Bisky geht in die 26. Abstummungsrunde
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Bundestagspräsidium
Bisky geht in die vierte Abstimmung
Lothar Bisky will es zum vierten Mal wissen. Der Chef der Linkspartei.PDS stellt sich heute erneut in Berlin der Wahl für das Bundestagspräsidium. Die Reaktionen aus den Parteien könnten kaum unterschiedlicher sein.
Berlin - Bisky war bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 18. Oktober in drei Wahlgängen durchgefallen. Wie schon im dritten Wahlgang würde Bisky auch beim vierten Anlauf eine einfache Mehrheit ausreichen.
Doch die Parteien sind nach wie vor gespalten. So ruft Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse die Mitglieder des Bundestages heute dazu auf, Bisky jetzt zu wählen. Er habe Bisky als "intelligenten und moderaten Menschen" kennen gelernt, dessen Biographie "keinen Anlass bietet zu bösestem Misstrauen und entschiedener Ablehnung", sagte Thierse dem NDR Info.
Er mahnte die Abgeordneten, die Folgen einer erneuten Ablehnung zu bedenken. "Diejenigen, die abstimmen, sollten wissen, ob sie der Linkspartei noch einmal eine Märtyrerrolle erlauben wollen oder nicht", sagte er. Er neige dazu, es ihnen nicht erlauben zu wollen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, geht allerdings von einer erneuten Niederlage aus. "Ich kann keinen Wechsel in der Stimmung feststellen", sagte van Essen der Chemnitzer "Freien Presse".
Trotz der unklaren Signale geht die Linkspartei mit demonstrativer Gelassenheit in die erneute Wahl. "Die Stimmung in der Fraktion ist sehr gut und wir wollen an unserem Kandidaten festhalten", sagte die Geschäftsführerin der Linkspartei-Fraktion, Dagmar Enkelmann, der Hörfunkagentur dpa/RUFA. Die bisherige Ablehnung des Linkspartei-Chefs durch viele Bundestagsabgeordnete sei "wenig durchdacht" gewesen, kritisierte Enkelmann.
An der Person Biskys alleine will Enkelmann das Wahldebakel nicht festmachen: "Mancher hat ein Problem damit, dass es in diesem Bundestag jetzt eine starke linke Fraktion gibt, die auch noch sichtbar selbstbewusst ist." Dem einen oder anderen gefalle es zudem nicht, dass Oskar Lafontaine an der Fraktionsspitze steht. "Wir hoffen sehr, dass die Bedenkzeit, die der Bundestagspräsident (Norbert Lammert) uns allen auferlegt hat, hilfreich war." Für den Fall eines erneuten Scheiterns Biskys kündigte Enkelmann Redebedarf in der Fraktion an.
Auch der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, verteidigte Bisky: Gysi verwies im NDR darauf, dass sich Bisky zum Beispiel in Brandenburg einen sehr guten Ruf erarbeitet habe. Dort sei er im vergangenen Jahr von mehr als Zweidrittel der Abgeordneten zum Vizepräsidenten des Landtags gewählt worden. Er glaube nicht, dass mögliche Stasi-Kontakte des Parteichefs eine Rolle spielten, sagte Gysi. Vielmehr sei es problematisch, dass Bisky in der DDR öffentliche Ämter bekleidet habe und loyal zur DDR gestanden habe. Er habe eine "anständige DDR-Biographie" und es sei nicht gewollt, dass jemand mit einer solchen Biographie in einer repräsentativen Funktion ist.
Gysi warnte davor, das politische Signal einer erneuten Abstimmungsniederlage zu unterschätzen. "Man muss doch Millionen im Osten sagen: Ihr seid willkommen in Deutschland. Und nicht immer nur sagen, Euch wollen wir nicht."
© SPIEGEL ONLINE 2005
Die Leiden des Professors Bisky
© Felix Heyder/DPA Wollte lieber wieder an die Filmhochschule: Lothar Bisky
15 Jahre politischer Kampf spiegelten sich im Gesicht von Lothar Bisky, als er zum vierten Mal bei der Wahl zum Bundestagsvize durchfiel. Vermutlich hat ihm seine DDR-Karriere einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Lothar Bisky ist ein alter Hase im politischen Geschäft. Zusammen mit Gregor Gysi bildete er seit der Wende im Herbst 1989 das "Dream-Team" der PDS. Nur der Sprung ins Präsidium des Bundestages klappte nicht. Die Abgeordneten nahmen bereits bei der scheinbar routinemäßigen Wahl des Präsidenten und seiner sechs Stellvertreter den Eklat in Kauf, indem sie den Vorsitzenden der Linkspartei nicht in das hohe Gremium wählten. Und auch die zweite Sitzung wurde zum Fiasko. Der 64-Jährige fiel zum vierten Mal durch. Auf seinem Gesicht zeichnete sich die ganze Enttäuschung der vergangenen 15 Jahre bundesdeutscher Wirklichkeit ab, wenn er auch vorher betont hatte, er werde sich bestimmt keinen Strick nehmen, wenn er es wieder nicht schaffe.
Dabei ist der Mann kein Hardliner, wenn er auch laut Gysi "eine anständige DDR-Biographie" hat. Er ist bekannt für seinen Wunsch nach Harmonie und seinen pragmatischen Kurs. Selbst Kollegen des anderen politischen Lagers schätzen seine ausgleichende Art. Dennoch machten wohl für manchen Abgeordneten, auch aus SPD-Reihen, ungeklärte Stasi-Vorwürfe und seine Funktion als Parteivorsitzender eine Wahl in das Präsidium des Bundestages unmöglich. In der Tat kandidierte noch nie ein Parteichef für das Amt. Die "finale Mülltonne"
Auch ohne diesen Posten kann der Philosophieprofessor auf eine Reihe von Leistungen zurückblicken. Die Linkspartei schaffte unter Biskys Führung eine ganze Reihe von Wahlsiegen, gekrönt durch den Wiedereinzug in den Bundestag. Er vermochte es, die Partei zu einen, und schwor die Genossen auf ein Zusammengehen mit der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) ein. Bisky, der sich selbst einmal als "finale Mülltonne" der PDS bezeichnet hatte, genoss den Erfolg in den eigenen Reihen.
2003 ließ sich Bisky auf Drängen der Genossen noch einmal zum Parteivorsitzenden wählen. Dieses Amt hatte er bereits von 1993 bis 2000 inne. Die PDS war zerrissen von Flügelkämpfen und drohte in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Bisky ließ damals nie einen Zweifel daran, dass er sich selbst als "Notlösung" sah. Eigentlich wollte der Kulturwissenschaftler wieder an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg lehren, deren Rektor er zu DDR-Zeiten war. Ruhig und mit sicherem Gespür schaffte Bisky aber das Comeback der Genossen.
IM oder kein IM?
Bisky ist kein "gelernter" Politiker. Von 1986 bis 1990 leitete er die angesehene Hochschule. Seine ehemaligen Studenten schwärmen noch heute von ihm, weil er Freiräume geschafft haben soll, wie es sie sonst im sozialistischen Staatsbetrieb nicht gab. Später erzählte Bisky, dass diese Zeit die schönste in seinem Leben gewesen sei. 1990 saß Bisky für die PDS in der Volkskammer und wurde im gleichen Jahr in den brandenburgischen Landtag gewählt. Drei Jahre später war er Parteivorsitzender.
Eine Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit konnte Bisky nie nachgewiesen werden. Seine Frau Almuth, ebenfalls Kulturwissenschaftlerin, hatte eine IM-Tätigkeit zugegeben. Bekannt ist der Name Bisky auch in der Kulturszene. Sohn Norbert Bisky ist ein erfolgreicher Maler. Sogar im MoMA in New York hängen seine Bilder. Außerdem zählte er zu den Unterstützern von Gerhard Schröder im Wahlkampf. Ein weiterer Sohn Jens ist erfolgreicher Journalist und veröffentlichte im vergangenen Jahr ein Buch über seine Familie. Susann Kreutzmann / AP
Unterlegener Bisky (Foto: dpa) | |
Linkspartei kritisiert "arrogante" Fraktionen
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linkspartei im Bundestag, Ulrich Maurer, hat heftige Kritik am Abstimmungsverhalten der anderen Fraktionen bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten geübt. Die Abstimmung am Dienstag habe gezeigt, dass die Mehrheit im Bundestag einen DDR-Lebenslauf wie den des PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky nicht akzeptiere, sagte Maurer der Chemnitzer "Freien Presse".
Das sei ein "unglaublich arrogantes Verhalten". Dieselben Leute hätten keine Skrupel damit gehabt, "Ex-Nazis wie Kiesinger und Filbinger in höchste Staatsämter zu befördern".
Der frühere SPD-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg forderte einen "Schlussstrich" in der bisherigen Debatte über die DDR-Vergangenheit. Biskys Gegner hätten gezeigt, dass sie "in der Einheit noch nicht angekommen" seien. Sie hätten größere Probleme mit Menschen, die eine positive Grundeinstellung zur DDR gehabt hätten, als mit ehemaligen Faschisten.
Der Vizepräsident des Bundestags, Wolfgang Thierse (SPD), bedauerte die Ablehnung von Linkspartei-Chef Lothar Bisky als Bundestagsvizepräsident und bezeichnete sein Scheitern als "Verlängerung eines überflüssigen Konfliktes". Bisky würde "gut in das Präsidium des deutschen Bundestages passen", sagte Thierse der "Berliner Zeitung".
Wahrscheinlich habe auch eine Minderheit aus der SPD-Fraktion Bisky nicht gewählt, fügte er hinzu. Zugleich warnte Thierse davor, den Vorfall zu einem undemokratischen Skandal oder zu einem West-Ost-Konflikt zu stilisieren.
(N24.de, Netzeitung)
"Persönlich tut man dem ehemaligen Direktor der Filmhochschule Babelsberg damit dennoch Unrecht. Bisky war Kommunist, aber er war kein SED-Idiot. Im Gegensatz zu den meisten Parteikarrieristen hat er an den Sozialismus geglaubt. Bisky wurde in die DDR nicht hineingeboren sondern entschied sich in den fünfziger Jahren bewusst für ein Leben im Osten - als junger Mann floh er aus Adenauers Republik in Ulbrichts vermeintliches Arbeiter- und Bauernparadies. Dennoch war ihm die sozialistische Sache immer wichtiger als die Statuten der DDR. Mehr als einmal half er Genossen, die oben in Ungnade gefallen waren. Der von konservativer Seite erhobene Vorwurf, Bisky stehe für die alte DDR, ist deshalb falsch und beweist höhstens die Ahnungslosigkeit derer, die ihn erheben."
Im übrigen finde ich es richtig das "Die Linke" keinen Bundestagsvizepräsident oder irgend ein anderes Staatsamt bekleidet, schließlich trägt die Nachfolgeorganisation der SED einfach zuviel Altlasten mit sich herum & ist in meinen Augen auch nicht Demokratisch!
Und wer in der Demokratie nicht verlieren kann, so wie es uns der Bisky vorgelebt hat, der kann ja nach Kuba, Vietnam oder Nordkorea auswandern zu seinen sozialistischen Brüder!
Causa Bisky lässt den Osten kalt
Von WZ-Korrespondent Markus KauffmannIn der ehemaligen DDR kehrt langsam Normalität ein.
Analyse zum 16. Jahrestag des Mauerfalls.
Berlin. Er hat es viermal wissen wollen und nun ist er zum vierten Mal durchgefallen, jetzt weiß er es. Der ehemalige Informelle Stasi-Mitarbeiter (IM) "Bienitz", mit bürgerlichem Namen Lothar Bisky, seines Zeichens Parteivorsitzender der PDS, hat auch im vierten Wahlgang nicht die erforderliche Mehrheit errungen, um Bundestagsvizepräsident zu werden.
Am 9. November 1989 war die Mauer gefallen. Am Vortag des 16. Jahrestages holt einen inzwischen anerkannten Politiker die Vergangenheit ein.
Er habe nie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, er habe nie jemand geschadet, er habe nie offizielle Kontakte zum "Ministerium für Staatssicherheit" (Stasi) geleugnet, verteidigt sich Bisky. Vielleicht, nein, wahrscheinlich hat er sogar recht.
Aber wieso, fragt sich der Laie, hat er es dann zu einer Traumkarriere in der DDR-Nomenklatur gebracht: Promotion, Habilitation, Honorarprofessur, Dozentur an der Akademie des SED-Zentralkomitees, Rektor der DDR-Fernsehakademie...? Jedermann wusste, dass man aktiver Teil des Systems sein musste, um es so weit zu bringen.
In dubio pro reo
Im Zweifel für den IM. Dieses Recht wurde nicht Ibrahim Böhme gewährt, jenem unglücklichen Vorsitzenden der Ost-SPD, der zum Unterschied von Bisky in der DDR zweimal mit Berufsverbot belegt worden war. Auch er bestritt bis zu seinem frühen Tod, jemals für die Stasi Spitzeldienste geleistet zu haben. Trotzdem schloss man ihn aus der inzwischen wiedervereinigten SPD aus und er wurde aller politischer Ämter verlustig, bis er vereinsamt und verarmt starb.
Dieses Recht wurde nicht gewährt Lothar de Maizière, dem ersten freigewählten Ministerpräsidenten der DDR uns später Kohls Stellvertreter in der gesamtdeutschen CDU. Auch er musste gehen, weil er angeblich für die Stasi gespitzelt haben soll, was er bis heute bestreitet. Und dieses Recht wurde nicht gewährt hunderten, ja tausenden ehemaliger "IMs", die ihre Stellung im öffentlichen Dienst verloren.
"Gesellschaftswissenschaften", das war die Kerndisziplin der SED-Ideologie. Wer an der Parteiakademie ein Lehramt bekleidete, gehörte zum erlesenen Kreis der Chefideologen. Bisky war kein Widerständler, was man ihm auch nicht vorwerfen sollte, aber er war mehr als das Gegenteil: eine der vielen kleinen Säulen eines Systems, das die Demokratie mit Füßen trat.
Nun aber steht dieser gleiche Bisky vor einer demokratischen Entscheidung. Einer Entscheidung gegen ihn, gegen seine Vergangenheit.
Gewiss, es gibt ein Spannungsverhältnis: Die (ungeschriebenen) Spielregeln des Bundestages gestehen auch der "Linkspartei. PDS" die Position eines stellvertretenden Bundestagspräsidenten zu. Das hat der Ältestenrat so beschlossen. Doch diese Position muss durch eine geheime, freie Wahl besetzt werden. Und hier hat eine klare und beständige Mehrheit Nein gesagt. Und das müssen Bisky sowie die PDS zur Kenntnis nehmen.
Das überholte Symbol
Ein Eklat? Sicherlich. Aber weit davon entfernt, was am Dienstag eine TV-Kommentatorin den "parlamentarischen Super-GAU" genannt hat.
Das eigentlich Sensationelle an dem Vorgang ist etwas anderes: Noch vor kurzem hätte die PDS verstanden, aus dieser Abfuhr einen kollektiven Aufschrei der "Ossis" abzuleiten. Der dialektische Salto, der dieser SED-Rechtsnachfolgerin gelungen war, bestand in einer völlig verdrehten Identifikation. Als einziger Partei, die die DDR überlebte glückte der in PDS unbenannten ehemaligen Staatspartei, sich zum Identifikations-Symbol aller Ostdeutschen aufzuspielen.
Die neue Vertretung
Was ihnen die DDR-Verfassung früher garantierte, nämlich als Partei das Alleinvertretungsrecht für alle DDR-Bürger zu beanspruchen, das gewährten ihnen nach der Wende viele freiwillig.
Merkwürdigerweise gab es aber diesen Aufschrei nicht, als Gysi nun auch beim vierten Anlauf scheiterte. Niemand, auch die PDS selbst nicht, sprach mehr von Benachteiligung ehemaliger DDR-Bürger, die Sympathie- und Solidaritätsadressen hielten sich in sehr engen Grenzen. Was war geschehen?
Ganz einfach: Seitdem sich eine "Ossi" anschickt, Bundeskanzlerin der vereinten Bundesrepublik zu werden und selbst die zweite große Volkspartei, die SPD, ebenfalls von einem "Ossi" geführt wird, hat die PDS ihren Alleinvertretungsanspruch urplötzlich eingebüßt. Noch im Wahlkampf konnte sie mit dieser Rückendeckung rechnen, vor allem aber war das Ausbreiten der PDS auf eine gesamtdeutsche Ebene eine Art Aufbruchssignal. Doch das ist vorbei. Der parlamentarische und demokratische Alltag ist eingekehrt, jedes Wahlkampfpathos ist der nüchternen Frage gewichen: Wer kriegt welchen Posten?
So hat die Designierung von Angela Merkel und Matthias Platzeck die politische Psychologie des wiedervereinigten Deutschland sechzehn Jahre nach dem Mauerfall grundlegend verändert. "Die beiden Ossis werden nun den Karren gemeinsam aus dem Dreck ziehen", sagte am Dienstag ein Ost-Berliner selbstbewusst zu mir und überraschte mich mit seiner theologischen Bildung:
http://www.wienerzeitung.at/...abID=3857&Alias=wzo&cob=206478
Für die Wahl von Lothar Bisky hatten sich Angela Merkel und Franz Müntefering erwärmt, der amtierende Kanzler ließ sich demonstrativ beim Händedruck mit dem Gedemütigten im Plenarsaal des Reichtstags ablichten, Wolfgang Thierse hatte vorab erklärt, nichts gegen den Medienprofessor zu haben und nannte das Ergebnis bart- und schweifwedelnd »weder antidemokratisch noch antiostdeutsch«, Jörg Schönbohm stellte ihm ein nettes Zeugnis aus usw. Vermuten läßt sich natürlich, daß wer solche Befürworter hat, sich über Wahlniederlagen nicht wundern muß. Andererseits: Wann entscheidet das Abgeordnetenvölkchen selbst über sein Verhalten? Mitbestimmen? Was seinen Wählern verwehrt wird, kann dem Parlamentarier nicht zugebilligt werden.
In diesem Fall durfte er zwar seinem Gewissen folgen, dem er bekanntlich als einzigem verpflichtet ist, was herauskam, lag aber wenig überraschend »im Bereich des Erwartbaren«, wie Lothar Bisky am Mittwoch im Deutschlandfunk sagte. Daran änderte auch nichts die »Gewissensknete« – wie die FAZ formulierte, die der Bundestagspräsident Lammert den Abgeordnete verabreichte, als er zu einer »weisen Entscheidung« aufrief. Von der Warte Frankfurter Herrenreiter herab sind Parlamentarier ähnlicher Pöbel wie ihre Wähler. Die westdeutsche Provinzpresse barmt wie eh und je seit 1990 bei solchen Gelegenheiten: »Es geht nicht um einen Ost-West-Konflikt« (Hannoversche Allgemeine), worauf ohne sie niemand käme. Allergisch reagierte man westlich der Elbe aber auf Gregor Gysis Erwähnung der Wahl von alten NSDAP-Kameraden zu allem möglichen in vergangenen Jahrzehnten. Gysi hätte noch hinzufügen können, daß die Exmitglieder der Nazipartei in den ersten Bundestagen die absolute Mehrheit im Parlament hatten. Es gilt: Wer einen Goebbels-Abteilungsleiter zum Bundeskanzler wählt, kann keinen Medienprofessor aus der DDR zum Bundestagsvizepräsidenten bestimmen. Oder wie die Süddeutsche Zeitung nüchtern formulierte: »das alte Feindbild ›Kommunist‹ gilt im Inland noch immer«. Vielleicht hätte man die Ostdeutschen nach Ungarn umsiedeln sollen, dann gäbe es nur Freundschaft.
jungewelt.de