Buch der Woche
Hubertus Knabe, streitbarer Leiter der Stasi-Gedenkstätte, analysiert in "Die Täter sind unter uns" sachlich den Betrug der PDS. Er weist den Genossen finanzielles Raubrittertum nach. Und prangert den unwürdigen Umgang mit den Opfern an. zurück weiter
Die Ausstellung "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" des Deutschen Historischen Museums in Berlin zeigt das Leben in und mit der Diktatur. Das Schild "Sperrgebiet" 1961/1989 ist aus Pressspan. Die Textur der Realität ist etwas ungemein Verletzliches. Man kann an ihr herumbasteln, ihre Fäden kappen, sie solange verformen, bis ihr irgendwann der Widerstand abhanden kommt. Geschieht das, wird im Prinzip alles möglich. An die Stelle des ursprünglichen Gewebes rückt etwas, das einem bald genauso vertraut vorkommt wie die Ausgangstextur. Was aber sind dann Realität, Erfahrungen, Tatsachen, Ereignisse? Was ist Wahrheit, was Lüge? Mit Fragen dieser Art reiste Hannah Arendt 1950, fünf Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, das erste Mal wieder nach Deutschland. Sechs Monate lang fuhr sie durch kaputte Städte, sah ein Land unter Schock, in dem die Menschen zugleich wie unter „blindem Zwang“ standen, mit dem „gierigen Verlangen, den ganzen Tag pausenlos an etwas zu hantieren“. Was die Philosophin aus dieser Aktionswut unmittelbar heraussah, war eine „tief verwurzelte, hartnäckige und gelegentlich brutale Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen“. Knabes Deutschland-Inventur im Herbst 1989 Hannah Arendts Deutschland-Report scheint die Folie für das neue Buch des Historikers Hubertus Knabe. Knapp zwanzig Jahre nach dem Umbruch im Herbst 1989 macht er Bestandsaufnahme, fragt nach der politischen Realität im vereinten Land. Die entsteht nicht mittels eines flüchtigen Reise-Blicks, sondern durch seine langjährige Erfahrungen als Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, des ehemaligen Zentralgefängnisses der Staatssicherheit, eines Containers von Extrem-Erfahrungen, einer Welt aus Tatsachen. Erich Honecker als AusstellungsobjektWovon Knabe in seinem Buch zu berichten hat, organisiert sich durch diese Härtesubstanz. Kein Lavieren also, kein Pseudogequatsche, keine parteipolitischen Rankünen, keine Polemik. Dem Historiker ist es ernst. Er setzt auf Fakten und spricht für die Opfer, für die, die in den Extrem-Containern der DDR eingesessen haben. Das macht das Buch so politisch, so unerträglich, so schmerzhaft, so kostbar.
Es beginnt mit einer Trauerfeier auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde. Im November 2006 wird dort Markus Wolf, zweiter Mann hinter Stasi-Chef Mielke, auch zuständig für die Arbeit im „Operationsgebiet“ – der Bundesrepublik – zu Grabe getragen. Die Trauerreden verabschieden ihn als „großartigen Menschen“, „großen Sohn Deutschlands“, als „Mann reinen Herzens“. Dass der nach 1989 insbesondere als Kochbuchschreiber reüssierende Tschekist die Agentur des Staatsterrors anführte und eine der zentralen Figuren des DDR-Unrechtsregimes war, wird auf jener Novemberfeier nicht zu erfahren gewesen sein. Das dürfte kaum verwundern. Und doch steht die gewählte Exposition symbolisch für das Schweigematerial der Täter, in das sich Hubertus Knabe nun Seite für Seite hineinzuschreiben beginnt. Lob für Vertreter des DDR-Unrechtsregimes Wie ein Krimi liest sich etwa der milliardenschwere Super-Klau an der ostdeutschen Bevölkerung, die die SED-Folgepartei PDS in der Wendezeit durch Konspiration, Finten und Tricks hingelegt hat. Wegen des gigantischen Betrugs folgerte die zur Überprüfung eingesetzte Unabhängige Kommission nach 16 Jahren Arbeit 2006, dass „die SED/PDS eine Strategie der Vermögensverschleierung verfolgt“ habe. Um Strategie und Symbolpolitik geht es im Grunde notorisch, versucht man, die paranoiden Metamorphosen vieler Täter nach 1989 lesbar zu machen. Das kontinuierliche Verschwinden von Tatsachen aber auch Täterbiografien aus dem öffentlichen Raum und der Versuch, Opfer- und Täter-Geschichten an jeweils affektiv besetzten Orten oder im Licht medialer Ereignisse zu drehen, wie es in jüngster Zeit des Öfteren zu beobachten war, erzählt insbesondere von der enormen Adaptionsfähigkeit totalitärer Macht – sagt aber auch etwas über die moralische Leere, derer, die sie ausgeübt haben. Vom kontinuierlichen Verschwinden von Tatsachen Stoisch hält das Buch dem aktuellen Polit-Raubrittertum der PDS den Spiegel vor, liefert Zahlen, Zusammenhänge, nennt Ross und Reiter, zerrt das Schuldvolumen der Verfolger aus dem selbsterzeugten Nebel hervor. Knabe hat genug vom dreisten Verwirrspiel der letzten Jahre, kennt die psychischen Transmissionsenergien der Geschichtsfälscher. Tag für Tag ist er ihnen ausgesetzt. Wenn er die PDS-Kampagnen gegen den Vereinigungsprozess zur Sprache bringt, wenn er der Person Gregor Gysi einen ganzen Abschnitt widmet und seine Stasi-belastete Akte trotz all seiner Drohgebärden erneut auf den Tisch legt, wenn er die „fein ziselierten Sprachcodes“ der Partei alten Typs als tumben Etikettenschwindel unter die Lupe nimmt, ist es, als läse man Arendts Nachkriegs-Report in aktueller Ausgabe: „Die Lügen totalitärer Propaganda unterscheiden sich von den gewöhnlichen Lügen, auf welche nichttotalitäre Regimes in Notzeiten zurückgreifen, vor allem dadurch, dass sie ständig den Wert von Tatsachen überhaupt leugnen: Alle Fakten können verändert und alle Lügen wahrgemacht werden.“ Nur 19 Personen erhielten Haftstrafen Umfangreich und überaus konkret legt das Buch die fehlgeschlagene juristische Aufarbeitung der DDR dar. Trotz zahlreicher Todesurteile, trotz Hunderter Grenztote, trotz mehr als 300.000 politischen Häftlingen, trotz Gewalt und Willkür sind nach 40 Jahren Diktatur lediglich 19 Personen zu Haftstrafen verurteilt worden. Anders als die Gestapo wurde die verfassungswidrige Staatssicherheit nie zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt. Eine solche Persilschein-Politik war dazu angetan, die Täter zwangsläufig auf den Plan zu rufen. Mithilfe des Milliardenklaus der PDS sind sie mittlerweile gründlich reorganisiert, haben sich für „ihre Lebensleistungen“ deftige Luxusrenten erstritten, sind gut vernetzt und in dubiosen Verbänden organisiert. Ihr heutiges „Operationsgebiet“ ist unbegrenzt. Sie sitzen in Parlamenten, haben in Behörden hohe Posten inne, starten in ostdeutschen Provinzen Kampagnen gegen DDR-kritische Journalisten, greifen Verfolgte auf Veranstaltungen an, starten üble Leserbrief-Aktionen, halten mit ihren wüsten Texten Wikipedia auf Trab, sitzen in Dubai und Shanghai, um neue Netze zu knüpfen, drucken unsägliche Broschüren, um ohnehin nicht sattelfeste Schüler noch einmal zu verwirren. Auferstanden in der PDS Kurzum, sie machen das, was sie immer gemacht haben: Leben besetzen, Not produzieren, zerstören. Doch damit nicht genug. Jan Assmann hat in seinem Werk „Das kulturelle Gedächtnis“ plausibel dargelegt, dass Erinnerung stets ein von Eliten betriebenes soziales Training ist, die Einigung in einen Kanon. Unter diesem Aspekt sieht es so aus, als sei die kulturelle Erinnerungsarbeit in bezug auf die beiden deutschen Staaten dasjenige, was am wenigsten entschieden ist. Was war sie denn nun, diese dröge, miese DDR? Eine Diktatur? Ein sozialistisches Projekt? Ein totalitäres System? Es geht um Deutungshoheiten. Die Täter-Eliten des Ostens beanspruchen Aufnahme in die Geschichte. Sie wollen Deutschland Ehre einfahren und drängeln: Ein Platz an der historischen Sonne würde die Ideen- und Lebensbilanz aufpolieren. Kein Platz an der historischen Sonne Knabe kann sich mit Begehrlichkeiten dieser Art nicht aufhalten. Er ist Sachwalter der Opfer, nennt ihre Namen, erzählt deren Schicksale. Michael Gartenschläger, Matthias Domaschk, Chris Gueffroy. Sie waren blutjung, als sie an der Grenze oder im DDR-Gefängnis eiskalt gelyncht wurden. Und die anderen, deren Leben nicht mehr benannt werden? Das Buch lässt keinen Zweifel an den unerträglichen Schieflagen der DDR-Aufarbeitung. Es berichtet vom Kampf der Opfer um eine schäbige Pension von 250 Euro, während ihre Widersacher längst das Zwanzigfache einstreichen. Es spart nicht mit Kritik an der Arbeit der Birthler-Behörde mitsamt einer um Geld und Reputation geifernden Aufarbeitungsmaschinerie. Es weist nach, wie stark die traumatisierende PDS-Politik die politische Kultur des Landes bereits kontaminiert hat und das Stasi-Syndrom nie Vergangenheit war, sondern heute auf eine „realistische Außerkraftsetzung der Realität“ ist. Das alles berichtet Knabe in ruhigem Ton. Er kennt das Feld, weiß um dessen Spezifik. Und doch lässt seine Bestandsaufnahme keinen anderen Schluss zu, als dass es gar keine Aufarbeitung gibt. Schlagworte SED DDR Stasi PDS Hubertus Knabe Ines Geipel Hier wäre Hannah Arendt noch einmal am Platze, für die bei politischen Neuanfängen der Begriff der Erfahrungsfähigkeit zentral war. Diese würde die Fähigkeit zu trauern brauchen, die Fähigkeit, sich zu erinnern, die Fähigkeit, soviel politischen Anstand aufzubringen, um den Opfern der DDR das zu geben, was ihnen längst gebührt: öffentliche Anerkennung und Einfühlung. Stattdessen sind die Täter und ihre Mitstreiter emsig dabei, den nächsten Coup zu landen: Am 16. Juni werden sich PDS und WASG in Dortmund zum Parteitag einfinden, etliche markige Reden auf das Ungemach der Welt halten, viel von Bildung, Patriarchat, Gleichheit faseln, die linken Potenziale im Land endgültig begraben, um schließlich zum Händedruck überzugehen. Auf Symbole dieser Art ist man geeicht, hat ein gut trainiertes Gespür fürs politisch Emotionale. Deshalb muss dieser Vereinigungsparteitag auch einen Tag vor dem 17. Juni stattfinden. Es ist der Tag, als vor 54 Jahren das Projekt DDR-Sozialismus unter Schock geriet. Der Anfang vom Ende, den man gern annullieren würde. Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur. Propyläen, Berlin. 283 S., 22 Euro. Ines Geipel, Jahrgang 1960, war in der DDR Leistungssportlerin und ist heute Schriftstellerin und Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Bekannt wurde sie mit dem Buch "Für heute reicht's. Amok in Erfurt". 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Wie die PDS den Ostdeutschen Milliarden klaute Hubertus Knabe, streitbarer Leiter der Stasi-Gedenkstätte, analysiert in "Die Täter sind unter uns" sachlich den Betrug der PDS. Er weist den Genossen finanzielles Raubrittertum nach. Und prangert den unwürdigen Umgang mit den Opfern an.
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/...n_den_Ostdeutschen.html
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