiges Europa in seiner Vielfalt hat die Chance, dem Unilateralismus der USA nach dem Ende des Kalten Krieges einen politischen Pol entgegenzusetzen.
Das deutet sich jetzt im Uno-Sicherheitsrat an. Zur Frage, ob Deutschland einen zusätzlichen Bericht der Uno-Waffeninspektoren wolle, sagte Fischer: "Wenn die Inspektoren weiter arbeiten sollen, tun sie das im Auftrag des Sicherheitsrates. Wir wollen selbstverständlich, dass sie weiter arbeiten." Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler sagte am Donnerstag, Fischer habe in der Ausschuss-Sitzung indirekt bestätigt, dass es einen zweiten Bericht der Inspektoren geben solle. Dies könne auch auf Anregung Deutschlands geschehen, sagte Erler. Deutschland hat von Februar an den Vorsitz im Uno-Sicherheitsrat. Zuvor hatte es in Uno-Diplomatenkreisen geheißen, Deutschland könnte Mitte Februar einen weiteren Bericht anfordern und dabei auf die Unterstützung Frankreichs zählen.
USA werden nervös
Die harsche Reaktion Rumsfelds zeigt, wie nervös die USA auf europäisches Selbstbewusstsein reagieren. Der CSU-Europapolitiker Bernd Posselt wirft Rumsfeld deshalb Neokolonialismus vor. Die USA müssten lernen, dass die Europäische Union Partner und nicht Protektorat sei, sagte Posselt am Donnerstag in München. "Zuerst versuchen sie, eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union zu erzwingen, und dann mischen sie sich in Sachen Irak massiv in innereuropäische Angelegenheiten ein."
Das sind ganz neue Töne aus den Nationalstaaten. Plötzlich gibt es diesseits des Atlantiks nicht innerdeutsche oder innerfranzösische, sondern "innereuropäische Angelegenheiten". Wenn Rumsfeld es geschafft hat, dass es nun nicht mehr heißt: "Ich bin stolz, Deutscher oder Franzose zu sein", sondern: "Ich bin stolz, ein alter Europäer zu sein", dann haben es die USA mit einem neuen, jungen Europa zu tun. Rumsfeld sei Dank. Vielleicht erhält er dafür irgendwann den Karls-Preis.
Thema: Irak: Was kostet uns ein Krieg wirklich?
Die Szenarien sind längst geschrieben: Politiker, Militärs und Experten in den USA rechnen durch, wie sich der propagierte "kurze, saubere Waffengang" vorteilhaft auf Ölpreise und Wirtschaftsentwicklung auswirkt und ab welcher Dauer mit welchen Risiken zu rechnen ist. Fazit der US-Studien: der Irak-Krieg beende die weltweite Unsicherheit und drücke auf den Ölpreis. Kein Wort über die Opfer, die Destabilisierung der Region, die Schäden für die internationalen Beziehungen und künftige Terrorakte. Krieg wird so zum zynischen Zahlenspiel der Strategen. Zwar hält die deutsche Regierung an ihrem Nein zum Krieg und seiner Finanzierung fest. Dennoch: auch die Deutschen werden für den Krieg teuer bezahlen.
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Heute Abend gibts den ganzen Bericht.
Gruß
Berlin - Nahezu einhellig verurteilen die Autoren in der Freitag-Ausgabe des Blattes die Verunglimpfung der Irak-Kriegsgegner Deutschland und Frankreich als "altes Europa".
Der Philosoph Jürgen Habermas schreibt, Rumsfeld verantworte "eine Sicherheitsdoktrin, die völkerrechtlichen Grundsätzen spottet". Dabei seien gerade aus der politischen Aufklärung "jene völkerrechtlichen Innovationen hervorgegangen, die heute in Europa eher Anhang finden zu scheinen als in der ziemlich alt aussehenden neuen Welt."
Der Schriftsteller Peter Schneider, wirft Washington Realitätsverlust vor: "Wenn Herr Rumsfeld mit dem alten Europa alle diejenigen meint, die gegen einen amerikanischen Alleingang sind, dann darf man mehr als die Hälfte der Amerikaner zu den Alteuropäern rechnen", schreibt Schneider in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung."
Die Feministin Alice Schwarzer lobt Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Er ist, was immer seine Motive sein mögen, zurzeit führend bei dem Versuch Europas, Menschen- und Völkerrechte nicht ganz zu vergessen und wenigstens diesen Krieg zu verhindern."
Régis Debray , der an der Seite von Che Guevara in Bolivien kämpfte und später außenpolitischer Berater von Frankreichs Präsident Francois Mitterrand war, begrüßt den deutsch-französischen Schulterschluß gegen den Krieg: "Das Zusammengehen von Deutschland und Frankreich gegen Amerika und ihre entschiedene Ablehnung des Kriegs erfreuen mich und erfüllen mich mit großer Hoffnung."
Der französische Regisseur und Intendant der Wiener Festwochen Luc Bondy bekennt: "Wenn das alte Europa, das den Krieg gekannt hat, nun die Vernunft und die Raison besitzt, den Krieg nicht mehr zu wollen, dann bin ich für dieses alte Europa, das das neue Europa ist."
"Schockierend" findet der Philosoph Jacques Derrida den Ausspruch Rumsfelds. Er sei "bezeichnend für die Unkenntnis darüber, was Europa war, was es ist und sein wird."
Nachdem die US-Führung monatelang behauptete, sie habe Beweise, dass der Irak noch Massenvernichtungswaffen besitze, diese "Beweise" aber weder der Weltöffentlichkeit noch den UN-Inspektoren vorlegte, dreht sie den Spieß um: der Irak soll jetzt beweisen, dass er keine Massenvernichtungswaffen mehr hat.
Die Amerikaner planen offenbar, Deutsche und Franzosen wegen ihrer Anti-Kriegspolitik auf bisher einmalige Weise in die Enge zu treiben. Beide Staaten sollen als Verhinderer eines Saddam-Sturzes gebrandmarkt werden. Einige Regierungsbeamte glauben, so schreibt die "New York Times", dass Frankreich und andere gegen einen Krieg eingestellte Alliierte am Ende doch noch überzeugt werden könnten. So erwägen die Amerikaner, die französischen Konzerne von der Ausbeutung der irakischen Ölquellen auszuschließen, sollte Saddam erst einmal gestürzt sein. (!)
Wir haben uns numal der antikriegerischen demokratie verschrieben und darüber bin ich auch sehr glücklich.
Old Europe strikes back?
Deutschlands und Frankreichs "Nein" zum Irak-Krieg hat die kriegsbereiten Falken Amerikas mächtig provoziert. Der altamerikanische Krieger Donald Rumsfeld versucht nun Europa zu spalten: Frankreich und Deutschland repräsentierten "old europe", während der andere Teil Europas die Zeichen der großen neuen Zeit amerikanischer Weltneuordnung begriffen habe. Doch das ist nur einer der vielen Höhepunkte für eine tief greifende Erosion der amerikanisch-europäischen Freundschaft, die zumindest während der Amtszeit dieses US-Präsidenten nie mehr die vormalige Qualität wiedererlangen kann. Unerträglich ist die unverhohlene Arroganz der Macht, die sich nur noch durchsetzen will, ohne völkerrechtliche Regeln respektieren zu wollen, diplomatische oder friedliche Lösungen zu erwägen und selbst ohne die eigene vordergründige Krisenlogik, wie es der Korea-Konflikt auch noch dem Frömmsten klar macht, zu beachten.
Europa ist den amerikanischen Welt-Marshalls gleichwohl zu tiefem Dank verpflichtet, weil unsere fragile Identität zwischen EU, NATO und partikularen Nationalinteressen durch die Hegemonialstrategie des amerikanischen Präsidenten jetzt eine historisch beispiellose Chance erhält. Bushs und Rumsfelds Nichtdiplomatie, zwischen der Achse des Guten und der Achse des Bösen nun auch noch eine dritte Achse der unzuverlässigen Kantonisten und diplomatischen Weicheier auszurufen, macht deutlich, wie weit die Hexenjagd gediehen ist.
" Now, you're thinking of Europe as Germany and France. I don't. I think that's old Europe. If you look at the entire NATO Europe today, the center of gravity is shifting to the east. And there are a lot of new members. And if you just take the list of all the members of NATO and all of those who have been invited in recently -- what is it? Twenty-six, something like that? -- you're right. Germany has been a problem, and France has been a problem." - Verteidigungsminister Rumsfeld auf der Pressekonferenz vom 22.1.2003
Ab jetzt ist, um die Formel von Carl Schmitt im Zeichen des amerikanischen Internationalismus zu aktualisieren, der Freund die Frage unserer eigenen Gestalt. Die von Amerika großzügig erweiterte Frontlinie hat sich tief in das europäische Selbstverständnis eingeschnitten. Und was EU, Euro und Brüssel nicht vermochten, George W. Bush und seinen Ölprinzen könnte es gelingen, die alteuropäischen Werte wiederzubeleben. Paul Virilio hat es auf den Punkt gebracht:
"Alter Kontinent? Da muss ich lachen. Es ist die Bush-Regierung, die einen altertümlichen Krieg führen will in einer Situation, die seit dem Attentat auf das World Trade Center mit dem Hyperterrorismus vor ganz neuen Herausforderungen steht."
Doch Rumsfelds - wie immer auch diesmal leicht durchschaubare - Propaganda ist nicht nur ein Bumerang mit Mehrfachsprengkörpern, geeignet, potenzielle Alliierte für diesen Krieg endgültig zu verlieren. Der so strategisch zweifelhaft operierende Verteidigungsminister fühlt sich längst so mächtig, dass seine globalen Betrachtungen inzwischen an der geopolitischen Krempe des Texanerhuts enden.
Denn die dritte Achse der Unwilligen bildet sich nicht nur im Herzen Alteuropas: Peking tendiert zur Position Frankreichs und Putin und sein Außenminister Igor Iwanow erkennen auch keinerlei Grund, den gewählten Weg der Waffeninspektionen zu verlassen. Selbstredend, dass auf Rumsfelds wunderlicher Weltkarte auch die arabischen Staaten wohl längst zu Alteuropäern mutiert sind.
Mit jedem weiteren Schritt in diesen begründungslosen Krieg wird Washington so unglaubwürdig, wie es selbst den seligen Freiheitskämpfern in Vietnam nicht gelungen ist. In dem von Fakten unberührten Gerede über die Isolierung nicht kriegsbereiter Staaten zeichnet sich alleine ab, dass sich Bushs Amerika mehr und mehr isoliert.
Bush wählte bisher die Rhetorik, es läge allein an Saddam Hussein die Chance wahrzunehmen, einen Krieg durch Kooperation und Abrüstung zu verhindern. Richtig ist, dass Bush selbst die Chance vertan hat, wenn er sie denn je hatte, die Welt von seiner Mission zu überzeugen. Trotz der Anmahnungen der UNO und zahlreicher Staaten präsentierte Washington die längst überfälligen Beweise für die Waffenvernichtungsmittel des Irak nicht.
Die Geschichte könnte auch den bestrafen, der sie ignoriert
Die vorüber gehenden Versprechungen, hochbrisantes Geheimdienstmaterial vorzulegen, scheinen vergessen, seitdem es sich Washington auf der öligen Beweislastumkehr zum Nachteil des Irak gemütlich macht. Außer ein paar abgetakelten Chemiewaffensprengköpfen und den Aufzeichnungen eines irakischen Physikers zur Herstellung von Atomwaffen wurde bisher nichts Nennenswertes zu Tage gefördert, was den Namen einer Bedrohung verdient hätte. Rechtfertigen dieser bessere Militärschrott und ein paar nicht deklarierte Unterlagen, deren Relevanz nicht einmal geklärt ist, die präventive Kriegslogik, es sei fünf vor zwölf, um einen Angriff auf Amerika abzuwenden?
"If a government is unwilling to disarm itself, it is unreasonable to expect inspectors to do it for them" demaskiert jetzt Paul D. Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, das offizielle Verständnis Amerikas vom UNO-Auftrag. Washington hat die Waffeninspektionen offensichtlich nur als überflüssiges Vorspiel zu einem unabdingbaren Krieg gesehen. Mindestens ebenso bizarr bleibt die viel zu wenig erörterte Alogik des angekündigten Krieges, der Irak wäre laut den US-Generälen in einigen Tagen verteidigungsunfähig zu bomben, mit der gleichzeitig lauthals von Bush propagierten Gefährdung Amerikas durch eben diesen armseligen Feind. Die schrecklichste Waffe dieses Feindes in den Augen der Ölprinzen wäre es allein, den unstillbaren Öldurst zu bestrafen, indem die Quellen angezündet würden.
Nur eine travestische Vernunft, die sich der Logik der Macht so unterordnet, dass sie ihren Namen nicht mehr verdient, hat im panamerikanischen Weltbild noch eine Chance auf Gehör. Die USA will die ungetreuen Vasallen Deutschland und Frankreich nun auffordern, den Irak zu bezichtigen, den Uno-Sicherheitsrat zu missachten. Diese Strategie der offenen Demütigung, wenn sie denn aufginge, ist selbst in Zeiten der neuen amerikanischen Überheblichkeit ein fataler Schritt: Denn auch eine transatlantische Freundschaft, die nur politischem Kalkül folgte, verträgt solche Provokationen nicht.
"Krieg ist nicht unvermeidbar", meint der französische Präsident Jacques Chirac. Aber diese Entscheidung liegt weder in den Händen Europas noch der UNO. Allein Bush und die Seinen haben sich dafür entschieden, mit ihrem Verständnis von Freundschaft die besten Voraussetzungen für eine alt- oder neueuropäische Identität zu begründen. Die Moral dieser Geschichte könnte darin liegen, dass die Geschichte auch den bestraft, der sie ignoriert - oder um der Präventionsmoral Bushs die Ehre zu erweisen: der zu früh kommt.
Seit dem Ende des Kommunismus haben die osteuropäischen Länder ihre Identität verändert. Diese Bemühung, sich in der Welt nach dem Kalten Krieg zurechtzufinden, war für manche Länder nicht so einfach. Die Tschechoslowakei gibt es nicht mehr, nachdem die zwei größten ethnischen Gruppen sich kurz nach der "sanften Revolution" entschlossen haben, sich in die Tschechische und Slowakische Republik aufzuteilen. Auch für viele Menschen im ehemaligen Jugoslawien war der Wandel der Identität bekanntlich nicht immer so friedlich. Und natürlich war in Russland nicht nur die Veränderung des Namens und der Größe des Landes schwierig, sondern auch die Erkenntnis, dass die "große" Nation schließlich nicht mehr so groß war, was besonders durch den Verlust des Status als Supermacht veranschaulicht wurde.
Daher sollte es nicht überraschen, wenn die Bezeichnung der Region als "neues Europa" durch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hier nicht von allen Menschen freudig begrüßt wurde. Manche fühlen sich ein wenig unwohl mit dieser Kategorisierung. Zum einen will das "neue Europa" sich ja genau mit diesem "alten Europa" verbinden, zum anderen wird ihm damit eine unschöne Wahrheit ins Gesicht gesagt: dass sie nur Vasallen von Washington sind.
Kluft zwischen den Regierenden und den Regierten
Niemand in Osteuropa nimmt Rumsfelds Behauptungen ernst. Es ist offensichtlich, dass der Begriff eines "neuen Europa" eine Farce ist. Alle Regierungen in der Region wissen dies. Die Statistiken sagen diesbezüglich alles: Das kombinierte Bruttosozialprodukt der neuen Europa, d.h. aller osteuropäischen Länder, beträgt 962 Milliarden Dollar, während das des alten Europa (Frankreich und Deutschland) 3,68 Billionen Dollar ausmacht. Auch im Hinblick auf die militärische Macht steht die Region im Vergleich schlecht da. Im alten Europa gibt es 582.000 Soldaten, das gesamte neue Europa hat nur 538.000 Soldaten. Dem entspricht der große Unterschied bei den Rüstungsausgaben. Gibt das neue Europa dafür 85,3 Millionen aus, so das alte 8,4 Milliarden. Und dorthin soll sich nun die Achse der Macht in Europa verlagern?
Trotz der jüngsten Erklärung einiger Regierungschefs, dass sie die Position der USA gegenüber dem Irak unterstützen, sind die meisten Menschen nicht mit der amerikanischen Außenpolitik einverstanden, besonders nicht mit dem aggressiven diplomatischen Stil von George Bush. Es gibt einen erkennbaren Bruch zwischen den Ansichten der osteuropäischen Regierungen und ihren Bürgern.
In Ungarn war man öffentlich ziemlich besorgt über die Entscheidung des ungarischen Ministerpräsidenten Peter Medgyessy, den offenen Brief mit der Solidaritätserklärung für die USA zu unterschreiben. Möglicherweise war das nach ungarischem Recht auch illegal. Wenn es um Krieg und Frieden geht, muss das Parlament befragt werden, und jede Handlung oder Politik der Regierung muss eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten. Die Regierung hat aber diese Mehrheit nicht, vor allem aber wurde das Parlament gar nicht befragt.
Die Opposition der Ungarn gegenüber dem Krieg lässt sich deutlich an der Reaktion auf den amerikanischen Stützpunkt in Taszar im Süden des Landes ablesen, wo "Freiwillige aus dem Irak und anderen arabischen Ländern" für eine Aufgabe trainiert werden, die bislang niemand wirklich kennt. Nach der letzten offiziellen Umfrage Ende Januar zeigten sich zwei Drittel der Befragten nicht erfreut über das amerikanische Ausbildungslager in Taszar, weil sie glauben, dass es ein Sicherheitsrisiko darstellt. Genauso viel Menschen sagen auch, dass sie nicht genügend Informationen von der Regierung darüber erhalten haben, wer sich genau auf dem Stützpunkt aufhält und zu welchem Zweck. Diese Haltung überschreitet auch die Parteigrenzen: Über 70 Prozent der Anhänger der Opposition und mehr als 60 Prozent der Regierungsanhänger fühlen sich nicht ausreichend informiert.
Verpflichtung gegenüber der USA
Allerdings herrscht nicht überall in Osteuropa eine vergleichbare Angst vor einem Krieg gegen den Irak. In Rumänien ist fast die Hälfte der Bevölkerung für eine militärische Intervention. Dadurch steht Rumänien gleich nach den USA an zweiter Stelle der Kriegsbefürworter. Gleichwohl sind die meisten Osteuropäer allgemein gegen eine militärische Aktion. In Bulgarien stehen viele Menschen dem drohenden Konflikt mit gemischten Gefühlen gegenüber. Auch wenn sie nicht wirklich gegen den Krieg sind, hört man Stimmen der Vorsicht, die fordern, dass erst einmal alle friedlichen Mittel ausgeschöpft werden sollten. Ähnlich ist die Stimmung bei den Esten und Russen.
Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum Regierungschefs eher auf die eine Seite neigen, während die Bürger zur anderen tendieren. Manche scheinen sich einfach dem Schicksal zu ergeben. Die Politik der bulgarischen Regierungspartei unterstützt beispielsweise die amerikanische Vision der Neuen Welt, weil die meisten Politiker in Bulgarien denken, dass es beim drohenden Krieg keine Möglichkeit gibt, neutral zu bleiben, weswegen man dies auch gar nicht zu versuchen braucht.
Andere Regierungen balancieren auf einer harrscharfen Linie, um jeden zufrieden zu stellen. So hat in Rumänien die Regierung noch keine offizielle Position zum Irak-Krieg bezogen, will dies aber am 10. Februar machen. Die Regierung ist sehr vorsichtig, weil Rumänien eingeladen wurde, der Nato beizutreten und sie die Mitgliedschaft nicht gefährden will, und weil die öffentliche Meinung sehr viel mehr gespalten ist als beim Krieg gegen Afghanistan.
Die meisten Länder fühlen sich aber auf die eine oder andere Weise der USA verpflichtet und verfolgen daher eine Politik, die offensichtlich nicht in ihrem nationalen Interesse ist. Man darf auch nicht vergessen, dass die USA sich schon seit Monaten - wenn nicht seit Jahren - über die Situation im Irak klar ist und daher geeignete Schritte unternommen hat, um mögliche Unterstützer und "Alliierte" auf ihre Seite zu ziehen.
Die Mittel zur Gewinnung der Unterstützung wurden nicht nur auf der Ebene der Regierung, sondern auch auf der persönlichen Ebene eingesetzt. Der ungarische Ministerpräsident wurde beispielsweise kurz nach seiner Wahl nach Washington eingeladen und dort königlich empfangen. Darüber wurde in den ungarischen Medien ausführlich berichtet. Der erstklassige Empfang hat auch den Nationalstolz und das ungarische Ego anschwellen lassen, aber er hat auch im Rückblick das Fundament für einen amerikanischen Lobby-Partner in Europa gelegt. Nachdem der Ministerpräsident auch einige Leichen im Keller hat, vor allem eine umstrittene Wahl und die Aufdeckung, dass er neben seiner Funktion als Ministerpräsident und Finanzminister in der letzten kommunistischen Regierung auch als Geheimdienstoffizier tätig war, vermittelte die Anerkennung von Washington ihm und seiner Regierung ein gewisses Maß an Legitimität. Ungarn scheint dafür nicht nur den Maulwurf der amerikanischen Außenpolitik in Europa zu spielen, sondern auch eine aktivere Rolle bei der Unterstützung der militärischen Pläne von George Bush zu übernehmen, wie man das beim Stützpunkt in Taszar sehen kann.
Noch gibt es in Osteuropa keine Friedensbewegung
Abgesehen von denjenigen, die sich aus dem einen oder anderen Grund der USA verpflichtet fühlen und daher deren harte Politik gegen den Irak unterstützen, haben andere ein deutlich erkennbares niedrigeres Motiv. Bulgarien verfolgt wirtschaftliche Interessen, hauptsächlich weil der Irak noch eine große Summe an Schulden zurückzahlen muss. Bulgarien hofft mit der Unterstützung der USA vielleicht darauf, eine frühzeitige Rückzahlung der Schulden sicher zu stellen.
Bei manchen Regierungen ist schließlich nicht klar erkennbar, warum sie die US-Position unterstützen. Auch Vaclav Havel, der wegen seiner moralischen Haltung im In- und Ausland hohen Respekt genießt, hatte zusammen mit Ungarn und Polen sein Gewicht in die Waagschale geworfen, als er den offenen Brief zur Unterstützung der USA unterschrieb. Für viele war das ein Schock, da sie erwarteten, dass der tschechische Präsident eine bessere Urteilskraft ausüben werde, andere hingegen sahen darin nur politisches Zweckdenken.
Wenn man sich die Kluft zwischen den Regierenden und den Regierten in Osteuropa vor Augen führt, ist man überrascht, dass die Antikriegsbewegung in dieser Region so still ist. Das aber hat viel mit der herrschenden Gleichgültigkeit zu tun. In Bulgarien etwa wird der Irak-Konflikt als etwas betrachtet, was sich weit entfernt abspielt, da die bulgarische Gesellschaft mit schweren innenpolitischen Themen konfrontiert ist. Die bulgarische Antikriegsbewegung ist zwar wirklich nicht groß, dennoch haben viele Prominente Petitionen gegen den Krieg unterschrieben. Auch die Vergangenheit mag hier eine Rolle spielen. Es gibt beispielsweise ein fortbestehendes Schuldgefühl für die Vergangenheit, da Bulgarien als der "kleine Bruder" der ehemaligen Sowjetunion galt.
Das Fehlen von Antikriegsprotesten hat aber auch viel mit Angst und Einschüchterung zu tun. Trotz offizieller Slogans von Demokratie und Freiheit sterben alte Gewohnheiten nur langsam aus und bleibt die Polizei ein strenger Arm der Regierung. In einigen Fällen wurden Proteste geplant, aber dann von der Polizei verboten. In Ungarn plante die Organisation "Zivilisten für den Frieden" für Mitte Februar eine Demonstration, die aber nicht genehmigt wurde. Als die Organisation daraufhin einen Einspruch vor Gericht einlegte, gab die Polizei nach, aber nur wenn die Route für die Demonstration verändert werde, obgleich diese in der Vergangenheit bereits von vielen Demonstrationen ohne Probleme benutzt worden ist.
Die osteuropäischen Medien haben nur die offizielle Politik von Washington wiedergegeben. Proteste in Europa und in den USA wurden kaum, wenn überhaupt erwähnt. Und der Konflikt, der durch die US-Lobby innerhalb Europas entstanden ist, wurde heruntergespielt.
Je länger es dauert, bis der Krieg beginnt, desto schlimmer dürfte es für die Politiker des "neuen Europa" werden, da die inkonsistente Regierungspolitik immer offensichtlicher wird. Überdies ist nicht sicher, dass die Apathie anhalten wird und man nicht bald auch auf den Straßen Osteuropas Friedensdemonstrationen sehen kann. Aus diesem Grund hoffen sicherlich viele Politiker in der Region, dass das ganze Kriegsangelegenheit bald und schnell durchgeführt wird. Allerdings hat ein Rumäne gesagt: "Keine Überstürzung. Wir haben genug Zeit."